1.

In den Preanger Regentschaften auf Java in Tji-dasang, einem kleinen Dorf oder Kampong, hatte sich schon seit einiger Zeit, und mit Bewilligung der holländischen Behörden, ein chinesischer Kaufmann niedergelassen, der mit den Eingeborenen in seiner Nachbarschaft nicht allein einen einträglichen Tauschhandel trieb, sondern auch ein ziemlich großes, dort in der Nähe gelegenes Gut gepachtet hatte, und Kaffee, Reis und andere Landesprodukte selber darauf zog.

Im Handel mit den Eingeborenen nahm er alles an, was ihm diese bringen konnten: eingekochten Arenzucker und geflochtene Matten, Hüte, ge„badek“te[37] Tücher und Sarongs, gewebte Zeuge, Hühner, Wild, Cocosöl, kurz alles Mögliche. Er selber brachte ihnen dabei eine Masse Dinge von Batavia mit, die sie oft noch nicht einmal dem Namen nach kannten, lehrte sie Spiegel und Schmuck, bunte Kattune und andere Sachen kennen und that, als Vertreter der Civilisation in dieser Berggegend, sein Möglichstes, die einfachen Menschen mit so viel neuen Bedürfnissen bekannt zu machen, als irgend anging.

Die Chinesen sind im Ganzen, wie sonst auch nur zu häufig ihre Moralität beschaffen sein mag, ein ungemein fleißiges und unternehmendes Volk, und so geschah es denn auch hier, daß Schang-hai, wie er nach seinem Geburtsort hieß, obgleich er nur ein sehr kleines Kapital und einen geringen Waarenvorrath mit in die Berge gebracht hatte, bald sein Vermögen verzehn-, ja verhundertfachte und für einen der Reichsten in der dortigen Gegend, jedenfalls unter den Eingeborenen galt.

Die Javanen sind ziemlich abergläubischer Natur und haben, wenn sie sich auch meist zum Islam bekennen, doch noch manches von ihren alten heidnischen Überlieferungen beibehalten, an denen sie mit außerordentlicher Hartnäckigkeit hängen. Es kommt dazu, daß dergleichen Aberglauben meistens von der wilden, sie umgebenden Natur nicht nur begünstigt, sondern oft auch durch sie begründet wird. So schrieben sie auch Schang-hai, dessen rasch wachsenden Reichthum sie natürlich nicht allein von seinem Unternehmungsgeist und seiner Schlauheit abhängig glaubten, ebenfalls bald geheime Kräfte und Künste zu. Daß er sich gern im Wald aufhielt und oft Tage lang ausblieb – wobei er in Wirklichkeit nur kleine geheimgehaltene Geschäftsreisen machte – konnte sie nur noch mehr darin bestärken. Ebenso schien er nicht die mindeste Furcht vor den in jener Gegend noch in ziemlicher Anzahl sich aufhaltenden Tigern zu haben, und das war ihnen besonders verdächtig.

Der Tiger, wie die Gefahr, der sie von diesen wilden Bestien stets ausgesetzt waren, spielte überhaupt in ihrem ganzen Leben eine sehr bedeutende Rolle, und wunderliche Sagen über das geheimnißvolle Treiben dieser Thiere, das sie nur aus seinen furchtbaren Angriffen und blutdürstigen Verheerungen, wie aus seiner rücksichtslosen Grausamkeit kannten, waren dort überall im Umlauf.

Eine der bekannteren ist die vom Menschentiger, die in mancher Hinsicht unserer deutschen Sage vom Wehrwolf entspricht.

