2. Traum und Mythus.

»Der Traum bringt uns in ferne Zustände der menschlichen Kultur wieder zurück und gibt ein Mittel an die Hand, sie besser zu verstehen.«

Nietzsche.

Die Bedeutung des Traumes für die Mythen- und Märchenbildung ist von den Forschern seit langem erkannt und anerkannt. Namhafte Mythologen wie Laistner, Mannhardt, Roscher und neuestens wieder Wundt haben die Bedeutung des Traumlebens, namentlich des Angsttraumes, für das Verständnis einzelner Mythen- oder wenigstens Motivgruppen eingehend gewürdigt. Insbesondere der Alptraum, mit seinen zahlreichen Beziehungen zu mythologischen Motiven, bot hiezu am ehesten Anlaß und einzelne Elemente desselben, wie die Bewegungshemmung, der Namensanruf (Schrei), die Fragepein u. a. scheinen tatsächlich ihren Niederschlag in den entsprechenden mythischen Erzählungen gefunden zu haben. Anderseits hat die Einseitigkeit dieser Betrachtungsweise und ihre Beschränkung auf ein einzelnes Traumphänomen spätere Autoren angeregt, dem Einfluß des Traumlebens auf die Volksschöpfungen weiter nachzuspüren. Friedrich von der Leyen, der bald nach Erscheinen der »Traumdeutung« die Wichtigkeit der psychoanalytischen Ergebnisse für die Märchenforschung betonte, hat in seiner späteren ausführlichen Publikation wohl auch andere Typen von Träumen herangezogen, sich aber leider auf die Hervorhebung der im manifesten Inhalt zu Tage liegenden Analogien beschränkt.

So interessant diese Parallelisierungen auch sind, vermögen sie doch nicht der Bedeutung des Traumlebens für die Mythenbildung gerecht zu werden. Die Annahme einer Verwendung einzelner auffälliger Traumerlebnisse im Zusammenhang märchenhafter Erzählungen kann unmöglich das Problem erschöpfen. Auch hier hat die psychoanalytische Forschung allmählich über die Deskription hinaus zu den gemeinsamen unbewußten Triebkräften der Traum- und Mythenproduktion geführt.

An einer Reihe von Beispielen hat Riklin gezeigt, daß »Wunscherfüllung und Symbolik im Märchen« sich den analytisch erkannten Traumgesetzen fügen; Jones vermochte die mythologische Alptraumtheorie dadurch zu stützen, aber auch zu vertiefen und zu bereichern, daß er den latenten Inhalt dieser sonderbaren nächtlichen Erlebnisse zur Aufklärung gewisser Formen des mittelalterlichen Aberglaubens verwertete (Hexen- und Teufelsglauben, Wehrwolf, Vampyr usw.); Abraham unternahm eine gelungene Deutung der Prometheus-Sage, indem er nachwies, daß die Regeln der analytischen Traumlehre auf die Gebilde der Völkerphantasie erfolgreich anwendbar seien; und Rank konnte den Wert der psychoanalytischen Mythendeutung an der vielumstrittenen Symbolik erproben, die sich gerade hier einwandfrei bewährte. Es zeigte sich, daß im »Mythus von der Geburt des Helden« die Aussetzung des Neugeborenen im Kästchen und Wasser ein symbolischer und tendenziös entstellter Ausdruck des Geburtsvorganges war wie in den bereits besprochenen Geburtsträumen. So lag es nahe, viele scheinbar individuelle Traumsymbole völkerpsychologisch zu fundieren, wie anderseits die aus dem Traume bekannten Bedeutungen zur Aufklärung mythischer Überlieferungen zu verwenden. Zugleich wurde aber auf diesem Wege ein vertieftes Verständnis mancher kulturgeschichtlicher Tatsachen angebahnt, denn häufig erwies sich das Symbol als Niederschlag einer ursprünglich real genommenen Identität.

Mythische Bedeutung und kulturgeschichtl. Grundlage der Symbolik.

Diese mannigfachen Beziehungen der Symbolik zu Traum, Mythus und Kulturgeschichte seien an einem Beispiel, das für mehrere stehe, erläutert. Wenn wir heute das Feuer in einem Traume als Symbol der Liebe verwendet finden, so lehrt das Studium der Kulturgeschichte, daß diesem fast zur Allegorie herabgesunkenen Bilde ursprünglich eine reale, für die Entwicklung der Menschheit ungeheure Bedeutung zukam. Das Feuererzeugen hat tatsächlich einmal den Sexualakt selbst vertreten, d. h. es war mit den gleichen libidinösen Energien und den zugehörigen Vorstellungen besetzt wie dieser. Ein geradezu klassisches Beispiel dafür bietet die Feuererzeugung in Indien, die dort unter dem Bilde der Begattung vorgestellt wird. Im Rigveda (III 29, 1) heißt es:

