5.

Maono stand noch lange und lauschte in den Wald hinein. Es drängte ihn hinaus, um nachzusehen, ob er den grimmen Feind gefangen, und doch konnte er die Maid hier nicht allein zurücklassen. So verging die Nacht. Mehr aber befestigte sich auch dabei in ihm der einmal gefaßte Entschluß, die Geliebte nicht allein ziehen zu lassen, sondern mit ihr den fernen, nicht unter Holländischer Botmäßigkeit stehenden Inseln zuzufliehen.

„Und nun komm mein Lieb!“ sagte der junge Jäger, als das erste dämmernde Licht im Osten sichtbar wurde und rasch wachsend seinen grauen Silberschein in die düsteren Waldesschatten warf. Er band sich dabei sein Kopftuch fester um die langen schwarzen Haare, steckte seine Waffen in den Sarang, band etwas Reis in ein Tuch, das sich das Mädchen um die Schulter knüpfte, und mit den unter den Fuß geschnürten Sandalen trat er hinaus vor seine Thür, Laykas an der Hand. Erst freilich wollte er noch seine Gruben untersuchen, wenn er die gemachte Beute auch einem Andern überlassen mußte, und rasch schritt er jetzt den schmalen Pfad voran, der Stelle zu, von wo, wie er glaubte, das letzte wüthende Gebrüll herüber geschallt.

Es war dies eben die letzte Grube, die er gegraben, und schon von weitem, so viel es ihm das matte Licht des jungen Morgens zu sehen gestattete, erkannte er die eingebrochenen Zweige der Decke, das sichere Zeichen einer gefangenen Beute.

„Ich hab' ihn!“ flüsterte er halb zurückgewandt, mit blitzenden Augen seinem Mädchen zu „ich hab' ihn! – Da drinn wird er kauern scheu und tückisch und lauernd, die glutrothen Augen in Furcht und Haß zu mir aufgedreht, wenn ich die Decke hebe. Warte, Gesell, das soll meine letzte Arbeit hier im Lande sein, dir den Speer noch in den Leib zu werfen – dann mag er verbluten da unten, und die Geier sich sein Fleisch zu Neste tragen.“

Er bog sich nieder, den Hauptzweig der Decke von der Grube zurückzuwerfen, als Laykas schüchtern fragte:

„Und wird er nicht herausspringen können, wenn du die Decke wegnimmst?“

„Nicht von dort,“ lachte nun der junge Mann, „die Grube ist tief, und der Boden durch eingetriebene Stäbe in der Mitte der Art bedeckt, daß seine Hintertatzen nicht einmal einen festen Anhalt fassen können – siehst du dort?“ –

„Hülfe!“ tönte in demselben Augenblick eine Menschenstimme kläglich zu ihm herauf, „rettet mich!“

„Ein Menschentiger!“ schrie der Sundanese in jubelnder Luft emporspringend, „ich hab' ihn, ich hab' ihn! – Nun Laykas, gehn wir nicht fort, nun braucht Maono nicht zu fliehn, und wenn ich deinem Vater mit vollen Händen Geld in's Haus geschleppt, dann mag der alte tückische Chinese nur heimziehen nach seinem Zopf- und Opiumland.“

„Aber Maono,“ bat Laykas in Todesangst, „da unten in der Grube liegt ein Mensch.“

„Ein Mensch? – Ein Tiger ist's; ich hab' ihn selbst gesehn, seine funkelnden Augen, seine streifige Haut, seine fletschenden Zähne! – Er hat die Wurzel nicht, daß er sich wieder verwandeln kann. Da – sieh dort!“ rief er, während er die übergelegten Zweige mit der Hand bei Seite riß, „siehst du die lauernde, kauernde Gestalt? – Siehst du, wie er sich sprungfertig hinein in die Ecke, und doch das breite boshafte Gesicht scheu zu Boden drückt, weil er sich schämt im Sonnenscheine ertappt zu sein?“

„Hülfe!“ tönte da wieder leise und ängstlich, daß sie gehört würde, dicht unter ihnen eine Menschenstimme, und wie Maono, jetzt selber erschreckt, die ihm nächsten Zweige bei Seite riß, erkannte er in immer steigendem Erstaunen erst eine menschliche Gestalt, fest und ängstlich in eine Ecke gedrückt, die chinesische Tracht derselben, und jetzt, als sich das Antlitz des da unten in so furchtbarer Nachbarschaft kauernden langsam zu ihm aufdrehte, die scheuen, widerwärtigen Züge seines Nebenbuhlers.

