6.

V

Vor lauter Ungeduld erweckte

Bereits vor Tag, bei Dämmerschein

Der Sohn die Mutter, und sie steckte

Sich in ihr Feierkleid hinein.

Die Vase, bis zum Rand gefüllt

Mit den Juwelen, ward in Linnen

Von ihr behutsam eingehüllt;

Ein feines weißes Tuch für innen,

Ein gröberes als Überzug,

Sodaß, nachdem sie die vier Enden

Verknotet mit geschickten Händen,

Sie das Geschenk als Bündel trug.

Sie machte dergestalt beklommen

Nach dem Palast sich auf den Weg,

Und grad als dort sie angekommen,

Ward aufgetan das Torgeheg'.

Erst ging hinein der Großvezier

Mit andern hohen Würdenträgern,

Lakaien, Reisigen und Jägern;

Dahinter drängten, zahllos schier,

In dichtem Schwarm sich all die Leute,

Die bei des Herrschers Diwan heute

Drauf rechneten, der Huld von oben

Abzugewinnen einen Strahl.

So, gehend halb und halb geschoben,

Kam sie zum weiten, lichten Saal,

Worin der Diwan ward gehalten.

Dort saß der Sultan in Person,

Umwogt von seines Purpurs Falten,

Ihr gegenüber auf dem Thron,

Der Großvezier an seiner Seite,

Sodann, gewärtig seines Winks,

Ein äußerst stattliches Geleite

Von Staatsbeamten rechts und links.

Wer nun der Reihe nach gerufen

Herantrat an des Thrones Stufen,

Der legte seine Bittschrift nieder,

Sprach zur Begründung einen Satz,

Erhielt Bescheid und mußt' hinwieder

Dem Nächsten räumen seinen Platz.

Die Mutter war noch lang' nicht dran;

Doch ehe sie sich recht besann,

Verstrich des Diwans kurze Stunde.

Der Fürst stand auf, entließ die Zahl

Der Harrenden und schritt im Bunde

Mit seinem Hofstaat aus dem Saal.

Der Schwarm verlief sich, und sie ging,

Da weiteres Bemühn vergeblich,

Nach Haus, wo sie der Sohn erheblich

Enttäuscht und mißgestimmt empfing.

Sein Unmut blieb ihr nicht verborgen;

Doch fühlte sie sich frei von Schuld,

Ermahnte sanft ihn zur Geduld

Und gab ihr Wort, sie werde morgen

Von neuem hingehn.—Welche Qual!

Der arme Junge saß auf Kohlen.

Denn fruchtlos mußte siebenmal

Sie den Versuch noch wiederholen,

Stets mit dem nämlichen Verlauf:

Sie kam und sah den Sultan thronen,

Recht sprechen, warnen und belohnen,

Und immer wieder brach er auf,

Bevor an ihr die Reihe war.

So hätte dort wohl unabwendlich

Sie Tag für Tag ein volles Jahr

Gewartet, wäre sie nicht endlich

Dem Blick des Herrschers aufgefallen,

Weil ohne Bittschrift in der Hand

Sie stets als hinterste von allen

Dem Thron grad gegenüberstand.

Drum, als der Diwan war beendet

Am siebten Tag und er sich eben

In sein Gemach zurückbegeben,

Sprach er zum Großvezier gewendet:

"Geraume Zeit bemerk' ich schon,

Wie täglich, wenn ich Sitzung halte,

Sich gegenüber meinem Thron

Erwartend aufstellt eine Alte.

Sie trägt was in ein Tuch geschlagen

Und steht so bis zum Schlusse still.

Kannst du mir künden, was sie will?"

"Vermutlich will sie sich beklagen,"

Erwiderte der Großvezier.

"Du weißt ja, Herr, wie häufig Frauen

Ein unbedeutend Leid vor dir

Mit großem Wortschwall wiederkauen.

Vielleicht hat man zu wenig Mehl

Ihr auf dem Markte zugewogen,

Vielleicht beim Wechseln sie betrogen."

Der Sultan gab ihm drauf Befehl,

Sie nächstesmal ihm vorzuführen.

Und richtig, tags darauf, sofort

Nachdem man aufgetan die Türen,

Stand sie beharrlich wieder dort.

Der Sultan winkte vor Beginn

Der Sitzung, als er sie erblickte,

Dem Großvezier, und dieser nickte

Zum Obersten der Wache hin.

Der gab der Mutter flugs ein Zeichen,

Mit ihm zu gehn, gebot sodann

Den Vorderen, vor ihr zu weichen,

Und brachte sie zum Thron heran.

Dort warf sie sich—weil dies gebührend

Ihr schien nach allgemeinem Brauch—

Vorm Sultan nieder auf den Bauch,

Den Boden mit der Stirn berührend.