»Dies ist das Quirlholz; das Zeugende (das männliche Reibholz) ist zubereitet! Bring die Stammesherrin (das weibliche Reibholz) herbei; den Agni wollen wir quirln nach alter Art. In den beiden Reibhölzern ruht der Wesenkenner (Agni) gleich der Leibesfrucht, die schön hineingesetzt ist in die schwangeren Frauen . . . In sie, die die Beine ausgespreizt hat, fährt als ein Kundiger ein (das männliche Holz).«(205) Wenn der Inder Feuer entzündet, dann spricht er ein heiliges Gebet, welches auf eine Mythe Bezug nimmt. Er ergreift ein Stück Holz mit den Worten: »Du bist des Feuers Geburtsort«, legt darauf zwei Grashalme. »Ihr seid die beiden Hoden«, darauf ergreift er das unten liegende Holz: »Du bist Urvaci«. Darauf salbt er das Holz mit Butter und sagt dabei: »Du bist Kraft«, stellt es dann auf das liegende Holz und sagt dazu: »Du bist Pururavas« usw. Er faßt also das liegende Holz mit seiner kleinen Höhlung als die Repräsentation der empfangenden Göttin und das stehende Holz als das Geschlechtsglied des begattenden Gottes auf. Über die Verbreitung dieser Vorstellung sagt der bekannte Ethnologe Leo Frobenius(206): »Das Feuerquirlen, wie es bei den meisten Völkern zu finden ist, repräsentiert also bei den alten Indern den Geschlechtsakt. Es sei mir erlaubt, gleich darauf hinzuweisen, daß die alten Inder mit dieser Auffassung nicht allein dastehen. Die Südafrikaner haben nämlich dieselbe Anschauung. Das liegende Holz heißt bei ihnen ›weibliche Scham‹, das stehende ›das Männliche‹. Schinz hat dies seinerzeit für einige Stämme erklärt und seitdem ist die weite Verbreitung dieser Anschauung in Südafrika und zwar besonders bei den im Osten wohnenden Stämmen aufgefunden worden.«

Noch deutliche Hinweise auf die sexualsymbolische Bedeutung des Feuerzündens finden wir im Feuerraubmythus des Prometheus, dessen sexualsymbolische Grundlage der Mythologe Kuhn (1859) erkannt hat. Wie die Prometheus-Sage bringen auch andere Überlieferungen die Zeugung mit dem himmlischen Feuer, dem Blitz, in Zusammenhang. So äußert O. Gruppe(207) über die Sage von Semele, aus deren brennendem Leib Dionysos geboren wird, sie sei »wahrscheinlich einer der in Griechenland sehr spärlichen Reste des alten Legendentypus, der sich auf die Entflammung des Opferfeuers bezog«, und ihr Name habe »vielleicht ursprünglich die ›Tafel‹ oder den ›Tisch‹, das untere Reibholz (vgl. Hesych. σεμέλη τράπεζα) bezeichnet . . . . In dem weichen Holz des letzteren entzündet sich der Funke, bei dessen Geburt die ›Mutter‹ verbrennt«. – Noch in der mythisch ausgeschmückten Geburtsgeschichte des Großen Alexander heißt es, daß seine Mutter Olympias in der Nacht vor der Hochzeit träumte, es umtose sie ein mächtiges Gewitter und der Blitz fahre flammend in ihren Schoß, daraus dann ein wildes Feuer hervorbreche und in weit und weiter zehrenden Flammen verschwinde(208). (Droysen: Gesch. Alex. d. Gr., p. 69.) Hieher gehört ferner die berühmte Fabel vom Zauberer Virgil, der sich an einer spröden Schönen dadurch rächt, daß er alle Feuer der Stadt verlöschen und die Bürger ihr neues Feuer nur am Genitale der nackt zur Schau gestellten Frau entzünden läßt; diesem Gebot der Feuerzündung stehen andere Überlieferungen im Sinne der Prometheus-Sage als Verbot derselben gegenüber, wie das Märchen von Amor und Psyche, das der neugierigen Gattin verbietet, den nächtlichen Liebhaber durch Lichtanzünden zu verscheuchen, oder die Erzählung von Periander, den seine Mutter unter der gleichen Bedingung allnächtlich als unerkannte Geliebte besuchte.

Entsprechend dem unteren Reibholz gilt dann jede Feuerstätte, Altar, Herd, Ofen, Lampe usw., als weibliches Symbol. So diente beispielsweise bei der Satansmesse als Altar das Genitale eines entblößt daliegenden Weibes. Dem griechischen Periander wird nach Herodot (V, 92) von seiner verstorbenen Gattin Melissa eine Weissagung zu teil mit der Bekräftigung, er habe »das Brot in einen kalten Ofen geschoben«, was ihm ein sicheres Wahrzeichen war, »da er den Leichnam der Melissa beschlafen«.

