Eine Taube schluchzt vom Zweige: –
Wird mir bitter weh zumute,
Denn ich finde ihre Schmerzen
In mir selber, und mein Schicksal
Ist dem ihren zu vergleichen.
Weint sie übers Heimatnestlein,
Wein’ ich meines armen Volkes;
Weint sie über Scheiden, Meiden,
Meiner Brüder in der Ferne
Muß ich stöhnen; aber wenn sie
Schluchzt um ihre jungen Tage,
Heb’ ich selber an die Klage
Ueber aller Welt Vergehen.
Abgehaun sind meine Zweige,
Meine Wurzeln ausgerissen,
Wie man ihr die Flügel stutzte;
Allenthalben böse Fallen
Drohen meines Schrittes Eile
Wie die Sprenkel ihren Füßen;
Und den Jäger muß ich fürchten,
Wie sie selbst die flinken Pfeile.
Wahrlich, Pfeile schnellt das Leben:
Scheibe ward ich ihren Schützen,
Und sie treffen in mein Blut
Und vergießen meine Galle,
Und in meine Wunden alle
Werfen sie mir Gift und Glut.
Stützte mich der Adel nicht
Meiner unerschrocknen Seele,
Wär’ ich tot in dieser Fremde,
Diesem Lande, dessen Tage
Nächte sind und Todesschatten.
Aber sie, die edle Seele,
Steigt mir wie das helle Funkeln
Einer Sonne, die nicht wendet,
Nie sich neigt zum Abenddunkeln.
Soll ich mich vor Menschen fürchten,
Da in mir das stärkste Leben
Solcher Seele ist, vor deren
Mächten alle Mächte beben?
Soll ich vor der Sorge zagen,
Da ich aus der Weisheit Schächten
Kann mir Diamanten schlagen?
Hungre ich, sie reicht mir Früchte,
Quellen meinem Durste springen;
Einsam kann ich nimmer heißen,
Da mir ihre Harfen klingen:
Und mit Freunden Rede tauschen
Brauch’ ich nicht, kann ich nur lauschen
Ihrer Worte weisem Singen.
Sieh, in meines Griffel Schreiben
Lebt mir Lautenspiel und Harfe,
Und der Weisheit Schriften bleiben
Gärtlein mir und Paradies.
Redet nur zur Welt, zur schlimmen:
Mag sie tun, was ihr gefällt;
Härter doch als ihre Dornen,
Stärker ist mein starkes Herz.
Darf ich ihre Weine kosten,
Will ich auch die Hefen nippen,
Besseres verlang ich nicht.
Denn erprobt ist meine Seele:
Alle gift’gen Bitternisse
Werden Honig meinen Lippen.
Mag die Welt in harte Ketten
Zehnmal alle Seelen zwingen,
Zehnmal meine Seele retten
Will ich aus den Eisenringen;
Auf zu einem neuen Leben
Will ich aus der Knechtschaft dringen,
Will mich rein und frei entheben
Ihrem trümmerreichen Sturz.
Ihre Schönheit lockt mich nicht:
Mag sie ihre Lichter stellen
Flammend vor mein Angesicht,
Ihre Säle, ihre hellen,
Mögen andere berücken,
Mir sind’s Gräber, die ersticken;
Ihren Reichtum, ihren Schimmer
Laß ich gerne, so wie immer
Gern die Seele läßt den Leib.
Hat sie sich nicht selbst geschändet,
Und ich sollte sie erheben?
Da im Kote sie geendet,
Zögre ich, sie hinzugeben?
Schlecht geschlungen ist die Krone,
Die aus ihrer Hand entlehnte,
Und erröten unterm Hohne
Müssen alle, die sie krönte.
Doch es lebt in mir ein Glaube,
Den ich nimmer lassen werde,
Und ein Bund, den nimmer brechen
Meine starke Seele wird.
Auf ein Leuchten will ich blicken,
Aus der Hand voll Glanz und Schimmer:
O wer weiß, sie kann noch immer
Ihre Morgenröte schicken!
Tragen will ich, alles tragen,
Meinen Kummer unterjochen;
Denn ein einzig starkes Nu:
Und die Kette ist gebrochen!