Doch er befahl ihr aufzustehn

Und sagte: "Gute Frau, tagtäglich

Hab' ich seither dich unbeweglich

Dort nah dem Eingang harren sehn.

Was ist es, sprich, das du begehrst?"

Sie warf sich nochmals nieder erst

Und hauchte, vor Erregung heiser:

"Bevor, erhabner Herr und Kaiser,

Den Anlaß du von mir erfährt,

Der mich bewog zu diesem Schritte,

Vernimm die demutsvolle Bitte,

Daß mein unglaubliches Verlangen

Du gnädig im voraus verzeihst;

Denn ich vergehe fast vor Bangen.

Erscheint ja doch mein Unterfangen

Sogar mir selber allzu dreist."

Der Sultan, um ihr Mut zu machen,

Ließ augenblicks den ganzen Hauf

Des Volks entfernen durch die Wachen

Und forderte den Hofstaat auf,

Ihn mit der Frau allein zu lassen;

zurück blieb nur der Großvezier.

"Du darfst", so sprach er dann zu ihr,

"Nunmehr getrost ein Herz dir fassen.

Was immer dein Begehren sei,

Dir ist's vorweg, mein Wort zum Pfande,

Vergeben. Also rede frei!"

Da lösten sich die Zungenbande

Der Mutter. Ohne weitre Scheu

Berichtete sie wahrheitstreu,

Durch welch geheimes Abenteuer

Sich seiner Tochter Aladdin,

Ihr Sohn, genaht; wie heftig ihn

Seitdem verzehre wildes Feuer;

Wie redlich sie sich unterdessen

Ihn abzukühlen angestrengt,

Doch wie von Leidenschaft besessen

Er sie zu diesem Gang gedrängt.

Nur seiner Drohung, daß er sterbe,

Wenn nicht um deren Hand sie werbe,

Die doch fürwahr, mit ihm verglichen,

Nicht minder unerreichbar fern

Als an dem Firmament ein Stern,

Sei schließlich zögernd sie gewichen.

Der Sultan, keineswegs empört

Noch spöttisch, äußerte die Frage,

Nachdem er ruhig zugehört,

Was in dem Tuch verhüllt sie trage.

Sogleich entnahm sie wunschgemäß

Dem Bündel das Geschenk des Sohnes

Und stellte vor den Fuß des Thrones

Das vollbeladene Gefäß.

Der Herrscher, von dem bunten Scheine

Geblendet, wähnte sich im Traum

Und traute seinen Augen kaum

Beim Anblick all der Edelsteine,

So groß und prächtig, wie noch keine

Zeit seines Lebens er geschaut,

Und in Betrachtung ganz versunken

Saß er ein Weilchen ohne Laut.

Dann aber rief er freudetrunken:

"Wie schön! Wie köstlich! Wie vollendet!",

Nahm jeden einzeln in die Hand

Und sprach, zum Großvezier gewendet:

"Sag', ob in meinem ganzen Land

In allen Ländern dieser Erde

Man je was gleich Vollkommnes fand?"

Mit beifallspendender Gebärde

Gab dies der Großvezier ihm zu,

Worauf er fortfuhr: "Möchtest du

Behaupten, daß ich einen Mann,

Der solcherlei vermag zu schenken,

Nicht, ohne lang' mich zu bedenken,

zum Schwiegersohn erwählen kann?"

Der Großvezier war sehr betroffen

Von diesem Wort. Seit Jahren schon

Ließ nämlich ihn der Sultan hoffen,

Er werde seinen eignen Sohn

Mit der Prinzessin einst vermählen.

Er sagte drum ins Ohr ihm leise:

"Ja, Herr, ich kann es nicht verhehlen,

Daß dies Geschenk von höchstem Preise

Der Sultanstochter würdig ist;

Doch gönne mir drei Monat Frist.

Mein Sohn, den vormals du zum Gatten

Ihr zu bestimmen hast beehrt,

Stellt sicher dies Geschenk in Schatten

Durch eins von doppelt reichem Wert."

Das schien dem Sultan eine Flause;

Doch gab er seiner Bitte nach,

Weil er sein Günstling war, und sprach

Zur Mutter freundlich: "Geh' nach Hause

Zu deinem Sohn und meld' ihm dies:

Den Antrag, den er stellte, wies

Ich nicht zurück; drei Monat sind

Vonnöten aber, eh' zum Gatten

Ich jemand gebe meinem Kind,

Um sie geziemend auszustatten.

Nach Ablauf dieser Zeit komm wieder."

Die Mutter ging nach Haus zurück,

Und diesmal bebten ihre Glieder

Nicht vor Verzagtheit, nein, vor Glück.

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