Vierter Auftritt

Antonio. Tasso.

Antonio.
Hier bin ich, Tasso, dir ein Wort zu sagen,
Wenn du mich ruhig hören magst und kannst.

Tasso.
Das Handeln, weißt du, bleibt mir untersagt;
Es ziemt mir wohl, zu warten und zu hören.

Antonio.
Ich treffe dich gelassen, wie ich wünschte,
Und spreche gern zu dir aus freier Brust.
Zuvörderst lös' ich in des Fürsten Namen
Das schwache Band, das dich zu fesseln schien.

Tasso.
Die Willkür macht mich frei, wie sie mich band;
Ich nehm' es an und fordre kein Gericht.

Antonio.
Dann sag' ich dir von mir: Ich habe dich
Mit Worten, scheint es, tief und mehr gekränkt,
Als ich, von mancher Leidenschaft bewegt,
Es selbst empfand. Allein kein schimpflich Wort
Ist meinen Lippen unbedacht entflohen:
Zu rächen hast du nichts als Edelmann,
Und wirst als Mensch Vergebung nicht versagen.

Tasso.
Was härter treffe, Kränkung oder Schimpf,
Will ich nicht untersuchen: Jene dringt
Ins tiefe Mark, und dieser reizt die Haut.
Der Pfeil des Schimpfs kehrt auf den Mann zurück,
Der zu verwunden glaubt; die Meinung andrer
Befriedigt leicht das wohl geführte Schwert—
Doch ein gekränktes Herz erholt sich schwer.

Antonio.
Jetzt ist's an mir, dass ich dir dringend sage:
Tritt nicht zurück, erfülle meinen Wunsch,
Den Wunsch des Fürsten, der mich zu dir sendet.

Tasso.
Ich kenne meine Pflicht und gebe nach.
Es sei verziehn, sofern es möglich ist!
Die Dichter sagen uns von einem Speer,
Der eine Wunde, die er selbst geschlagen,
Durch freundliche Berührung heilen konnte.
Es hat des Menschen Zunge diese Kraft;
Ich will ihr nicht gehässig widerstehn.

Antonio.
Ich danke dir und wünsche, dass du mich
Und meinen Willen, dir zu dienen, gleich
Vertraulich prüfen mögest. Sage mir,
Kann ich dir nützlich sein? Ich zeig' es gern.

Tasso.
Du bietest an was ich nur wünschen konnte.
Du brachtest mir die Freiheit wieder; nun
Verschaffe mir, ich bitte, den Gebrauch.

Antonio.
Was kannst du meinen? Sag' es deutlich an.

Tasso.
Du weißt, geendet hab' ich mein Gedicht;
Es fehlt noch viel, dass es vollendet wäre.
Heut überreicht' ich es dem Fürsten, hoffte
Zugleich ihm eine Bitte vorzutragen.
Gar viele meiner Freunde find' ich jetzt
In Rom versammelt; einzeln haben sie
Mir über manche Stellen ihre Meinung
In Briefen schon eröffnet; vieles hab' ich
Benutzen können, manches scheint mir noch
Zu überlegen, und verschiedne Stellen
Möcht' ich nicht gern verändern, wenn man mich
Nicht mehr, als es geschehn ist, überzeugt.
Das alles wird durch Briefe nicht getan:
Die Gegenwart löst diese Knoten bald.
So dacht' ich heut den Fürsten selbst zu bitten:
Ich fand nicht Raum; nun darf ich es nicht wagen
Und hoffe diesen Urlaub nun durch dich.

Antonio.
Mir scheint nicht rätlich, dass du dich entfernst
In dem Moment, da dein vollendet Werk
Dem Fürsten und der Fürstin dich empfiehlt.
Ein Tag der Gunst ist wie ein Tag der Ernte:
Man muss geschäftig sein, sobald sie reift.
Entfernst du dich, so wirst du nichts gewinnen,
Vielleicht verlieren, was du schon gewannst.
Die Gegenwart ist eine mächt'ge Göttin:
Lern' ihren Einfluss kennen, bleibe hier!

Tasso.
Zu fürchten hab' ich nichts: Alphons ist edel,
Stets hat er gegen mich sich groß gezeigt;
Und was ich hoffe, will ich seinem Herzen
Allein verdanken, keine Gnade mir
Erschleichen; nichts will ich von ihm empfangen,
Was ihn gereuen könnte, dass er's gab.

Antonio.
So fordre nicht von ihm, dass er dich jetzt
Entlassen soll; er wird es ungern tun,
Und ich befürchte fast: Er tut es nicht.

Tasso.
Er wird es gern, wenn recht gebeten wird,
Und du vermagst es wohl, sobald du willst.

Antonio.
Doch welche Gründe, sag' mir, leg' ich vor?

Tasso.
Lass mein Gedicht aus jeder Stanze sprechen!
Was ich gewollt ist, löblich, wenn das Ziel
Auch meinen Kräften unerreichbar blieb.
An Fleiß und Mühe hat es nicht gefehlt.
Der heitre Wandel mancher schönen Tage,
Der stille Raum so mancher tiefen Nächte,
War einzig diesem frommen Lied geweiht.
Bescheiden hofft' ich, jenen großen Meistern
Der Vorwelt mich zu nahen, kühn gesinnt,
Zu edlen Taten unsern Zeitgenossen
Aus einem langen Schlaf zu rufen, dann
Vielleicht mit einem edlen Christenheere
Gefahr und Ruhm des heil'gen Kriegs zu teilen.
Und soll mein Lied die besten Männer wecken,
So muss es auch der besten würdig sein.
Alphons bin ich schuldig, was ich tat;
Nun möcht' ich ihm auch die Vollendung danken.

