6.

Unschlüssig, was nun zu beginnen und welcher Weg am besten einzuschlagen, entschloß sich Maono endlich dazu, Hülfe vom nächsten Kampong herbeizuholen. Die Männer dort sollten entscheiden, ob der also ertappte und überführte Chinese als ein entdeckter „Menschentiger“ noch den Tod verdiene, wonach der Kampong selber den auf solchen Fang gesetzten Lohn gezahlt hätte, oder ob er mit dem versprochenen Lösegeld freikomme, die Gegend aber auf immer verlassen solle. – Das schien ihm nach kurzer Überlegung das Beste; hätten doch sonst die Nachbarn gar am Ende glauben können, er habe den Mann aus Eifersucht schuldlos ermordet. Laykas deshalb mit der Waffe bei dem Gebundenen zurücklassend, damit sie ihm dieselbe ins Herz stoße, sobald er den Geringsten Versuch mache, sich zu befreien, eilte er jetzt so rasch er konnte, den schmalen Pfad entlang, der aus dem Walde auf die Straße führte, um von dort aus den Kampong Tji-dasang zu erreichen.

Die Mühe wurde ihm übrigens erspart; denn da er die Lichtung erreichte, fand er sich einer Schaar von Männern, Laykas Vater, Kelah, an der Spitze, gegenüber, die bis hierher der Spur des flüchtigen Mädchens gefolgt waren, und jetzt eben unschlüssig auf der stark betretenen Straße standen, welcher Richtung sie von hier aus folgen sollten.

Maonos Ruf brachte sie bald an seine Seite, und mit wenigen flüchtigen Worten schilderte er jetzt Kelah die Vorgänge der letzten Nacht, den Fang des so gefürchteten Menschentigers, mit einer mächtigen Tigerin zusammen. Ohne weiter eine Antwort abzuwarten, wandte er sich dann und schritt, von allen in schweigender Scheu gefolgt, den Pfad zurück, den er gekommen, bis zu der Stelle, wo er den Gefangenen unter Laykas Aufsicht zurückgelassen.

Schang-hai hatte sich indeß von seiner Ohnmacht erholt, und das junge Mädchen, das neben ihm die Wacht hielt, mit den flehendsten Worten gebeten, ihn loszubinden. Laykas würde aber ebenso bald, ja vielleicht noch eher daran gedacht haben, den in der Grube gefangenen Tiger als den Gebundenen an ihrer Seite zu befreien, und der mit Haß und Furcht gemischte Blick, mit dem sie der geringsten seiner Bewegungen folgte, wie die oft drohend gehobene Lanze verrieth ihm, daß er von ihr nichts zu hoffen hatte. Endlich schlug das Geräusch von Stimmen an sein Ohr, und mit einem leise, aber aus vollem Herzen gemurmelten Dank erkannte er den alten Kelah neben Maono an der Spitze des Zugs.

Hatte er übrigens gehofft, bei diesem unbedingten Schutz zu finden, so war er dabei im Irrthum und der alte Sundanese viel zu schlau, um nicht im Augenblick zu übersehen, wie die Sache stand. Einestheils stak er selbst zu tief in dem Aberglauben seines Volkes, um auch nur einen Augenblick zu zweifeln, daß der Chinese das wirklich sei, dessen ihn Maono beschuldigt hatte. Wenn er aber die Versprechungen hielt, die er dem jungen Mann gethan und die ihm dieser unterwegs schon mitgetheilt, so stand er auch ganz anders neben dem Chinesen. Wie hätte er überhaupt nach der jetzt gemachten Entdeckung noch daran denken dürfen, ihm die Tochter zur Frau zu geben! Hierbei hatte er übrigens zwischen den anderen, weit mehr angesehenen Eingeborenen auch nur eine ganz untergeordnete Stimme, und Schang-hai fand bald, daß er zuerst einem förmlichen Verhör Rede stehen mußte, ehe er hoffen durfte, selbst von diesen Leuten, die ihn sonst mit der höflichsten, oft kriechenden Artigkeit behandelten, in Freiheit gesetzt zu werden.