Hieher gehören neben den zahlreichen auf das Feuer bezüglichen Hochzeitsbräuchen auch die im Folk-lore weitverbreiteten Schwankerzählungen vom Lebenslicht, welche die gleiche Symbolik in Form einer Traumeinkleidung offen verwerten. Einem Manne träumt, daß ihm der heilige Petrus im Himmel sein und seines Weibes Lebenslicht zeige. Da in dem seinen nur noch wenig Öl vorhanden ist, versucht er mit dem Finger aus seines Weibes Hängelampe Öl in seine einzutröpfeln. So tat er es mehrmals und sobald der heilige Petrus nahte, fuhr er zusammen, erschrak und erwachte davon; da merkte er, daß er den Finger in den Geschlechtsteil seines Weibes gesteckt und leckend in seinen Mund den Finger abgeträufelt habe. (Anthropophyteia, Bd. VII, p. 255 f.) Gleiche Kenntnis und Verwertung dieser Sexualsymbolik verrät die Anekdote, nach der der Pfarrer einem Mädchen ihr Genitale als »das Licht des Lebens« bezeichnet. »Ach, jetzt versteh’ ich,« sagt sie, »warum mein Schatz heut morgen sein’ Docht neingesteckt hat.« (Anthrop. VII, p. 310 und eine Variante ebenda, p. 323.) Umgekehrt sagt in den »Contes drolatiques« Balzac’s die Geliebte des Königs, um den zudringlichen Pfaffen zurückzuweisen: »Das Ding, das der König liebt, bedarf noch nicht der letzten Ölung.«

Aber die sexuelle Bedeutung greift allmählich auf alles über, was mit dem ursprünglichen Symbol in Beziehung tritt. Die Esse, durch die auch der Storch das Kind fallen läßt, wird zum weiblichen, der Schornsteinfeger zum phallischen Symbol(209), wie man noch an seiner jetzigen Glücksbedeutung erkennt; denn die meisten unserer Glückssymbole waren ursprünglich Fruchtbarkeitssymbole, wie das Hufeisen (Roßtrappe), das Kleeblatt, die Alraune u. a. m. Selbst unsere heutige Sprache hat noch vieles von der Feuersymbolik bewahrt: wir sprechen vom »Lebenslicht«, vom »Erglühen« in Liebe, vom »Feuerfangen« im Sinne von Verlieben und bezeichnen die Geliebte als »Flamme«.

Der Elternkomplex in Mythen und Märchen.

In ähnlicher Weise lassen sich auch andere Symbole durch verschiedene Schichten ihrer Verwendung und ihres Verständnisses hindurchverfolgen(210):

Ein für das Verständnis der Träume wie der Mythen und Märchen besonders bedeutsames Symbol ist die Darstellung der Eltern als kaiserliche oder sonst hochstehende Personen. Die den ehrgeizigen Phantasien des Individuums dienenden Tagträume von einem »Familienroman« haben das Verständnis der gleichlautenden Massenphantasien ganzer Völker ermöglicht und uns gelehrt, in den dem Helden feindlich gegenübergestellten Machtpersonen Personifikationen des Vaters, in den ihm von diesen vorenthaltenen Frauen Imagines der Mutter zu erkennen. Der König und die Königin, von denen fast jedes Märchen zu erzählen weiß, verleugnen ihren elterlichen Charakter selten und auch der Heldenmythus bedient sich des gleichen Darstellungsmittels, um die den Eltern geltenden ambivalenten Regungen vorwurfslos ausleben zu können.

Als Beispiel sei hier ein ungeheuer verbreitetes Märchen angeführt, in dem ein die ganze Geschichte begründender Traum vielleicht auf die Beziehung dieser Erzählung zu einem typischen Traumstoff hinweist. Das Märchen, dessen Parallelen Th. Benfey (Kl. Schr. III) über die ganze Erde verfolgt hat, beginnt damit, daß der Sohn träumt, er werde vornehmer werden als sein Vater, nämlich Kaiser. Er wird nun hochmütig und widersetzlich, so daß der Vater, dem er den Grund (nämlich seinen Traum) nicht verraten will, ihn prügelt und aus dem Hause jagt. Er kommt nun an den Hof des Kaisers, dem er gleichfalls sein Geheimnis (den Traum) nicht verraten will, wofür er eingesperrt und zum Hungertode verurteilt wird. Es gelingt ihm aber, ein Loch in die Mauer seines Kerkers zu machen und so allnächtlich mit der Königstochter in Verbindung zu treten, die sich in ihn verliebt und ihn speist. Durch Erraten schwieriger Rätsel oder durch Lösen schwerer Aufgaben (Speerwerfen usw.) vermag er schließlich die Hand der Königstochter wirklich zu gewinnen, ihren Vater zu beseitigen (töten) und sein Erbe anzutreten. Dieser kurze Auszug, der nur die häufigste Variante der weitverzweigten Fabel wiedergibt, zeigt doch zur Genüge, daß es sich um den bekannten Familienroman des Ehrgeizigen handelt, der seinen Vater (in der Phantasie) zum Kaiser erhöht und ihn dann beseitigt, um seine Stelle einzunehmen. Mit dieser Stelle ist, wie die psychoanalytische Untersuchung der individuellen und mythischen Phantasiebildung ergeben hat, im tiefsten Grunde der Besitz der Mutter gemeint(211), die hier durch eine Schwesterfigur (die Tochter des Königs) ersetzt ist. Ihre mütterliche Bedeutung ist aber noch voll erhalten in ihrer Rolle als Ernährerin, die aus dem zum Familienroman gehörigen Aussetzungsmythus stammt. Das vornehme Milieu ist nichts als eine den Größenideen dienende Entstellung der eigenen Familie und die Spaltung der Personen, die in manchen Fassungen noch weiter geht, dient der vorwurfsfreien Befriedigung aller den Eltern geltenden Leidenschaften.

