Fünfter Auftritt.

  Iphigenie (allein).

  Ich muß ihm folgen: denn die Meinigen

  Seh' ich in dringender Gefahr. Doch ach!

  Mein eigen Schicksal macht mir bang und bänger.

  O soll ich nicht die stille Hoffnung retten,

  Die in der Einsamkeit ich schön genährt?

  Soll dieser Fluch denn ewig walten? Soll

  Nie dieß Geschlecht mit einem neuen Segen

  Sich wieder heben?—Nimmt doch alles ab!

  Das beste Glück, des Lebens schönste Kraft

  Ermattet endlich, warum nicht der Fluch?

  So hofft' ich denn vergebens, hier verwahrt,

  Von meines Hauses Schicksal abgeschieden,

  Dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen

  Die schwer befleckte Wohnung zu entsühnen!

  Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder

  Vom grimm'gen Übel wundervoll und schnell

  Geheilt, kaum naht ein lang erflehtes Schiff,

  Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten,

  So legt die taube Noth ein doppelt Laster

  Mit ehrner Hand mir auf: das heilige

  Mir anvertraute, viel verehrte Bild

  Zu rauben und den Mann zu hintergehn,

  Dem ich mein Leben und mein Schicksal danke.

  O daß in meinem Busen nicht zuletzt

  Ein Widerwille keime! der Titanen

  Der alten Götter tiefer Haß auf euch,

  Olympier, nicht auch die zarte Brust

  Mit Geierklauen fasse! Rettet mich

  Und rettet euer Bild in meiner Seele!

  Vor meinen Ohren tönt das alte Lied—

  Vergessen hatt' ich's und vergaß es gern—

  Das Lied der Parzen, das sie grausend sangen,

  Als Tantalus vom goldnen Stuhle fiel:

  Sie litten mit dem edeln Freunde; grimmig

  War ihre Brust, und furchtbar ihr Gesang.

  In unsrer Jugend sang's die Amme mir

  Und den Geschwistern vor, ich merkt es wohl.

    Es fürchte die Götter

    Das Menschengeschlecht!

    Sie halten die Herrschaft

    In ewigen Händen,

    Und können sie brauchen

    Wie's ihnen gefällt.

    Der fürchte sie doppelt,

    Den je sie erheben!

    Auf Klippen und Wolken

    Sind Stühle bereitet

    Um goldene Tische.

    Erhebet ein Zwist sich:

    So stürzen die Gäste

    Geschmäht und geschändet

    In nächtliche Tiefen,

    Und harren vergebens,

    Im Finstern gebunden,

    Gerechten Gerichtes.

    Sie aber, sie bleiben

    In ewigen Festen

    An goldenen Tischen.

    Sie schreiten vom Berge

    Zu Bergen hinüber:

    Aus Schlünden der Tiefe

    Dampft ihnen der Athem

    Erstickter Titanen,

    Gleich Opfergerüchen,

    Ein leichtes Gewölke.

    Es wenden die Herrscher

    Ihr segnendes Auge

    Von ganzen Geschlechtern,

    Und meiden, im Enkel

    Die ehmals geliebten

    Still redenden Züge

    Des Ahnherrn zu sehn.

    So sangen die Parzen;

    Es horcht der Verbannte

    In nächtlichen Höhlen

    Der Alte die Lieder,

    Denkt Kinder und Enkel

    Und schüttelt das Haupt.

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