IV

Vom Norden her sandte Jehuda Halevi seine ersten Verse nach dem schönen Granada. Dann aber kam er selbst nach dem Süden. Warum? – Wir wissen es nicht. So klar uns der Lebens- und Stimmungsgehalt der nun folgenden Epoche ist, so dunkel und tatsachenarm ist sie. Um 1100, also mit ungefähr siebzehn Jahren, befand sich der Dichter schon im Süden Spaniens, und zwar zunächst im Südwesten. Die allgemein verbreitete Annahme, daß er die Hochschule des berühmtesten jüdischen Gesetzlehrers jener Zeit, Isak Alfasi, in Lucena besucht habe, ist nichts als eine leere Vermutung, die sich auf die Tatsache stützt, daß er beim Tode Alfasis (1103) sechs Zeilen schrieb und die Einsetzung des jungen, ihm befreundeten Josef ibn Migasch in den erledigten Lehrstuhl dieses Meisters in einem Hymnus feierte. Jehuda Halevi zeigt in allen seinen Werken keineswegs mehr, eher weniger als die talmudische Durchschnittsbildung seiner Zeit. Vielmehr ist anzunehmen, daß dem herangewachsenen Jüngling die einfache materielle Sorge nach dem an Existenzmöglichkeiten reicheren Süden trieb. Mit seiner Ankunft in Andalusien beginnt eine Zeit der Kämpfe und Irrfahrten für ihn. Von Stadt zu Stadt wanderte er, ohne einen festen Halt zu gewinnen. Der Kampf um den Bissen Brot jagte ihn durchs Land. Sevilla, Granada, Guadix, Malaga, Lucena waren die Städte, in denen er sich aufhielt, doch immer nur kurze Zeit. Den Arztberuf, dem er später oblag, scheint er hier noch nicht ausgeübt zu haben. Vielmehr lebte er allem Anschein nach von seiner Feder. Er dichtete Hochzeitslieder und erhielt Honorare dafür. Er besang die Koryphäen seiner Zeit, die ihm ihrerseits Ehrensolde übersandten, oder ihn, wie es Sitte war, in ihrem Hause wohnen, an ihrem Tische essen ließen. Zeitweise ging es ihm so erbärmlich, daß er an reiche Leute Bettelgedichte richten mußte, um sein Leben zu fristen. Es war nur zu verständlich, daß sich in dieser Zeit seiner im tiefsten Grunde heiteren und lebensfrohen Seele recht oft die verzweifeltsten Stimmungen bemächtigten. Er fühlte sich von allen verlassen und es war ihm, als hätte sich die ganze Welt gegen ihn verschworen. Einsam und verwaist nannte er sich. Dabei wuchs natürlich sein Bedürfnis nach Freundschaft, noch mehr aber seine Empfindlichkeit. So geriet er immer tiefer in eine Stimmung hinein, welche der Kulturstimmung jener Zeit ähnlich war: Weltschmerz und Lebensverachtung.

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