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Weit im Süden, Meer und Himmel trennend, ein dünner, gelber Strich: Afrika. Rasch wechselt die Farbe des Meeres von tiefem Blau zu immer lichterem Grün. Der dünne Strich wächst, sandfarbene, würfelige Häuser tauchen auf, Palmen wachsen langsam aus dem Meer. Der Dampfer verlangsamt seine Fahrt, nimmt aus jäh aufkreuzendem Boot den Lotsen an Bord. Ein letzter Blick noch auf die untadelige Reinheit der offenen See — dann schließen sich die Molen wie weitgestreckte Arme, ziehen das Schiff an die Brust der fremden Stadt.

Noch sind die weißgekleideten Beamten der Quarantäne-Kommission mit kühler Oberflächlichkeit am Werk, da wird das Deck heulend überschwemmt von einer Unzahl dunkelhäutiger Burschen in langwallenden blauen oder schwarzen Hemden, riesige, gelblederne Pantoffel an den nackten Füßen, lächerliche Häkelhäubchen auf den kahlen Köpfen. Sehnige, nackte Hälse blähen sich in maßlosem Geschrei, furchtbare Gebisse blitzen zwischen breiten Lippen auf, dunkle Hände mit schweren Silberringen eifern, werden beschwörend gespreizt, flehend gefaltet, drohend gegen den Nebenbuhler geschwungen: ein lächerlicher Willkommsgruß des schwarzen Erdteils.

Fritz ergibt sich einem ebenholzfarbigen Nubier, der sich das Gepäck seines Opfers auf die Schultern türmt, an Riemen vor die Brust hängt, unter die Arme klemmt und, unaufhörlich schnatternd, mit Riesengewalt durch das Gedränge bricht: „Yes, Sorr, ollrreit, Sorr, Cairo-Expreß, Station, zuerst Dogana, Sorr, Zoll, hier!“

Eine kurze Untersuchung, — dunkle Finger stöbern aufreizend in weißer Wäsche, — dann wird das Gepäck schwunghaft auf einem gebrechlichen Wagen verstaut, der Nubier schwingt sich auf den Bock und auf seinen stimmgewaltigen Zuruf knallt der Kutscher mit beißender Bogenpeitsche auf die schlanken Pferdchen ein, daß sie vom Fleck in hemmungslosem Wüstengalopp losrasen. Der Nubier fühlt sich verpflichtet, Konversation zu machen und überbellt heiser das Toben der Hufe: „Schiff sehr verspätet, Sorr, wenig Zeit für Expreß, noch ten Minüts, ten!“ — Und die rechte Hand, fächerig gespreizt, senkt sich zweimal mit furchtbarem Nachdruck. — Noch ein kreischender Zuruf an den Kutscher, der entrüstet erwidert wird. Die Bogenpeitsche klatscht fieberhaft. Endlich der Bahnhof. Vor dem Säulenportal werden die Pferdchen jäh zusammengerissen, daß sie sich, die Mäuler weit gesperrt, fast auf die Hosen setzen. Fahrkarte, Gepäckaufgabe, alles in fieberiger Hast, von des keuchenden Nubiers Raserei mitgerissen. Endlich der Bahnsteig — fremdartige Riesenwagen, in die man ebenen Fußes, ohne Stufen, einsteigt. Die Handtaschen fliegen schnaubend ins Gepäcknetz, und der Nubier streckt mit einem Grinsen übermenschlicher Genugtuung die dürre Hand bis zum Ellenbogen aus dem weiten Ärmel: „Schweres Gepäck, Sorr, grroße Eile, sehrr gearbeitet, Sorr, kleines Bakschisch, please!“ Fritz hält ihm eine Handvoll der fremden Silbermünzen entgegen, die ihm der Steward zu Wucherkurs eingewechselt hat. Der Nubier wählt mit spitzen Fingern etwa das Zwanzigfache seiner Taxe, deutet dann stolz auf seine Brust: „Ich Ali, Sorr, Ali! Nächstes Mal wieder!“ verbeugt sich mit süßem Lächeln und geht. Fritz weiß genau, daß er übervorteilt wurde, aber er ist verwirrt und wehrlos.

Der Zug rollt ab, unmerklich fast, steigert sich rasch in wütende Schnelligkeit hinein. Durch die großen, festgeschlossenen Spiegelfenster beginnt feiner Staub zu sickern, der sich wolkig über die glatten Lederkissen legt, Nase und Augen brennend füllt und zwischen den Zähnen leise knirscht. Draußen fliegt flaches Land vorbei, strotzend in blauem Grün; Palmenhaine und Lehmhütten, Sandflächen dazwischen. Die Hitze in dem geräumigen Abteil wird drückend. Und Fritz sinkt in bleiernen Schlaf.

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