Es soll nämlich im Wald, nur von wenigen Auserwählten gekannt, ein Kraut wachsen, daß die wunderbarsten Kräfte besitzt. Der Genuß der Wurzel besonders verwandelt den Menschen in einen Tiger, und zwar in der wörtlichen Bedeutung des Wortes, in all seiner zähnefletschenden gestreiften Furchtbarkeit, und nur der Genuß einer anderen heilwirkenden Wurzel ist im Stande, ihm seine menschliche Gestalt zurückzugeben. Diese Menschentiger sind dann die gierigsten, grausamsten Bestien in der ganzen Thierwelt, und besonders dem Menschen gefährlich. Dabei haben sie ihren Menschenverstand bewahrt und wissen jeder ihnen drohenden Gefahr auch auf das Schlaueste und Geschickteste zu entgehen.

Auch in der Nähe von Tji-dasang hatten die Tiger, trotz der vom Staat ausgesetzten Prämien von fünfzehn Gulden, sehr überhand genommen, und besonders in einzelnen Kampongs große Verwüstungen unter den Heerden angerichtet, ja gar nicht selten sogar die mit dem Auskochen von Arenzucker beschäftigten Arbeiter überfallen und zu Holz geschleppt. Wohl waren die Eingeborenen außerordentlich thätig gewesen, durch Fallen und Gruben einen Theil dieser gefährlichen Raubthiere in ihre Gewalt zu bekommen und unschädlich zu machen; aber dies gelang ihnen bei nur sehr wenigen, und Jäger sind die Malayen und Javanen überhaupt nicht. Sie wissen zum Beispiel gar nicht mit Schießgewehren umzugehen, und wenn sie auch dann und wann einmal in Begleitung der Holländer eine solche Waffe führen, gefährden sie sich selbst und ihre Nachbarn weit mehr damit, als das Wild. Selbst Bogen und Pfeile führen sie nur zum Spiel, und ihre eigentlichen Waffen sind die Lanze, eine auf einen Bambus befestigte damascirte Stahlspitze, und der stets an der Seite getragene Klewang, eine Art kurzes Schwert, das ihnen hauptsächlich dazu dient, sich in den Dickichten Bahn zu hauen. Dazu ist es freilich auch dadurch vortrefflich geeignet, daß es vorn an der Spitze am schwersten ist und daher zum Hiebe die nöthige Wucht erhält. Den Khris oder Dolch haben sie fast alle im Gürtel stecken; die Lanze tragen sie dagegen nur ausnahmsweise, auf der Jagd und bei besonders festlichen Gelegenheiten.

Die Chinesen auf Java sind indessen noch viel weniger Jäger, und führen selbst nicht einmal eine Waffe – es müßte denn hie und da einmal heimlich geschehen, wozu sich aber wieder die leichte Nationalkleidung nicht eignet, die sie nach einem Gesetz der Holländer auf Java tragen müssen.

Schang-hai war unverheirathet. Wie sich indessen seine Vermögensverhältnisse von Tag zu Tag besserten, fühlte er auch das Bedürfniß, eine Lebensgefährtin zu wählen und sich damit endlich einmal eine „häusliche Bequemlichkeit“ zu schaffen. Es fing an ihm ungenehm zu werden, in seinem Hause allein zu sitzen, und als er alle seine übrigen Geschäfte besorgt hatte, glaubte er sich auch diesen „Luxus“ – wie er es bis dahin genannt – gestatten zu dürfen.

Das wäre nun allerdings vortrefflich gewesen, wenn er daran schon vor einer längeren Reihe von Jahren gedacht und es ausgeführt hätte. Leider hatte aber der Chinese seine besten Lebensjahre damit verschwendet, Reichthümer aufzuhäufen, und da er nie, selbst nicht in seiner Jugend, auf Körperschönheit Anspruch machen durfte, so konnte ihm das Alter in dieser Hinsicht noch weniger günstig sein. Schang-hai war mit einem Wort ein kleiner, dicker, häßlicher, unansehnlicher Chinese, dessen Zopf sich schon grau zu färben begann, und die kleinen, etwas feuchten, brennend schwarzen Augen bekamen durch einen schielenden Blick selbst einen widerwärtigen, abstoßenden Ausdruck. Nichts desto weniger wußte er, was ihm auch der Spiegel über seine eigene Persönlichkeit sagte, doch recht gut, daß in der Welt mit Geld vieles, wenn nicht alles zu erreichen ist, und vielleicht war dies auch die Ursache, daß er seine beste Lebenszeit ebenso sorglos und unbekümmert hatte verstreichen lassen.

