V

Auf die Epoche des Glanzes war in Andalusien eine Epoche der tiefsten Erniedrigung gefolgt. Der Stern des Islam war im Verblassen. Vom Norden her bohrte das Königreich Kastilien seinen Stachel den Mauren immer tiefer ins Fleisch. Nachdem Ferdinand (1037-1067) gestorben war, bestieg sein Sohn Alfons VI. den Thron von Kastilien. Dieser übernahm den Kampf gegen den Islam als heiliges Vermächtnis von seinem Vater, und es gelang ihm infolge der Zersplitterung des mohammedanischen Spaniens, die kleinen Territorialfürsten Andalusiens zum Tribut zu zwingen. 1085 wagte er den ersten großen Vorstoß, dem der wichtigste Verteidigungspunkt der Mauren, der Turm am Tore Andalusiens, Toledo, zum Opfer fiel. Ganz Südspanien erbebte unter diesem Schlage. Die Verwirrung und Angst wuchs von Tag zu Tag. Da tat der Emir von Sevilla, der schon mehrfach genannte Al Motamid, den verhängnisvollsten Schritt, den er überhaupt tun konnte. Er rief den in Nordafrika regierenden Almoraviden Jussuf ibn Taschfîn mit seinen Berberscharen zu Hilfe. Dieser kam und erfocht gegen die Christen in der furchtbaren Schlacht von Sallaka (1086) einen vollen Sieg. Der Süden schien gerettet. Nach der Schlacht ließ Jussuf aus den gefallenen Christenleibern einen Riesenturm aufschichten, von dessen Spitze der Muezzin nach allen vier Winden ausrufen mußte, daß es keinen Gott gebe außer Allah: lâ allâh ill’ allâh. Trotzdem blieb der Sieg unausgenutzt, und als Jussuf nach Nordafrika zurückgekehrt war, stand alles wie vorher. Wieder stieg die Not aufs Höchste. Da erschien Motamid selbst in Nordafrika, um Jussuf persönlich zu veranlassen, noch einmal der Retter zu sein. Jussuf kam. Aber er ging nicht wieder, ohne sich seinen Lohn genommen zu haben. Er machte dem Zaunkönigtum in Andalusien mit einem Schlage ein Ende, Granada und Malaga fielen, dann Cordova und Carmona. Al Motamid mit seinen Söhnen wehrte sich tapfer. Aber es half ihm nichts. Er mußte den schrecklichen Tod seiner Söhne erleben, um schließlich in den Kerker zu Adschmât zu wandern, wo er nach vier Jahren schwerer innerer Leiden, gebrochen an Leib und Herzen, seine königliche Dichterseele aushauchte. Das war im Jahre 1095.

Jussuf ibn Taschfîn hatte Andalusien unterworfen. Geholfen aber hatten ihm dabei nicht nur seine wilden Berbern, sondern auch als unversöhnlichste Truppe die orthodoxen Gelehrten des Islam, die Fakîhs. Sie begannen jetzt das Regiment zu führen. An Stelle der früheren Schönheit und Leichtigkeit des Lebens machte sich der bigotte Geist dieser orthodoxen Emporkömmlinge breit. Frömmelei und Beterei vernichteten alle Blüten der früheren Freiheit. Die graziöse Geste der Lebensfreude wurde erstickt in dem Buchstabenknäuel des koranischen Gesetzes. Ketzerriecherei und Angebertum schlossen den fröhlich leichtsinnigen Mund des gebildeten Volkes. Als gar Jussuf das Zeitliche gesegnet hatte (1106), und sein bigotter, unbedeutender Sohn Alî an seine Stelle trat, stieg die innere Not Andalusiens auf den Gipfel. Niemand fühlte sich im Lande wohl außer den Fakîhs und dem Pöbel. Die Philosophen schwiegen, denn Philosophie war verpönt. Die Freigeisterei wurde verfolgt. In den Städten spielten die brutalen, unsauberen Berbern die Hauptrolle. Die Dichter, noch vor zwanzig Jahren die Lieblinge des Volkes, gerieten in tiefste Armut. Sie hatten keine Beschützer mehr. Wer von ihnen nichts auf sich hielt, lief den Fakîhs nach und sang ihr Lob, um von ihnen Geld zu erhalten. Die Spekulation auf die Eitelkeit dieser frommen Leute war auch richtig, aber sie bezahlten schlecht, und wer seine Kunst in Ehren hielt, mochte sie nicht besingen. Ibn Bakî, einer der begabtesten Dichter, welche Andalusien überhaupt hatte, irrte wie ein Landstreicher von Stadt zu Stadt.

Es ist kein Wunder, daß unter diesen Umständen der bessere Teil der andalusischen Bevölkerung in dumpfe Verzweiflung geriet. Die meisten von ihnen hatten die schönen Tage der Freiheit noch gesehen. Um so tiefer deuchte ihnen jetzt ihr Fall. Es war alles so schnell gekommen. Was früher unten war, war jetzt oben, die Verachtetsten waren die Mächtigsten geworden. So wurde dem Volke damals mehr denn je das Wechselspiel des Lebens klar. Und da der Druck immer unleidlicher wurde, so kam es, daß im Lande die alten Lebenswerte entwertet wurden, und die Sehnsucht nach etwas Neuem, Höherem erwachte.

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