Den 28. August 1787.

Mir ist diese Tage manches Gute begegnet, und heute zum Feste kam mir Herders Büchlein voll würdiger Gottesgedanken. Es war mir tröstlich und erquicklich, sie in diesem Babel, der Mutter so vieles Betrugs und Irrtums, so rein und schön zu lesen, und zu denken, daß doch jetzt die Zeit ist, wo sich solche Gesinnungen, solche Denkarten verbreiten können und dürfen. Ich werde das Büchlein in meiner Einsamkeit noch oft lesen und beherzigen, auch Anmerkungen dazu machen, welche Anlaß zu künftigen Unterredungen geben können.

Ich habe diese Tage immer weiter um mich gegriffen in Betrachtung der Kunst, und übersehe nun fast das ganze Pensum, das mir zu absolvieren bleibt; und wenn es absolviert ist, ist noch nichts getan. Vielleicht gibt's andern Anlaß, dasjenige leichter und besser zu tun, wozu Talent und Geschick bestimmt.

Die französische Akademie hat ihre Arbeiten ausgestellt; es sind interessante Sachen drunter. Pindar, der die Götter um ein glückliches Ende bittet, fällt in die Arme eines Knaben, den er sehr liebt, und stirbt. Es ist viel Verdienst in dem Bilde. Ein Architekt hat eine gar artige Idee ausgeführt, er hat das jetzige Rom von einer Seite gezeichnet, wo es sich mit allen seinen Teilen gut ausnimmt. Dann hat er auf einem andern Blatte das alte Rom vorgestellt, als wenn man es aus demselben Standpunkt sähe. Die Orte, wo die alten Monumente gestanden, weiß man, ihre Form auch meistens, von vielen stehen noch die Ruinen. Nun hat er alles Neue weggetan und das Alte wiederhergestellt, wie es etwa zu Zeiten Diokletians ausgesehen haben mag, und mit ebensoviel Geschmack als Studium, und allerliebst gefärbt.

Was ich tun kann, tu' ich, und häufe so viel von allen diesen Begriffen und Talenten auf mich, als ich schleppen kann, und bringe auf diese Weise doch das Reellste mit.

Hab' ich dir schon gesagt, daß Trippel meine Büste arbeitet? Der Fürst von Waldeck hat sie bei ihm bestellt. Er ist schon meist fertig, und es macht ein gutes Ganze. Sie ist in einem sehr soliden Stil gearbeitet. Wenn das Modell fertig ist, wird er eine Gipsform darüber machen und dann gleich den Marmor anfangen, welchen er dann zuletzt nach dem Leben auszuarbeiten wünscht; denn was sich in dieser Materie tun läßt, kann man in keiner andern erreichen.

Angelika malt jetzt ein Bild, das sehr glücken wird: die Mutter der
Gracchen, wie sie einer Freundin, welche ihre Juwelen auskramte, ihre
Kinder als die besten Schätze zeigt. Es ist eine natürliche und sehr
glückliche Komposition.

Wie schön ist es, zu säen, damit geerntet werde! Ich habe hier durchaus verschwiegen, daß heute mein Geburtstag sei, und dachte beim Aufstehen: sollte mir denn von Hause nichts zur Feier kommen? Und siehe, da wird mir euer Paket gebracht, das mich unsäglich erfreut. Gleich setzte ich mich hin, es zu lesen, und bin nun zu Ende und schreibe gleich meinen herzlichsten Dank nieder.

Nun möchte ich denn erst bei euch sein, da sollte es an ein Gespräch gehen, zu Ausführung einiger angedeuteten Punkte. Genug, das wird uns auch werden, und ich danke herzlich, daß eine Säule gesetzt ist, von welcher an wir nun unsre Meilen zählen können. Ich wandle starken Schrittes in den Gefilden der Natur und Kunst herum und werde dir mit Freuden von da aus entgegenkommen.

Ich habe es heute nach Empfang deines Briefes noch einmal durchgedacht und muß darauf beharren: mein Kunststudium, mein Autorwesen, alles fordert noch diese Zeit. In der Kunst muß ich es so weit bringen, daß alles anschauende Kenntnis werde, nichts Tradition und Name bleibe, und ich zwinge es in diesem halben Jahre, auch ist es nirgends als in Rom zu zwingen. Meine Sächelchen (denn sie kommen mir sehr im Diminutiv vor) muß ich wenigstens mit Sammlung und Freudigkeit enden.

