19. Die Reise.

Der Sommer war während dieser Zeit längst schon in das Land gezogen, der Arzt trieb zur Abreise nach Teplitz, damit der allerdings sehr steife Fuß des Barons durch die Kur vielleicht doch noch beweglicher werde, und so rüsteten wir Alle uns denn zur Abreise. Ich half Eugenien treulich, die gar zu wenig vom Einpacken verstand und es doch gern lernen wollte; aber erst als ich sah, wie Tante Ulrike einpackte, merkte ich wohl, daß ich ebenfalls nichts davon verstand und ging nun selbst erst in die Schule.

Da wir Trauerkleider trugen, bedurften wir keines großen Gepäckes, was Tante überhaupt gern vermied; sie sagte, hohe Reisekoffer und zahllose Schachteln und Kisten gäben ihr eine wenig vortheilhafte Meinung von der dazu gehörenden Reisenden, denn entweder sei dieselbe sehr eitel oder sehr unpraktisch. In der Folge sah ich selbst, wie angenehm es war, wenig Gepäck mit sich zu führen, und war ordentlich stolz auf die kleinen Dimensionen unserer Reiseeffecten im Vergleich mit denen anderer Mitreisenden. Besonders Schachteln, Kästchen, Packete und derartige Gegenstände, die man lose mit sich führt, vermied die Tante möglichst, und mit einiger Scham gedachte ich jetzt der unzähligen kleinen Kistchen und Päckchen, welche ich bei meiner Abreise vom Vaterhause um mich her thürmte; ich hätte sogar meinen Kanarienvogel in seinem Bauer auf meinen Knieen mit mir entführt, hätte Tante Ulrike dies nicht lächelnd abgewehrt.

Jetzt hatten wir nichts bei uns im Wagen, als ein Packet wohlgeschnürter Schirme, ein Bündel Shawls, von Lederriemen umschnallt, und jede von uns eine lederne Handtasche mit kleinen Bedürfnissen während der Reise, z. B. Eau de Cologne, etwas Chocolade, ein kleines Nähzeug, ein Reisehandbuch nebst Karte, Notizbuch, Bürste, Taschentuch und was dergleichen wünschenswerthe Dinge mehr waren. Alles Unnütze mußte zurück bleiben, so sehr ich oft bat und jammerte und nicht begreifen konnte, daß man auf Reisen eben allerlei entbehren muß, sonst soll man zu Hause bleiben bei seinem Comfort und seinen Siebensachen. Die Tante war früher mit ihrem Manne viel gereist, da hatte sie ihre Erfahrungen gesammelt; einfach und praktisch war sie ohnehin, und so konnte ich auch für dies neue Element keine bessere Lehrmeisterin finden. Wie wundervoll verstand sie einen Koffer zu packen! Ich hatte es versucht, aber bald war er voll und ein ganzer Berg Sachen schaute trostlos darein, denn sie fanden keinen Platz mehr in meinem Kofferchen. Da kam die Tante. Ruhig packte sie alles wieder heraus, und nun machte sie sich an's Werk. Unten auf den Boden kamen die schweren Sachen, wie Wäsche, Bücher u. dergl., dann sorgfältig gefaltet Kleider und Röcke, und obenan in einer besonderen Abtheilung Kragen, Tücher und dergleichen leichte Dinge. Bänder und Handschuhe und andere lose Kleinigkeiten flüchteten sich zusammen in ein besonderes Kästchen, das sich bescheiden in eine Ecke drückte, Lücken aber wurden nun durch Schuhe und derartige Rückstände ausgefüllt; es war ein Vergnügen, wie schließlich alles Platz fand; der kleine Koffer schien unter Tante's Händen Gummiwände bekommen zu haben, so viel nahm er in sich auf.

Eugenie reiste einige Tage früher ab als wir, und Herr v. Jagow blieb in der Gesellschaft seiner Kinder, um Eugenien alle Reisesorgen abzunehmen. Später wollte er mit uns wieder zusammentreffen, falls er Eugenien verlassen konnte; ein kleiner Badeort in den Bayrischen Alpen sollte uns wieder vereinigen.

