Die Götter auf Kundschaft.

Seit der Begeisterungstrunk in Walhall die Runde machte und Bragi, der Dichtergott, seine Lieder sang von Heldentum und ewig jungem Ruhm, gewannen die Götter ihre alte Festigkeit zurück, und ihr Mut loderte auf wie eine heilige Flamme gegen jedes dunkle Schicksal, das an ihrer Vernichtung arbeitete. Reicher denn je und freudiger denn je stiegen die Opfer gen Himmel, welche die Menschen darbrachten, die wie die Götter zu kämpfen hatten gegen dunkle Mächte und sichtbare Feinde allüberall und darum die Gottheiten am meisten liebten, die ein kriegerisch Herz in der Brust trugen wie sie selber.

Das sah Loki, der neidische, mit starkem Unbehagen, und seine Arglist suchte, wie er den im Opfer bevorzugten Göttern Schaden antun könne, um sie niederzuhalten und sich selbst zu heben. Es war zu der Zeit, da Donar, der donnernde Thor, seine Kampffahrten plante gegen die unheilstiftenden Riesenmächte in Utgard, die seit des Riesenbaumeisters Erschlagung in rastloser Unruhe blieben.

Loki war nicht wählerisch, wenn es sich um die Erreichung seiner ehrgeizigen Ziele handelte. Er wünschte insgeheim die Aufrührer zu stärken und ihnen einen Zuschuß von der Unbeugsamkeit der Götter zu geben. Darum fuhr er gen Utland ins riesische Jotenreich und fand eine Riesin, Angurboda, ein fürchterliches Weib, die ihm grinsend zu Willen war und ihm Drillinge gebar von scheusäligem Aussehen. Den Fenriswolf, die Schlange Jormungand und ein grausiges Weibsgeschöpf, die Hel.

Allvater erforschte die Drei, als er in einsamer Stunde den Runenzauber befragte nach den Feinden Asgards und der Asen. Die Götter gingen zu Rat und beschlossen, den Riesen die Kinder Lokis abzufordern, da sie zum Wohnsitz des Vaters gehörten. Die Riesen willfahrten knirschend, denn noch wagten sie nicht offene Auflehnung gegen ihre Beherrscher.

Die Götter prallten zurück, als man die Scheusale vor sie brachte. Lokis Brut zu ermorden, widerstand ihnen an geheiligter Himmelsstätte. Aber unschädlich sollte sie gemacht werden. Und Wodan packte die Schlange und schleuderte sie in das Meer, das sich brausend um Midgard schlingt, und die Midgardschlange dehnte ihren eklen Leib, daß er rund um die Erde reichte und das Meer erfüllte, und sie biß sich mit scharfem Gebiß in den eigenen Schwanz, also, daß sie einen ungeheuren Ring bildete. Das grausige Weib, die Hel, verbannte Wodan in die tiefste Tiefe von Niflheim und setzte sie über die Totenwelt, in die nur gelangte, der an schleichendem Alter und Krankheiten aller Art, nicht aber an ehrlichen Schlachtenwunden gestorben war. Und Hel trat die Herrschaft an und war eine unerbittliche Forderin des Todes.

Noch war der Fenriswolf zurückgeblieben. Erst trieben die Götter ihren Scherz mit dem Wilden. Aber das Ungetüm wuchs mit jeder Nacht und drohte jeden zu verschlingen, der sich ihm näherte. Da hielten es die Götter bald für rätlich, ihn in Fesseln zu legen.

Sie wanden eine Schlinge, fesselten sich selber damit und zerrissen sie vor des Wolfes Augen.

»Nun, Fenris,« sprachen sie, »bist du auch so stark, so tue es nach.« Der Wolf ließ sich binden und sprengte die Fessel mit einem Ruck.

Da wanden die Asen eine dreifach starke Schlinge und reizten den Wolf, bis er sich wieder binden und schnüren ließ. Dreimal mußte der Wolf anrücken. Dann sprang die Fessel in Stücke.

