3.

W

Wer schildert Aladdins Entsetzen,

Als er sich hilflos, wie ein Fink

In eines Vogelfängers Netzen,

Verstrickt sah durch des Zaubrers Wink!

Vergebens, daß er laut und schrille

Nach dem vermeinten Oheim rief;

Mit Bleigewicht bedeckte tief

Ihn Dunkelheit und Grabesstille.

Vergebens, daß ihn Furcht und Schauer

zurück durch die drei Säle trieb;

Der Zugang zu dem Garten blieb

Verschlossen wie durch eine Mauer,

Und nicht imstand, sich zu befrei'n

Aus diesem schrecklichen Gefängnis,

Fing in verzweifelter Bedrängnis

Er an zu weinen und zu Schrei'n,

Bis endlich vor Entkräftung krank

Er auf den Boden niedersank.

So, nicht imstand mehr, sich zu regen,

Lag er entbehrend Speis' und Trank

Und blickte seinem Tod entgegen

Zwei Tage lang. Zuletzt am dritten,

Als er die schwachen Hände hob,

Um Gottes Beistand zu erbitten,

Da—ganz von ungefähr—verschob

An seinem Finger sich der Ring,

Der ihm vom Zaubrer angesteckt war,

Und dessen Kraft ihm noch verdeckt war.

Bevor ein Augenblick verging,

Erhob auf einmal, fürchterlich

Von Wuchs und Antlitz und Gebärde,

Ein Geist sich vor ihm aus der Erde

Und sagte: "Was begehrst du? Sprich!

Dein Sklav' bin ich und aller derer,

Die diesen Ring am Finger tragen."

Zwar fiel vor Schreck und scheuem Zagen

Dem Aladdin das Sprechen schwerer

Als je zuvor; doch nur bedacht

Auf Rettung, gab er schnell dem Geist

Zur Antwort: "Wer du immer seist,

Hilf mir, sofern's in deiner Macht,

Aus diesem schauerlichen Orte!"

Gesprochen waren kaum die Worte,

Da fand er sich bei Tageshelle,

Nachdem er einen Ruck verspürt,

Im Freien wieder an der Stelle,

Wohin der Zaubrer ihn geführt.

Doch zeigte sich kein Quader mehr

Und keine Tür zum Gruftgemäuer;

Nur vom erloschnen Reisigfeuer

Ein Häuflein Asche lag umher.

Zwar froh, jedoch zum Sterben matt

Und halb verhungert, suchte gierig

Er nach dem Heimweg in die Stadt.

Zum Glück war das nicht allzu schwierig.

Die Felsen halfen eng und dicht

Ihm auf den schmalen Pfad gelangen,

Den vor drei Tagen er begangen.

Die Gärten kamen bald in Sicht,

Und weit schon grüßten ihn voraus

Die wohlbekannten Türm' und Dächer.

Er schleppte, schwach und immer schwächer,

Sich bis zu seiner Mutter Haus

Und schlug, sobald er es betreten,

Ohnmächtig in der Stube hin.

Die Mutter, die von Anbeginn

Die Zeit mit Weinen und mit Beten

Verbracht und ihn zuletzt, beraubt

Jedweder Hoffnung, tot geglaubt,

War auf das eifrigste bestrebt,

Ihn wieder zu sich selbst zu bringen;

Er aber sagte, kaum belebt:

"Ach, Mutter, hol' vor allen Dingen

Mir was zu essen her; denn fasten

Mußt' ich drei Tage ganz und gar."

Sie gab ihm, was im Hause war,

Und warnt' ihn, sich zu überhasten,

Denn was man rasch hinunterwürge,

Das könne man nicht gut verdau'n,

Und nur damit er ihr verbürge,

Langsam und ordentlich zu kau'n,

Drum solle, während er bei Tisch,

Ihn keine Frag' und Antwort quälen;

Er mög' ihr eher nichts erzählen,

Als bis er gänzlich satt und frisch.

Er folgte diesem guten Rat,

Indem er so nur Stumm beschäftigt

Dem Leibeswohl Genüge tat.

Dann aber, durch das Mahl gekräftigt,

Beschrieb im kleinen und im großen

Er nach der Reihe ganz genau,

Was ihm inzwischen zugestoßen;

Er wies, als ihm die wackre Frau

Nicht wollte glauben und drauf schwor,

Daß er geträumt, an seinem Finger

Den Ring und zog die bunten Dinger,

Die er vom Baum gepflückt, hervor.

Auch sie, weil nirgends noch dergleichen

Sie je gewahrt und stets verkehrt

Mit armen Leuten, nie mit reichen,

Verkannte völlig deren Wert.

Sie meinte zwar, daß ihr Besitzer

Sich an dem farbigen Geglitzer

Erfreuen könnte; doch dies Lob

Erschien dem Sohne nicht beträchtlich,

Weshalb er sie beinah verächtlich

In irdgendeine Lade schob.

Die mitgebrachte Lampe kam

Nicht besser weg; zu keinem Zwecke

Schien tauglich dieser Trödelkram,

Als um zu rosten in der Ecke.

Zuletzt gestanden sich die Zwei,

Die Schuld an all dem Unheil trage

Des falschen Oheims Schurkerei;

Denn klärlich trat es nun zutage,

Daß Aladdin von diesem Bösen

Geweiht war schnödem Untergang

Und nur durch Zufall ihm gelang,

Sich lebend aus dem Garn zu lösen.