Dann zieht mich alles nach dem Vaterlande zurück. Und wenn ich auch ein isoliertes, privates Leben führen sollte, habe ich so viel nachzuholen und zu vereinigen, daß ich für zehn Jahre keine Ruhe sehe.

In der Naturgeschichte bring' ich dir Sachen mit, die du nicht erwartest. Ich glaube dem Wie der Organisation sehr nahe zu rücken. Du sollst diese Manifestationen (nicht Fulgurationen) unsres Gottes mit Freuden beschauen und mich belehren, wer in der alten und neuen Zeit dasselbe gefunden, gedacht, es von eben der Seite oder aus einem wenig abweichenden Standpunkte betrachtet.

Bericht

August

Zu Anfang dieses Monats reifte bei mir der Vorsatz, noch den nächsten Winter in Rom zu bleiben; Gefühl und Einsicht, daß ich aus diesem Zustande noch völlig unreif mich entfernen, auch daß ich nirgends solchen Raum und solche Ruhe für den Abschluß meiner Werke finden würde, bestimmten mich endlich; und nun, als ich solches nach Hause gemeldet hatte, begann ein Zeitraum neuer Art.

Die große Hitze, welche sich nach und nach steigerte und einer allzu raschen Tätigkeit Ziel und Maß gab, machte solche Räume angenehm und wünschenswert, wo man seine Zeit nützlich in Ruh' und Kühlung zubringen konnte. Die Sixtinische Kapelle gab hiezu die schönste Gelegenheit. Gerade zu dieser Zeit hatte Michelangelo aufs neue die Verehrung der Künstler gewonnen; neben seinen übrigen großen Eigenschaften sollt' er sogar auch im Kolorit nicht übertroffen worden sein, und es wurde Mode, zu streiten, ob er oder Raffael mehr Genie gehabt. Die Transfiguration des letzteren wurde mitunter sehr strenge getadelt und die Disputa das beste seiner Werke genannt; wodurch sich denn schon die später aufgekommene Vorliebe für Werke der alten Schule ankündigte, welche der stille Beobachter nur für ein Symptom halber und unfreier Talente betrachten und sich niemals damit befreunden konnte.

Es ist so schwer, ein großes Talent zu fassen, geschweige denn zwei zugleich. Wir erleichtern uns dieses durch Parteilichkeit; deshalb denn die Schätzung von Künstlern und Schriftstellern immer schwankt und einer oder der andere immer ausschließlich den Tag beherrscht. Mich konnten dergleichen Streitigkeiten nicht irremachen, da ich sie auf sich beruhen ließ und mich mit unmittelbarer Betrachtung alles Werten und Würdigen beschäftigte. Diese Vorliebe für den großen Florentiner teilte sich von den Künstlern gar bald auch den Liebhabern mit, da denn auch gerade zu jener Zeit Bury und Lips Aquarellkopien in der Sixtinischen Kapelle für Grafen Fries zu fertigen hatten. Der Kustode ward gut bezahlt, er ließ uns durch die Hintertür neben dem Altar hinein, und wir hauseten darin nach Belieben. Es fehlte nicht an einiger Nahrung, und ich erinnere mich, ermüdet von großer Tageshitze, auf dem päpstlichen Stuhle einem Mittagsschlaf nachgegeben zu haben.

Sorgfältige Durchzeichnungen der unteren Köpfe und Figuren des Altarbildes, die man mit der Leiter erreichen konnte, wurden gefertigt, erst mit weißer Kreide auf schwarze Florrahmen, dann mit Rötel auf große Papierbogen durchgezeichnet.

Ebnermaßen ward denn auch, indem man sich nach dem Altern hinwendete, Leonard da Vinci berühmt, dessen hochgeschätztes Bild, Christus unter den Pharisäern, in der Galerie Aldobrandini ich mit Angelika besuchte. Es war herkömmlich geworden, daß sie Sonntag um Mittag mit ihrem Gemahl und Rat Reiffenstein bei mir vorfuhr und wir sodann mit möglichster Gemütsruhe uns durch eine Backofenhitze in irgendeine Sammlung begaben, dort einige Stunden verweilten und sodann zu einer wohlbesetzten Mittagstafel bei ihr einkehrten. Es war vorzüglich belehrend, mit diesen drei Personen, deren eine jede in ihrer Art theoretisch, praktisch, ästhetisch und technisch gebildet war, sich in Gegenwart so bedeutender Kunstwerke zu besprechen.

