15.

D

Der Sultan, der bis jetzt unendlich

Um seine Tochter sich gegrämt,

War vor Verwundrung wie gelähmt

Als morgens breit und gegenständlich,

Zurückgekehrt zum alten Platz

Das Schloß zu ihm herübergrüßte.

Der Anblick bot ihm für verbüßte

Betrübnis reichlichen Ersatz.

Er ließ ein Pferd sich satteln, trabte

Zum Schloß, verfügte sich geschwind

Zu seinem lang entbehrten Kind

Und ihre Zärtlichkeit erlabte

Sein Vaterherz. Dann wollt' er wissen,

Welch unglückselige Verkettung

Sie damals plötzlich ihm entrissen,

Und welchem Umstand ihre Rettung

Zu danken sei. Mit knappen Strichen

Erzählte sie vom fürchterlichen

Schwarzkünstler, der durch Zaubermacht

Sie mit dem Schloß entführt bei Nacht;

Wie von dem Schändlichen bedrückt

Sie schon geglaubt, ihm zu erliegen,

Bis ihrem Gatten es geglückt,

List gegen List ihm obzusiegen.

Ihr Vater war damit zufrieden,

Und als nunmehr auch Aladdin

Ins Zimmer kam, da zog er ihn

An seine Brust und sprach: "Hienieden

Ist man dem Irrtum ausgesetzt.

Vergib mir, wenn aus Übereilung,

Mein Sohn, ich blindlings dich verletzt.

Du brachtest meinen Schmerzen Heilung,

Indem du mir mein Kind befreit

Und sie behütet hast vor Schande;

Dies dank' ich dir für alle Zeit."—

Gefeiert ward im ganzen Lande

Die Wiederkehr des jungen Paars.

Ihr Glück verdüsterte kein Schatten.

Doch nicht die letzte Prüfung war's,

Die beide zu bestehen hatten.

Der Zaubrer nämlich, der ein Leben

Von großer Zähigkeit besaß,

War durch das Pulver, als dem Fraß

Der Geier man ihn übergeben,

In Wahrheit nur betäubt gewesen,

Von seinem Scheintod aufgewacht

Am nächsten Tag und bald genesen.

Er schwor, von Racheglut entfacht

Und vollgepfropft mit Gift und Geifer,

Er wolle vor Vergeltungseifer

Nicht rasten fürder und nicht rosten,

Und drum begann zum drittenmal

Er schleunigst über Berg und Tal

Die Reise nach dem fernen Osten.

Nach einem ganzen Wanderjahr

Voll Mühe, Drangsal und Gefahr

Kaum in der Hauptstadt angekommen,

War er nach einem neuen Kniff

Umschau zu halten im Begriff.

Er hörte dort von einer frommen,

Betagten Wundertäterin

Erzählen, die Fatime hieß

Und sich mit schlicht erhabnem Sinn

Der stillen Andacht überließ

In einer abgeschiednen Klause.

Durch Gassen, die man ihm beschrieb,

Schlich er zu ihrem kleinen Hause

Bei dunkler Nachtzeit wie ein Dieb,

Drang in ihr ärmlich Zimmer, weckte

Mit rohem Schütteln die Erschreckte,

Hielt einen Dolch ihr vor und sprach:

"Du sollst entseelt sogleich erblassen,

Kommst du nicht meiner Vorschrift nach!"

Sie mußt' ihm ihre Kleider lassen

Sowie den Schleier und die Haube,

Nebst dem geweihten Rosenkranz.

Obwohl dem Räuber sie sich ganz

Willfährig zeigte, ja, zum Raube

Hilfreich sogar die Hand ihm bot,

Stach er sie vorsichtshalber tot.

Sodann vor einem Spiegel schor

Den Bart sich weg der Halsabschneider,

Warf sich in seines Opfers Kleider,

Und als die Sonne stieg empor,

Trat er verschleiert auf die Gasse.

Der eine sprach zum andern: "Schau,

Dort geht einher die fromme Frau,"

Und eine große Menschenmasse

Umgab ihn rings voll Dankgefühl

Und folgte, Segenswünsche hegend,

Ihm nach bis in des Schlosses Gegend.—

Als die Prinzessin das Gewühl,

Vom Kuppelsaal herunterlugend,

Wahrnahm und obendrein erfuhr,

Daß all dies bunte Volk der Spur

Fatimens folge, deren Tugend

Und Heiligkeit ihr längst bekannt

Als der Verehrung Gegenstand

Und als das Vorbild frommer Sitten,

Da dachte sie, daß ihr gezieme,

Die Frau zu sich heraufzubitten.

Zu der vermeintlichen Fatime

Kam eine Botin, sie zu holen.

Der Zaubrer, nicht an seinem Sieg

Mehr zweifelnd, schmunzelte verstohlen,

Als er mit ihr den Saal erstieg,

Und fing, nachdem er ihn betreten,

Mit solcher Inbrunst an zu beten,

Daß die Prinzessin sich verneigte

Voll Ehrerbietung. Da der Schlimme

Sie ansprach mit verstellter Stimme,

Sowie nur hinter Schleiern zeigte

Sein glattgeschorenes Gesicht,

Erkannt' ihn Bedrulbudur nicht

Und sprach "Laß mich die Gunst begehren,

Fatime, daß du dauernd weilst

An unserm Herd und gute Lehren

Zu frommem Wandel mir erteilst."