Da er dabei vernünftig genug war, bei einer Heirath nicht an die Vergrößerung seines Reichthums zu denken, sondern sich bereits entschlossen hatte, ein armes, aber hübsches junges Mädchen zu seiner Gattin zu erheben, so brauchte er, zumal da ihn die etwas wunderlichen gesellschaftlichen Verhältnisse des Landes, in dem er sich befand, darin begünstigten, an einem Erfolg nicht einen Augenblick zu zweifeln. Die Eltern, die eine unbeschränkte Gewalt über ihre Kinder, besonders über ihre Töchter besitzen, verkaufen dieselben meist an gute „Partieen“, denn eine Heirath kann man ein solches Ehebündniß kaum nennen. Der Mißbrauch geht darin so weit, daß die Europäer auf Java sich oft Mädchen auf eine bestimmte Reihe von Jahren für eine zwischen beiden Theilen bestimmte Summe ins Haus kaufen und dabei nicht einmal eine Ceremonie für nöthich halten.

Das war übrigens Schang-hai's Absicht nicht. Er wollte sich wirklich eine Frau nehmen, die ihm dann nicht bei der ersten passenden oder unpassenden Gelegenheit wieder davonlaufen und der Unbequemlichkeit der Wahl aufs Neue aussetzen konnte. Sein Auge fiel dabei auf die Tochter eines armen Javanen, den er sich in der letzten Zeit besonders verpflichtet und ihn so in Händen hatte, daß er überhaupt gar nicht seine Einwilligung hätte verweigern können – wenn ihm das überhaupt in den Sinn gekommen. Kelah, wie der Eingeborene hieß, dachte aber auch nicht einmal an etwas derartiges, und wenn er den kleinen dicken Chinesen mit dem „falschen Blick“ auch sicherlich mehr fürchtete als liebte, fühlte er sich doch durch den eines Tages ganz unerwartet gestellten Antrag viel zu sehr geehrt, als daß er mit seiner Einwilligung als Vater auch nur einen Augenblick hätte zögern können. Was Laykas, die Tochter, anbetraf, so war es eine Sache, die sich ganz von selbst verstand, daß sie weiter nichts zu thun hatte, als den ihr vom Vater gegebenen Befehlen zu folgen. Hätte das Mädchen denn auch ein größeres Glück, eine größere Ehre träumen können? Daß Laykas den Chinesen lieben sollte, verlangte kein Mensch von ihr – nicht einmal ihr Bräutigam selber, und daß sie diesen jetzt, wie alle Kinder und Mädchen des Kampongs, fürchtete, und ebenso gern einem Tiger als ihm in den Weg gelaufen wäre, wenn er einmal die Straße herab kam, war eine Sache, die sich jedenfalls – wenn sie nur erst einmal seine Frau war – von selber gab. Ihr Schicksal sollte ihr aber nicht lange verborgen, ja nicht einmal Raum zum Überlegen bleiben.

Schang-hai hatte nämlich schon seit einer Woche, ohne irgend Jemand zu sagen weshalb, die Vorbereitungen zu der Festlichkeit herrichten lassen, die er auf das Glänzendste auszustatten gedachte. Der reiche Chinese wollte den Eingeborenen einmal zeigen, was er im Stande sei an Glanz und Pracht in diesen Bergen zu leisten. Das Anhalten um die Braut selber verschob er natürlich als eine Sache, die in wenigen Minuten abgemacht werden konnte, bis zum letzten Augenblick. Bedurfte es ja doch unter solchen Umständen auch nur eigentlich des Befehls, sie in sein Haus zu führen.

Share on Twitter Share on Facebook