Ritter Worthley, der aus Griechenland zurückgekommen war, ließ uns wohlwollend seine mitgebrachten Zeichnungen sehen, unter welchen die Nachbildungen der Arbeiten des Phidias im Fronton der Akropolis einen entschiedenen und unauslöschlichen Eindruck in mir zurückließen, der um desto stärker war, als ich, durch die mächtigen Gestalten des Michelangelo veranlaßt, dem menschlichen Körper mehr als bisher Aufmerksamkeit und Studium zugewendet hatte.

Eine bedeutende Epoche jedoch in dem regsamen Kunstleben machte die
Ausstellung der französischen Akademie zu Ende des Monats. Durch
Davids "Horatier" hatte sich das übergewicht auf die Seite der
Franzosen hingeneigt. Tischbein wurde dadurch veranlaßt, seinen
"Hektor, der den Paris in Gegenwart der Helena auffordert", lebensgroß
anzufangen. Durch Drouais, Gagneraux, Desmarais, Gauffier, St. Ours
erhält sich nunmehr der Ruhm der Franzosen, und Boquet erwirbt als
Landschaftsmaler im Sinne Poussins einen guten Namen.

Indessen hatte Moritz sich um die alte Mythologie bemüht; er war nach Rom gekommen, um nach früherer Art durch eine Reisebeschreibung sich die Mittel einer Reise zu verschaffen. Ein Buchhändler hatte ihm Vorschuß geleistet; aber bei seinem Aufenthalt in Rom wurde er bald gewahr, daß ein leichtes loses Tagebuch nicht ungestraft verfaßt werden könne. Durch tagtägliche Gespräche, durch Anschauen so vieler wichtiger Kunstwerke regte sich in ihm der Gedanke, eine Götterlehre der Alten in rein menschlichem Sinne zu schreiben und solche mit belehrenden Umrissen nach geschnittenen Steinen künftig herauszugeben Er arbeitete fleißig daran, und unser Verein ermangelte nicht, sich mit demselben einwirkend darüber zu unterhalten.

Eine höchst angenehme, belehrende Unterhaltung, mit meinen Wünschen und Zwecken unmittelbar zusammentreffend, knüpfte ich mit dem Bildhauer Trippel in seiner Werkstatt an, als er meine Büste modellierte, welche er für den Fürsten von Waldeck in Marmor ausarbeiten sollte. Gerade zum Studium der menschlichen Gestalt, und um über ihre Proportionen als Kanon und als abweichender Charakter aufgeklärt zu werden, war nicht wohl unter andern Bedingungen zu kommen. Dieser Augenblick ward auch doppelt interessant dadurch, daß Trippel von einem Apollokopf Kenntnis erhielt, der sich in der Sammlung des Palasts Giustiniani bisher unbeachtet befunden hatte. Er hielt denselben für eins der edelsten Kunstwerke und hegte Hoffnung, ihn zu kaufen, welches jedoch nicht gelang. Diese Antike ist seitdem berühmt geworden und später an Herrn von Pourtalès nach Neufchatel gekommen.

Aber wie derjenige, der sich einmal zur See wagt, durch Wind und Wetter bestimmt wird, seinen Lauf bald dahin, bald dorthin zu nehmen, so erging es auch mir. Verschaffelt eröffnete einen Kurs der Perspektive, wo wir uns des Abends versammelten und eine zahlreiche Gesellschaft auf seine Lehren horchte und sie unmittelbar ausübte. Das Vorzüglichste war dabei, daß man gerade das Hinreichende und nicht zuviel lernte.

Aus dieser kontemplativ tätigen, geschäftigen Ruhe hätte man mich gerne herausgerissen. Das unglückliche Konzert war in Rom, wo das Hin—und Widerreden des Tags wie an kleinen Orten herkömmlich ist, vielfach besprochen; man war auf mich und meine schriftstellerischen Arbeiten aufmerksam geworden; ich hatte die "Iphigenie" und sonstiges unter Freunden vorgelesen, worüber man sich gleichfalls besprach. Kardinal Buoncompagni verlangte, mich zu sehen, ich aber hielt fest in meiner wohlbekannten Einsiedelei, und ich konnte dies um so eher, als Rat Reiffenstein fest und eigensinnig behauptete, da ich mich durch ihn nicht habe präsentieren lassen, so könne es kein anderer tun. Dies gereichte mir sehr zum Vorteil, und ich benutzte immer sein Ansehn, um mich in einmal gewählter und ausgesprochener Abgeschiedenheit zu erhalten.

September

Korrespondenz

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