Band 1

Nun aber kann die Herrlichkeit der neuen Gegend, die man beim Herabsteigen übersieht, durch Worte nicht dargestellt werden. Es ist ein Garten meilenlang und -breit, der, am Fuß hoher Gebirge und schroffer Felsen, ganz flach in der größten Reinlichkeit daliegt. Und so kam ich denn am 10. September gegen ein Uhr hier in Verona an, wo ich zuerst noch dieses schreibe, das zweite Stück meines Tagebuchs schließe und hefte und gegen Abend mit freudigem Geiste das Amphitheater zu sehen hoffe.

Von der Witterung dieser Tage her melde ich folgendes. Die Nacht vom neunten auf den zehnten war abwechselnd hell und bedeckt, der Mond behielt immer einen Schein um sich. Morgens gegen fünf Uhr überzog sich der ganze Himmel mit grauen, nicht schweren Wolken, die mit dem wachsenden Tage verschwanden. Je tiefer ich hinabkam, desto schöner war das Wetter. Wie nun gar in Bozen der große Gebirgsstock mitternächtlich blieb, zeigte die Luft eine ganz andere Beschaffenheit; man sah nämlich an den verschiedenen Landschaftsgründen, die sich gar lieblich durch ein etwas mehr oder weniger Blau voneinander absonderten, daß die Atmosphäre voll gleich ausgeteilter Dünste sei, welche sie zu tragen vermochte, und die daher weder als Tau oder Regen niederfielen, noch als Wolken sich sammelten. Wie ich weiter hinabkam, konnte ich deutlich bemerken, daß alle Dünste, die aus dem Bozner Tal, alle Wolkenstreifen, die von den mittägigern Bergen aufsteigen, nach den hohem mitternächtigen Gegenden zuzogen, sie nicht verdeckten, aber in eine Art Höherauch einhüllten. In der weitesten Ferne, über dem Gebirg, konnte ich eine sogenannte Wassergalle bemerken. Von Bozen südwärts haben sie den ganzen Sommer das schönste Wetter gehabt, nur von Zeit zu Zeit ein wenig Wasser (sie sagen acqua, um den gelinden Regen auszudrücken), und dann sogleich wieder Sonnenschein. Auch gestern fielen von Zeit zu Zeit einige Tropfen, und die Sonne schien immer dazu. Sie haben lange kein so gutes Jahr gehabt; es gerät alles; das üble haben sie uns zugeschickt.

Das Gebirge, die Steinarten erwähne ich nur kürzlich, denn Ferbers Reise nach Italien und Hacquets durch die Alpen unterrichten uns genugsam von dieser Wegstrecke. Eine Viertelstunde vom Brenner ist ein Marmorbruch, an dem ich in der Dämmerung vorbeifuhr. Er mag und muß, wie der an der andern Seite, auf Glimmerschiefer aufliegen. Diesen fand ich bei Kollmann, als es Tag ward; weiter hinab zeigten sich Porphyre an. Die Felsen waren so prächtig und an der Chaussee die Haufen so gätlich zerschlagen, daß man gleich Voigtische Kabinettchen daraus hätte bilden und verpacken können. Auch kann ich ohne Beschwerde jeder Art ein Stück mitnehmen, wenn ich nur Augen und Begierde an ein kleineres Maß gewöhne. Bald unter Kollmann fand ich einen Porphyr, der sich in regelmäßige Platten spaltet, zwischen Branzoll und Neumarkt einen ähnlichen, dessen Platten jedoch sich wieder in Säulen trennen. Ferber hielt sie für vulkanische Produkte, das war aber vor vierzehn Jahren, wo die ganze Welt in den Köpfen brannte. Hacquet schon macht sich darüber lustig.

Von den Menschen wußte ich nur weniges und wenig Erfreuliches zu sagen. Sobald mir vom Brenner Herunterfahrendem der Tag aufging, bemerkte ich eine entschiedene Veränderung der Gestalt, besonders mißfiel mir die bräunlich bleiche Farbe der Weiber. Ihre Gesichtszüge deuten auf Elend, Kinder waren ebenso erbärmlich anzusehen, Männer ein wenig besser, die Grundbildung übrigens durchaus regelmäßig und gut. Ich glaube die Ursache dieses krankhaften Zustandes in dem häufigen Gebrauch des türkischen und Heidekorns zu finden. Jenes, das sie auch gelbe Blende nennen, und dieses, schwarze Blende genannt, werden gemahlen, das Mehl in Wasser zu einem dicken Brei gekocht und so gegessen. Die jenseitigen Deutschen rupfen den Teig wieder auseinander und braten ihn in Butter auf. Der welsche Tiroler hingegen ißt ihn so weg, manchmal Käse darauf gerieben, und das ganze Jahr kein Fleisch. Notwendig muß das die ersten Wege verleimen und verstopfen, besonders bei den Kindern und Frauen, und die kachektische Farbe deutet auf solches Verderben. Außerdem essen sie auch noch Früchte und grüne Bohnen, die sie in Wasser absieden und mit Knoblauch und öl anmachen. Ich fragte, ob es nicht auch reiche Bauern gäbe. —"Ja freilich."—"Tun sie sich nichts zugute? essen sie nicht besser?"—"Nein, sie sind es einmal so gewohnt."—"Wo kommen sie denn mit ihrem Gelde hin? Was machen sie sonst für Aufwand?"—"O, die haben schon ihre Herren, die es ihnen wieder abnehmen."—Das war die Summa des Gesprächs mit meiner Wirtstochter in Bozen.

Ferner vernahm ich von ihr, daß die Weinbauern, die am wohlhabendsten scheinen, sich am übelsten befinden, denn sie sind in den Händen der städtischen Handelsleute, die ihnen bei schlechten Jahren den Lebensunterhalt vorschießen und bei guten den Wein um ein Geringes an sich nehmen. Doch das ist überall dasselbe.

Was meine Meinung wegen der Nahrung bestätigt, ist, daß die Stadtbewohnerinnen immer wohler aussehen. Hübsche, volle Mädchengesichter, der Körper für ihre Stärke und für die Größe der Köpfe etwas zu klein, mitunter aber recht freundlich entgegenkommende Gesichter. Die Männer kennen wir durch die wandernden Tiroler. Im Lande sehen sie weniger frisch aus als die Weiber, wahrscheinlich, weil diese mehr körperliche Arbeiten, mehr Bewegung haben, die Männer hingegen als Krämer und Handwerksleute sitzen. Am Gardasee fand ich die Leute sehr braun und ohne den mindesten rötlichen Schein der Wangen, aber doch nicht ungesund, sondern ganz frisch und behaglich aussehend. Wahrscheinlich sind die heftigen Sonnenstrahlen, denen sie am Fuße ihrer Felsen ausgesetzt sind, hievon die Ursache.

Verona bis Venedig.

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