Antonio.
Und eben dieser Fürst ist hier, mit andern,
Die dich so gut als Römer leiten können.
Vollende hier dein Werk, hier ist der Platz,
Und um zu wirken, eile dann nach Rom.

Tasso.
Alphons hat mich zuerst begeistert, wird
Gewiss der letzte sein, der mich belehrt,
Und deinen Rat, den Rat der klugen Männer,
Die unser Hof versammelt, schätz' ich hoch.
Ihr sollt entscheiden, wenn mich ja zu Rom
Die Freunde nicht vollkommen überzeugen.
Doch diese muss ich sehn. Gonzaga hat
Mir ein Gericht versammelt, dem ich erst
Mich stellen muss. Ich kann es kaum erwarten.
Flaminio de' Nobili, Angelio
Da Barga, Antoniano und Speron Speroni!
Du wirst sie kennen.—Welche Namen sind's!
Vertraun und Sorge flößen sie zugleich
In meinen Geist, der gern sich unterwirft.

Antonio.
Du denkst nur dich und denkst den Fürsten nicht.
Ich sage dir, er wird dich nicht entlassen,
Und wenn er's tut, entlässt er dich nicht gern.
Du willst ja nicht verlangen, was er dir
Nicht gern gewähren mag. Und soll ich hier
Vermitteln, was ich selbst nicht loben kann?

Tasso.
Versagst du mir den ersten Dienst, wenn ich
Die angebotne Freundschaft prüfen will?

Antonio.
Die wahre Freundschaft zeigt sich im Versagen
Zur rechten Zeit, und es gewährt die Liebe
Gar oft ein schädlich Gut, wenn sie den Willen
Des Fordernden mehr als sein Glück bedenkt.
Du scheinest mir in diesem Augenblick
Für gut zu halten, was du eifrig wünschest,
Und willst im Augenblick, was du begehrst.
Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende,
Was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt.
Es fordert meine Pflicht, so viel ich kann
Die Hast zu mäß'gen, die dich übel treibt.

Tasso.
Schon lange kenn' ich diese Tyrannei
Der Freundschaft, die von allen Tyranneien
Die unerträglichste mir scheint. Du denkst
Nur anders, und du glaubst deswegen
Schon recht zu denken. Gern erkenn' ich an:
Du willst mein Wohl; allein verlange nicht,
Dass ich auf deinem Weg es finden soll.

Antonio.
Und soll ich dir sogleich mit kaltem Blut,
Mit voller, klarer Überzeugung schaden?

Tasso.
Von dieser Sorge will ich dich befrein!
Du hältst mich nicht mit diesen Worten ab.
Du hast mich frei erklärt, und diese Türe
Steht mir nun offen, die zum Fürsten führt.
Ich lasse dir die Wahl: Du oder ich!
Der Fürst geht fort. Hier ist kein Augenblick
Zu harren. Wähle schnell! Wenn du nicht gehst,
So geh' ich selbst, und werd' es, wie es will.

Antonio.
Lass mich nur wenig Zeit von dir erlangen
Und warte nur des Fürsten Rückkehr ab!
Nur heute nicht!

Tasso.
Nein, diese Stunde noch,
Wenn's möglich ist! Es brennen mir die Sohlen
Auf diesem Marmorboden; eher kann
Mein Geist nicht Ruhe finden, bis der Staub
Des freien Wegs mich Eilenden umgibt.
Ich bitte dich! Du siehst, wie ungeschickt
In diesem Augenblick ich sei, mit meinem Herrn
Zu reden; siehst—wie kann ich das verbergen—
Dass ich mir selbst in diesem Augenblick,
Mir keine Macht der Welt gebieten kann.
Nur Fesseln sind es, die mich halten können!
Alphons ist kein Tyrann, er sprach mich frei.
Wie gern gehorcht' ich seinen Worten sonst!
Heut kann ich nicht gehorchen. Heute nur
Lasst mich in Freiheit, dass mein Geist sich finde!
Ich kehre bald zu meiner Pflicht zurück.

Antonio.
Du machst mich zweifelhaft. Was soll ich tun?
Ich merke wohl: Es steckt der Irrtum an.

Tasso.
Soll ich dir glauben, denkst du gut für mich,
So wirke was ich wünsche, was du kannst.
Der Fürst entlässt mich dann, und ich verliere
Nicht seine Gnade, seine Hilfe nicht.
Das dank' ich dir, und will dir's gern verdanken;
Doch hegst du einen alten Groll im Busen,
Willst du von diesem Hofe mich verbannen,
Willst du auf ewig mein Geschick verkehren,
Mich hilflos in die weite Welt vertreiben,
So bleib auf deinem Sinn und widersteh!

Antonio.
Weil ich dir doch, o Tasso, schaden soll,
So wähl' ich denn den Weg, den du erwählst.
Der Ausgang mag entscheiden, wer sich irrt!
Du willst hinweg! Ich sag' es dir zuvor:
Du wendest diesem Hause kaum den Rücken,
So wird dein Herz zurück verlangen, wird
Dein Eigensinn dich vorwärts treiben; Schmerz,
Verwirrung, Trübsinn harrt in Rom auf dich,
Und du verfehlest hier und dort den Zweck.
Doch sag' ich dies nicht mehr, um dir zu raten;
Ich sage nur voraus, was bald geschieht,
Und lade dich auch schon im voraus ein,
Mir in dem schlimmsten Falle zu vertraun.
Ich spreche nun den Fürsten, wie du's forderst.

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