Unsere Fahrt war Anfangs nicht sehr unterhaltend, denn sie führte uns durch langweilige Gegenden der Mark. Um so mehr hatte ich Muße, die Reisegesellschaft zu beobachten, welche sich in dem Eisenbahncoupé mit uns befand. Es waren einige Damen, alte und junge; zwei davon saßen schweigsam in ihrer Ecke, die dritte jedoch begann mit der Tante und mir sehr bald ein Gespräch und schien sich für alles zu interessiren, was man ihr mittheilte. Aber die Tante hatte augenscheinlich keine sehr große Lust, sich mit ihr zu unterhalten, sie zog ein Buch aus der Tasche und begann zu lesen. Die gesprächige Dame widmete sich mir nun ganz allein, und obwohl ich keinen großen Gefallen an ihrer Art und Weise fand, so hielt ich mich doch für verpflichtet, ihr über alles höflich Rede zu stehen, wonach sie fragte. So erfuhr sie denn gar bald all' meine Verhältnisse, Namen und Stand der Tante, sowie Zweck und Ziel unserer Reise. Sie war sehr erfreut zu hören, daß wir das Bayrische Gebirge besuchen wollten, denn auch sie reiste dorthin und suchte Gesellschaft, welche sie in uns glaubte gefunden zu haben. Sie versprach, sich ganz nach uns richten zu wollen, gute Gesellschaft sei ihr die Hauptsache; eine einzelne Dame sei auf Reisen gar zu schlimm daran. Ich konnte ihr darin nicht Unrecht geben, und da sie eine gutmüthige, gescheute Dame zu sein schien, so ging ich auf ihre Anerbietungen freundlich ein. Nun fing sie an, die Tante mit Fragen zu bestürmen, wohin sie gehen würde, damit sie sich danach richte; diese aber schien verstimmt und gab ihr ausweichende Antworten.

Bei dem nächsten Anhaltepunkte wechselte die Tante zu meiner Verwunderung den Wagen.

»Gefiel es dir nicht in jenem Coupé, Tantchen?« fragte ich. »Wir hatten ja so gute Gesellschaft.«

»Nein, Kind, die Zudringlichkeit jener Dame war unerträglich!« sagte die Tante. »Sie gehörte sicher nicht zu der besten Art Frauen; ihr Wesen mißfiel mir vom ersten Augenblicke an.«

»Aber sie schien so gutherzig und reist so allein,« entgegnete ich mitleidig. »Ich kann mir wohl denken, wie lieb es ihr sein muß, Gesellschaft zu finden.«

»Das verstehst du nicht, Kind,« lächelte die Tante. »Sie wird nicht lange allein sein, darüber mache dir keine Sorgen. Nur auf unsere Gesellschaft wird sie verzichten müssen, wir passen nicht für sie. Uebrigens sei vorsichtiger, mein Töchterchen, und erzähle nicht Jedem gleich, wer wir sind, und was wir treiben. Auf Reisen trifft man gar zu häufig mit Personen zusammen, vor denen man sich zu hüten hat. Lieber zu schweigsam gegen deine Reisegesellschaft, als zu offenherzig; besonders ein junges Mädchen kann hierin nicht vorsichtig genug sein.«

Ich beachtete den Rath der Tante und bemerkte nun allerdings, wie zurückhaltend die meisten Mitreisenden waren, besonders die Damen. Gemüthlich war das freilich nicht, aber es gab bald so viel zu sehen, daß ich der Unterhaltung gern entbehrte.

Daß die Tante aber Recht hatte mich zur Vorsicht zu ermahnen, zeigte mir kurze Zeit darauf unser Zusammentreffen mit jener gesprächigen Dame, wovon ich hier gleich erzählen will. In dem reizenden Parthenkirchen nämlich, wo wir uns längere Zeit aufhielten, gingen wir eines Tages im Thale spazieren in Begleitung einer sehr angenehmen Familie aus Berlin, welche wir dort getroffen. Nach einiger Zeit hörten wir Lachen und laute Stimmen einer uns entgegenkommenden Gesellschaft, und bald erkannte ich in einer der Damen unsere lebhafte Reisegefährtin. Sie war höchst elegant gekleidet und schien sich durchaus nicht mehr über Einsamkeit beklagen zu können, denn eine Menge junger, eleganter Herren umgab sie, und die Unterhaltung war sehr heiter. Plötzlich erblickte sie uns und eilte auf uns zu.