Daß tatsächlich der in der Sprache des Unbewußten (Kaiser) dargestellte Konflikt mit dem Vater um den Besitz der Mutter dieser Märchengruppe zu Grunde liegt, zeigt eine von Benfey (p. 188) angeführte griechische Version, welche die Geschichte dem Äsop zuschreibt. Dieser hatte seinen Adoptivsohn Ainos mit dem Tode bedroht, da er eine von des Königs (= Vaters) Kebsweibern verführt hatte. Um sich zu retten und beim König in Gunst zu setzen, fälscht Ainos einen angeblich von Äsop verfaßten hochverräterischen Brief, auf Grund dessen Äsop in den Kerker geworfen und von Lykurg zum Tode verurteilt wird. Sein Freund, der Henker, rettet ihn aber und ernährt ihn heimlich in einem der Gräber. Als aber der König später Äsops Fähigkeit, schwere Aufgaben durch List zu lösen, gegen den Ägypterkönig ins Treffen führen will, bereut er die rasche Verurteilung. Äsop wird zur Stelle geschafft, hilft seinem Herrn gegen den Ägypterkönig und wird wieder in seine frühere Stellung eingesetzt, die inzwischen sein Sohn eingenommen hatte. Dieser erhängt sich. Hier ist der Konflikt zwischen Vater und Sohn, den das Märchen auf Grund des Familienromans in das königliche Milieu verlegt, wieder auf den bürgerlichen Boden der eigenen Familie zurückversetzt und direkt ausgesprochen, daß der Sohn eine von des Königs Kebsweibern (nicht seine Tochter) erobert.

Den gleichen Vaterkonflikt innerhalb des königlichen Milieus zeigt noch das stofflich nahestehende Drama Calderons: »Das Leben ein Traum«. Da träumt die Mutter vor der Geburt des Sohnes, dieser werde einst seinen Fuß auf den Nacken des Vaters setzen. Als sie bei der Geburt stirbt, wird der Sohn in einen einsamen Turm (Gefängnis) gebracht, wo er niemand sieht als Clotald, der ihm Speise und Trank bringt (Ernährung). Später bereut der König doch diese strenge Maßregel und will einen Versuch machen, der entscheiden soll, ob sich sein Sohn zum Thronerben eigne. Er bekommt einen Schlaftrunk und wird so ins Schloß gebracht, wo ihm – als er erwacht ist – als Erben von Polens Krone gehuldigt wird. Aber er macht sich durch sein rohes, wütendes Benehmen unmöglich und wird – wieder im Schlaf – in seinen Turm zurückgebracht. Dort erwacht er aus einem Traum, indem er murmelt: Clotald soll sterben und mein Vater vor mir knien. Clotald stellt ihm sein ganzes Erlebnis als einen Traum dar, worauf er in sich geht, seine wilden Sitten ablegt und vom Volk zum König ausgerufen wird. Sein Vater kniet schließlich wirklich vor ihm, aber der Sohn zeigt sich milde und nachsichtig gegen ihn. So zeigen die Träume, welche diese Erzählungen einleiten, scheinbar eine ferne unerwartete Zukunft prophetisch an, während sie in Wirklichkeit nur symbolische Ausdrücke (Kaiser) jener Regungen des Ödipus-Komplexes sind, die auch im realen Leben zu Erfolg, Macht, Ansehen und Besitzergreifung eines hochstehenden Sexualobjektes führen können. Der Traum aber lehrt uns, daß alle diese Regungen und Phantasien eigentlich den Eltern gelten (Vater).

Kulturhistorische Entwicklung des Elternverhältnisses.

