Rom, den 23. August 1787

Euren lieben Brief Nr. 24 erhielt ich vorgestern, eben als ich nach dem Vatikan ging, und habe ihn unterwegs und in der Sixtinischen Kapelle aber—und abermals gelesen, sooft ich ausruhte von dem Sehen und Aufmerken. Ich kann euch nicht ausdrücken, wie sehr ich euch zu mir gewünscht habe, damit ihr nur einen Begriff hättet, was ein einziger und ganzer Mensch machen und ausrichten kann; ohne die Sixtinische Kapelle gesehen zu haben, kann man sich keinen anschauenden Begriff machen, was ein Mensch vermag. Man hört und liest von viel großen und braven Leuten, aber hier hat man es noch ganz lebendig über dem Haupte, vor den Augen. Ich habe mich viel mit euch unterhalten und wollte, es stünde alles auf dem Blatte. Ihr wollt von mir wissen! Wie vieles könnt' ich sagen! Denn ich bin wirklich umgeboren und erneuert und ausgefüllt. Ich fühle, daß sich die Summe meiner Kräfte zusammenschließt, und hoffe noch etwas zu tun. Über Landschaft und Architektur habe ich diese Zeit her ernstlich nachgedacht, auch einiges versucht und sehe nun, wo es damit hinaus will, auch wie weit es zu bringen wäre.

Nun hat mich zuletzt das A und O aller uns bekannten Dinge, die menschliche Figur, angefaßt, und ich sie, und ich sage: "Herr, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, und sollt' ich mich lahm ringen." Mit dem Zeichnen geht es gar nicht, und ich habe also mich zum Modellieren entschlossen, und das scheint rücken zu wollen. Wenigstens bin ich auf einen Gedanken gekommen, der mir vieles erleichtert. Es wäre zu weitläufig, es zu detaillieren, und es ist besser zu tun als zu reden. Genug, es läuft darauf hinaus, daß mich nun mein hartnäckig Studium der Natur, meine Sorgfalt, mit der ich in der komparierenden Anatomie zu Werke gegangen bin, nunmehr in den Stand setzen, in der Natur und den Antiken manches im ganzen zu sehen, was den Künstlern im einzelnen aufzusuchen schwer wird, und das sie, wenn sie es endlich erlangen, nur für sich besitzen und andern nicht mitteilen können.

Ich habe alle meine physiognomischen Kunststückchen, die ich aus Pik auf den Propheten in den Winkel geworfen, wieder hervorgesucht, und sie kommen mir gut zu passe. Ein Herkuleskopf ist angefangen; wenn dieser glückt, wollen wir weitergehen.

So entfernt bin ich jetzt von der Welt und allen weltlichen Dingen, es kommt mir recht wunderbar vor, wenn ich eine Zeitung lese. Die Gestalt dieser Welt vergeht, ich möchte mich nur mit dem beschäftigen, was bleibende Verhältnisse sind, und so nach der Lehre des *** meinem Geiste erst die Ewigkeit verschaffen.

Gestern sah ich bei Ch. v. Worthley, der eine Reise nach Griechenland, ägypten etc. gemacht hat, viele Zeichnungen. Was mich am meisten interessierte, waren Zeichnungen nach Basreliefs, welche im Fries des Tempels der Minerva zu Athen sind, Arbeiten des Phidias. Man kann sich nichts Schöneres denken als die wenigen einfachen Figuren. Übrigens war wenig Reizendes an den vielen gezeichneten Gegenständen; die Gegenden waren nicht glücklich, die Architektur besser.

Lebe wohl für heute. Es wird meine Büste gemacht, und das hat mir drei Morgen dieser Woche gekostet.

Share on Twitter Share on Facebook