»Ah, Frau von Jagow, wie freue ich mich, Sie wieder zu sehen, und Sie, Fräulein Gretchen, wie geht es Ihnen? Welch reizendes Zusammentreffen!«

Die Tante erwiederte den Gruß mit auffallender Kälte; ich freute mich auch durchaus nicht, die Dame wieder zu sehen, die mir heute noch viel weniger gefallen wollte; doch gab ich ihr freundliche Antworten auf ihre Fragen, das ging doch nicht anders. Sie schien große Lust zu haben, in unserer Gesellschaft zu bleiben, aber bald besann sie sich eines Bessern und folgte dem Rufe ihrer Begleiter, welche sehr befreundet mit ihr zu sein schienen.

»Wie in aller Welt kommen Sie zu dieser Bekanntschaft!« rief lachend Herr von Barnheim, sobald die Dame uns verlassen.

»Sie ist mit uns gereist, weiter kenne ich sie nicht,« entgegnete die Tante. »Wissen Sie vielleicht etwas Näheres über dieselbe?«

»O, so viel als alle Gäste von Parthenkirchen, mehr auch nicht!« lachte Herr von Barnheim. »Aber mich dünkt, es ist eben genug, Ihnen zu rathen, sich die gute Dame etwas fern zu halten, denn für Fräulein Gretchen scheint sie mir nicht gerade der passendste Umgang. Wie ich höre ist sie Mitglied verschiedener wandernder Schauspielertruppen gewesen und hat überall die verschiedensten Aventuren gehabt.«

Ich wurde blutroth und freute mich, daß unser Spaziergang bald ein Ende hatte, damit wir der Dame nicht etwa noch einmal begegneten. Am andern Tag erfuhren wir, daß dieselbe weiter gereist sei, und das erleichterte mein Herz außerordentlich, denn nun waren wir hoffentlich von ihrer Gesellschaft befreit.

Nach dieser Abschweifung jedoch kehre ich wieder zum Anfang unserer Reise zurück, denn noch waren wir unterwegs, und zum ersten Male fuhr ich durch ein fremdes Land. Ueber die Grenze von Preußen war ich bis jetzt nie gekommen, nun flogen wir durch Sachsen und dann abermals nach einem anderen Lande: das schöne Bayern lag vor uns.

In Sachsen fing die Gegend zuerst an, einigen Reiz zu bieten, besonders das schöne Elsterthal gefiel mir ausnehmend, und mit Staunen betrachtete ich die gewaltigen Eisenbahnbrücken, welche sich über das Thal spannen. Hof in Bayern war unser erstes Nachtquartier; andern Tages fuhren wir an Kulmbach vorüber, dessen Schloß höchst malerisch vom Felsen herab schaut, und während allen Reisenden das treffliche Bier mundete, das erste echt bayrische, ließ die Tante uns Kaffee zur Erquickung bringen. Sie selbst trank wenig und ging im Freien auf und nieder, ich aber setzte mich in dem netten Zimmer der Restauration an einen Tisch und machte es mir bequem, legte Hut und Handschuhe ab, ordnete mein Haar und blies dem heißen Kaffee von Zeit zu Zeit Kühlung zu. Eben wollte ich anfangen ihn behaglich zu schlürfen, da läuteten die Glocken zum Einsteigen, die Tante rief, und traurig mußte ich meinen schönen Kaffee im Stiche lassen. Aber das war eine gute Lehre, von nun an beeilte ich mich besser. Die schöne Gegend tröstete mich bald über den kleinen Verdruß, denn wir näherten uns Bamberg, fuhren an dem schönen Kloster Banz vorüber, und in der Ferne lagen die grünen Berge der fränkischen Schweiz.