Auch hier zeigt die Kulturhistorie die ursprünglich reale Bedeutung der später nur noch im Symbol fortlebenden Beziehung darin, daß der Vater in primitiven Verhältnissen seiner »Familie« gegenüber wirklich mit den höchsten Machtvollkommenheiten ausgestattet war und über Leib und Leben der »Untertanen« verfügen konnte. Über den Ursprung des Königtums aus dem Patriarchat in der Familie äußert der Sprachforscher Max Müller: »Als die Familie im Staate aufzugehen begann, da wurde der König inmitten seines Volkes das, was der Gemahl und Vater im Hause gewesen war: der Herr, der starke Schützer(212). Unter den mannigfachen Bezeichnungen für König und Königin im Sanskrit ist eine einfach: Vater und Mutter. Ganaka im Sanskrit bedeutet Vater von GAN zeugen; es kommt auch als Name eines wohlbekannten Königs im Veda vor. Dies ist das altdeutsche chuning, englisch king. Mutter im Sanskrit ist gani oder ganî, das griechische γυνή, gotisch quinô, slawisch zena, englisch queen. Königin also bedeutet ursprünglich Mutter oder Herrin und wir sehen wiederum, wie die Sprache des Familienlebens allmählich zur politischen Sprache des ältesten arischen Staates erwuchs, wie die Brüderschaft der Familie die φρατρία des Staates wurde.« – Auch heute noch ist diese Auffassung des königlichen Herrschers und der göttlichen und geistlichen Oberhoheit als Vater im Sprachgebrauch lebendig. Kleinere Staaten, in denen die Beziehungen des Fürsten zu seinen Untertanen noch engere sind, nennen ihren Herrscher »Landesvater«; selbst für die Völker des mächtigen Russenreiches ist ihr Kaiser das »Väterchen«, wie seinerzeit für das gewaltige Hunnenvolk ihr Attila (Diminutiv von got. atta = Vater). Das herrschende Oberhaupt der katholischen Kirche wird als Vertreter Gott-Vaters auf Erden von den Gläubigen »heiliger Vater« genannt und führt im Lateinischen den Namen »Papa« (Papst), mit dem auch unsere Kinder noch den Vater bezeichnen.

Brüdermärchen und Weltelternmythe.

Aber auch eine weitere kulturgeschichtliche Entwicklungsphase des Vaterverhältnisses hat in einer ungeheuer verbreiteten und weitläufigen Märchengruppe Niederschlag gefunden. Wie sich im individuellen Seelenleben die dem Vater geltenden, stark verpönten Eifersuchtsregungen bald gegen den Bruder als Konkurrenten um die Liebe der Mutter wenden, so zeigen die sogenannten Brüdermärchen, als deren bekanntesten Typus wir das Grimmsche Märchen (Nr. 60) nennen(213), die Ersetzung des Vaters durch den Bruder mit aller Deutlichkeit. Die vergleichende Märchenforschung in Verbindung mit der psychoanalytischen Betrachtungsweise ermöglicht es, von den stark entstellten Fassungen, in denen der Bruder als Rächer des Bruders auftritt, eine geschlossene Kette von Verbindungsgliedern zu weniger entstellten Versionen aufzudecken, in denen der Bruder den Bruder beseitigt, um dessen Weib zu erringen. Dabei ergibt sich, daß der ältere Bruder am jüngeren Vaterstelle vertritt und die sexuelle Natur der Rivalität kann über jeden Zweifel sichergestellt werden durch eine Gruppe von Überlieferungen(214), welche die Kastration des Konkurrenten (andere Male nur symbolisch angedeutet) unverhüllt schildern.

Die detaillierte Analyse dieser und ähnlicher Überlieferungen läßt erkennen, daß nicht alle Mythen ihre eigentliche Bedeutung so unverhüllt verraten wie die naive Ödipus-Fabel, sondern die ihnen zu Grunde liegenden anstößigen Wunschregungen erscheinen in ähnlichen Entstellungen und symbolischen Verkleidungen wie die Mehrzahl unserer Träume. Wir finden in der Mythenbildung die uns aus dem Traumstudium bekannten Mechanismen der Verdichtung, der Affektverschiebung, der Personifizierung psychischer Regungen und ihrer Spaltung oder Vervielfachung, endlich auch die Schichtenbildung wieder und können, was noch wichtiger ist, die Tendenzen aufzeigen, durch welche diese Mechanismen in Funktion gesetzt werden. Macht man auf Grund dieser Kenntnis alle Entstellungen rückgängig, so stößt man am Ende auf jene psychische Realität unbewußter Phantasien, die in den Träumen der heutigen Kulturmenschen so fortleben wie sie einst in objektiver Realität geherrscht haben.

Die auf dem Verständnis des Traumlebens fußende psychoanalytische Mythenforschung geht also über den bloßen Berührungspunkt einer gemeinsamen Symbolik weit hinaus. Sie setzt an Stelle der flächenhaften Vergleichung von Traum und Mythus eine genetische Betrachtungsweise, welche gestattet, die Mythen als die entstellten Überreste von Wunschphantasien ganzer Nationen, sozusagen als die Säkularträume der jungen Menschheit aufzufassen. Wie der Traum in individueller Hinsicht, so repräsentiert der Mythus im phylogenetischen Sinne ein Stück des untergegangenen Kinderseelenlebens und es ist eine der glänzendsten Bestätigungen der psychoanalytischen Betrachtungsweise, daß sie die aus der Individualpsychologie geschöpfte Erfahrung des unbewußten Seelenlebens in den mythischen Überlieferungen der Vorzeit vollinhaltlich wiederfindet. Insbesondere der tragende Konflikt des kindlichen Seelenlebens, das ambivalente Verhältnis zu den Eltern und zur Familie mit all seinen vielseitigen Beziehungen (sexuelle Wißbegierde usw.), hat sich als Hauptmotiv der Mythenbildung und als wesentlicher Inhalt der mythischen Überlieferungen erwiesen. Ja, einer der Hauptvertreter der astralen Mythendeutung, Eduard Stucken, geht so weit anzunehmen, alle Mythen wären im letzten Grunde Schöpfungsmythen. Diese Auffassung würde sich psychoanalytisch reduzieren auf die infantile, die Geburtsvorgänge betreffende Sexualneugierde und ihre aufs Universum projezierten Versuche, zur Erkenntnis zu gelangen. Insbesondere die sogenannten Weltelternmythen, welche die gewaltsame Trennung der Ureltern durch den Sohn zum Inhalt haben, scheinen sämtliche Urmotive des infantilen Ödipus-Komplexes im weiteren Sinne widerzuspiegeln(215).