„Schang-hai!“ jauchzte aber der junge Sundanese, als er seinen Verdacht in solcher Weise gerechtfertigt und bewiesen sah, ohne daran zu denken, dem also Gefangenen Hülfe zu leisten. „Hab' ich also recht gehabt? – Bist du mir auf die Lockspeise gesprungen und hast die Grube drunter nicht gemerkt? – Deine Wurzel hilft dir jetzt nichts mehr, ob du da unten auch noch so kläglich thust! Hat doch der ganze Kampong schon die langen Jahre Verdacht auf dich gehabt, und endlich, endlich halt' ich dich!“

„Schang-hai!“ stöhnte auch Laykas und barg, zusammenschaudernd vor dem furchtbaren Gedanken, daß sie dem Entsetzlichen hatte sollen zu eigen sein, ihr Antlitz in den Händen. Zu sehr theilte sie übrigens den Aberglauben ihres Volkes, um nicht aus vollem Herzen alles zu glauben, was an dunklen Gerüchten ihren Stamm durchlief. Und hätte der Mensch da unten in der Grube auch neben dem Tiger aushalten können, wäre er nicht seines Gleichen gewesen? – Nimmermehr! Das Raubthier würde ihn hundertmal zerrissen haben.

Wunderbar war es jetzt zu sehn, wie sich der Tiger in der Ecke der Grube vor dem hellen Sonnenstrahl, wie dem Laut der Menschenstimme immer mehr und mehr zusammendrückte, und während Maono in jubelnder Lust oben stand, den Triumph so glücklichen Fanges feiernd, erhob jetzt der unglückliche Chinese drunten mehr und mehr die Stimme und bat den Eingeborenen, ihn doch nur um Allahs Willen, wenn er seine Götter nicht anerkenne, aus seiner furchtbaren drohenden Lage zu befreien. Er versprach, ihn dabei zum reichen angesehenen Mann zu machen – versprach auf Laykas, deren Stimme er ebenfalls erkannt, zu verzichten – er hätte seine eigene Seligkeit verpfändet, wenn man es von ihm in diesem Augenblick verlangt, um nur von der entsetzlichen Todesgefahr befreit zu sein, nur seine Spanne Leben zu retten.

Eine ebenso große Gefahr drohte ihm aber in diesem Augenblick gerade von daher, von wo er Rettung erhoffte. Maono nämlich, in der festen Überzeugung, daß der gefangene Chinese wirklich ein Menschentiger sei, der nur, als er sich ertappt sah, seine menschliche Gestalt wieder angenommen, beschloß ohne Weiteres, die Gegend von diesem Ungeheuer zu befreien. Während der Chinese deshalb unten bat und flehte, befestigte Maono oben ganz ruhig und unbefangen die lange feste Leine am oberen Theil seiner Lanze, um diese nach dem Wurf wieder zurückziehen zu können, und trat dann an den Rand der Grube, die Waffe zum Todeswurf erhoben.

„Vorbereitung zum Tode,“ sagte er dabei ruhig, „brauchst du drunten wohl nicht, denn wer in Nacht und Finsterniß in solcher Verwandlung umherschleicht, weiß genau, was ihm bevorsteht, wenn man ihn endlich einmal ertappt. So nimm denn –“

„Halt ein – halt ein!“ schrie aber der Unglückliche, der die drohende Bewegung bemerkt, in Todesangst. „Ich schenke dir Hütte und Felder von Laykas' Vater, mit all den Thieren, die ihm zugehören. Ich schenke dir sechs meiner besten Büffel und die zwei großen Reisfelder, die hinter deinem neuen Hause liegen. – Ich schenke dir vier Säcke Deute außerdem und all die Arenpalmen, die auf dem Grundstück stehen, und du magst Laykas zur Frau nehmen, – aber wirf den Speer weg, um meines Lebens willen – wirf den Speer fort und reich' mir die Schnur herunter! Der Tiger dort in der Ecke wirft immer gierigere Blicke auf mich – ich bin verloren, wenn du mich nicht rettest.“

Maono warf nicht; diese ungeheuern Versprechungen, die ihm der Gefangene machte, brachten seinen Entschluß, ihn zu tödten und seinen Fangpreis dafür einzuziehen, doch zum Wanken. Er war damit reicher als er es je gehofft, und in der Gewalt behielt er den Chinesen ja noch immer.