In Bamberg blieben wir einige Tage. Was ist das für eine nette Stadt; wie prächtig liegt sie da, umkränzt von sanften Bergen und geschmückt mit dem stattlichen Dom und der Ruine Altenburg auf der Höhe! Bei prächtigem Wetter stiegen wir zu diesem alten Schlosse hinauf. Wie freute ich mich an der schönen Gegend, Berge sah ich zum ersten Male; ich wünschte mir Flügel, um mich dort hinauf zu schwingen; wie weit mußte man da oben sehen können!

Geschichtliche Erinnerungen sprachen auf dem alten Schlosse zu uns, denn im Jahre 1208 soll in dem Thurmzimmer, in welchem wir uns ausruhten, der Kaiser Philipp von Schwaben durch Otto von Wittelsbach umgebracht worden sein. Mir grauste, obwohl mir der nie verlöschende Blutfleck am Boden nicht echt erscheinen wollte; dergleichen Flecke gehören aber nun einmal zu solchen grausenhaften Geschichten.

In Hof, wo wir unser erstes Nachtquartier hielten, war ich am Morgen der Abreise nur mit Mühe und Noth mit meinem Anzug fertig geworden; denn zuerst ließ ich sehr sorglos die Zeit vergehen, und schließlich mußte ich in höchster Eile mein Haar nur halb geflochten unter den Hut stecken, da der Omnibus vor der Thür stand, uns abzuholen.

In Erinnerung an diese Angst und Hast stand ich denn am Morgen unserer Abreise von Bamberg sehr früh auf und war mit Anziehen, Einpacken und Frühstücken so zeitig fertig, daß ich die Tante um Erlaubniß bat, noch ein wenig in den Straßen umher gehen zu dürfen. »Versäume nur die Zeit nicht!« mahnte Tante Ulrike, gewährte mir aber gern meinen Wunsch. So strich ich denn frohen Sinnes in den Straßen auf und nieder und vertrieb mir die Zeit sehr angenehm, denn es war gerade Markttag, und zu allen Thoren kamen die Landleute in fremdartiger Tracht mit ihren Waaren herein, und buntes Leben herrschte bald überall.

Auch in den schönen Dom trat ich noch einmal zum Abschied, betrachtete mir die alten Bilder und Grabsteine, besonders das berühmte Denkmal von Kaiser Heinrich II. und seiner Gemahlin Kunigunde, und so bemerkte ich nicht, daß es schon spät geworden, bis die Uhr am Glockenthurm über mir plötzlich die Stunde schlug. Erschrocken eilte ich fort, denn die Zeit unserer Abreise war nahe, und noch hatte ich den Rückweg vor mir. Hastig schritt ich durch die Straßen; ich meinte, den Weg zu wissen, aber welch' ein Schrecken, ich mußte mich verirrt haben, denn plötzlich war ich wieder auf dem Platze am Dom, von wo ich ausgegangen. Ich fragte mich nun von Straße zu Straße, einer zeigte hier-, der ander dorthin; in Schweiß gebadet lief ich immer vorwärts, der nächste Weg konnte es unmöglich sein, den man mir angab. Gern hätte ich einen Wagen genommen, aber nirgends traf ich einen leeren; dem Weinen nahe bat ich endlich einen Knaben, mich zu begleiten, und athemlos gelangte ich an unserem Hôtel wieder an.

Die Tante war in großer Sorge um mich; den Frühzug hatten wir versäumt und mußten nun mit dem Mittagszuge fahren. Ich war sehr niedergeschlagen über meine Unbesonnenheit, die Tante jedoch tröstete mich; heute habe unsere Versäumniß ja nichts zu bedeuten; für ein anderes Mal möchte ich es mir zur Lehre nehmen, denn in fremder Stadt könne mir in Zukunft dergleichen öfter passiren.

Aber die Irrfahrten am Morgen waren nur das Vorspiel von anderweitigem Ungemach, das mir an dem Tage zustieß; man hat so seine Unglückstage, ich mußte heute wohl mit dem linken Fuße zuerst aus dem Bette gestiegen sein.

