2.

Eines hatte er dabei übersehen oder, wenn es ihm je eingefallen, so gering angeschlagen, daß es eine weitere Beachtung nicht verdiente, – daß nämlich seine von ihm ausersehene Braut schon eine andere frühere Zuneigung haben könne. Das Herz eines jungen Mädchens fragt ja auch nicht immer erst die Eltern, ehe es sich zu einem andern Herzen hingezogen fühlt. Darauf kam hier aber gar nichts an; das Herz verlangte Schang-hai überhaupt nicht weiter, als es eben zu seiner bequemen Häuslichkeit unumgänglich nöthig war; er wollte die Hand des Mädchens, und die gehörte bis jetzt noch Niemand.

Laykas war eine wunderliebliche Maid, und der alte Chinese hatte keinen schlechten Geschmack in ihrer Wahl bewiesen. Schlank und voll von Körper, mit Reizen, die von der dunklen Bronzefarbe der Haut eher noch erhöht als vermindert wurden, mit einem Antlitz von fast griechischer Schönheit, wie man es da oben in den Bergen auch gar nicht so selten findet, die dunklen Wangen von so sanfter Frische, daß das steigende und schwindende Blut deutlich auf ihnen sichtbar ward, mit feurigen offenen Augen und Händen und Füßen, um die sie manche stolze Weiße beneidet haben würde, war sie die Zierde ihres Stammes, der Stolz ihrer Eltern, und selig wäre der Mann unter ihren Landsleute gewesen, den sie einst mit ihrer Liebe beglückt hätte.

Leichten und frohen Herzens hatte sie sich dabei willig und gern jeder noch so schweren Arbeit in ihrer Eltern Hause unterzogen. Nie kam eine Klage über ihre Lippen, und ein freundliches Wort, einen freundlichen Blick hatte sie für alle – konnte sie den Sturm ahnen, der sich über ihrem Haupte zusammenzog?

So kam sie auch heute, singend und mit den Kindern lachend, die neben ihr herliefen, den Berg herauf, denn sie hatte unten im Thale, in den breiten, hohen Bambusstöcken[38] Wasser heraufgeholt. Nur einen Sarong[39] von blau und rothem, selbstge„badek“tem Stoff, der ihr bis zur halben Wade niederhing und die zarten feingeformten Knöchel zeigte, trug sie um die schlanke Hüfte festgesteckt; der Oberkörper, wie das in den Preanger Regentschaften meist Sitte ist, war vollkommen nackt, und die schwere Wucht des rabenschwarzen Haares hielt sie mit einer großen Schildplattnadel befestigt. Die beiden mit Wasser gefüllten Bambusstöcke, die wohl bei drei Fuß Länge, fünf Zoll und mehr im Durchmesser haben mochten, trug sie an einem Querstock, an dem sie vorn und hinten herunterhingen, auf der Schulter, und trotz der gar nicht unbedeutenden Last war doch der Schritt des jungen, frischen, kräftigen Mädchens leicht und elastisch.

In der Thür der Hütte begegnete ihr aber schon der Vater, der eben, noch freudestrahlend, von Tji-dasang zurückgekehrt war und den Augenblick nicht erwarten zu können schien, wo er der Tochter die Freudenbotschaft mittheilen sollte.

„Was hast du, Vater?“ rief das Mädchen, dem die fröhliche Bewegung in dem sonst ziemlich mürrischen, einsilbigen Alten nicht entgangen war, und mitten im Gang hielt sie, die Hände zur Stütze auf die Hüften stemmend, an, daß die beiden Bambusröhren langsam herüber und hinüber schwankten. „Was hast du, Vater? Es ist doch nicht –“ und das Blut schoß ihr in diesem Augenblick vor freudigem Schreck in Wangen und Schläfe, als sie daran dachte, daß vielleicht Maono, der brave arme Bursch, hier bei ihrem Vater gewesen wäre und – sie konnte keinen Gedanken ausdenken, so wirr und toll schwirrten ihr die Vermuthungen durch den Kopf. Und so treu und rein war dabei der Jungfrau Seele, daß kein schlimmer Verdacht, keine Furcht den Spiegel ihres Herzens trüben machte. Lachte doch ihr Vater, und das konnte ja nur Gutes für die Tochter deuten.

„Freu' dich mit mir, Laykas!“ rief ihr dieser, als er sie halten sah, entgegen, „freu' dich mit deinen Eltern, denn dein und ihr Glück ist gemacht.“

„Maono?“ war alles, was Laykas herausbringen konnte, und sie fühlte dabei, wie roth sie wurde.