Er erzählte jetzt – immer noch mit gebundenen Händen, obgleich seinen Füßen Freiheit gegeben war, daß er erst spät Abends von der Plantage seines Landsmannes nach Tji-dasang hatte zurückkehren wollen, als er plötzlich eine Gestalt vor sich auf dem Weg gesehn, und wie er im Schatten eines Baumes stehn geblieben, beim hellen Licht des Mondes Laykas, seine Braut erkannt habe. Bei seinem Anblick sei sie in den Wald, und zwar den Fußpfad hinein geflohen, der nach Maonos Hütte zu führte; und nicht gesonnen, sie dort zu lassen, ohne seine, durch Einwilligung des Vaters gewonnenen Rechte auf sie geltend zu machen, sei er ihr dorthin gefolgt. Wie sie selber den Pfad entlang gekommen, wisse er nicht, aber er sei, als er dem dunklen Gang gefolgt, in die hier verborgene Grube gestürzt. Um Hülfe zu rufen, habe er sich nicht getraut, aus Furcht, vielleicht eines der gefährlichen Raubthiere herbeizulocken, bis gegen Morgen die Tigerin, wahrscheinlich auf seiner Spur folgend, zu ihm hineingebrochen wäre. Jetzt habe er mit gellender Stimme um Hülfe geschrieen und die Bestie, dadurch vielleicht geängstigt, den entgegengesetzten Winkel behauptet, ohne ihm ein Leides zu thun. Erst am Morgen sei Maono gekommen, der aber hätte ihn für einen Menschentiger gehalten und beinahe umgebracht, wenn er sich nicht sein Leben mit schweren Versprechungen erkauft.

Schang-hai schien auch die ganze Sache wirklich für abgemacht zu halten und nicht einmal daran zu denken, die gegebenen Versprechungen zu erfüllen. Er verlangte jetzt mit finsterer Miene losgebunden zu werden, und drohte widrigenfalls das ganze Verfahren dem holländischen Residenten (der obersten Gerichtsperson des Distrikts nach dem Gouverneur) anzuzeigen. Wenn er sich aber so weit sicher glaubte, hatte er sich doch geirrt. Die Eingeborenen, die fast sämmtlich in dem letzten Jahr einen näheren oder entfernteren Verwandten durch die Raubthiere, und wie sie fest glaubten, hauptsächlich durch einen „Menschentiger“ eingebüßt, gedachten alle der dunklen wilden Erzählungen, die schon seit langen Jahren ihre Nachbarschaft über den kleinen Chinesen durchlaufen, und waren nicht gesonnen, den scheinbaren Beweis seiner Schuld so leicht und rasch wieder aus den Händen zu lassen. Der Vorschlag wurde deshalb auch ohne Weiteres gemacht und ihm nicht einmal von Kelah widersprochen, in einer Art Gottesurtheil den Verdächtigen zu prüfen. Er sollte nämlich wieder in die Grube hinunter, und zwar gerade auf die Tigerin geworfen werden. Griff ihn die dann an, so wollten sie suchen, ihn so rasch wie möglich wieder herauf zu ziehen und er durfte frei ausgehen, ließ sie ihn aber unbelästigt, wie sie es die ganze Nacht gethan, so war es ein sicheres Zeichen, daß er zu ihrem Geschlecht gehörte, und dann sollte er, wie die wilde Bestie selber, mit Lanzen getödtet werden. Seine Erzählung, wie er in die Grube gekommen, glaubte ihm Niemand, und selbst die jetzt darum befragte Laykas erzählte, daß er unter der Palme am Weg wie ein Tiger gekauert, und sie seine Sprünge hinter sich her, wie die des wilden Raubthiers, gehört und erkannt hätte.

Der alte Kelah selbst schämte sich, daß er einem solchen Ungeheuer seine Tochter versprochen. Durfte Schang-hai doch jetzt nie daran denken, seine Schuld von ihm einzufordern, und so stimmte er auf das eifrigste für dessen Tod. Überhaupt thaten das alle, die dem Chinesen eine bedeutende Summe schuldig waren.

Man band ihm jetzt die Hände los und die Schnur wieder um den Leib, wie ihn Maono vorher heraufgezogen, und Laykas selber stand in sprachloser Erwartung dabei, ob die Tigerin da unten den verkappten Gefährten erkennen oder in wilder Wuth über ihn herfallen würde. Schang-hai hatte aber keineswegs Lust, eins von beiden Resultaten, beide gleich schrecklich für den Unglücklichen, abzuwarten. Mit Drohungen war indeß nichts auszurichten und sein Leben soweit gefährdet, daß der nächste Augenblick schon jeden zu spät kommenden Entschluß nutzlos gemacht hätte. Er lag auf der Folter – ein Leugnen hätte ihn zu der wilden Bestie hinunter geworfen, die schon bereit lag ihn, als einen vermutheten Angreifer, mit Klauen und Zähnen zu empfangen. Nur eine Rettung blieb für ihn – er kannte seine Leute, und mit bleichen, zitternden Lippen rief er: „Halt!“

