14.

E

Erweckt von süßen Vogelliedern

Hob er sich mit gestählten Gliedern

Vom Lager zeitig, und gelenkt

Von Sehnsucht fiel zu seiner Freude

Sein erster Blick auf das Gebäude,

Das ihm erschien wie neu geschenkt.

Auch die Prinzessin, die vor Kummer

Und tausend Ängsten Nacht für Nacht

In all der Zeit nur wenig Schlummer

Gefunden hatte, war erwacht.

Wer aber schildert ihre Wonne,

Da vor dem Fenster sich im Strahl

Der eben aufgegangnen Sonne

Leibhaftig vorfand ihr Gemahl!

Erst wechselten sie hundertfach

Kußhände, Grüße, Flüsterworte;

Dann schlich durch eine kleine Pforte

Verstohlen er in ihr Gemach.

Versteht sich, daß die Neuvereinten

Sich herzten, sich im Überschwang

Umschlungen hielten endlos lang

Und heiße Freudentränen weinten

In ihres Wiedersehens Rausch.

Zuletzt indessen unterbrach

Der Zärtlichkeiten holden Tausch

Bedeutsam Aladdin und sprach:

"Vergib mir, mein geliebtes Weib,

Ich muß, eh wir einander klagen,

Was wir erlebt in diesen Tagen,

Vor allem dich nach dem Verbleib

Der unscheinbaren Lampe fragen,

Die, während ich zur Jagd gezogen,

Im Saale stand auf einem Spind."

"Ach," seufzte sie, "sei nur gelind!

Ich selber wurde ja betrogen.

Längst ahnt mir, daß uns ihretwegen

Ereilte dieser Schicksalsschlag."

Drauf Aladdin: "Da sie zu hegen

Ich töricht unterlassen, lag

Die Schuld an mir. Doch jetzt erwägen

Wir besser, was den Schaden heilt.

Drum sag' mir, wo sie hingeraten."

Sobald sie dies ihm mitgeteilt,

Rief er: "Ich rieche nun den Braten!

Den Händler kenn' ich! Dieser Schuft,

Schon einmal wollt' er mich vernichten."

Sie fuhr dann fort, ihm zu berichten,

Wie nachts unmerklich durch die Luft

Entführt, sie morgens beim Erwachen

Sich hier in diesem fremden Land

Befunden, Afrika genannt,

Und wie der Kerl mit frechem Lachen

Sich ihr als Schloßherrn vorgestellt.

Drauf Aladdin mit Zornesfunken

Im Auge: "Solchen Erzhalunken

Hat nie zuvor gesehn die Welt.

Sprich, hast du nicht vielleicht erfahren,

Wo er die Lampe hält versteckt?"

Sie gab zur Antwort: "Wohl gewahren

Konnt' ich, daß unterm Kleid verdeckt

Er sie beständig bei sich trägt.

Denn seit ich hier bin, kommt er täglich

Zu längerem Besuch und legt

Es darauf ab, mich unerträglich

Mit ekler Huldigung zu quälen.

Ja, mehr noch, er verlangte dreist,

Ich solle zum Gemahl ihn wählen,

Weil du nicht mehr am Leben seist.

Mein Vater habe dir im Zorn

Den Kopf herunterschlagen lassen.

Dies Lied begann er stets von vorn,

Obwohl ich glühend ihn zu hassen

Beteuerte. Der eitle Wahn

Erfüllt ihn, daß ich auf die Dauer

Nicht widerstehe, wenn die Trauer

Um dich allmählich abgetan.

So hab' ich stets vor seiner List

Und seiner Schlechtigkeit gezittert

Bis heute, wo du bei mir bist."

"Ihm soll", rief Aladdin erbittert,

"Was andres blühen, als er meint.

Sei nur getrost! Von diesem bösen,

Ruchlosen, ränkevollen Feind

Werd' ich uns hoffentlich erlösen.

Was auch geschieht, mit Zuversicht

Vertraue mir bis zur Entscheidung,

Und siehst du später in Verkleidung

Mich wiederkehren, staune nicht."

Sobald er seines Schlosses Mauern

Verlassen, ging er querfeldein

Und traf in einem Palmenhain

Nach kurzer Wandrung einen Bauern.

Er fragte diesen nach dem Wege

Zur nächsten Stadt, und ob sein Kleid

Mit ihm zu wechseln er bereit.

Der Bauer war durchaus nicht träge,

Für dieses Fremden reiche Tracht

Sein schäbig Zeug daranzusetzen,

Und Aladdin, nachdem er sacht

Geschlüpft war in die alten Fetzen,

Schritt auf den ihm beschriebnen Pfaden

Der Stadt entgegen, kam hinein

Und fragt' in einem Krämerladen,

Ob ein gewisses Pülverlein

Zu haben sei. Der Krämer nickte,

Betonte nur, weil das geflickte

Gewand des Käufers ein Beweis

Der Armut schien, den hohen Preis.

Doch als der Fremde nicht verlegen

Ein Goldstück aus dem Beutel zog,

Bracht' er das Pulver ihm und wog

Ein Lot ihm ab.

Auf gleichen Wegen

Kam Aladdin ins Schloß zurück

Und sprach zu seiner Gattin: "Höre!

Notwendig für mein Wagestück

Ist mir dein Beistand. Ich beschwöre

Dich drum, befolge meinen Rat!

Wirf dich in deinen schönsten Staat,

Schmück' mit Geschmeide dich und Spangen,

Um den Entführer, wenn er naht,

Mit wärmstem Gruße zu empfangen.

