XXXII.

Ew. Wohlgeboren

herzlicher, aus freier Brust geschriebener Brief, hat mir große Freude gemacht.[258] Ich hatte freilich auf Sie gezählt, daß Sie aber so schnell, augenblicklich, unmittelbar sich äusern, dafür weiß ich Ihnen den größten Danck. Freund Meyer, dessen Um- und Übersicht alter und neuer Zeit, Sie in dem kühnen Aufsatze[259] nicht verkennen werden, trägt mit mir diese Gesinnungen schon viele Jahre auf dem Herzen, und es schien gerade der rechte Augenblick, wo das Absurde sich selbst überbietet, wo alle ächte Gleichzeitigen, besonders die Väter und Pfleger talentvoller, durch diesen Zeitwahnsinn verrückter Söhne, in Verzweiflung sind, mit historischem, billigem, das Talent würdigendem die Abweichung scharf bezeichnendem Vortrag aufzutreten. Tausend und aber Tausend Wohldenkende, werden sich gewiß schnell versammeln, der reine Menschen- und Kunstverstand wird laut werden, und wir kommen auch denen zu statten, die jetzt wider Willen dem Strohm in den sie sich eingelassen haben gehorchen.

Von dem Überschwenglichen der Tollheit wie Sie es mir schildern, hatten Wir freilich noch keinen Begrif, da Wir aber, es entstehe daraus was wolle, immer auf diesen Fleck zu schlagen gedenken, so haben Sie die Gefälligkeit, mich von Zeit zu Zeit von dem Besondern zu unterrichten. Wir mögten, wie auch schon in dem ersten Aufsatz geschehen, das talentvolle Individuum schonen und fördern, wie Sie auch thun und gethan haben, aber auf die falschen, kranckhaften und im tiefsten Grunde heuchlerischen Maximen, derb und unerbittlich loßgehen, und, wie sie ganz richtig anrathen und verlangen, dasjenige immer und dümmer[260] wiederholen, was würcken soll. Das nächste dritte Heft wird nicht allein in diesem Fache, sondern auch in andern aufrichtig seyn.

Haben Sie die Güte mir alles anzuzeigen, was Sie von Persönlichkeiten und Individualitäten wissen, ich mache keinen Gebrauch davon, ehe ich Ihnen die Redaction vorgelegt habe. Es ist eine Gewissenssache mit der wir zusammen würcken müssen. Die Masse ist breit, aber schwach, und ich denke ihnen noch, von ein paar andern Seiten in die Flancke zu fallen.

Hievon nur diese Andeutung! Wie erfreulich ist mir, der reine, freie Ausdruck Ihres Briefes, auch nur als Sprachäusserung betrachtet, und zu welchen ekelhaften, befremdeten[260] Narrheiten, wollen uns die Deutschen Männer zwingen! auch gegen die werden wir auftreten, und welche wackere junge Theilnehmende wir für unsere Überzeugung hoffen können, davon zeugt beiliegendes Heftchen.

Kennen Sie schon den Aufsatz? so ist es Ihnen wohl angenehm ihn zu besitzen, und Freunden mitzutheilen. Man muß jetzt auch Parthei machen das Vernünftige zu erhalten, da die Unvernunft so kräftig zu Wercke geht. Lassen Sie uns bedenken, daß wir dies Jahr das Reformationsfest feiern, und daß wir unsern Luther nicht höher ehren können, als wenn wir dasjenige was wir für Recht, der Nation und dem Zeitalter ersprießlich halten, mit Ernst und Kraft, und wäre es auch mit einiger Gefahr verknüpft, öffentlich aussprechen, und wie Sie ganz richtig urgiren, öfters wiederholen.

Das mir geneigt gespendete Bild, gewährt mir immer viel Freude. Aus einem Kunstwerk, das wahrhaft gut ist, läßt sich viel heraussehen, und was es anregt ist immer unendlich.

Ich weiß nicht ob ich schon gemeldet habe, daß meine Vorliebe fürs Sechszehende Jahrhundert mich auch verleitet hat, eine ansehnliche Sammlung Majolika aus Nürnberg mir eigen zu machen,[261] welche, glücklich angekommen, einen vergnüglichen Anblick geben, dabey aber auch aussagen, daß dergleichen subalterne Kunstwerke nur in Masse können beurtheilt werden, wo sowohl ihre Vorzüge als ihre Mängel zur Schau stehen. Finden Sie, um billige Preise, von dieser Art in Leipzig, so erzeigen Sie mir den Gefallen davon Notiz zu geben.

Die Abdrücke der Sammlung geschnittener Steine sende in diesen Tagen zurück. Zu jenem ersten Vorschlag bewog mich die Meynung[262] es sei eine Sammlung Cameen, die zu Schmuck, Putz und Modezwecken, für Kenner und Nichtkenner brauchbar sind. Mit Intaglios will man siegeln, und da möchte man interessante beliebte Personen, deren sich, besonders für die neue Denkweise, unter der Folge römischer Kaiser wohl wenige finden möchten.

Den Abdruck eines Titelblatts sende hiebey, vielleicht bald nach Johanni das Heft selbst.[263] Meinen längern Aufenthalt in Jena, benutze, da ich gerade nicht Lust zu frischem Thun empfinde, zum Wiederabdruck älterer, auf Natur sich beziehende Schriften. Zu Sichtung und Redaction aufgehäufter Manuscripte. Bey dieser Gelegenheit erscheint, beinahe zum Entsetzen, wie wir von den disparatesten Gegenständen afficirt, aufgeregt, hingerissen werden können. Hiedurch nun, werde ich genöthigt mancherley Stückwercke mit Lebensereignißen in Verbindung zu bringen, damit das Ganze nicht allzu verworren und seltsam aussehe. Und gerade diese Mittelglieder sind es die ich Ihrem Antheil empfehlen möchte. Lassen Sie zunächst unsere wechselseitige Unterhaltung auf das lebhafteste würken, es giebt Epochen, wo es räthlich ja unvermeidlich ist das Eisen gemeinschaftlich zu schmieden.

Mit vielem Antheil und Vergnügen höre ich, daß Sie Konnewitz[264] wieder hergestellt, und sich und den Ihrigen einen angenehmen Aufenthalt bereitet haben. Ich mußte mehrmals meine Existenz aus ethischem Schutt und Trümmern wieder herstellen, ja Tag täglich begegnen uns Umstände, wo die Bildungskraft unserer Natur, zu neuen Restaurations-Reproductions-Geschäften aufgefordert wird, helfe der Geist nach, so lange es gehen will.

Hier also ein Abschluß weil doch einmal zu schließen ist. Baldige Erwiederung hoffend

Jena
den 1. Juny
1817.

ergebenst
Goethe

[258] Goethe theilte Rochlitz's Brief sogleich H. Meyer mit. Riemer Briefe von und an Goethe. S. 108 ff.

[259] Kunst und Alterthum I. 2. S. 7 ff.: „Neudeutsche, religiös-patriotische Kunst.“

[260] Kein Druckfehler, aber gewiß ein Schreibfehler.

[261] Vgl. Werke XXVII. S. 332.

[262] Vgl. S. 329.

[263] Zur Naturwissenschaft überhaupt, von Goethe. Erster Band. Stuttg. u. Tüb. 1817.

[264] Ein Dorf, eine Stunde von Leipzig, wo Rochlitz ein Landhaus besaß.

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