Die Mutter ließ zu Schimpf und Schmach

Des Zaubrers manchen Fluch erschallen;

Doch waren, noch dieweil sie sprach,

Dem Sohn die Augen zugefallen.

Er hatte ja zwei volle Nächte

Vom Schlaf gemieden zugebracht;

Drum heischte der schon vor der Nacht

Heut unbezwinglich seine Rechte.

Halb zog, halb trug mit treuem Sorgen

Die Frau den Taumelnden zu Bett;

Da lag er reglos wie ein Brett

Und schnarchte bis zum späten Morgen.

Kaum aber war er endlich wach,

Als auch sein Hunger wiederkehrte

Und nach dem Frühstück er begehrte.

Doch seufzend rief die Mutter: "Ach,

Ich habe keinen Bissen Brot;

Denn alles, was ich noch besessen,

Das hast du gestern aufgegessen.

Wie helfen wir uns aus der Not?

Ich muß erst wieder näh'n und spinnen,

Bevor ich was verdienen kann."

"Nein, Mutter, sorg' dich nicht," begann

Der Sohn nach einigem Besinnen.

"Für unsern heutigen Bedarf

Genügt's, die Lampe zu verkaufen,

Die gestern ich beiseite warf.

Ich will mit ihr zum Händler laufen;

Der wird gewiß mir einen Groschen

Dafür bezahlen oder zwei."

Die Mutter holte sie herbei

Und sprach: "Ihr Glanz ist längst erloschen;

Auch ist von Staub und Rost und Schmutze

Von oben sie bis unten voll;

Wenn sie der Händler kaufen soll,

Ist's ratsam, daß ich erst sie putze."

So nahm sie Wasser denn und Sand;

Kaum aber hatte sie zu scheuern

Begonnen mit geübter Hand,

Da stieg in einer Ungeheuern

Und grauenhaften Schreckgestalt,

Des Zimmers ganzen Raum erfüllend,

Ein Geist vor ihr herauf, der brüllend

Mit markerschütternder Gewalt

Sie anfuhr: "Was ist dein Begehr?

Um dir zu dienen, komm' ich her.

Gehorchen muß ich jedermann,

Der diese Lampe hält in Händen."

Allein, bevor er Zeit gewann,

Um seine Rede zu vollenden,

Fiel, außerstand, sich zu bemeistern,

Die Mutter um und rang nach Luft.

Das Erscheinen des Geistes

Das Erscheinen des Geistes

Doch Aladdin, der in der Gruft

Gelernt, wie man mit solchen Geistern

Verfährt, ergriff die Lampe schnell

Und säumte nicht, ihm zu befehlen:

"Ein gutes Frühstück schaff' zur Stell'!"

Der Geist verschwand. Nicht drei zu zählen

Vermochte man, da kam er wieder

Mit einer großen Silberplatte

Und setzte sie behutsam nieder.

Was irgend man zu wünschen hatte,

Das bot sich drauf in Fülle dar:

Zwölf Silberschüsseln, drin ein feines

Und reiches Mahl enthalten war,

Zwei Flaschen voll erlesnen Weines,

Vier Brote von dem besten Mehl,

Kurzum ein Frühstück ohne Fehl.

Die Mutter lag in Ohnmacht noch,

Wie sich der Geist bereits empfohlen,

Und konnt' erst langsam sich erholen,

Indem den würzigen Duft sie roch.

Der Sohn erfaßte sie beim Arm

Und drängte sie, den guten Speisen

Geziemend Ehre zu erweisen;

Denn ewig blieben sie nicht warm.

Sie sprach, verblüfft im höchsten Grade:

"Woher denn dieser Überfluß?

Zeigt uns der Sultan seine Gnade?"

Drauf Aladdin: "Zuerst Genuß,

Erklärungen dann hinterdrein."

Und unbedenklich hieb er ein.

Die Mutter, vor Erstaunen wirr,

Betrachtete bei jeder Pause,

Die stattfand zwischen ihrem Schmause,

Das schöne silberne Geschirr,

Und als die Zwei gesättigt, lag

Noch ganz genug in jeder Schüssel

Für diesen und den nächsten Tag.

Sie fragte wieder nach dem Schlüssel

Zu diesem seltsamen Erlebnis,

Und als der Sohn ihr wahrheitstreu

Geschildert hatte das Begebnis,

Versetzte sie voll banger Scheu:

"Mit Geistern ist nicht gut zu scherzen;

Drum folg' mir, wirf die Lampe fort

Und nimm den Druck von meinem Herzen."

"Nein," rief er, "einen solchen Hort

Soll, wer ihn einmal hat, behüten.

Nun ist, was erst ich nicht begriff,

Mir klar—des falschen Oheims Kniff

Sowie der Grund von seinem Wüten.

Durchaus die Lampe wollt' er haben,

Weil sie versehn mit Wundergaben,

Und jetzt mit Recht gehört sie mir.

Ich will sie bergen zwar und Schützen

Vor unsrer Nachbarn Neid und Gier,

Im Notfall aber sie benützen,

Sie und den Ring an meiner Hand.

Vertrauen darf ich meinem Glücke,

Weil dieses Schurken arge Tücke

Sich so zum Guten hat gewandt."

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