Als wir nämlich Mittags endlich glücklich auf der Eisenbahn angekommen waren und unsere Plätze gewählt hatten, stieg die Tante noch einmal aus dem Wagen, da sie soeben eine alte Bekannte in einem andern Coupé gesehen hatte, welche sie begrüßen wollte. Sie übergab mir die Reisebillets und eilte fort. Im selben Augenblicke wurde köstliches Obst vorbei getragen, und ich sowie alle Mitreisenden kauften davon. Man drängte sich um die offene Thür, an der ich saß, ich reichte dienstfertig Obst nach allen Seiten, nahm dafür Geld in Empfang, kurz war sehr eifrig in diese Angelegenheit vertieft und ordnete dann geschäftig unsere Sachen, die noch umher lagen.

Da kam die Tante und mit ihr der Beamte, welcher die Billets einforderte. Ich griff nach den unsrigen, welche die Tante mir gegeben, – sie waren fort! Bestürzt suchte ich am Boden, auf den Kissen, kehrte alle Taschen um, schüttelte Kleid und Tuch aus, alle Mitreisenden halfen suchen, – es war umsonst, die Billets waren nirgends zu finden. Nur der weiße Gepäckschein fand sich vor, die anderen Zettel mußten mir beim Handeln um das Obst verloren gegangen sein; ich konnte mich nicht besinnen, sie wieder gesehen zu haben, seit die Tante sie mir auf den Schooß gelegt.

Der Beamte zuckte die Achseln und bedauerte das Mißgeschick, aber ohne Billet konnte er uns beim besten Willen nicht reisen lassen; wir mußten aussteigen und neue Billets lösen. Es war die höchste Zeit, der Zug sollte sogleich abfahren, und in Hast und Eile stürzte ich zum Wagen hinaus. Da flog etwas neben mir zu Boden, es war eines der Billets. Gott sei Dank, so war doch eins wenigstens da, das zweite freilich erschien nicht, wer weiß, wohin sich das geflüchtet; ich eilte zur Kasse und war endlich froh, überhaupt noch mit fort zu kommen.

Bitterlich weinend drückte ich mich in die Wagenecke; die gute Tante sagte mir kein Wort des Vorwurfs, aber Scham und Aerger über meinen Leichtsinn verbitterten mir den Genuß der ganzen Reise. »Du mußt künftig die Billets sogleich in den Geldbeutel stecken, das ist der beste Platz,« sagte die Tante später. »So wie dir heute ist es schon manch Anderem auch ergangen. Dir wird es nun so leicht nicht wieder geschehen!« »Ja, nachdem du arme Tante meine Thorheiten mit schwerem Gelde bezahlen mußtest!« seufzte ich, ihr die Hand küssend. »Nun beruhige dich, Kind,« entgegnete sie liebevoll. »Wenn man alle Thorheiten so leicht wieder gut machen könnte, so wäre es ein Glück. Genieße jetzt die schöne Gegend und laß das Grübeln und Aergern, ich vergebe dir alles von Herzen!«

Und wahrlich, bald gab es so viel Schönes und Interessantes zu sehen, daß es mit freiem, frohem Herzen genossen sein wollte, und so war ich der Tante innig dankbar für ihre Güte und Nachsicht. Wie entzückte mich das prächtige, alterthümliche Nürnberg, wohin wir nun kamen; wie konnte ich mich nicht satt sehen an dieser merkwürdigen Stadt, voll von Schönheiten aus dem Mittelalter. Jedes Haus hat dort seine besondere Physiognomie, jedes Thürmchen, jeder Giebel, jede Dachrinne sogar den eigenthümlichsten Schmuck; Malereien, Schnitzwerk, Thierköpfe und alle dergleichen Schnörkel sieht man, wohin das Auge sich wendet, und das alles giebt den Straßen ein lustiges, buntes und doch wieder so ehrwürdiges Ansehen. Natürlich betrachteten wir alle Sehenswürdigkeiten der Stadt auf das Beste; da all diese Dinge aber viel genauer und besser in Bädekers rothem Reisehandbuch zu finden sind, so erspare ich euch und mir die Beschreibung.