Zu den kunstreichen Zwergen sandte Wodan und befahl ihnen, eine Fessel herzustellen, die nicht zu lockern sei. Und die Zwerge suchten die seltensten Stoffe aus aller Welt zusammen, Barthaare eines Weibes, Wurzelfasern eines Felsen, Sehnenfäden eines Bären, mischten alles mit dem Speichel eines Vogels, dem Atem eines Fisches, der Geräuschlosigkeit einer Katze und wanden eine schmiegsame Fessel daraus, die sich umso stärker zusammenzog, je heftiger man gegen sie anging. Und die Fessel hieß Gleipnir.

An einen weltfernen, einsamen Ort begaben sich die Götter und nahmen den Fenriswolf wie zur Begleitung und Unterhaltung mit sich. Dort wiesen sie ihm die Fessel und reizten ihn wie schon zu zweien Malen, seine Kraft zu erproben. Aber der Wolf war mißtrauisch geworden und wollte nicht.

»Welch einen Feigling führen wir in unserer Mitte,« höhnten die Götter ihn aus.

Der Wolf wurde ärgerlich und wollte den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen.

»Ich fürchte mich vor nichts,« grollte er, »aber ihr könntet mich bös verzaubern, während ich beschäftigt bin, die Fesseln zu sprengen. Lege mir also einer von euch die rechte Hand in den Rachen, damit das Wagestück ordnungsmäßig vonstatten geht. Ich beiße sie ab, wenn ihr Zaubereien treibt.«

Verblüfft sahen sich die Götter an. Die Schwerthand wünschte nicht einer zu opfern. Da trat heißen Angesichtes der tapfere Ziu vor, den die Nordmänner Tyr nannten und dem die jungen Krieger als ihrem Schlachtengott in blanken Schwertertänzen huldigten; er schob dem Untier wortlos die Rechte in den Rachen. Nun ließ der Fenriswolf das Abenteuer geschehen. Aber als ihn die Fessel Gleipnir wie mit Schlangenarmen umwand, daß ihm der ohnmächtige Schweiß aus allen Poren brach und er spürte, daß seine Kraft überwältigt sei, als die Götter die Fessel im Grunde der Erde verankerten, so daß er nimmer los konnte, schnappte er zornwütig zu und biß Tyr, der nicht mit der Wimper zuckte, die rechte Hand ab. So gab der Gott selber seine Buße. Dem Wolf aber, der alles um sich her zu verschlingen drohte und mit seinem durchdringenden Geheul Lebende und Tote erschreckte, stießen die Asen ein Schwert zwischen die aufgerissenen Kiefern, daß das Geheul erstarb und nur der Geifer des Wütenden in Strömen hervorschoß. Dann ließen sie ihn in der Einsamkeit. –

Wieder saß in Asgard Wodan, der Odin der Nordmänner, und lange währte sein Gespräch mit Donar, dem donnernden Thor, der nach ihm der mächtigste war, der Mann der Tat. Ernst blickte Thor, und er nickte zu allem, was Allvater sprach.

»Das Schicksal der Götter,« sprach Allvater, »liegt in der Götter eigener Hand. Mut schreckt es zurück.«

»Es ist wie bei den Menschen,« sprach Thor. »Jeder ist Herr seines Schicksals, solange er um sich schlägt.«

»Herrscher und Führer,« sprach Allvater, »sitzen auf weithin sichtbaren Stühlen. All ihr Tun ist leicht zu übersehen, und es ist leicht darum, sie anzugreifen.«

»So sollen sie,« sprach Thor, »nicht auf den Angriff warten, sondern den Angriff vorantragen.«

»Du bist des Vaters echter Sohn,« schloß Allvater. »So gehe denn hin und forsche den Feind in seinem Lager aus.«

Asathor schirrte seine Böcke in den Wagen. Er schnallte den Stärkegürtel um, der seine Kraft verdreifachte, und legte die Eisenhandschuhe an, mit denen er den Stiel seines Hammers Mjolnir fassen konnte, wenn der Hammer mitsamt dem Stiel glühend geworden war in der Hitze des Kampfes. Den Hammer selbst barg er am Busen. Dann lud er Loki zum Fahrtgenossen.

