Vierter Auftritt.

Iphigenie. Pylades.

  Pylades.

  Wo ist sie? daß ich ihr mit schnellen Worten

  Die frohe Botschaft unsrer Rettung bringe!

  Iphigenie.

  Du siehst mich hier voll Sorgen und Erwartung

  Des sichern Trostes, den du mir versprichst.

  Pylades.

  Dein Bruder ist geheilt! Den Felsenboden

  Des ungeweihten Ufers und den Sand

  Betraten wir mit fröhlichen Gesprächen;

  Der Hain blieb hinter uns, wir merkten's nicht.

  Und herrlicher und immer herrlicher

  Umloderte der Jugend schöne Flamme

  Sein lockig Haupt; sein volles Auge glühte

  Von Muth und Hoffnung, und sein freies Herz

  Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust,

  Dich, seine Retterin, und mich zu retten.

  Iphigenie.

  Gesegnet seist du, und es möge nie

  Von deiner Lippe, die so Gutes sprach,

  Der Ton des Leidens und der Klage tönen!

  Pylades.

  Ich bringe mehr als das; denn schön begleitet,

  Gleich einem Fürsten, pflegt das Glück zu nahn.

  Auch die Gefährten haben wir gefunden.

  In einer Felsenbucht verbargen sie

  Das Schiff und saßen traurig und erwartend.

  Sie sahen deinen Bruder, und es regten

  Sich alle jauchzend, und sie baten dringend

  Der Abfahrt Stunde zu beschleunigen.

  Es sehnet jede Faust sich nach dem Ruder,

  Und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd,

  Von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen.

  Drum laß uns eilen, führe mich zum Tempel,

  Laß mich das Heiligthum betreten, laß

  Mich unsrer Wünsche Ziel verehrend fassen.

  Ich bin allein genug, der Göttin Bild

  Auf wohl geübten Schultern wegzutragen;

  Wie sehn' ich mich nach der erwünschten Last!

  (Er geht gegen den Tempel unter den letzten Worten,

  ohne zu bemerken, daß Iphigenie nicht folgt; endlich

  kehrt er sich um.)

  Du stehst und zauderst—Sage mir—Du schweigst!

  Du scheinst verworren! Widersetzet sich

  Ein neues Unheil unserm Glück? Sag' an!

  Hast du dem Könige das kluge Wort

  Vermelden lassen, das wir abgeredet?

  Iphigenie.

  Ich habe, theurer Mann; doch wirst du schelten.

  Ein schweigender Verweis war mir dein Anblick.

  Des Königs Bote kam, und wie du es

  Mir in den Mund gelegt, so sagt' ich's ihm.

  Er schien zu staunen, und verlangte dringend

  Die seltne Feier erst dem Könige

  Zu melden, seinen Willen zu vernehmen;

  Und nun erwart' ich seine Wiederkehr.

  Pylades.

  Weh uns! Erneuert schwebt nun die Gefahr

  Um unsre Schläfe! Warum hast du nicht

  In's Priesterrecht dich weislich eingehüllt?

  Iphigenie.

  Als eine Hülle hab' ich's nie gebraucht.

  Pylades.

  So wirst du, reine Seele, dich und uns

  Zu Grunde richten. Warum dacht' ich nicht

  Auf diesen Fall voraus, und lehrte dich

  Auch dieser Fordrung auszuweichen!

  Iphigenie.

                                      Schilt

  Nur mich, die Schuld ist mein, ich fühl' es wohl;

  Doch konnt' ich anders nicht dem Mann begegnen,

  Der mit Vernunft und Ernst von mir verlangte,

  Was ihm mein Herz als Recht gestehen mußte.

  Pylades.

  Gefährlicher zieht sich's zusammen; doch auch so

  Laß uns nicht zagen, oder unbesonnen

  Und übereilt uns selbst verrathen. Ruhig

  Erwarte du die Wiederkunft des Boten,

  Und dann steh fest, er bringe was er will:

  Denn solcher Weihung Feier anzuordnen

  Gehört der Priesterin und nicht dem König.

  Und fordert er den fremden Mann zu sehn,

  Der von dem Wahnsinn schwer belastet ist;

  So lehn' es ab, als hieltest du uns beide

  Im Tempel wohl verwahrt. So schaff' uns Luft,

  Daß wir auf's eiligste, den heil'gen Schatz

  Dem rauh unwürd'gen Volk entwendend, fliehn.

  Die besten Zeichen sendet uns Apoll,

  Und, eh' wir die Bedingung fromm erfüllen,

  Erfüllt er göttlich sein Versprechen schon.