Vor allem entzückte mich die Sebalduskirche mit dem herrlichen Sebaldusgrabe. Was muß dieser Meister Peter Vischer für ein Mann gewesen sein, so bürgerlich schlicht und doch so groß in seinen Werken. Die prachtvolle Lorenzerkirche hob meine Seele mächtig zu Dem empor, zu Dessen Dienste sie gebaut worden, und die wunderschöne Fensterrose über dem gothischen Eingangsportale begeisterte mich sogar zu einem kleinen poetischen Versuche, den ich ehrlich mittheilen will, da ich hier doch nun einmal all meine Schwächen und Thorheiten zum Besten gebe. Ich hoffe, meine lieben jungen Freundinnen werden ein gnädig Gericht ergehen lassen; welche von ihnen hätte nicht auch einmal ein Verschen versucht. Das meine also heißt:

Die Rose.

Zu Nürnberg, dem alten,

Im lieben Bayerland,

Da blüht eine köstliche Rose,

Gar weit und breit bekannt.

Sie blühet seit grauen Zeiten

Schon manch Jahrhundert dort,

Und immer noch duftet und strahlet

Die Krone der Blumen fort.

Noch hat aus dem blühenden Schooße

Die Zeit kein Blättchen geraubt,

Von Wetter und Sturm unberühret

Erhebt sie zum Himmel das Haupt.

Sie blüht an geheiligter Stätte

In wunderlieblichem Glanz,

Und schlanke Säulen und Bogen

Umziehn sie in herrlichem Kranz.

Aus ihrem schimmernden Kelche

Umwehet uns heiliger Duft,

Wie holde, liebliche Klänge

Durchzittert es leise die Luft.

Und auf ihren glänzenden Schwingen

Trägt sie die Sonne empor;

Sie strahlet im Dienste des Höchsten,

Wie Engel im himmlischen Chor.

Und willst du die Rose kennen?

Zu Sanct Lorenzen dort

Da blüht sie im hohen Portale

Als Fenster-Rose fort!

Soll ich nun auch noch das andere zum Besten geben, wozu das allerliebste Gänsemännchen mich angeregt? Schön ist's nicht, aber es sei darum! Also:

Auf dem Markt zu Nürrenberg

Steht ein Bauersmann,

Lieben Leute, kommt herbei,

Seht den Mann euch an.

Gänse hat er unterm Arm,

Bringt sie wohl zu Kauf?

Nimmt sie ihm denn Niemand ab?

Macht den Beutel auf!

Aber wie? sie scheinen euch

Nicht recht fett zu sein,

Auch der Preis ist viel zu hoch.

Und die Gans zu klein!

Ei das fährt dem Bäuerlein

Garstig in den Sinn,

Auf den Nürrenberger Markt

Tritt er trotzig hin.

Und dem, der zu nah ihm kommt

Diesem kleinen Wicht,

Speien seine Gänse gleich

Wasser ins Gesicht.

Und so steht er heute noch,

Allen wohl bekannt

Auf dem Nürrenberger Markt,

Gänsemann genannt.

Unerwähnt kann ich außerdem aber Eines nicht lassen, das ist der Johanneskirchhof bei Nürnberg, die eigenthümlichste Grabstätte, die man sehen kann. Edle Männer sind hier einst zur Ruhe gegangen, wie Hans Sachs, Albrecht Dürer, Peter Vischer und andere große Bürger des alten Nürnberg. Aber keine Kreuze, Urnen oder glänzende Denkmäler, keine blumenbedeckten Gräber, keine Bäume und Rasenhügel erheben sich an dieser Ruhestätte; sondern Seite an Seite, dicht an einander gereiht, bedecken hier mehr als 3000 große flache Sandsteine die ganze Länge und Breite ihrer Gräber. Sie sind verziert mit den eisernen Wappen und Namenszügen der alten Geschlechter, welche seit Jahrhunderten unter diesen Steinen schlafen gegangen. In die ausgemauerte Gruft unter denselben wird Sarg auf Sarg gestellt, alle Glieder der Familie bei einander, alle bedeckt von demselben Grabsteine, der schon vor Jahrhunderten ihre Vorfahren deckte. Wahrlich, eine Ahnentafel, ernst und gewaltig, von der Hand des Todes selbst auf den Stein eingegraben!

