An demselben Abend wurde der Wagen nach der Mündung von Oakeycreek hinausgefahren, dort abgeladen, das Zelt aufgeschlagen, ein halber Hammel von dem Fleischer geholt, Holz herbeigeschafft und ein Platz für die Kessel hergerichtet, kurz, alles gethan, was nur nöthig war, das Lager und ihren künftigen Wohnort so behaglich als möglich zu machen. Beide Männer wollten sich auch nicht dem Fortlaufen vor dem Commissär preisgeben, und beschlossen schon am nächsten Morgen ihre Licenz auszunehmen.
Die Gegend, in der sie lagerten, war allerdings nicht viel besser als alle australischen Gegenden sind, deren monotoner Charakter den Wanderer mit der Zeit förmlich niederdrückt. Nichtsdestoweniger gab das rege Leben der rings umher Lagernden selbst den trostlosen Gumbäumen etwas Freundliches, und das Thal des Turon selber bot durch seinen schmalen Streifen dunkelschattiger Casuarinen doch wenigstens einige Abwechslung. Der Baumwuchs an den Bergen war übrigens spärlich; besonders schlecht zeigte es sich aber mit Gras für das Vieh bestellt, und der Alte von Bathurst, dessen Name Hall war, verkaufte auch schon zwei Tage später sein ganzes Geschirr, mit Ochsen und Wagen zu einem ziemlich mäßigen Preis, um nicht unaufhörliche Last und Mühe mit dem Vieh zu haben, und es am Ende doch noch zu verlieren.
Am nächsten Morgen zahlten sie ihre Licenz, suchten sich einen Platz aus und fingen an abzudecken; d. h. sie warfen die obere Erde ab, um zu dem mehr goldhaltigeren Grund dicht auf dem Felsen zu kommen. Indessen versuchten sie schon dann und wann einmal ein paar Pfannen voll, um zu sehen, ob sich schon Gold zeigte, und fanden auch fast in jeder ein paar Körnchen Gold, im Ganzen aber noch zu wenig, das Waschen zu lohnen. Hall, der früher einmal ein paar Monate in Californien gewesen war, meinte, das müsse ein sehr gutes Zeichen sein, daß sie Gold schon so hoch oben fänden, denn das hätten sie in Californien nur an den reichsten Stellen getroffen.
Der Sonnabend ging übrigens auch mit dieser Arbeit vorüber, ohne daß sie zum Waschen gekommen wären; sie hatten aber doch schon mit regem Fleiß ein sechs Fuß tiefes, stattliches Loch gegraben, und hofften am Montag auf die Golderde hinunter zu kommen.
Sie waren fast die letzten, die am Sonnabend ihre Arbeit verließen; denn die schon dort eingewohnten Miner hörten Sonnabend Nachmittags gewöhnlich früh auf, um ihre Provisionseinkäufe zu besorgen, und ihre Zelte ein wenig herzurichten. Die Sonne war eben im Begriff unterzugehen, als sie, ihr Werkzeug in ihrer Grube lassend, langsam heimschlenderten und sich über die verschiedenen Gruppen freuten, denen sie begegneten, oder die sie überall vor den Zelten sitzen sahen. Fast vor allen Zelten brannten und loderten tüchtige Feuer, und brodelnde Pfannen und überlaufende Theekessel und Quarttöpfe bezeugten den vortrefflichen Appetit der Goldwäscher. So weit sie sehen konnten, zählten sie fünfzehn Menschen zu gleicher Zeit, die, jeder mit einem halben Hammel auf dem Rücken, ihrer einstweiligen Heimat zuzogen. Unter einem halben Hammel schien hier gar niemand Fleisch zu kaufen, daß auch überdies billig genug war, und nur vier Pence das Pfund galt. Die Köpfe, und Herz und Leber wollte dabei noch nicht einmal Einer umsonst, und sie wurden meist alle, mit den Eingeweiden, in die Grube, oder vielmehr auf den Haufen neben der Schlachtbank geworfen.
In den Storen herrschte besonders reges Leben, von denen ein deutscher Jude, Austin, den bedeutendsten am Oakeycreek hatte, und sehr gute Geschäfte machte.
Jewell, sein Geschäftsführer – wahrscheinlich das etwas verdrehte Schmul – schien alle Hände voll zu thun zu haben und lief herüber und hinüber in seinem Zelt. Als Jack vorbeiging, versicherte er eben ein paar Käufern, was er schon alles für die Goldwäscher hier oben gethan habe, und wie er, für einen Freund, im Stande sei alles aufzuopfern. Er war dabei ausgezeichneter Laune und sang sogar den Tact zu den Hammerschlägen, mit denen er das Quarz aus den ihm zum Handel angebotenen Stückchen Gold herausschlug. Es war eine herrliche Schabbesfeier für ihn, denn er nahm ungemein viel Gold ein.
