I.[129]

Franckfurt am 6. Nov. 1768.

Mamsell,

So launisch, wie ein Kind das zahnt;

Bald schüchtern, wie ein Kaufmann den man mahnt,

Bald still, wie ein Hypochondrist,

Und sittig, wie ein Mennonist,

Und folgsam, wie ein gutes Lamm;

Bald lustig, wie ein Bräutigam,

Leb' ich, und binn halb kranck und halb gesund,

Am ganzen Leibe wohl, nur in dem Halse wund;

Sehr missvergnügt, dass meine Lunge

Nicht so viel Ahtem reicht, als meine Zunge

Zu manchen Zeiten braucht, wenn sie mit Stolz erzählt,

Was ich bey Euch gehabt, und was mir jetzt hier fehlt.

Da sucht man nun mit Macht mir neues Leben,

Und neuen Muht und neue Krafft zu geben;

Drum reichet mir mein Docktor Medicinä

Extrackte aus der Cortex Chinä,

Die jungen Herrn erschlaffte Nerven

An Augen, Fus und Hand,

Auf's neue stärcken den Verstand,

Und das Gedächtniss schärfen.

Besonders ist er drauf bedacht,

Durch Ordnung wieder einzubringen,

Was Unordnung so schlimm gemacht,

Und heisst mich meinen Willen zwingen.

Bey Tag, und sonderlich bey Nacht,

Nur an nichts reitzendes gedacht!

Welch ein Befehl für einen Zeichnergeist,

Den jeder Reitz bis zum Entzücken reisst.

Des Bouchers Mädgen nimmt er mir

Aus meiner Stube, hängt dafür

Mir eine abgelebte Frau,

Mit riesigem Gesicht, mit halbzerbrochnem Zahne,

Vom fleissig kalten Gerhard Dow

An meine Wand, langweilige Tisane

Setzt er mir statt des Weins dazu.

O sage Du,

Kann man was traurigers erfahren?

Am Körper alt, und jung an Jahren,

Halb siech, und halb gesund zu seyn?

Das giebt so melanchol'sche Laune,

Und ihre Pein

Würd' ich nicht los, und hätt' ich sechs Alraune.

Was nützte mir der ganzen Erde Geld?

Kein krancker Mensch geniesst die Welt.

Und dennoch wollt' ich gar nicht klagen,

Denn ich binn schon im Leiden sehr geübt;

Hätt' ich nur das, was uns die Plagen,

Die Last der Kranckheit zu ertragen,

Mehr Krafft als selbst die Tugend giebt.

Verkürzung grauer Regenstunden,

Balsam'sches Pflaster aller Wunden,

Gesellschafftsgeister die man liebt.

Zwar hab ich hier an meiner Seite

Beständig rechte gute Leute,

Die mit mir leiden, wenn ich leide,

Sie sorgen mir für manche Freude,

Es fehlt mir nur an mir, um recht beglückt zu seyn.

Und dennoch kenn' ich niemand, der die Pein

Des Schmerzens, so behende stillt, die Ruh

Mit Einem Blick der Seele schenckt, wie Du.

Ich kam zu Dir, ein Todter aus dem Grabe,

Den bald ein zweyter Todt zum zweytenmal begräbt;

Und wem er nur einmal recht nah um's Haupt geschwebt,

Der bebt

Bey der Erinnerung, gewiss so lang er lebt.

Ich weiss wie ich gezittert habe;

Doch machtest Du mit Deiner süssen Gabe,

Ein Blumenbeet mir aus dem Grabe;

Erzähltest mir wie schön, wie kummerfrey,

Wie gut, wie süss Dein seelig Leben sey,

Mit einem Ton von solcher Schmeicheley,

Dass ich, was mir das Elend jemals raubte,

Weil Du's besas'st selbst zu besitzen glaubte.

Zufrieden reisst ich fort, und was noch mehr ist, froh,

Und ganz war meine Reise so.

Ich kam hierher, und fand das Frauenzimmer

Ein bissgen — ja man sagt's nicht gern — wie immer,

Gnug bis hierher hat keine mich gerührt.[130]

Zwar sag ich nicht was einst Herr Schübler[131]

Von Hamburgs Schönen prädicirt,

Doch binn ich auch ein starcker Grübler,

Seitdem Ihr Mädgen mich verführt,

Die ich wohl schwerlich je vergesse;

Und da begreiffst Du wohl, dass jede leicht verliert,

Die ich nach Eurem Maasstab messe.

Du lieber Gott! an Munterkeit ist hie

An Einsicht, und an Witz Dir keine einz'ge gleich,

Und Deiner Stimme Harmonie

Wie käme die heraus in's Reich.

So ein Gespräch, wie unsers war, im Garten,

Und in der Loge noch, mit diesem seltnen Zug,

So aufgeweckt, und doch so klug,

Ja, darauf kann ich warten.

Binn ich bey Mädgen launisch froh;

So sehn sie sittenrichtrisch sträflich,

Da heisst's: der Herr ist wohl aus Bergamo?

Sie sagen's nicht einmal so höflich.

Zeigt man Verstand, so ist das auch nicht recht.

Denn will sich einer nicht bequemen

Des Grandisons ergebner Knecht

Zu seyn, und alles blindlings anzunehmen

Was der Dicktator spricht,

Den lacht man aus, den hört man nicht.

Wie seyd Ihr nicht so gut, so Euch zu bessern willig,

Auf eigne Fehler streng, und gegen fremde billig,

Und zum Gefallen ohnbemüht,

Ist niemand den Ihr nicht gewönnet.