„Und wirst du halten, was du da gelobt?“ fragte er zögernd.

„Rette mich, und ich gebe dir mehr, als ich dir versprochen,“ winselte der Unglückliche.

„Du willst ihn nicht tödten?“ fragte Laykas erstaunt, „wenn du ihn aufziehst, wird er seine Tigergestalt wieder annehmen und uns Beide vernichten.“

„Dagegen giebt es ein Mittel,“ lachte der junge Sundanese, indem er jetzt, von einem neuen Plan ergriffen und rasch entschlossen, die starke Schnur von der Lanze warf, während er dem Mädchen die Waffe reichte. „Da, Laykas,“ sprach er dabei, „nimm du den Speer und fass' ihn fest, indessen ich den Burschen in die Höhe ziehe. Bleibt er, was er ist, so werd' ich schon allein mit ihm fertig, denkt er aber zu seiner alten List zu greifen, so bald er sich im Freien weiß, siehst du das geringste Zeichen der gelben Streifen an den Seiten, der vorgestreckten Tatzen – dann stößt du ihm die Lanze bis ans Heft ins Herz, und mit meinem Khris schick' ich ihn rasch wieder in die Grube zurück. Und jetzt fass' an da unten!“ rief er, ohne sich weiter um den daneben liegenden Tiger zu bekümmern, dem Chinesen zu, indem er ihm die Leine niederwarf. „Schling' dir die Schnur um den Leib und ich ziehe dich herauf zu mir.“

Schang-hai befolgte mit zitternden Händen den gegebenen Befehl, scheu dabei den Blick fortwährend nach der kauernden, aber regungslosen Bestie gewandt. Stärker funkelten dabei die Augen des Tigers, als er seinen Mitgefangenen sich bewegen sah, fester drückte er sich zurück, auf die Hintertatzen zum Sprung zurückgebogen. Die tückischen Augen glänzten in einem grünen Feuer, die kurzen spitzen Ohren waren dicht an den Kopf zurückgelegt und die grimmen fletschenden blendendweißen Zähne zeigten sich in ihrer vollen furchtbaren Pracht. – Trotzdem wagte er den Sprung nicht und schien nur einen Angriff auf sich selber zu erwarten, dem er, so gerüstet, begegnen wollte.

Es war ein merkwürdiger Anblick, die Gruppe zu beobachten, die in diesem Augenblick oben an der Grube stand. Der Chinese, der sich die Schnur um den Leib geknüpft und mit Händen und Füßen, wenn auch noch immer scheu den Kopf nach der ihm nächsten Gefahr zurückdrehend, nachgeholfen, hatte eben mit den Händen den obern Rand erreicht. Maono lehnte, den linken Arm zum bessern Halt um eine schlanke dünne Arekapalme geschlagen, den Fuß gegen ihre Wurzel gestemmt, das Seil in der Hand dort und zog aus allen Kräften den schweren kleinen Chinesen aufwärts, und neben ihm, die gefällte Lanze zum Stoß bereit in der Hand, mit funkelnden und doch in ängstlicher Scheu blitzenden Augen, halb Muth, halb Furcht in den belebten Zügen, stand das wunderschöne Mädchen, nackt bis zum Gürtel, die schwarzen langen Locken ihre Schultern umflatternd, die Verwandlung des Ungeheuers mit jedem Augenblick erwartend.

Aber von dem armen kleinen Chinesen brauchten sie nichts zu fürchten, und kaum hatte er den obern Rand vollständig erreicht und sich in scheuer Angst einen Schritt davon hinweggeschleppt, als er, zum Tode erschöpft und von dem Entsetzen der letzten Stunden aufgerieben, bewußtlos neben der Grube zu Boden brach und es ruhig geschehen ließ, daß ihm der Sundanese Arme und Füße mit derselben Leine fest zusammenschnürte, an der er ihn heraufgezogen.

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