132. Goethe’s Mutter an Kestner und Lotte.

Frankfurt d. 23ten Octobr. 1788.

Lieber Herr Gevatter!

Vortreffliche Frau Gevatterin!

Kein Kaufmann kan über einen starken Wechsel der ihm presendtirt wird — und der den Grund seiner Casse erschüttert mehr erschrecken — als ich über Dero zweyten Brief. Erlauben Sie mir, daß ich meine Rechtvertigung Ihnen vorlegen darf — und ich erwarte von Ihrer Gerechtigkeit Liebe — meine völlige Loßsprechung. Bey empfang Ihres mir so erfreulichen Schreibens vom 17ten September war ich krank — mein Kopf war mir dumm und Mein Mund voller plassen — meine Zunge wie durchlöchert — welches alles große Schmertzen verursachte und mich zum Schreiben gantz unfähig machte. Noch in dieser fatalen periode kam Schlosser von Carlsruhe mit Weib und Kinder mich, die sie in 6 Jahren nicht gesehen hatten zu besuchen — Logirten in meinem Hauß — Sie meine Theuresten! Können Sich die Unruhe, das Visitten Leben leicht denken — Ich noch halb krank mußte alles mitbetreiben — da war nicht eine Minute Zeit an etwas zu gedenken — als Besuche — Gastereyen u.s.w. Kaum waren sie fort, so hatten wir die Weinleße — die denn auch Zeit wegnahm — Summa Summarium 10 gantze Wochen lebte ich in einem beständigen Wirr Warr — und mußte meinen Dank vor Dero gütiges Zutrauen freylich wieder meinen Willen aufschieben — Finden Sie diese Gründe nun hinreichend; so laßen Sie mich ein Wort des Friedens hören — Das wird mir Wohlthun, und mein Herz erfreuen. Wie sehr es mich gefreut hat Pattin von Lottens und Ihrer Tochter zu seyn können Sie kaum glauben — Gott erhalte Ihnen dieselbe — zu Ihrer Freude! Nun etwas Herrn Hans Buf betrefend — Wie Ihre liebe Frau hier war — so machte ich Ihr ein Geschenk von den 4 ersten Theilen von Goethens Schriften — einige Zeit hernach schrieben Sie mir — Daß Sie solche von meinem Sohn auch empfangen hätten — ich sollte also sagen (weil Sie keine doppelte Exemplare haben wollten) an Wen Sie solche geben sollten. Ich decitirte vor Herr Hans Buf — da ich Ihm nun den 5ten Theil vor einiger Zeit einhändigte — so sagte Er mir, daß Er die 4 ersten Theile noch nicht hätte — und bate mich Ihnen zu erinnern Ihm solche zuzuschicken. Mein Sohn ist nun wieder aus Italien zurück, und befindet sich vergnügt und wohl. Die Frau Bethmann hat gestern an Ihnen geschrieben — Sie war auch krank. Leben Sie wohl!

Grüßen und küßen vor allen meinen lieben Eduart — von derjenigen die unveränderlich ist

Meines lieben Herrn Gevatters und Frau Gevatterin

treue wahre Freundin

Elisabetha Goethe.

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