»Es ist besser, ich habe dich bei mir, als daß du in Asgard Schabernack treibst.« Und Loki, dem das Schicksal seiner Brut vor ängstlichen Augen stand, sagte ihm gute Reisekameradschaft zu.

Gen Utgard ging die Fahrt, und am Abend des ersten Tages hatten sie den Rand der bewohnten Erde am Meeresstrande erreicht und luden sich bei einem Bauern zur Nacht ein. Schwer hatten die Felder des Bauern mit den unwirtlichen Mächten aus dem jenseitigen Utgard zu kämpfen, und um die Armut des Mannes zu schonen, schlachtete Thor seine Böcke zur Abendmahlzeit, gebot aber jedem in der Familie, die Knochen fein säuberlich zu behandeln und unversehrt auf die Bockfelle zu legen. So sättigten sich alle und dankten dem gütigen Spender. Loki aber trieb es schon wieder, dem starken Gott Verlegenheiten zu schaffen, und er beschwatzte den Sohn des Bauern, ein Schenkelknöchlein zu öffnen und das leckere Mark herauszusaugen.

In der Morgenfrühe stand der Donnerer zur Weiterfahrt bereit. Er beschrieb mit dem Hammer sein Zeichen über Felle und Knochen, und augenblicks standen die Böcke fahrtbereit im Geschirr. Der eine Bock aber lahmte ein wenig und hinderte die schnelle Fahrt.

Thor griff nach seinem Hammer. Seine Augen blitzten vor Zorn und sein Rotbart sträubte sich. Da erkannten ihn die Bauersleute als den Gewaltigen, der ihre Äcker und ihr Leben schützte, und sie umfaßten seine Knie und blickten ihn aus treuen Augen an.

»Asathor, es ist nicht unsere Schuld. Der, den du bei dir führst, erlaubte unserem Sohne Thjalfi, den Knochen zu öffnen und das Mark zu saugen. Nimm unseren Sohn Thjalfi zur Sühne als deinen Diener mit dir. Keinen schnelleren im Lauf findest du unter den Menschen.«

Der Donnerer nahm die Sühne an und reichte die Hand freundlich zum Abschied. Und zu Loki gewandt, meinte er lächelnd: »Ich sehe, daß du lieber läufst, als fährst. Es wird ein beschwerlicher Marsch werden, der Schweiß kostet und Blasen unter den Füßen, aber du hast es gewollt. Auf, Thjalfi!«

Und er ließ das Bockgespann bei dem Bauern, daß er es bis zu seiner Rückkehr gut verpflege und den Schaden heile.

Durch das Meer schwamm Thor mit Loki und Thjalfi, und er wanderte mit ihnen durch die Wälderwildnis von Utgard, daß Loki oft erseufzte. Und sie fanden nichts Lebendiges und keine Herberge. Erst in dunkler Nacht stießen sie auf eine Behausung. Aber statt durch eine Tür mußten sie durch eine Art großen Schuppens kriechen und zählten vier langgestreckte Hallen mit einer fünften gekrümmten als Nebengelaß. Todmüde sanken sie in Schlaf. Plötzlich fuhren sie wieder empor. Das Haus schwankte unter einem greulichen Sturmgezeter wie ein Schiff, das kieloben zu gehen droht, und sie retteten sich eilends ins Freie und wachten den Morgen heran.

Am Morgen machte sich Thor auf Kundschaft. Er ging dem Sturmgezeter nach und stieß bald auf einen Riesen, der den Wald mit seinem Schnarchen füllte wie die Sturmtrompeten die Luft, und Thor nahm seinen Hammer. Im selben Augenblicke sprang der Riese auf und war so bergehoch, daß Thor kaum zu seinem Haupte hinaufzusehen vermochte und den Hammerwurf unterließ. »Ich suche meinen Handschuh,« knurrte der Riese, spähte umher und hob die Behausung auf mit den vier langgestreckten Sälen und dem fünften als Nebengelaß. Thor machte runde Augen. Im Handschuh des Riesen hatte er mit seinen Gesellen genächtigt.