„Hinunter mit ihm!“ tönte Kehlahs heisere Stimme. –

„Laßt mich reden,“ bat aber der Chinese, „was nützt euch mein Tod – was mein Geständniß, daß ich ein Menschentiger sei –.“ –

„Er bekennt es!“ rief jubelnd Maono, und die Andern sahen mit scheuem, erschrecktem Blick auf den Unglücklichen. Dieser aber, den augenblicklichen Vortheil der wenigstens gestatteten Rede benutzend, fuhr rasch und ängstlich fort. „Wenn ihr mich tödtet, verfällt mein Hab und Gut dem Staat – den Holländern. Ich habe keine Kinder – keine Verwandte – in meinen Büchern sind alle meine Schuldner angegeben. Die weißen Männer werden sie einzutreiben wissen. Schenkt mir das Leben und ich will nicht allein Maono geben, was ich ihm versprochen habe – ich erlasse auch euch, die ihr hier seid, was ich noch sonst von euch zu fordern hätte, und will selber in den nächsten Tagen dieses Land verlassen. – Seid ihr das zufrieden?“

Ein Streit entstand jetzt unter den Sundanesen. Ein Theil, und zwar die, die ihm bis dahin noch am freundlichsten gewesen, riefen jetzt, da sie sein geglaubtes Geständniß gehört, daß er getödtet werden müsse, denn er habe bekannt, daß er ein Menschentiger sei, und in der nächsten Nacht werde er, wenn man ihn freilasse, nur soviel wüthender über sie herfallen, um die jetzige Mißhandlung zu rächen. Andere dagegen, mit dem erlangten Gewinn zufrieden und doch auch vielleicht nicht ganz sicher, wie die Weißen den Mord ansehn würden, stimmten dafür, ihn unter der Bedingung, daß er binnen drei Tagen den Distrikt verlasse, die drei Nächte aber den Fuß nicht über seine Schwelle setze, frei zu geben.

Der Chinese versprach alles. Neben ihm lauerte der nackte Tod, in den ihn der tolle Aberglauben dieser Menschen jauchzend hineingeworfen hätte – und vor ihm lag das Leben!

Seine Banden wurden jetzt gelöst, und während Kelah, etwas verlegen allerdings, aber doch auch außer Stande, anders zu handeln, dem jungen wackeren Maono in derselben Zeit etwa die Tochter zusagte, als er sie, nach der Absicht des vorigen Abends, hatte in das Haus des jetzt geächteten Chinesen führen wollen, schlich dieser, in scheuer Angst, daß seine Freilassung die hinter ihm her jauchzende und tobende Schaar doch am Ende noch gereuen könne, den Wald entlang, bis er die Straße erreichte, und eilte dann, so rasch ihn seine Füße trugen, der eigenen Wohnung zu.

Das Jauchzen, das Schang-hai gehört, galt freilich nicht ihm, sondern dem Tod des gefangenen Tigers, auf den die jungen Bursche jetzt ihre Khrise und Klewangs schleuderten, bis Maono das vor Wuth und Schmerzen schäumende, brüllende Thier mit dem sicheren Wurf seiner Lanze erlegte.

Mit Blitzesschnelle durchlief indeß die Kunde von dem gefangenen Menschentiger, und dem Versprechen, das Schang-hai, sein Leben zu retten, gegeben, den Kampong. Ein holländischer Unterbeamter, der sich gerade dort aufhielt, ging allerdings hierauf zu Schang-hai, forderte ihn auf, in seinem Besitzthum zu bleiben und sicherte ihm den vollen Schutz der holländischen Gesetze zu, nach denen selbst die abgezwungenen Versprechungen nicht bindend waren. Schang-hai aber, der dem Tod unter den Händen der Eingeborenen zu nahe gewesen, als daß er ihnen noch einmal hätte trauen mögen, und recht gut wußte, daß ihn auf den Verdacht hin, in dem er jetzt einmal unter den Sundanesen stand, alle Gesetze der Welt vor einem heimlichen Angriff nicht schützen konnten, zog es vor, mit einem kleinen Verlust seiner Güter sein gegebenes Versprechen zu halten. Ein anderer Chinese übernahm seinen Pacht und kaufte ihm auch sein Waarenlager ab, und am dritten Morgen – die Nächte hielt er sich in seinem Haus fest eingeschlossen, – verließ er unter einer erbetenen und erhaltenen Bedeckung malayischen, dort in der Nähe stationirten Militärs die Preanger Regentschaften, um in ihre Grenzen wahrscheinlich nie mehr zurückzukehren.

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