Franckfurt, am 24 Nov. 1768.
Hochgeehrtester Herr Professor,
Junge, geht Morgen ab, sollte ich diese Gelegenheit versäumen, an Sie zu schreiben? Ich beneide alle Welt, die nach Sachsen geht, und meine Briefe dazu; und doch ist meine Correspondenz nach Sachsen, jetzt fast das einzige, daran ich ein würckliches Vergnügen finde.
Sie werden Sich verwundern, was Ihr Tischer für Kostbaarkeiten mitbringt; wir haben uns alle gefreut, dass seine Reise, die Kranckheit ausgenommen, so glücklich gewesen ist, und hoffen, dass seine Rückreise bey dieser schlimmen Jahrszeit, so gut gehen wird, als es wahrscheinlich ist.
Wäre der Weeg nach Leipzig, nur nicht gar so schlimm, und gar so lang; ich wollte Sie einmal recht unvermuhtet überfallen. Denn Ich habe Ihnen gar zu viel zu sagen. Sie wissen ich hatte immer einen hübschen Fond von Reflecktiohnen die ich Ihnen meistenteils vortrug, freylich gingen sie manchmal etwas queer, nun, da belehrten Sie mich eines bessern; aber es giebt tausend Dinge, die man ohne Bedencken sagt, die man aber groses Bedencken trägt zu schreiben.
Meine Gedancken über den Idris, und den Brief an Riedeln,[111] über den Ugolino, über Weissens Grosmuht für Grosmuht, über die Abhandlung von Kupferstichen, aus dem Englischen,[112] sind zwar zum erzälen ganz erträglich, zum Schreiben noch lange nicht ordentlich, nicht richtig genug.
Die Cabinette hier, sind zwar klein, dafür sind sie häufig und ausgesucht, mein gröstes Vergnügen ist, mich recht darinne umzusehen. Es ist gut dass Sie mich gelehrt haben, wie man sich umsieht.
Sonst leide ich viel der Kunst wegen; mein Glück, dass ich schon gewohnt binn, um meiner Freunde willen zu leiden. Apostel, Propheten und Poeten, schätzt man selten in ihrem Vaterlande, und noch seltner zu der Zeit, da man sie alle Tage sehn kann; und doch kann ich mich nicht enthalten den guten Geschmack zu predigen; richtet man gleich nicht viel aus, so lernt man doch immer dabey, und sollte man auch nur bey der Gelegenheit erfahren, dass weit ausgebreitete Gelehrsamkeit, tiefdenckende spitzfündige Weisheit, fliegender Witz und gründliche Schulwissenschafften, mit dem Guten Geschmacke, sehr heterogen sind.
Das Frauenzimmer liebt sich hier sehr das erstaunliche, vom schönen, naiven, komischen halten sie weniger. Desswegen sind alle Meerwunder: Grandison, Eugenie,[113] der Galeerensclave,[114] und wie die ganze fantastische Famielie heisst, hier im grossen Ansehn. Von der Wilhelmine, die doch dem Himmel sey Danck, dreymal aufgelegt ist,[115] habe ich trutz aller Nachfrage in keiner Damenbibliotheck Ein Exemplar auftreiben können. Nächstens ein mehreres von diesen betrübten Umständen.
Wenn der Rothstein und die schwarze Kreide gut sind, so steht Ihnen mehr zu Diensten. Empfelen Sie mich gütig, Ihrer Frau Gemalinn, und der ganzen Famielie; wie auch meinen Gönnern und Freunden, denen Herren Creuchauf, Weisse, Clodius Hubert, v. Hartenberg, Cravinus, Gröning, namentlich. Meine Eltern empfelen sich Ihnen. Und ich binn, mit der zärtlichsten Hochachtung,
Ihr
ergebenster Schüler
und Diener,
Goethe.
[111] Wielands Brief an Riedel war der ersten Ausgabe von Idris und Zenide (1767) vorgedruckt.
[112] An essay upon prints. Lond. 1768. 8.
[113] Eine Übersetzung der Eugenie von Beaumarchais (Paris 1767) erschien Leipzig 1768; vgl. Werke XXII. S. 147.
[114] Der Galeerensclave (Leipz. 1768) war eine Übersetzung von L'honnête criminel von Fenouillot de Falbaire (Par. 1766). Lessing dachte einmal an eine Bearbeitung desselben Stoffs, „denn er war mit dem französischen Stücke davon nicht zufrieden, soviel auch deren deutsche Vorstellung damals Beifall erhielt.“ Lessings theatr. Nachlaß I. S. XLVII.
[115] Thümmels Wilhelmine war in Leipzig 1764, 1766, 1768 erschienen; vgl. Werke XXII. S. 148.