Der Riese aber machte sich gutmütig mit den fremden Wanderern bekannt, nannte sich selber Skrymir, das ist so viel wie Großmaul, und meinte, auf den Donnerer weisend. »Dieser da ist unverkennbar. Es ist Asathor, der den Hammer führt.« Und er erbot sich, ihnen den Weg zur Königsburg in Utgard zu weisen.

»Ihr seid für den Marsch zu sehr mit euren Vorratssäcken belastet,« meinte er bei der gemeinsamen Wanderung. »Gebt mir die Bündel. Einem Kerl wie mir macht es nichts aus.« Und er öffnete den eigenen Rucksack, packte die Bündel seiner Begleiter hinein, schnürte den Sack zu und warf ihn wie eine Feder über die Schulter. Damit waren die drei Wanderer wohl zufrieden. Weniger zufrieden aber waren sie, daß sie mit den Riesenbeinen Schritt halten und einen ganzen Tag lang, bis zum Einbruch der Nacht, Jagdhunden gleich hinter Skrymir durch nicht endenwollende Waldwildnisse rennen und stolpern mußten, ohne essen oder trinken zu können. Und als der Riese endlich Halt machte, weil es pechdunkel im Walde geworden war, und die drei Gesellen atemlos bei ihm anlangten, hatte sich Skrymir bereits in das Moos gebettet und schnarchte, daß die Baumwipfel brausten und die Vögel aus den Nestern stürzten.

Loki drehte sich vor Hunger auf einem Beine und verwünschte die verunglückte Reise. Thjalfi, der Läufer, ließ die ausgetrocknete Zunge bis zum Kinn hinunterhängen. Thor aber donnerte sie an: »Nie hilft schimpfen zum Ziel oder schweigendes Ertragen! Regt die Hände! Packt an!« Und sie packten zu dritt des Riesen Rucksack und wälzten ihn herum und mühten und mühten sich vergebens, die Verschnürung zu öffnen.

Thor griff nach dem Hammer.

»Wach auf, du Schnarcher,« rief er, »wir verhungern!« Und er schlug ihm den Hammer auf den Schädel, daß der Wald wie von einer Pauke erdröhnte.

Der Riese wischte schlaftrunken über seine Stirn. »Es ist mir ein Blatt auf den Kopf gefallen,« murmelte er, und schon schnarchte er weiter.

Thor stutzte. Dann sammelte er eine Zeit lang weise seine Kräfte, hob den Hammer und jagte ihn in Skrymirs Wirbel, daß von dem Gedröhne die Berge hüpften.

Wieder fuhr sich der Riese schlaftrunken über den Kopf. »Diesmal ist mir eine Eichel auf den Kopf gehüpft,« murmelte er, und schon schnarchte er weiter.

Sprachlos starrte der Donnerer auf den ungeheuren Mann, bei dem selbst sein Hammer versagte.

»Laß ab,« bat Loki in Ängsten, »hier findest du leicht deinen Meister. Laß uns umkehren und nimmer wiederkommen.«

Mit einer Handbewegung tat Thor den Schwätzer ab. Bis es dämmerte, ruhte er. Dann erhob er sich neu gestärkt, ließ so schnell den Hammer kreisen, daß er Blitze schoß, und schmetterte ihn mit Donnergekrach tief in des Riesen Schläfenbein.

Der aber wurde munter und sprang auf die Füße. Mit der Hand wischte er sich den Kopf.

»Pfui! Pfui! Da hat ein Vogel mir 'was auf den Kopf klatschen lassen. Ich mach mich davon.«

»Erst zeig den Weg zu Ende!« verlangte Thor.

Der Riese sah die von den Nachtwachen, von Hunger und Durst Ermüdeten forschend an. »Wenn ihr auf eurer Reise besteht, so sei's. Aber ich warne euch. Der König Utgardloki, zu dem ihr wollt, gebietet über Riesenkerle, gegen die ich nur ein Kinderspaß bin. Seid also fein bescheiden an seinem Hof, haltet die Zunge im Zaum und überhebt euch nicht, damit ihr halbwegs gesund von dannen schlüpft. Ich an eurer Stelle trollte mich schleunigst und setzte meinen guten Namen nicht aufs Spiel.«

»Schweig, du Großmaul,« gebot Thor, »und weise den Weg.«

Da deutete Skrymir auf eine Waldlichtung, schulterte seinen Sack und verschwand zwischen den Bäumen.