Der abgefeimte Tückebold

Erklärte gern sich einverstanden;

Das war es ja, was er gewollt!

"Ein stilles Zimmer ist vorhanden

Im Schloß," fuhr die Prinzessin fort

In ihrer gläubigen Betonung,

"Und deiner Andacht wirst du dort

Obliegen können ohne Störung.

Erst aber mögest du mir ehrlich

Gestehn, wie dir das Schloß gefällt."

Der Zaubrer gab zur Antwort. "Schwerlich

Ist seinesgleichen auf der Welt;

Und dennoch, trotz der Raumverschwendung

Und dem Geschmack der Farbenwahl,

Bedrückt mich, daß in diesem Saal

Noch etwas mangelt zur Vollendung."

"Was ist es?" Scheinbar auf ihr Drängen

Erwiderte der Schuft: "Verzeih',

Von dieser Kuppel müßt' ein Ei

Des Vogels Roch herunterhängen."

Sie fragte, wo man das wohl fände.

Der Zaubrer drauf: "Gewaltig groß

Ist dieser Roch und nistet bloß

Auf Spitzen schroffer Bergeswände."

Sie dankte für den Rat und führte

Die falsche Heilige, noch immer

Nichtsahnend, selber auf ihr Zimmer.

Aladdin tötet den verkleideten Zauberer

Aladdin tötet den verkleideten Zauberer

Zum Saal zurückgekehrt, verspürte

Nun die Prinzessin, an der Angel

Des Zaubrers haftend, jenen Mangel,

Den nie zuvor sie wahrgenommen.—

Als Aladdin von einem Ritt

Heimkommend ihr entgegenschritt,

War sie so wunderlich beklommen,

Daß er sie fragte nach dem Grund.

Sie mußt' ihm ihr Gelüst enthüllen,

Und er, sobald ihr Wunsch ihm kund,

Gab ihr sein Wort, ihn zu erfüllen.

Er ging alsbald in sein Gemach

Und rieb sie Lampe, die verschlossen

Jetzt stand in einem sichren Fach.

Nachdem der Geist emporgeschossen,

Sprach er: "Dich wiederum zu sputen,

Befehl' ich dir. Es fehlt uns noch

Im Saal ein Ei des Vogels Roch.

Verschaff mir's binnen drei Minuten!"

Kaum war das Wort entflohn, da fing

Der Geist so furchtbar an zu dröhnen,

Zu schrei'n, zu wimmern und zu stöhnen,

Daß Hören ihm und Sehn verging

Und zitternd er zu Boden sank.

"Elender," brüllte mit Gepolter

Der Riese, "spannst du mich zum Dank

Für meinen Frondienst auf die Folter?

Befiehlt, ich soll auf meinen Schwingen

Als Deckenschmuck für seinen Saal

Dir meinen eignen Vater bringen?

Sei froh, wenn nicht mein Donnerstrahl

Dich und dein Schloß in Asche wandelt.

Ich weiß zu deinem Glück, du hast

Nicht aus dir selber so gehandelt.

Dein Todfeind weilt bei dir zu Gast.

Er ward nicht von dir umgebracht,

Nein, kam ins Land, um sich zu rächen,

Ergatterte durch ein Verbrechen

Der heiligen Fatime Tracht,

Und deine Frau, von ihm umgarnt,

Trieb zu dem schändlichen Befehle

Dich arglos an. Drum sei gewarnt;

Er will dir meuchlings an die Kehle."

Sprach's und verschwand. Sofort verfügte

Sich Aladdin zurück zum Saal,

Wo seine Gattin sich vergnügte

Mit einem Ballspiel, und befahl,

Man mög' ihm gleich Fatime holen.

"Sei mir gegrüßt!" rief Aladdin,

Als der vermummte Feind erschien;

"Denn warm hat man dich mir empfohlen.

Gib, fromme Frau, mir deinen Segen."

Der Zaubrer kam ihm sacht entgegen,

Und er bemerkte, wie der Strolch

Ein Messer unter seinem Kleide

Heimlich herauszog aus der Scheide.

Schnell griff er seinen eignen Dolch

Und bohrte dessen scharfes Erz

Dem Schurken mitten in das Herz.

Von seinem Blute ward im Saal

Der Boden ringsumher gerötet.

"Weh, was begingst du, mein Gemahl?

Du hast die Heilige getötet!"

Schrie Bedrulbudur sich verfärbend.

Er aber sprach voll Seelenruh':

"Nein, liebe Gattin, komm herzu!

Hätt' ich gesäumt, so läge sterbend

Ich selber hier; denn dieser Tote

Bekam den Lohn, der ihm gebührt:

Erkenn' ihn, der dich einst entführt

Und jetzt mit Meuchelmord mir drohte."

So hatte glücklich unser Held

Sich des Verfolgers nun entledigt,

Der ihm beharrlich nachgestellt,

Und ward vom Schicksal reich entschädigt

Für allen ausgestandnen Harm.

In der geliebten Tochter Arm

Entschlief im hohen Greisenalter

Der Sultan, und sein Schwiegersohn

Mit seiner Frau stieg als Verwalter

Des weiten Reiches auf den Thron.

Sie herrschten als beglückte Leute,

Umringt von Kind und Kindeskind,

Und wenn sie nicht gestorben sind,

So leben sie gewiß noch heute.

 

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