Halls Zelt stand gar nicht weit von Austins, nur etwas tiefer nach dem Fluß zu hinunter. Austins Zelt war das höchste nach den hier niedrigen und offenen Hügeln zu.
Es war unter der Zeit dunkel geworden und die Lagerfeuer leuchteten roth und glühend in die sonst stockfinstere Nacht hinaus. Ueberall von den Bergen funkelten sie herüber, hie und da einzeln, wie sich die Laune der Goldwäscher ihren Lagerplatz gesucht, hie und da in dichten leuchtenden Gruppen, wo irgend ein günstig gelegener Platz vielen Zelten zu gleicher Zeit Raum, Holz und Wasser gestattete. Muntere Lieder tönten dabei von manchen Orten her durch die stille Nacht, und Hundegebell und Viehgeblöck. Und die hellen Zelte standen weiß und schimmernd, hie und da von der flackernden Flamme grell beleuchtet, dazwischen, und dunkle Schatten glitten daran hin und wieder, und an manchen Stellen, wo das Abendbrod schon vorüber war, wurden trockene Stücke Holz aufgeworfen, daß die glühenden Funken blitzend zum dunklen klappernden Laub der Gumbäume emporstieben, und hoch in die Nacht hineinwirbelten.
Da wurde der stille Frieden dieses Abends plötzlich durch einen rauhen und wilden Lärm unterbrochen. Das Toben schallte aus Austins Zelt herüber, und Jewells Stimme, die noch vor kaum einer halben Stunde so fröhlich geklungen hatte, heulte und wehklagte:
»Weh mir, weh mir, ich bin ein geschlagener Mann – ich bin todt – ich bin todt!«
Jack war einer der ersten mit, die sich oben am Platz einfanden, zu sehen, was für ein Unglück vorgefallen wäre – die Sache wurde bald ruchbar. Irgend ein schlauer Dieb, wahrscheinlich mit anderen im Bunde, die Aufmerksamkeit der Verkäufer so lange im Innern zu fesseln, hatte hinten die Zeltwand aufgeschnitten und etwa 5 bis 600 Pfd. St. in Goldstaub, Silber und Banknoten entwendet; und dicht hinter dem Zelt lag der dunkle Hügel, über den hin der Dieb sich und seinen Raub wohl schon lange in Sicherheit gebracht.
Der arme Teufel von Jude raufte sich indessen die Haare, warf sich auf die Bündel wollener Decken nieder, die im Zelt lagen, und war in Verzweiflung – er hielt sich mit dem Verlust des Goldes, das er sich nichtsdestoweniger rasch genug verdient hatte, für rettungslos verloren.
An den Zelten wurden an diesem Abend, in der ganzen Nachbarschaft herum, nichts wie Diebesgeschichten erzählt, und Jack, der geglaubt hatte, daß dieser Platz hier oben ein Muster von Ehrlichkeit sei, erstaunte, von so vielen Einbrüchen und Diebstählen zu hören – er hatte das gar nicht für möglich gehalten. Er faßte auch den Entschluß, das nächstemal sein Werkzeug Abends mit nach Hause zu bringen, und lieber einen Stock mit einem Zettel in die Grube zu stellen.
Am nächsten Tag war Sonntag, und die Leute gingen alle gar sauber in rothen oder blauen Hemden und mit reingewaschenen Hosen und Filzhüten einher. Es herrschte ein ruhiger und stiller des Sabbaths würdiger Ton, und Hall meinte, es komme dies besonders daher, daß die Regierung keine einzige Licenz für den Branntweinverkauf in den Minen ausgegeben habe, und die Goldwäscher überhaupt einstimmig dagegen seien, daß spirituöse Getränke in die Berge hinaufgeschafft oder wenigstens verkauft würden. Oeffentliche Spieler wurden eben so wenig geduldet, jedenfalls ein Segen für die Minen, und ein paar, die den Versuch gemacht hatten, damit anzufangen, waren schnell eines besseren belehrt worden.
Es hatte sich aber auch sogar ein Geistlicher in diese unwirthbaren Berge hinaufgefunden, und schon früh am Morgen lief das Gerücht durch das Lager, daß um 11 Uhr offene Kirche gehalten werden sollte. Ein Zelt hatte man dazu freilich nicht, die Predigt mußte im Freien stattfinden. Eine sehr große Menschenzahl hatte sich gerade an der Stelle, wo gepredigt werden sollte, eingefunden, und der Prediger, eine lange dünne Gestalt, mit harten trockenen Gesichtszügen, überschaute mit einem zufriedenen Lächeln die gewiß nicht so zahlreich erwartete Schaar frommer Gläubiger, die herbeigeströmt waren, das Wort Gottes in der Wüste zu hören. Als er übrigens, nach etwa einer Viertelstunde, in der er allerdings vergebens gewartet hatte, daß die zu einer richtigen, eindrucksvollen Predigt nöthige Ruhe und Stille eintreten sollte, seine Predigt mit sehr lauter Stimme begann, die noch etwa Unruhigen darauf aufmerksam zu machen, daß von jetzt an der Prediger allein das Wort habe, trennte sich die ganze Schaar in zwei, sonst an Zahl aber sehr ungleiche Hauptmassen, von denen der Prediger leider das kleinste Häuflein um sich sah, und wenigstens drei Viertheile der übrigen nach Oakey-Point – ein paar hundert Schritte davon entfernt, zudrängten, wo gar rasch ein sicherlich sehr interessantes Schauspiel ihre Aufmerksamkeit so fesseln mußte, daß manchmal in der wogenden Menschenmasse Todtenstille herrschte, dann aber plötzlich wieder ein so tolles Jubelgeschrei ausbrach, daß der Prediger nicht einmal sein eigenes Wort, viel weniger die fromme Gemeinde die Predigt hören konnte.