  Orest ist frei, geheilt!—Mit dem Befreiten

  O führet uns hinüber, günst'ge Winde,

  Zur Felsen-Insel die der Gott bewohnt;

  Dann nach Mycen, daß es lebendig werde,

  Daß von der Asche des verloschnen Herdes

  Die Vatergötter fröhlich sich erheben,

  Und schönes Feuer ihre Wohnungen

  Umleuchte! Deine Hand soll ihnen Weihrauch

  Zuerst aus goldnen Schalen streuen. Du

  Bringst über jene Schwelle Heil und Leben wieder,

  Entsühnst den Fluch und schmückest neu die Deinen

  Mit frischen Lebensblüthen herrlich aus.

  Iphigenie.

  Vernehm' ich dich, so wendet sich, o Theurer,

  Wie sich die Blume nach der Sonne wendet,

  Die Seele, von dem Strahle deiner Worte

  Getroffen, sich dem süßen Troste nach.

  Wie köstlich ist des gegenwärt'gen Freundes

  Gewisse Rede, deren Himmelskraft

  Ein Einsamer entbehrt und still versinkt.

  Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen,

  Gedank' ihm und Entschluß; die Gegenwart

  Des Liebenden entwickelte sie leicht.

  Pylades.

  Leb' wohl! Die Freunde will ich nun geschwind

  Beruhigen, die sehnlich wartend harren.

  Dann komm' ich schnell zurück und lausche hier

  Im Felsenbusch versteckt auf deinen Wink—

  Was sinnest du? Auf einmal überschwebt

  Ein stiller Trauerzug die freie Stirne.

  Iphigenie.

  Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne,

  So zieht mir vor der Seele leichte Sorge

  Und Bangigkeit vorüber.

  Pylades.

                           Fürchte nicht!

  Betrüglich schloß die Furcht mit der Gefahr

  Ein enges Bündniß; beide sind Gesellen.

  Iphigenie.

  Die Sorge nenn' ich edel, die mich warnt,

  Den König, der mein zweiter Vater ward,

  Nicht tückisch zu betrügen, zu berauben.

  Pylades.

  Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du.

  Iphigenie.

  Es ist derselbe, der mir Gutes that.

  Pylades.

  Das ist nicht Undank, was die Noth gebeut.

  Iphigenie.

  Es bleibt wohl Undank; nur die Noth entschuldigt.

  Pylades.

  Vor Göttern und vor Menschen dich gewiß.

  Iphigenie.

  Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt.

  Pylades.

  Zu strenge Fordrung ist verborgner Stolz.

  Iphigenie.

  Ich untersuche nicht, ich fühle nur.

  Pylades.

  Fühlst du dich recht, so mußt du dich verehren.

  Iphigenie.

  Ganz unbefleckt genießt sich nur das Herz.

  Pylades.

  So hast du dich im Tempel wohl bewahrt;

  Das Leben lehrt uns, weniger mit uns

  Und andern strenge sein; du lernst es auch.

  So wunderbar ist dieß Geschlecht gebildet,

  So vielfach ist's verschlungen und verknüpft,

  Daß keiner in sich selbst, noch mit den andern

  Sich rein und unverworren halten kann.

  Auch sind wir nicht bestellt uns selbst zu richten;

  Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen

  Ist eines Menschen erste, nächste Pflicht:

  Denn selten schätzt er recht was er gethan,

  Und was er thut weiß er fast nie zu schätzen.

  Iphigenie.

  Fast überred'st du mich zu deiner Meinung.

  Pylades.

  Braucht's Überredung, wo die Wahl versagt ist?

  Den Bruder, dich, und einen Freund zu retten

  Ist nur Ein Weg; fragt sich's ob wir ihn gehen?

  Iphigenie.

  O laß mich zaudern! denn du thätest selbst

  Ein solches Unrecht keinem Mann gelassen,

  Dem du für Wohlthat dich verpflichtet hieltest.

  Pylades.

  Wenn wir zu Grunde gehen, wartet dein

  Ein härtrer Vorwurf, der Verzweiflung trägt.

  Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt,

  Da du dem großen Übel zu entgehen

  Ein falsches Wort nicht einmal opfern willst.

  Iphigenie.

  O trüg' ich doch ein männlich Herz in mir!

  Das, wenn es einen kühnen Vorsatz hegt,

  Vor jeder andern Stimme sich verschließt.

  Pylades.

  Du weigerst dich umsonst; die ehrne Hand

  Der Noth gebietet, und ihr ernster Wink

  Ist oberstes Gesetz, dem Götter selbst

  Sich unterwerfen müssen. Schweigend herrscht

  Des ew'gen Schicksals unberathne Schwester.

  Was sie dir auferlegt, das trage: thu'

  Was sie gebeut. Das Andre weißt du. Bald

  Komm' ich zurück, aus deiner heil'gen Hand

  Der Rettung schönes Siegel zu empfangen.

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