Ohne Zögern marschierte Thor auf die Waldlichtung zu, ob auch Loki ihn anflehte, das Abenteuer auf günstigere Zeiten zu verschieben. Und als sie die Waldlichtung erreicht hatten, sprang vor ihnen auf einem Felsen Utgardlokis Burg bis in die Wolken, von einem Eisengitter dicht verschlossen. Kein Wächter meldete sich, als sie riefen.

»Wir sind so klein wie die Ameisen vor diesem Riesenwall,« jammerte Loki.

»Auch Kleinheit kann vom Flecke helfen,« entgegnete Thor. »Sieh her!« Und er zwängte sich leicht durch die Gitterstäbe und half den Gefährten nach. So kamen sie in den Burghof, auf den die Königshalle mündete, und Thor führte die Gefährten hocherhobenen Hauptes in die Halle.

Auf erhabenem Throne, die Schar seiner Riesenmannen um sich, saß in dunkler Pracht der König Utgardloki. Er zwinkerte mit den Augen, als vermöge er nicht recht zu erkennen, was sich über den Boden zu seinen Füßen auf ihn zu bewege.

»Ei, du putziger Kleiner,« rief er dem Donnerer zu, »was bist denn du für ein Kerlchen?«

»Ich bin Donar, der Ase, den sie den Thor nennen. Ich komme, dich zu besuchen.«

»Kleiner Scherzbold,« spottete der Riesenkönig, »Asathor willst du sein? Den hatte ich mir als einen Mann gedacht, immerhin mir bis zum Bauche. Doch vielleicht – wer weiß es – kannst du mit deinen Gefährten da allerlei Taten, die euch ein Wettspiel mit meinen Mannen suchen lassen.« Und er lachte, daß sein Bauch schütterte.

Der hungernde Loki sprang vor.

»Ich vermesse mich,« rief der Listige, »jeden zu schlagen, der es mit mir im Essen aufnehmen will. Und sei sein Magen so lang, daß ich selbst darin wohnen könnte.«

Die Wette machte dem König Spaß, und er winkte einem seiner Hofleute, den er Logi rief, sich bereit zu machen. Da wurde zwischen die beiden Kämpen ein Trog geschoben, bis zum Rande gehäuft mit Rindervierteln, und Loki, der Ase, setzte sich an das eine Ende des Troges, und Logi, der Riese, an das andere. Dann gab der König das Zeichen. Und sie aßen und fraßen, daß ihnen die Augen aus den Höhlen quollen und den Zuschauern die Haare zu Berge standen, und als sie in der Mitte des Troges mit den Köpfen aneinanderprallten, war der Trog bis auf den Boden leer, und sie leckten sich die Lippen.

Der König kam und sah in den Trog hinein. Da lagen in der Hälfte, die Loki, der Ase, leergezehrt hatte, die Knochen abgenagt und ausgesogen bis aufs Mark. Logi, der Riese, aber hatte die Knochen samt dem Fleisch verschlungen und seinen halben Holztrog obendrein. Darum wurde der Riese für den Sieger erklärt. Loki war es einerlei. Er war satt geworden.

Und der König wandte sich an Thjalfi und fragte ihn, in welcher Kunst er sich etwas zutraue.

»Ich bin ein Schnelläufer,« antwortete der Jüngling, »stellt mich auf die Probe.«

Der König rief einen Diener, den er Hugi nannte, und alle gingen sie auf ein weites Feld. Der Knabe rannte wie der Wind nach dem Ziel, aber Hugi flog ihm voraus und kehrte zu ihm zurück, und Thjalfi mußte sich geschlagen geben.

Nun wandte sich der König Utgardloki dem Donnerer zu.

»Die Reihe ist an dir. Beweise uns die überlegene Kunst der Asen und wähle selber.«

Da wählte Asathor das Trinkhorn. Denn er war ein Zecher, der alles Lebende unter die Bänke trank.

So saßen sie in der Halle auf der Metbank nieder, und Utgardloki hieß das Horn bringen.