An Oakey-Point fand nämlich ein Boxerkampf zwischen einem alten und jungen »Cove« statt, wie diese Leute in der australischen »Flash-« Sprache genannt werden; der Alte hatte längere Praxis und kaltes Blut, der Jüngere Stärke und Gewandtheit für sich, und der Kampf schien lange unentschieden zu bleiben – länger wenigstens als die Predigt dauerte, die zum Scandal der religiös Gesinnten ziemlich kurz abgeschnitten werden mußte.
Der Kampf bot indessen insofern weit mehr Interesse für die meisten, da ziemlich bedeutende Wetten eingegangen waren, und wer auch nicht selber mitgewettet hatte, sich doch sicher für den einen oder anderen der Wettenden so viel interessirte, daß er seine unmittelbare Gegenwart im innersten Ring für unumgänglich nöthig erachtete, und dadurch natürlich zur Vergrößerung des Lärmens und der Verwirrung sein möglichstes mit beitrug.
Der Sieg entschied sich endlich für den Jüngeren der beiden Kämpfer, der Alte wurde mit blau geschlagenen Augen und mit Blut bedeckt, fortgeschleppt, und die Polizeidiener, die während der ganzen Zeit mit zu den aufmerksamsten Zuschauern gehört hatten, machten jetzt, da die ganze Sache vorbei war, Miene, die beiden Kämpfer und einige der dabei am thätigsten gewesenen Personen zu arretiren. Die allgemeine Stimme war aber gegen sie, und sie hielten es wahrscheinlich für besser, am heiligen Sonntag, wo so schon Scandal genug gewesen war, nicht selber noch größeren anzufangen. Da doch nichts mehr zu sehen war, zogen sie ruhig ihrer Wege.
Der Scandal war aber mit dem Schluß des Hauptkampfes keineswegs beendet, sondern wucherte jetzt erst, da die Wetten eingefordert und bestritten wurden, nach allen Seiten hinaus, daß es ordentlich eine Lust und Freude war; dabei entwickelte sich eine Eigenschaft, die man hier oben gar nicht für möglich gehalten hätte, da scheinbar alle Mittel dazu fehlten sie hervorzurufen. Es zeigten sich nämlich, und je später es am Tage wurde desto häufiger, Betrunkene. Hie und da tauchten Flaschen auf, und wenn auch ein Uneingeweihter nirgends ein Local sehen oder finden konnte, wo derlei spirituöse Getränke öffentlich verkauft wurden, so mußten doch solche Plätze bestehen, und die »öffentliche« Meinung unterstützte sie »heimlich.«
Der Nachmittag brachte manche ärgerliche Scene, und Hall schwor, er hätte es in Californien, wo zwanzig Schenkzelte zu gleicher Zeit offen gewesen, nicht schlimmer und ärger gesehen.
Nachmittags hatte auch gepredigt werden sollen, daran war aber gar nicht zu denken.
Mitten in dem tollen Gewirr und Spectakel lief zu gleicher Zeit ein dumpfes Gerücht um, daß, gar nicht so weit entfernt, neue Minen entdeckt wären, die fabelhaft reichhaltig sein sollten. Niemand wußte noch irgend etwas Genaueres darüber anzugeben, nur das erzählte man sich, Hargreaves, der erste Entdecker der Bathurst-Minen, habe sie aufgefunden und das Gold liege dort in »Nuggets« an der Oberfläche.
Die Nacht goß es in Strömen von dem dicht und rabenschwarz überzogenen Himmel nieder. Wohl denen, die Zelte hatten, sie konnten sich in ihren trockenen warmen Decken nur etwas fester einrollen, und das Vorüberziehen des Unwetters abwarten. Wie mancher arme Wanderer mußte aber diese stürmische Nacht im Freien zubringen, und Kälte und Nässe nehmen, wie es ihn gerade überkam. Mancher verwünschte in der Nacht die Minen mit sammt dem Golde und, daß er beides im ganzen Leben nicht zu sehen bekommen hätte.