Wecken wird mich meine Stunde,
Meines Jammers jüngstes Tagen:
Und so harre ich der Kunde,
Gönne meinen Wimpern nimmer,
Daß sich ihnen Schlummer böte,
Immer an der Morgenröte
Wimpern lasse ich sie hängen:
Seelen, die sich selbst erheben,
Seelen, die in Hoffnung leben,
Gott wird ihre Tore sprengen!
Sie besuchten mich im Traume,
Wollten trösten, wollten laben;
Doch versiegelt und vergraben
Blieb ihr Trost im dunklen Raume.
Und von allen ihren Lehren
Hatt’ ich nichts als Herzensdarben,
Sah bei ihnen volle Garben
Und bei mir die dürren Aehren.
Ich von allen meinen Lieben
Bin allein in meiner Kammer
Heimgesucht von allem Jammer
Aller Nöte Kind geblieben. – –
Was noch kann die Zeit mir geben?
Such’ ich, was ich nie erworben? –
Ach, ich bin schon längst gestorben,
Und ich hab’ kein Recht zu leben!
Und als nun alle war mein Gold,
Hat sich der Freund davongetrollt.
Ich lief ihm nach: O hab’ Geduld!
Was zürnst du mir?
Was schuld ich dir?
Da rief er lachend: Deine Schuld
Ist klar:
Bist du nicht arm? –
Siehe, Menschensohn, siehe:
Alles ist Tand!
Ziehe aus, ja, ziehe
Die bunten Kleider der Freude,
Schlag um die Schultern das Trauergewand!
Das wird zerfallen,
Und wie’s zerfällt,
So du:
Das ist von allen
Den Mühn der Welt
Dein letzter Teil –
Die Ruh’!
Kann dich Reichtum locken, Herz?
Jagst du nach dem Glücke?
Kennst du nicht der Zeiten Trug,
All die falsche Tücke?
Wer sich lange Schleppen macht,
Kürzt sich seine Schritte,
Strauchelt bei der schönsten Pracht
Auf des Weges Mitte.
Liegt denn nicht die schlimme Zeit
Deinem Auge offen?
Und du hoffst? – O folge mir:
Höre auf zu hoffen!
Freue dich vor deinem Nächsten,
Ueble Laune lasse schwinden,
Und du wirst das Herz der Weisen
Und den Rat der Klugen finden!
Sei nicht schlecht und sei nicht dumm,
Auch nicht allzusehr gerecht,
Und erreichen wirst du alles,
Was dein Herz sich wünschen möcht.
Weh der Kunde, die im Ohre gellt: –
Keine Wahrheit gibt’s in dieser Welt,
Dieser schlimmen Welt der falschen Wagen:
Wenn ein Mann schon mit ihr leben will,
Sie zur Gattin sich erheben will,
Muß er sich mit einer Dirne plagen!
Du meinst, das Dichten sei mir ein Beruf? –
Lebendig faßt dein gutes Wort mich an;
Doch sag’ ich: Nein! Was je mir Freude schuf,
War nur der Tropfen, der vom Eimer rann.
Das Naschwerk nur, das ich am Herde fand,
Das liebte ich, das hab’ ich mir erwählt,
Doch zu des Geistes Kränzen, die ich wand,
Hab’ ich mein leichtes Dichten nie gezählt.
Und ist die Weisheit wie ein Meer so weit,
Mein Lied ist nur der Schaum, der drüber weht:
Nicht Mauern will ich türmen als Poet,
Mein leichtes Ziel ist: Liebenswürdigkeit.
Nimm dieses Lied aus deines Freundes Hand! –
Zur letzten Reihe stellte ihn das Leben;
Und als es endlich seine Reihe fand,
War alles Glück der Welt schon längst vergeben.
Auch er gehört zu der Berufenen Schar,
Hat niemand seinen Namen auch geschrieben:
Und wenn er selbst der Edelste nicht war,
Er ist im Kreis der Edlen doch geblieben.
Seh’ ich, wie Narren
Sich glücklich preisen,
Seh’ ich die Weisen
Hungern und harren: –
Schnell möcht’ ich laufen,
Den Verstand versaufen!