Wie weit das Traumleben die Mythenbildung beeinflußt haben mag und in welcher Weise die alten Mythenerzähler ihr Verständnis des Traumes zu verwerten wußten, zeigt die Tatsache, daß zahlreiche in Mythen, Märchen und alter Überlieferung vorkommenden Träume oft detailliert in einer Weise ausgelegt werden, die eine verblüffende Kenntnis der Symbolik und der wesentlichen Traumgesetze vorauszusetzen scheint.

Vom Standpunkt der Psychoanalyse kann es gewiß nicht als Zufall betrachtet werden, daß die meisten dieser Träume von der Sexualsymbolik ausgiebig Gebrauch machen. So wird in der Kyros-Sage der Mutter des Helden während ihrer Schwangerschaft ein Traum zugeschrieben, worin soviel Wasser von ihr geht, daß es, einem großen Strome gleich, ganz Asien überschwemmt. Wenn im weiteren Verlauf der Erzählung die Traumdeuter dieses Gesicht auf die bevorstehende Geburt eines Kindes (und seine künftige Größe) beziehen, so scheinen sie damit die Einsicht in die psychoanalytisch festgestellte Symbolschichtung zu verraten, nach der solche ihrem manifesten Inhalt nach vesikale Träume bei Frauen oft die symbolisch nahestehende Geburtsbedeutung haben können. Übrigens fügen sich auch die Sintflutsagen der Geburtsbedeutung des Wassersymbols, indem sich immer an sie eine Regeneration des Menschengeschlechtes anschließt(216).

Ein anderes durch den Hinweis auf die Wunscherfüllung beachtenswertes Beispiel entnehmen wir der »Aithiopika« des Heliodorus (c. 18).

Thyamis, der Hauptmann, hat am Tage die Chariklea, nebst ihrem Geliebten und anderer Beute geraubt und kämpft mit der Versuchung, das junge Mädchen mit Gewalt zu der Seinigen zu machen. »Nachdem er den größten Teil der Nacht geruht hatte, wurde er von umherschweifenden Träumen beunruhigt, plötzlich im Schlafe gestört, und verlegen über ihre Deutung, hing er wachend seinen Gedanken nach. Denn um die Zeit, wo die Hähne krähen(217) . . . . . . kam ihm durch göttliche Schickung folgendes Traumgesicht: Indem er zu Memphis, seiner Vaterstadt, den Tempel der Isis besuchte, kam es ihm vor, als ob dieser ganz von Fackelschein erleuchtet würde. Altäre und Herde waren von mannigfaltigen Tieren angefüllt und mit Blut benetzt, die Vorhallen und Gänge aber voll Menschen, die mit Händeklatschen und gemischtem Getös alles erfüllten. Nach seinem Eintritt in das Heiligtum selbst sei ihm die Göttin entgegengekommen, habe ihm die Chariklea eingehändigt und gesagt: ›Diese Jungfrau, Thyamis, übergebe ich dir. Habend wirst du sie nicht haben, sondern wirst ungerecht sein und die Fremde töten; aber sie wird nicht getötet werden.‹ Dieses Gesicht setzte ihn in große Verlegenheit. Er wendete es nach allen Seiten, und suchte den Sinn aufzufinden, und da ihm dieses nicht gelingen wollte, paßte er die Lösung seinen Wünschen an. Die Worte: ›Habend wirst du sie nicht haben‹ deutete er: ›zur Gattin, und nicht mehr als Jungfrau‹. Den Ausdruck: ›Du wirst sie töten‹ bezog er auf die jungfräuliche Verletzung, an der Chariklea nicht sterben würde. Auf diese Art erklärte er den Traum, indem sein Verlangen den Ausleger machte.« (Übers. v. Fr. Jacobs, Stuttgart 1837.)(218)

Träume und ihre Deutung im Mythus.