Ah, man ist Euer Freund, so wenig man Euch kennet,

Man liebt Euch, eh man's sich versieht;

Mit einem Mädgen hier zu Lande,

Ist's aber ein langweilig Spiel,

Zur Freundschafft fehlt's ihr am Verstande,

Zur Liebe fehlt's ihr am Gefühl.

Drauf ging ich ganz gewiss, hätt ich nicht so viel Laune,

Bräch' ich mir nicht gar manche Lust vom Zaune,

Lacht ich nicht da wo keine Seele lacht.

Und dächt ich nicht, dass Ihr schon offt an mich gedacht.

Ja, dencken müsst Ihr offt an mich, das sage

Ich Euch, besonders an dem Tage

Wenn Ihr auf Euerm Landgut[132] seyd,

Dem Ort der mir so manche Plage

Gemacht, dem Ort der mich so sehr erfreut.

Doch Du verstehst mich nicht, ich will es Dir erklären,

Ich weiss doch Du verzeihst es mir.

Die Lieder die ich dir gegeben, die gehören

Als wahres Eigentuhm dem schönen Ort und Dir.

Wenn mich mein böses Mädgen plagte,

Wenn der Verdruss mich aus den Mauern jagte,

War ich verwegen gnug, und wagte

Dich aufzusuchen eh es tagte,

Auf Deinen Feldern die Du liebst,

Die Du mir offt so schön beschriebst.

Da ging ich nun in Deinem Paradiese,

In jedem Holz, auf jeder Wiese,

Am Fluss, am Bach, das hoffende Gesicht

Vom Morgenstrahl geschminckt, und sucht' und fand Dich nicht.

Dann schlug ich, angereitzt von launischem Verdrusse,

Den armen Frosch, am sonnbestrahlten Flusse,

Dann jagt' ich ringsumher, und fing

Bald einen Reim bald einen Schmetterling.

Und mancher Reim, und mancher Schmetterling

Entging

Der ausgestreckten Hand, die mitten

In ihrem Haschen stille stand,

Wenn aus dem Wald, von Stimmen oder Tritten

Den Schall, mein lauschend Ohr empfand.

Am Tage sang ich diese Lieder,

Am Abend ging ich wieder heim,

Nahm meine Feder, schrieb sie nieder

Den guten und den schlechten Reim.

Offt kehrt ich noch mit immer schlechterm Glücke

Auf die fatale Flur zurücke,

Biss mir zuletzt das günstige Geschicke

Noch einen Tag den ich nicht hoffte gab.

Doch ich genoss sie kaum die süssen letzten Stunden,

Sie waren gar zu nah am Grab.

Ich sage nicht was ich empfunden,

Denn mein prosaisches Gedicht

Stimmt diesesmal sehr zur Empfindung nicht.

Du hast die Lieder nun, und zur Belohnung

Für alles was ich für Dich litt,

Besuchst Du Deine seelge Wohnung;

So nimm sie mit;

Und sing sie manchmal an den Orten

Mit Lust wo ich aus Schmerz sie sang,

Dann denck an mich, und sage: dorten

Am Flusse wartete er lang,

Der Arme der so offt mit ungewognem Glücke

Die schönen Felder fühllos sah!

Käm er in diesem Augenblicke,

Eh nun, jetzt wär' ich da.

Jetzt, dächt ich nun, war's hohe Zeit zum Schliessen,

Denn wenn man so zwey Bogen[133] Reime schreibt,

Da wollen sie zuletzt nicht fliessen.

Doch warte nur wenn mich die Laune treibt,

Und Deine Gunst mir sonst versichert bleibt,

So schreib ich Dir noch manchen Brief wie diesen.

Willst Du mir die Geschwister grüssen,

So schliesse Richtern[134] auch mit ein.

Leb wohl! Und wird das Glück Dein Freund beständig seyn

Wie ich; so wirst Du steets des schönsten Glücks geniessen.

Goethe.

[129] Gedruckt in Goethes Werken VI. S. 56 ff. (1840) mit wenigen nicht bedeutenden Abweichungen, hier genau nach dem Original.

[130] Horn schreibt auch nach seiner Rückkehr nach Frankfurt: „Hier im Reiche ist es gar nicht auszuhalten, die Leute sind so stipide, als man es sich nur vorstellen kann. Manchmal muß ich drüber lachen, aber öfters ärgere ich mich darüber. — Die Mädchen! o die sind hier ganz unerträglich! sehr stoltz und ohne allen Menschenverstand. Ich mögte rasend werden, wenn ich an Leipzig gedencke. Nicht eine ist fähig eine discours zu führen, als etwa vom Wetter, oder von einer neumodischen Haube.“

[131] Daniel Schiebeler aus Hamburg hielt sich von 1765 bis 1768 in Leipzig auf, und beschäftigte sich mit Musik und Dichtkunst. Seine auserlesenen Gedichte gab Eschenburg heraus (Hamburg 1773). Goethe erwähnt ihn (Werke XXI. S. 138) und daß sein Singspiel „Lisuard und Dariolette“ von ihm und seinen Freunden begünstigt ward. Wie es scheint gehörte auch er dem Oeserschen Kreise an. Hier ist auf den Schluß seines Gedichtes „Pygmalion“ angespielt:

„Wenn stets dich zu erhöhen

Mein Herz, Gott Amor, eifrig war;

So fleuch itzt auf mein Flehen

Zur Stadt, die mich gebar.

Statüen wirst Du finden,

So schöne macht ein Künstler nie.

O Vater vom Empfinden!

Hauch zu! so leben sie.“

[132] In Dölitz, eine gute Stunde von Leipzig.

[133] Es sind wirklich zwei Briefbogen, sehr fest und sauber geschrieben.

[134] Den bereits oben genannten Obergeleitseinnehmer Richter.

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