Das schöne Nürnberg verließ ich sehr ungern, aber es lag ja noch Schöneres vor uns, die Herrlichkeit, die keines Menschen Hand geschaffen, die wunderbare Alpenwelt! Den Besuch von München, das auf unserem Wege lag, verschoben wir bis zur Rückreise, denn Herr v. Jagow, welcher jetzt dort lebte, wollte alsdann unser Führer sein.

Nun näherten wir uns mehr und mehr der fernen Alpenkette, und unser Eintritt in diese schöne Welt hätte nicht schöner sein können: die Sonne neigte sich soeben ihrem Untergange zu und tauchte die Berge in dunkelroth schimmernde Gluth, so daß sie dastanden wie Bilder aus dem Feenreiche. Es war so über alle Begriffe erhaben und prachtvoll, daß ich still die Hände faltete, und mir Thräne auf Thräne über die Wangen lief. O Gott, wie groß, wie herrlich ist deine Welt und wie namenlos glücklich Jeder, der wie ich einen so schönen Theil davon kennen lernt! Was sind alle Werke der Menschen gegen deine Schöpfungen, deine Wunder?

Wollte ich ausführlich erzählen, wo wir nun die nächsten Wochen umher schwärmten, so könnte ich allein davon ein ganzes Buch schreiben, ohne ein Ende zu finden, und dennoch würde ich euch keinen Begriff davon geben können, wie schön es überall war, wie unvergeßlich diese so herrlichen, wonnevollen Tage.

Zuerst machten wir einen kurzen Ausflug nach dem Algäu, dem Lande der üppig grünen Wiesen und des prachtvollen Rindviehes, dessen wunderbar schöne Alpenkette mir aber freilich viel lieber war, als all dies. Immenstadt, Sonthofen und Oberstdorf waren dort die bedeutendsten Orte, von wo aus wir einzelne Streifzüge nach den Bergen unternahmen. Von Immenstadt geht die Eisenbahn nach Lindau und dem Bodensee, eine Schweizerreise aber versprach mir die Tante für ein anderes Mal, jetzt zogen wir nach den Bayrischen Alpen und deren erstem Stationspunkte Füßen. Mit besonderer Vorliebe denke ich an dies Fleckchen schöne Gotteswelt zurück; denn dort nahebei liegt die Perle der ganzen Umgegend, das reizende Hohenschwangau, wo wir uns in dem Wirthshäuschen zur Alpenrose gar zu wohl fühlten, treulich gepflegt von der Wirthin, einer munteren Tyrolerin in ihrer malerischen Nationaltracht, die rothe Rose auf dem spitzen Hut und silberne Ketten am Mieder. Dicht vor der Thür, von prachtvollen Linden überschaut, ist das einladenste Plätzchen bereit; vor uns, blitzend im reinsten Blaugrün, der stille Alp-See, auf dem sich weiße Schwäne wiegten, rings umzogen von saftigem Grün und malerischen Felswänden, über welche hinaus in weiterer Ferne einige Häupter der Alpenkette herüber schauen. Zu verdenken war es dem jungen Bayernkönig wahrlich nicht, daß er hier seiner schönen Königin Marie, welche ohnehin die rüstigste Bergsteigerin ist, ein köstliches kleines Schloß erbaut hat, das einen Blick vergönnt weit hinaus über Berge, Seen und Flachland.

Garmisch und Parthenkirchen, am Fuße des prachtvollen Zugspitz gelegen, waren, wie ich schon erwähnte, ferner die Orte, an denen wir längere Zeit verweilten, und obwohl wir dann noch weitere Touren machten, z. B. nach dem schönen Kochel- und Walchensee, so verweile ich doch nur in jenen malerisch gelegenen Flecken noch einige Augenblicke, da mir dort etwas begegnete, was ich nie wieder vergessen werde, so lang ich lebe.

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