Wie es sich hier um eine symbolische Darstellung der Defloration handelt, die in sadistischer Auffassung als Tötung erscheint, wobei auch das Blut nicht fehlt, so zeigt ein in seinen Vorbedingungen ähnlicher Traum aus ganz anderer Überlieferung den gleichen Wunsch in einer ebenfalls typisch symbolischen Einkleidung. Saxo Grammaticus (ed. Hölder p. 319) erzählt folgende Geschichte. Thyri bittet ihren Gatten Gormo in der Hochzeitsnacht inständig, sich während dreier Nächte des Beischlafes zu enthalten; sie werde sich ihm nicht zu eigen geben, bevor er im Schlafe ein Zeichen erhalten hätte, daß ihre Ehe fruchtbar sein werde. Unter diesen sonderbaren Bedingungen träumt ihm folgendes: »Zwei Vögel, der eine größer als der andere, fliegen auf den Geschlechtsteil seiner Frau herab (prolapsos) und mit schwingenden Körpern erheben sie sich im Fluge wieder in die Lüfte. Nach einer Weile kehren sie wieder und setzen sich in seine Hände. Ein zweites und drittes Mal fliegen sie, durch kurze Rast gestärkt (recreatos), davon, bis endlich der kleinere von ihnen seines Genossen ledig mit blutigem Gefieder (pennis cruore oblitis) zu ihm zurückkehrt. Durch dieses Gesicht erschreckt, gibt er, schlafend wie er war, seinem Entsetzen Ausdruck und erfüllt das ganze Haus mit lautem Geschrei. Thyri aber zeigt sich über den Traum sehr erfreut und meint, sie wäre niemals seine Gattin geworden, wenn sie nicht aus diesen Traumbildern die sichere Gewähr ihres Glückes geschöpft hätte.« Diesen in allen seinen Details charakteristischen Deflorationstraum deutet die Frau mit leichter Verschiebung ihrer eigenen Wunschregungen als minder anstößiges Zeichen für Kindersegen. Der Vogel erscheint hier deutlich als phallisches Symbol, sogar mit besonderer Darstellung der verschiedenen Zustände (groß und klein), die schwingende Bewegung wie überhaupt die Rhythmik des ganzen Traumes weisen auf den intendierten Koitus und charakteristische Details (ein zweites und drittes Mal, durch kurze Rast gestärkt) auf die gewünschte Wiederholung; daß endlich der kleine allein mit blutigen Federn zurückbleibt, läßt wohl in seiner Bedeutung keinen Zweifel zu. Die Angst am Schluß des Traumes erklärt sich einwandfrei als Ausdruck der durch die Traumsymbolik nicht voll befriedigten Libido, deren Abfuhr gehemmt ist(219). Dieser Mechanismus entspricht vollauf dem aus wiederholter Erfahrung bekannten analogen Fall, wo an Stelle der intendierten, aber gehemmten Libidobefriedigung (Pollution) Angst auftritt. Ich kann es mir an dieser Stelle nicht versagen, einen unter ganz ähnlichen Umständen geträumten und in seiner Symbolik überraschend analogen Traum einer jungen Frau mitzuteilen(220).

Ein junger Ehemann will in sexueller Erregung den Geschlechtsakt mit seiner Frau ausführen, muß es aber mit Rücksicht auf die unerwartet eingetretene Menstruation der Frau unterlassen. Nachdem er den flüchtig aufsteigenden Gedanken, sich auf irgend eine andere Weise zu befriedigen, von sich gewiesen und die Frau auf eine leise Anspielung eines Fellatiowunsches sich ablehnend gezeigt hatte, schlafen beide ein. Jeder von ihnen hat nun einen auf dieses Erlebnis bezüglichen Traum und diese beiden in einer Nacht vorgefallenen Träume gehören inhaltlich so gut zusammen, als wären sie von derselben Person geträumt. Ihre Kenntnis verdanke ich nicht etwa einer besonderen Offenherzigkeit der Eheleute, sondern ihrer Unkenntnis der Traumsymbolik, und die zum besseren Verständnis vorerwähnten sexuellen Vorfälle wurden erst später ermittelt, um die vermutete Deutung zu verifizieren.

Der Traum, den die, vermutlich gleichfalls erregte, aber von einer Fellatio abgestoßene Frau in derselben Nacht hatte, lautet nach ihrer Niederschrift, die der Mann auf mein Ersuchen besorgen ließ, folgendermaßen:

»Mein Mann hat aus einer Dachrinne junge Spatzen, die noch ganz naß waren, mit der Hand herausgeworfen und ich habe ihm gesagt, er soll das nicht tun. Mit einem von ihnen, der schon größer war, habe ich mich gespielt; er ist mir auf die Hand geflogen und hat mich mit einem großen Stachel, der wie ein Schwanz oder wie ein Schnabel war, in den Finger gestochen, so daß ich geschrien habe: Au, nicht! Das tut ja weh! – Dann hat mein Mann einen von den jungen Spatzen genommen und gesagt, man kann sie auch essen. Ich habe mich aber davor geekelt und erbrochen.« Die Deutlichkeit dieser Traumsprache(221), die durch einen Kommentar nur leiden könnte, gewinnt noch ein besonderes Interesse durch die Übereinstimmung in manchen Details mit dem Traum des Mannes, von denen das Erbrechen auf ein gemeinsames peinliches Erlebnis, das in den Fingerstechen aber darauf hindeutet, daß doch gegenseitige oder autoerotische Manipulationen an den Genitalien vorgenommen worden sein dürften.