„Maono?“ meinte der Alte, verächtlich mit den Schultern zuckend, während sich doch ein verschmitztes Lächeln über seine Züge stahl, „wer ist Maono? So viel für den! Hat er doch nicht Reis genug für den morgenden Tag und steckt nicht umsonst da mitten im Walde, um von Früchten und Waldfleisch sein Leben zu fristen! Laykas ist für etwas Besseres aufbewahrt.“

„Für Besseres, Vater?“ sagte das Mädchen leise, und die mit Wasser gefüllten Bambus wurden ihr in dem Augenblick so schwer, als ob sie sich in Blei verwandelt hätten. Kaum konnte sie mit ihnen den letzten Gang bis zur Hütte ersteigen. „Für was Besseres, Vater?“ wiederholte sie hier noch einmal. „Ich verlange nichts Besseres von Allah – möge er es mir gewähren.“

„Nichts Besseres?“ lachte aber der Alte und konnte sich gar nicht wieder zufrieden geben. „Wenn die Kinder nicht wissen, was ihnen gut ist, müssen's die Alten soviel besser verstehen. Aber hör', Laykas was ich dir sagen will, und fasse dich, denn solche Freude und Ehre wirst du nicht erwartet haben.“

„Freude? – Ehre?“ rief das arme Mädchen erstaunt und eingeschüchtert, denn bei all den Vorbereitungen begann ihr nichts Gutes zu ahnen.

„Nun, ich will dich nicht länger zappeln lassen,“ schmunzelte der Alte; „so höre denn, Schang-hai hat dich von mir zum Weib begehrt.“

„Schang-hai?“ rief Laykas, und der Stab glitt von ihrer Schulter nieder, daß die beiden Bambus umfielen und das Wasser in sprudelndem Quell wieder den Berg hinunterschickten.

„Ja – der reiche Schang-hai,“ erwiderte mit selbstzufriedenem Lächeln der Javane, den Schreck der Tochter natürlich der Freude und Überraschung zuschreibend. „Aber läßt du nicht das ganze Wasser wieder den Berg hinunterlaufen, Laykas? Nun laß nur sein, von jetzt an wirst du Diener haben, die das für dich thun. Allah segne mich! Hätte ich doch nie geglaubt, die Freude an meinem Kind – und nur eine Tochter – zu erleben! Aber morgen mit dem Frühsten gehst du zum Bach hinab und badest dich, bindest dann deinen besten Sarong um, und wenn die Sonne über die Palmen steigt, werde ich dich zu deinem Bräutigam führen!“

„Bräutigam?“ stöhnte Laykas, ihr Antlitz in den Händen bergend und dann mit stierem, entsetztem Blick zu dem Vater aufschauend; „Schang-hai – der furchtbare, entsetzliche Mensch, mein – mein Bräutigam?“

„Nun ja, hübsch ist er gerade nicht,“ lachte der Alte gutmüthig, „darauf kommt auch nicht viel an. Aber reich ist er – steinreich, und dein Vater braucht jetzt nicht Haus und Feld aufzugeben und wieder in den Wald hineinzuziehen, wie ich es thun müßte, wenn Schang-hai nur daran dächte, seine Forderung einzutreiben. – Du bist ein braves Kind, mein Herz, und machst deinen Eltern viele, viele Freude.“

Laykas erwiderte kein Wort; wo sie stand, kauerte sie sich auf den Boden nieder und legte den Kopf auf ihren Arm. Sie wußte, ihr Schicksal war besiegelt, ihres Vaters Wille Gesetz, und kannte den Alten zu gut, um auch nur einen Augenblick daran zu zweifeln, daß er Ernst, bittern Ernst aus seiner Drohung machen würde. Sie war das Weib des gefürchteten Schang-hai, dessen Nähe allein sie schon mit Entsetzen erfüllte, und wenn die morgende Sonne über die Wipfel ihrer Bäume schien, – ein Schauder überrieselte sie – führte sie ihr Vater in die Arme des Schrecklichen, der von da an Macht und Gewalt über sie haben sollte ihr Leben lang.

Kelah betrachtete die ineinandergeknickte Gestalt der Tochter wenige Minuten schweigend. Er mochte wohl ahnen, was in ihr vorging, kannte er doch den Abscheu, den alle Kinder – ja fast alle Erwachsene in den Bergen vor dem alten Chinesen hatten, und fürchtete er ihn doch selbst weit mehr als er ihn liebte. Die Sache war aber einmal abgemacht und nichts weiter daran zu thun, und die Tochter mochte jetzt, ehe er weiter mit ihr darüber sprach, mit dem Gedanken ein wenig vertraut werden. Daß sie sich seinem Willen nicht widersetzte, verstand sich von selbst. Er ging deshalb in sein Haus zurück, um für sich selber auf den morgenden Tag seinen besten Staat, Kopftuch und Sarong, die rothe Kattunjacke und seinen schönsten Khris hervorzusuchen. Es war ja auch eigentlich bei der ganzen Sache nichts weiter zu besprechen und alles Nöthige so gut wie abgemacht.

