87. Goethe an Lotte.

(Frankfurt den 31. Oct. 1773)

Ich weis nicht liebe Lotte ob meine Muthmasung Grund hat, dass Sie in kurzem ein Negligee brauchen werden, wenigstens kommt mirs so vor. Und da ich über diesen wichtigen Punct nachdachte, sprach ich zu mir selbst: Sie geht gerne weis, alles Nesseltuch ist verbannt im Winter, außer gesteppt und da sieht sie zu altmütterlich drinn aus &c. hierüber trat die vorsichtige Göttin der Mode zu mir und überreichte mir beykommendes Zeug, das ausser der Dauer alle Qualitäten hat. Es ist Nesseltuch, hat also alle dessen Tugenden, die Atlassstreifen machen es zur Wintertracht; kurz und gut, zum Schneider mit, dass der aber fein säuberlich verfahre. NB es darf mit keiner andern Farbe als weis gefüttert werden, die ich gesehen habe, hatten weis Leinwand drunter. Das Stück gibt iust ein Negligee, über Poschen.

Zugleich überschicke auch, die hinterlassene Läppchen des blau und weisen Nachtiäckchens, und bitte über die neu angekommene Vornehme Freundschafft die alte treue nicht zu vergessen.

Adieu liebe Lotte grüssen Sie mir das Männgen, erinnern Sie sich der alten Zeit wie ich.

Frankfurt am 31. Octbr. 1773. als am Tage Wolfgang — — —

Goethe.

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