Den 16. Februar 1787.

Die glückliche Ankunft der" Iphigenia" ward mir auf eine überraschende und angenehme Weise verkündigt. Auf dem Wege nach der Oper brachte man mir den Brief von wohlbekannter Hand, und diesmal doppelt willkommen mit dem Löwchen gesiegelt, als vorläufiges Wahrzeichen des glücklich angelangten Pakets. Ich drängte mich in das Opernhaus und suchte mir mitten unter dem fremden Volk einen Platz unter dem großen Lüster zu verschaffen. Hier fühlte ich mich nun so nah an die Meinigen gerückt, daß ich hätte aufhüpfen und sie umarmen mögen. Herzlich dank' ich, daß mir die nackte Ankunft gemeldet worden, möget ihr euer Nächstes mit einem guten Worte des Beifalls begleiten!

Hier folgt das Verzeichnis, wie die Exemplare, die ich von Göschen zu erwarten habe, unter die Freunde verteilt werden sollen, denn ob es mir gleich ganz gleichgültig ist, wie das Publikum diese Sachen betrachtet, so wünscht' ich doch, dadurch meinen Freunden einige Freude bereitet zu haben.

Man unternimmt nur zuviel. Denke ich an meine vier letzten Bände im ganzen, so möchte mir schwindelnd werden, ich muß sie einzeln angreifen, und so wird es gehn.

Hätte ich nicht besser getan, nach meinem ersten Entschluß diese Dinge fragmentarisch in die Welt zu schicken und neue Gegenstände, an denen ich frischeren Anteil nehme, mit frischem Mut und Kräften zu unternehmen? Tät' ich nicht besser, " Iphigenia auf Delphi" zu schreiben, als mich mit den Grillen des "Tasso" herumzuschlagen? Und doch habe ich auch dahinein schon zuviel von meinem Eignen gelegt, als daß ich es fruchtlos aufgeben sollte.

Ich habe mich auf den Vorsaal ans Kamin gesetzt, und die Wärme eines diesmal gut genährten Feuers gibt mir frischen Mut, ein neues Blatt anzufangen; denn es ist doch gar zu schön, daß man mit seinen neusten Gedanken soweit in die Ferne reichen, ja seine nächsten Umgebungen durch Worte dorthin versetzen kann. Das Wetter ist ganz herrlich, die Tage nehmen merklich zu, Lorbeeren und Buchsbäume blühen, auch die Mandelbäume. Heute früh überraschte mich ein wundersamer Anblick, ich sah von ferne hohe, stangenähnliche Bäume, über und über von dem schönsten Violett bekleidet. Bei näherer Untersuchung war es der Baum, in unsern Treibhäusern unter dem Namen Judenbaum bekannt, dem Botaniker als cercis siliquastrum. Seine violetten Schmetterlingsblumen bringt er unmittelbar aus dem Stamme hervor. Abgeholzt den letzten Winter waren die Stangen, die ich vor mir sah, aus deren Rinde die wohlgebildete und gefärbte Blume zu Tausenden hervorbrach. Die Maßlieben dringen wie Ameisen aus dem Boden, Krokus und Adonis erscheinen seltner, aber desto zierlicher und zierender.

Was wird mir nicht erst das mittägigere Land für Freuden und Kenntnisse geben, aus denen für mich neue Resultate hervortreten! Es ist mit natürlichen Dingen wie mit der Kunst; es ist so viel drüber geschrieben, und jeder, der sie sieht, kann sie doch wieder in neue Kombination setzen.

Denke ich an Neapel, ja gar nach Sizilien, so fällt es einem sowohl in der Erzählung als in Bildern auf, daß in diesen Paradiesen der Welt sich zugleich die vulkanische Hölle so gewaltsam auftut und seit Jahrtausenden die Wohnenden und Genießenden aufschreckt und irremacht.

Doch schlage ich mir die Hoffnung jener vielbedeutenden Ansichten gern aus dem Sinne, um vor meiner Abreise die alte Hauptstadt der Welt noch recht zu benutzen.

Seit vierzehn Tagen bin ich von Morgen bis in die Nacht in Bewegung; was ich noch nicht gesehn, such' ich auf. Das Vorzüglichste wird zum zweiten—und drittenmal betrachtet, und nun ordnet sich's einigermaßen. Denn indem die Hauptgegenstände an ihre rechte Stelle kommen, so ist für viele mindere dazwischen Platz und Raum. Meine Liebschaften reinigen und entscheiden sich, und nun erst kann mein Gemüt dem Größeren und Echtesten mit gelassener Teilnahme sich entgegenheben.

Dabei findet man denn wohl den Künstler beneidenswert, der durch Nachbildung und Nachahmung auf alle Weise jenen großen Intentionen sich mehr nähert, sie besser begreift als der bloß Beschauende und Denkende. Doch muß am Ende jeder tun, was er vermag, und so spanne ich denn alle Segel meines Geistes auf, um diese Küsten zu umschiffen.

Das Kamin ist diesmal recht durchgewärmt und die schönsten Kohlen aufgehäuft, welches bei uns selten geschieht, weil nicht leicht jemand Lust und Zeit hat, dem Kaminfeuer ein paar Stunden Aufmerksamkeit zu widmen, und so will ich denn dieses schöne Klima benutzen, um einige Bemerkungen aus meiner Schreibtafel zu retten, die schon halb verloschen sind.

Am zweiten Februar begaben wir uns in die Sixtinische Kapelle zur Funktion, bei welcher die Kerzen geweiht werden. Ich fand mich gleich sehr unbehaglich und zog mit den Freunden bald wieder hinaus. Denn ich dachte: das sind ja grade die Kerzen, welche seit dreihundert Jahren diese herrlichen Gemälde verdüstern, und das ist ja eben der Weihrauch, der mit heiliger Unverschämtheit die einzige Kunstsonne nicht nur umwölkt, sondern von Jahr zu Jahren mehr trübe macht und zuletzt gar in Finsternis versenkt.

Darauf suchten wir das Freie und kamen nach einem großen Spaziergange auf St. Onofrio, wo Tasso in einem Winkel begraben liegt. Auf der Klosterbibliothek steht seine Büste. Das Gesicht ist von Wachs, und ich glaube gern, daß es über seinen Leichnam abgeformt sei. Nicht ganz scharf und hie und da verdorben, deutet es doch im ganzen mehr als irgendein anderes seiner Bildnisse auf einen talentvollen, zarten, feinen, in sich geschlossenen Mann.

Soviel für diesmal. Jetzt will ich an des ehrlichen Volkmanns zweiten
Teil, der Rom enthält, um auszuziehen, was ich noch nicht gesehn habe.
Ehe ich nach Neapel reise, muß die Ernte wenigstens niedergemäht sein;
sie in Garben zu binden, werden auch schon gute Tage kommen.

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