4.

E

Einmal geht alles auf die Neige,

Hält man damit auch sparsam Haus,

Und daß der Hunger dauernd schweige,

Bewirkt kein noch so fetter Schmaus.

Die Schüsseln wurden also leer,

Und Aladdin, dem unterm Gurte

Bereits der Magen wieder knurrte,

Nahm von den zwölfen eine her

Und trug in seines Mantels Falten

Sie heimlich, um sie feilzuhalten,

Zum Trödler in der nächsten Gasse;

Doch als der höchst verschmitzte Greis

Die Frage tat, um welchen Preis

Er ihm die Schüssel überlasse,

Gestand ihm Aladdin gar ehrlich,

Wieviel sie wert sei, wiss' er nicht.

Der alte Gauner, der begehrlich

Geprüft ihr stattliches Gewicht

Und merkte, daß der junge Fant

Von seinem Schatze nichts verstand,

Gab ihm, damit nicht vorm Verkauf

Er etwas noch davon erfahre,

Geschwind ein Goldstück für die Ware.

Mit diesem flog in muntrem Lauf,

Des Vorteils froh, der ihm erwuchs,

Der Bursch zum Bäcker und zum Schlächter,

Dieweil ihm jener schlaue Fuchs

Nachsah mit leisem Hohngelächter.

In solcher Art allmählich ließ

Elf Schüsseln, eine nach der andern,

Wenn ihn die Not von neuem stieß,

Nichtsahnend er zum Trödler wandern.

Nun kam ihm bei dem nächsten Fall

Zu Sinn, die Platte loszuschlagen;

Nur konnt' er die nicht selber tragen;

War viel zu schwer doch ihr Metall.

So bat er, weil er noch nicht klüger

Geworden, jenen Schelm ins Haus,

Und schleunig zahlte der Betrüger

Goldstücker zehn dafür ihm aus.

Die zwölfte Schüssel blieb zurück.

Nachdem das schöne Geld zerflossen,

Wollt' er zum Trödler kurz entschlossen

Verschleppen auch dies letzte Stück.

Doch mitten auf dem Wege trat

Ein Goldschmied freundlich ihm entgegen

Und sagte: "Nicht der Neugier wegen

Frag' ich, warum den gleichen Pfad

Ich oft, mein Sohn, dich wandeln sehe.

Hier wohnt ein Trödler in der Nähe;

Hast du mit dem dich eingelassen,

Dann sei gewarnt und sieh dich vor;

Denn jeden haut er übers Ohr.

Ich will mich gern damit befassen,

Zu schätzen, was dir etwa feil,

Und nimmer würdest du betrogen."

Der Bursche hatte mittlerweil

Die Schüssel aus dem Kleid gezogen.

Die sah der Goldschmied ohne Worte

Von allen Seiten lang sich an

Mit Kennerblick und fragte dann,

Ob er schon andre dieser Sorte

Veräußert hab' und für wieviel.

"Ein Goldstück hat er mir gegeben,"

Sprach Aladdin. "Bei meinem Leben,

Der Spitzbub kennt nicht Maß noch Ziel,"

Versetzte jener voll Empörung.

"Mein Sohn, du warst nicht auf der Hut

Und hast in gründlicher Betörung

Verschleudert ein beträchtlich Gut.

Für solche Schüssel sondergleichen

Ein Goldstück! O der Ungebühr!

Denn achtundsechzig will dafür

Ich auf dem Fleck dir überreichen."

Von diesem Tag an war das Darben

Für Sohn und Mutter abgestellt,

Und übermalt mit Rosenfarben

Schien die zuvor so graue Welt.

Wenn ihre Barschaft nicht mehr langte,

Ließ Aladdin der Lampe Geist,

Ob auch der Mutter vor ihm bangte,

Erscheinen und gebot ihm dreist,

Ein neues Frühstück anzurichten;

Pünktlich vollzog der seine Pflichten.

Die Silberschüsseln und die Platten

Bracht' er hierauf, so oft es Zeit war,

Zum Goldschmied hin, der stets bereit war,

Den vollen Preis ihm zu erstatten.

Fortan drum ward es ihnen leicht,

Bequem zu leben und behaglich;

Doch weil es leider niemals fraglich,

Daß Mißgunst hinterm Glücke schleicht

Und man sich hüten muß vor Neidern,

Vermieden sie trotz gutem Trunk

Und gutem Essen jeden Prunk

In ihrem Haus und ihren Kleidern

Und hielten hinter sich'rem Schloß

Dadurch geheim den goldnen Bronnen,

Der ihnen unversiegbar floß.

Vier Jahre waren so verronnen.

Zu einem schmucken jungen Manne

War Aladdin herangereist,

Gerad und schlank wie eine Tanne.

Ein winzig Bärtchen, zart geschweift,

Sproß über seinem Lippenrand,

Und niemand hätte mehr den Lümmel,

Der einst in müßigem Getümmel

Die Zeit vertan, in ihm erkannt.