Staunend sahen indeß Laykas' Geschwister die Trauer der Schwester, über deren Ursache sie sich nicht Rechenschaft zu geben wußten. Was es bedeute, des Schang-hai Frau zu sein, wußten sie noch nicht, und darum brauchte Laykas doch nicht das mühsam heraufgetragene Wasser wieder den Berg hinunterlaufen und den Kopf hängen zu lassen. Nur ein unbestimmtes Gefühl sagte ihnen, daß mit der geliebten Schwester doch eigentlich Alles wohl nicht so sei, wie es sein solle, und wie der Vater nur erst einmal ins Haus gegangen war, drängten sie sich ängstlich schüchtern um sie her, zupften sie am Sarong und baten sie leise und schmeichelnd aufzustehen und sie wieder anzusehen wie vorher.

Das Zureden der Kinder aber weckte den bis dahin gewaltsam zurückgedrängten Schmerz der Jungfrau. Alles, was sie bis dahin lieb gehabt, an dem ihr Herz gehangen, sollte sie jetzt verlassen und dafür das Furchtbarste eintauschen, was ihrer Seele nur in Schrecken und Entsetzen vorschwebte – das Weib des Mannes zu werden, von dem sie jetzt nicht einmal wußte, ob sie ihn mehr fürchtete oder mehr verabscheute. Ihre Thränen flossen unaufhaltsam, und der ganze zarte Körper zitterte in der furchtbaren, kaum mehr gebändigten Bewegung.

Die Sonne sank, und sie saß noch immer auf der Stelle – die Kinder waren zum Haus hinaufgelaufen, dem Vater zu sagen, daß Laykas krank wäre und weinte. Dieser bedeutete sie aber, die Schwester zufrieden zu lassen, sie würde schon wieder von selber froh und heiter werden.

Als es dunkelte, ging endlich die Mutter zu ihr hinaus.

„Laykas,“ sagte sie freundlich, die Hand auf ihre Schulter legend, „komm herein ins Haus – der Vater wird sonst böse, und der Thau fällt auch schon stark.“

„Mutter,“ stöhnte das arme Kind und faßte die Hand der Frau; „ich kann nicht – ich kann nicht das Weib Schang-hai's werden.“

„Der Vater hat's gesagt,“ seufzte die Frau leise und mitleidig, das zu ihr gewendete, von Thränen überströmte Gesicht des Mädchens streichelnd. „Du weißt, was der sagt, müssen wir thun. Mir wär's auch lieber, ein armer Javane hätte sein Jawort erhalten, als der alte reiche Sünder, aber – was geschehen, ist nun einmal nicht zu ändern. So komm, Laykas, komm mit ins Haus und fasse Muth. Es wird vielleicht noch Alles besser gehen, als wir jetzt denken.“

„Und Maono?“ seufzte das Mädchen mit angstgepreßter, zitternder Stimme.

„Wer kann's ändern?“ meinte die Mutter, mit den Achseln zuckend. „Unser Geschlecht ist dazu bestimmt, Leiden zu ertragen, und wir dürfen nicht murren. Es ist Allahs Wille. Der arme Bursch thut mir auch leid,“ setzte sie leise hinzu, „aber was kann er gegen den reichen Chinesen in die Wagschale werfen?“

„Und opfert er jetzt nicht sein Leben, die Nachbarschaft von den gefährlichen Tigern zu befreien?“ rief Laykas. „Haust er jetzt nicht allein und abgeschieden mitten im Wald in steter Gefahr, von den Bestien selber erfaßt zu werden, nur um eine kleine Summe zu erschwingen, daß wir zusammen den Hausstand beginnen könnten, gegen den selbst der Vater bis jetzt nichts einzuwenden gehabt?“

„Das ist alles wahr, mein Kind,“ sagte die Mutter, das aufgeregte Mädchen freundlich begütigend, „aber damals hatte Schang-hai noch nicht um dich gefreit, und du weißt selber, welche große Hülfe der für uns ist. Das einzige Reisfeld, von dem wir unsere Nahrung ziehen, ist in den Händen deines künftigen Mannes, selbst die Arenpalmen um unsere Hütte her gehörten nicht mehr unser, wenn es Schang-hai gefiele, sie zu fordern. Die Büffel, die unser Feld bearbeiten, haben wir von ihm geborgt, er kann sie jeden Augenblick zurückfordern. Die Weide selbst, auf die wir sie treiben, gehört dem Chinesen, und schon lange habe ich mir gedacht, daß er nicht umsonst so nachsichtig und gütig mit uns gewesen und seinen Lohn wohl eines Tages einfordern würde. – Und doch hab' ich ihm unrecht damit gethan, denn er hat dich zum Weibe begehrt, und damit uns armen, niederen Leuten, wie auch dir, die größte Ehre erwiesen, die ein so hochstehender Mann Jemand nur erweisen kann.“

„Ehre – Ehre!“ jammerte das arme Mädchen, „mir bringt diese Ehre den Tod – und Maono, armer Maono!“

Sie stand langsam auf, schüttelte die Thränen von ihren Wimpern und folgte der Mutter langsam in das Haus, wo sie den Vater schon behaglich auf seiner Matte ausgestreckt und seine Pfeife rauchend fanden.

Share on Twitter Share on Facebook