Die Traumentstellung in der mythischen Überlieferung.

Die Übereinstimmungen sind so augenfällig und erstrecken sich so weit auf die Vorbedingungen und ins Detail, daß ihre besondere Hervorhebung und Erörterung sich erübrigt. Dagegen läßt sich ein bemerkenswerter Unterschied nicht übergehen: nämlich daß dieser dem ersten ganz analoge Traum von der Frau stammt, während ihn bei Saxo der Mann träumt. Aber dieser Widerspruch verliert seine scheinbare Bedeutung, wenn wir uns aus dem eben mitgeteilten Beispiel daran erinnern, daß unter den gegebenen Umständen offenbar beide beteiligten Personen der Situation entsprechende Traumbilder haben und daß es für eine das weibliche Schamgefühl schonende Fassung(222) sehr nahe lag, einen – quasi gemeinsamen – Traum dem Manne zuzuschreiben. Für die Einwirkung einer solchen Milderungstendenz würde auch der Umstand sprechen, daß spätere von Saxo zweifellos beeinflußte Fassungen den Traum wieder der Frau zuschreiben, ihn aber dafür von der anstößigen Einkleidung befreien. Der Untersuchung von Benezé entnehmen wir, daß ein ähnlicher Traum sich in dem mittelhochdeutschen Spielmannsepos »Salman und Morolf« findet, dem man es kaum mehr anmerkt, daß er nach dem Vorbild bei Saxo gestaltet ist. Salmans treulose Frau sucht ihren Gatten durch Erzählung eines, wie sie glaubt, nachkommenverheißenden Traumes zu versöhnen und wieder zu gewinnen. Sie erzählt ihm, ihr habe geträumt, daß sie in seiner süßen Umarmung schlafe, als zwei Falken ihr auf die Hand flogen. Von größerem Interesse ist es, daß auch Kriemhilds Traum (im Anfang des Nibelungenliedes) in diesen Zusammenhang gehört: Ihr träumt von einem starken, schönen, wilden Falken, den sie sich gezogen (und den ihr zwei Adler geraubt hatten). Dieser noch weiter entstellte und rationalisierte Traum kommt merkwürdigerweise in seiner Deutung dem ursprünglichen Sinn insofern näher, als diese die Fruchtbarkeitsbedeutung ganz außer acht läßt und den Vogel direkt mit dem zu erwartenden Mann identifiziert. Die Bedingung zur Traumentstellung ist hier durch die Sexualablehnung des Mädchens gegeben, die bewußterweise von Männerliebe nichts wissen will. Ähnlich wird in der Volsungasage (c. 25) Gudruns Traum, in dem sie einen schönen Habicht mit goldigen Federn auf ihrer Hand sah, auf einen Königssohn gedeutet, der um sie werben, den sie bekommen und sehr lieben werde. »Eine vielfache Anwendung finden die Vögel ferner« nach Mentz in den französischen Volksepen, »um bei Frauen die Geburt von Kindern anzuzeigen. Immer sehen die Träumenden dann, wie aus dem Munde oder dem Magen Vögel herausflattern.« In der mittelhochdeutschen Epik erscheint der Falke endlich sehr häufig als glück- und rettungbringender Vogel, ein letzter Nachklang seiner symbolisch Geschlechtsgenuß und Kindersegen schaffenden Funktion.

Schließlich ist noch eine merkwürdige Beziehung des Traumes zur Mythenforschung zu erwähnen, die nur auf dem Boden der Psychoanalyse erwachsen konnte. Es gibt Träume, die sich zur Darstellung aktueller psychischer Situationen gewisser aus der Kindheit bekannter Märchenstoffe bedienen. Die Analyse deckt in diesen Fällen zugleich mit dem Grund für die individuelle Verwendung des Motivs oft auch dessen allgemeine Bedeutung auf, die sich mythologisch fruchtbar erweist. Die neurotischen Patienten, die ja viel deutlicher als der Normale die primitive Einstellung bewahrt haben, geben oft in dieser Weise den Weg an, den die Schöpfer der Massenphantasien bei ihren Produktionen gegangen sind. So berichtet Freud von einem jungen Manne, der aus seinem fünften Lebensjahr einen Angsttraum von sieben Wölfen erzählte. Die Analyse ergab, daß der Traum an das Märchen vom Wolf und den sieben jungen Geißlein anknüpft, und die Angst vor dem Vater zum Inhalt hat wie der dem Märchen selbst zu Grunde liegende Mythus von Kronos, der von seinem jüngsten Sohn Zeus entmannt wird.

Auch hier bewährt sich die psychoanalytische Grundanschauung, daß die gleichen unbewußten Triebkräfte an der Produktion der normalen, pathologischen und sozial hochwertigen seelischen Leistungen des einzelnen wie des Volkes entscheidend mitwirken und daß darum die Erkenntnis des einen zum Verständnis des anderen soweit beizutragen vermag, als das Allgemein-Menschliche im Seelenleben reicht.

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