Sein Blick war jetzt nicht mehr getrübt

Von Trägheit, seine Geisteskräfte

Durch ernsten Umgang eingeübt

Auf die verschiedensten Geschäfte.

Der Menschen Treiben insgesamt,

Ihr Wirken, Trachten, Fürchten, Hoffen

In jedem Handwerk, jedem Amt

Lag wie ein Buch nun vor ihm offen.

Er hatte viel Verkehr gepflegt

In Wechselstuben, Kaufmannsläden

Und sich in seinem Tun und Reden

Ein vornehm Wesen zugelegt.

Jetzt ward ihm auch von selber kund,

Was einst er nicht gewagt zu träumen:

Daß all die Früchte feurig bunt

Von jenes Zaubergartens Bäumen

Kein farbig Glas, wie er gedacht,

Vielmehr die köstlichsten Juwelen.

Er nahm sich aber wohl in acht,

Aus Furcht, man könnt' ihn drum bestehlen,

Es irgend jemand zu erzählen.

Der Mutter selbst verschwieg er's streng.

Durchwandelnd eines Tags die Straßen,

Vernahm er ungewohntermaßen

Ein laut Bumbum und Schnettretteng.

Zum Schall von Pauken und Trompeten

Rief öffentlich ein Herold aus,

Man möge schließen jedes Haus

Und nicht die Straße mehr betreten.

Prinzessin Bedrulbudur nämlich,

Des Sultans Tochter, wolle heute

Zum Bade gehn, und zwar bequemlich

Gesichert vorm Gegaff der Leute.

Weil Neugier doppelt heftig loht,

Wenn ihr begegnet ein Verbot,

Ward alsogleich durch dies Verfahren

In Aladdin der Wunsch erweckt,

Die Sultanstochter unbedeckt

Von ihrem Schleier zu gewahren.

Er schlich deshalb auf leichten Sohlen

Zur Tür des Bades katzenhaft

Und kauerte sodann verstohlen

Sich hinter einer Säule Schaft.

Er hatte noch nicht lang geharrt,

Als schon mit einem großen Staate

Von Frauen die Prinzessin nahte.

Sie nahm, von seiner Gegenwart

Nichts merkend, gänzlich unbefangen

Im Vorraum ihren Schleier ab,

Und Aladdin, drei Schritte knapp

Entfernt, vermochte nach Verlangen

Ihr Antlitz hüllenlos zu schaun.

War auch—die Mutter ausgenommen—

Bisher von unvermummten Frau'n

Ihm keine zu Gesicht gekommen,

So ward mit einem Schlag ihm klar,

Daß diese hier die schönste war.

Aladdin belauscht die Prinzessin

Aladdin belauscht die Prinzessin

Herab in reicher Lockenflut

Floß ihr kastanienbraunes Haar

Auf ihrer Augen dunkle Glut

Ihr Blick war sittsam und voll Güte,

Die Wangen sanft gerundet, weich

Und rosenrot wie Pfirsichblüte,

Die Lippen zwei Korallen gleich.

Ihr Wuchs und Gang war ohne Tadel,

Und ihre liebliche Gestalt

Verriet in Reizen tausendfalt

Holdseligkeit vereint mit Adel.

Kein Wunder drum, daß Aladdin,

Nachdem die Herrliche verschwunden,

Noch immerdar wie festgebunden

Und wie verzaubert sich erschien.

Obwohl erstarrt zu Stein und Erz

Er sich zu rühren nicht vermochte,

Konnt' er empfinden, wie sein Herz

In seiner Brust vernehmlich pochte.

Sogar als er zuletzt gewaltsam

Sich loszureißen war gewillt,

Verfolgte dennoch unaufhaltsam

Ihn auf dem Weg nach Haus ihr Bild.

Der Mutter war's ein leichtes Ding,

Sein ganz und gar verändert Wesen

Gleich von der Stirn ihm abzulesen.

Sie wunderte sich drob und fing

Ihn auszuforschen an, warum

Er so zerstreut, verstört und stumm;

Ob ihm vielleicht zu Kopf gestiegen

Ein Streit? Ein Ärger? Ein Verdruß?

Doch er, wie eine harte Nuß,

Blieb unzugänglich und verschwiegen.

Auch als am Abend auf den Tisch

Von ihr ein braungebratner Hase

Getragen ward und in die Nase

Der Duft ihm drang verführerisch,

Schob er, der immer seinen Mann

Gestanden sonst als guter Esser,

Hinweg die Gabel und das Messer

Und rührte keinen Bissen an.

Da merkte sie, daß an dem Toren

Heut jedes Mittel war verloren,

Und beide schwiegen um die Wette.

Er träumte wachend, seufzte tief

Und ging zu guter Letzt zu Bette;

Doch fraglich ist es, ob er schlief.

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