Damit kein Argwohn ihn beirrt,

Stell' dich, als ob du mich vergessen,

Wenn dir's auch noch so sauer wird,

Und lad' ihn ein zum Abendessen.

Sobald er dann mit dir in frecher

Behaglichkeit bei Tische sitzt,

Laß ihm kredenzen einen Becher,

Gefüllt mit Wein, in den verschmitzt

Vorher dies Pulver du gestreut,

Und bitt' ihn höflich, dir zu Ehren

In einem Zug ihn auszuleeren.

Von dieser Bitte hocherfreut

Wird er den Wein hinuntertrinken

Und leblos auf den Boden sinken,

Bevor er noch den Trunk bereut."

Wenn dieses Spiel auch recht verfänglich

Ihr vorkam, so versprach sie fest,

Sie werde tun, was unumgänglich.

Er barg sich für des Tages Rest

In einem abgelegnen Flügel

Des Schlosses. Als die fernen Hügel

Die Dämmerung mit ihrem grauen

Gewebe langsam überspann,

Rief Bedrulbudur ihre Frauen,

Mit deren Beistand sie begann,

Aufs wunderbarste sich zu schmücken.

Voll Sorgfalt ward ein herrlich Kleid

Ihr angelegt und zum Entzücken

Verziert mit flimmerndem Geschmeid.

Ihr Gürtel, ihre Spangen waren

Gleichwie der Reif in ihren Haaren

Mit Diamanten dicht besetzt;

Und um den Hals die Perlenkette—

Welch noch so große Fürstin hätte

Sich glücklich nicht mit ihr geschätzt?

Sie sah, nachdem der Putz vollendet,

Ihr Bild in einem Spiegel an

Und dachte sich: "Wo lebt ein Mann,

Der nicht von so viel Reiz geblendet

Vor mir die Waffen mußte strecken?"

Sie stieg hierauf zum Kuppelsaal

Empor, worin schon für das Mahl

Ein Tischlein stand mit zwei Gedecken.

Sie hatte noch nicht lang' geharrt,

Als pünktlich zur gewohnten Stunde

Der Zaubrer eintrat und erstarrt

Von so viel reichem Schmuck im Bunde

Mit so viel Schönheit stehen blieb.

Sie schritt holdselig ihm entgegen,

Als wäre sein Besuch ihr lieb,

Und tat, als ob nur seinetwegen

Sie so verlockend sich und prächtig

Gekleidet. Zögernd nahm er Platz,

Noch immer keines Wortes mächtig.

"Freund, sollte dich der Gegensatz

In meiner Stimmung Wunder nehmen,"

Begann sie lächelnd, "So vernimm,

Ich mag mich jetzt nicht länger grämen.

Denn daß durch meines Vaters Grimm

Mein Gatte seinen Tod gefunden,

Davon hast du mich überzeugt.

Gesetzt auch, daß ich tiefgebeugt

Mit unheilbaren Herzenswunden

Wehklagen wollt' um ihn beständig,

Er würde doch nicht mehr lebendig.

Ich gönn' ihm seine Grabesrast,

Und weil sich meine Fesseln lösten,

Bin ich entschlossen, mich zu trösten,

Und lade dich bei mir zu Gast."

Aladdin holt sich die Wunderlampe wieder

Aladdin holt sich die Wunderlampe wieder

Der Zaubrer bildete frohlockend

Sich ein, gewonnen sei das Spiel,

Sah sich im Geiste schon am Ziel

Des kühnsten Wunsches, dankte stockend

Und setzte sich mit ihr zu Tisch.

Wie dort zu ihm verführerisch

Nun ihre Blicke sich erhoben,

Da schien es ihm unzweifelhaft,

Sie habe sich in ihn vergafft

Und wolle sich mit ihm verloben.

Ein üppig Mahl ward aufgetragen,

Und eine Sklavin reichte Wein.

Selbst schenkte die Prinzessin ein,

Goß unbemerkbar ohne Zagen

Das Pulver in des Gastes Becher

Und sprach: "Willst du mir frohen Mut

Bereiten, dann als wackrer Zecher

Trink' auf mein Wohl dies Rebenblut!"

"Ja, du Geliebte, du Verehrte,

Dies auf dein Wohl und unsern Bund!"

So rief er hochbeglückt und leerte

Den Becher aus bis auf den Grund.

Nach einem letzten kurzen Schnaufen

Fiel er bewußtlos rücklings hin.

Geholt von einer Dienerin

Kam Aladdin herbeigelaufen.

Als Bedrulbudur ihn umschlang,

Sprach er: "Begib dich auf dein Zimmer;

Denn mancherlei bleibt mir noch immer

Zu tun, obwohl dir dies gelang."

Nachdem sie sich entfernt, verlor

Er keine Zeit. Er riß der Leiche

Das Kleid auf, zog die wunderreiche

Geraubte Lampe draus hervor,

Ließ das entseelte Jammerbild

Fortschaffen von zwei starken Knechten

Hinaus ins nächtige Gefild,

Damit die Geier sein gedächten,

Wenn sie's gelüstete nach Speise,

Berief dann in gewohnter Weise

Den Geist und sagte: "Bring' sofort

Mein Schloß an seine alte Stelle!"

Noch nicht vollendet war das Wort,

Als schon der Geist in Windesschnelle

Mit fast unmerklichem Vollzug

Das Bauwerk durch die Lüfte trug.

Share on Twitter Share on Facebook