»Sieh dir meine Mannen an, Thor. Sie leeren dies Horn auf einen Zug, wenn sie bei Laune sind. Sicherlich aber in zwei Zügen. Wer es aber mit dreien nicht zu leeren vermag, der läßt das Trinken den Männern und schleicht sich hinaus zu den zullenden Knaben.«

»Laß dein törichtes Reden,« sprach Asathor und hob dürstend das Horn, daß der Inhalt in Strömen in ihn hineinlief und alle Mannen die Hälse reckten. Aber als er tiefatmend das Horn absetzte und hineinblickte, bemerkte er zu seiner Bestürzung, daß das Getränk nicht um eines Fingers Breite abgenommen hatte.

»Du bist weise,« sagte Utgardloki. »Du hast zunächst nur eine Kostprobe nehmen wollen.«

Zornig setzte Thor das Horn zum zweiten Male an. Aber nur der Innenrand des Hornes war freigelegt.

»Nun hast du dir zur Genüge den Mund ausgespült,« heuchelte der Riesenkönig. »Bist du nun endlich auf den Geschmack gekommen, so trinke!«

Asathors Antlitz färbte sich so rot wie sein Bart. Er packte das Trinkhorn, daß es knirschte. Und zum dritten Zuge hob er es an den Mund und sog und sog, daß ihm die Adern wie Stricke über den Schläfen schwollen, und stürzte und stürzte, daß es wie Meerflut in seinem Halse rauschte, und setzte endlich ab. Da war der Trank im Horn weit zurückgegangen, aber ausgetrunken war er nicht.

»Du bist heute nicht durstig,« meinte Utgardloki, der mit allen seinen Mannen ein wenig blaß geworden war bei des Gottes wildempörtem Zuge. »Vielleicht gefällt es dir, dich an ein Spiel zu machen, wie es unsere Jungmannen zu ihrem Vergnügen treiben, nämlich meine große Katze vom Boden zu heben. Es wird für deine Kraft eher passen.«

Der Donnerer spürte den Hohn. Aber er zügelte seinen Zorn. Er ergriff die Riesenkatze, die sich auf den Fliesen sonnte, am Bauchfell und glaubte sie zu heben, aber die Katze hatte nur einen Buckel gemacht. Er biß die Zähne zusammen und rüttelte das Vieh, das sich steif auf den Beinen sperrte, zusammen. Und dann glückte es ihm, ein Bein der Katze hochzuheben und nicht mehr.

Der Riesenkönig lächelte wie in Mitleiden. »Es ist nicht recht von mir, dich mit deinem schwachen Körper an Aufgaben zu stellen, die meine Leute mit ihren Riesenkräften spielend lösen. In Asgard magst du der stärkste sein. Hier kommst du, wie du selber siehst, nicht in Betracht.«

»Stelle mir einen Gegner,« brüllte Thor auf in schäumender Wut, »jeden von euch, wer es auch sei. Ich will ihn im Ringkampf werfen, daß er das Aufstehen auf immer vergißt.«

Die Riesen rührten sich nicht. Und erst nach einer Pause sprach Utgardloki sanft:

»Die Bärenkraft meiner Männer scheint mir zu unsanft für dich. Versuche es zuerst mit einem Weibe. Ruft mir einmal meine alte Amme Elli her. Sie genügt für diesen Fall.«

»Da stellte ihm die Alte jählings ein Bein, über das er stolperte …«

Die Alte kam grinsend auf den Asen zu, und Thor nahm den Ringkampf auf. Mit geschlossenen Augen, wortlos vor Grimm, rang er, daß ihm die Muskeln auf den Armen zu tanzenden Ballen wurden. Er bekam das Weib nicht unter. Da stellte ihm die Alte jählings ein Bein, über das er stolperte und auf ein Knie stürzte. Schon war er wieder auf den Füßen, als Utgardloki die Kämpfer trennte und den schäumenden Asen für besiegt erklärte.

»Nun aber wollen wir uns zum Mahle setzen und auch den Becher kreisen lassen, denn ihr habt euch nach euren Kräften gut gehalten.«

Das gnädige Lob vermochte nichts über den Donnerer. Speise und Trank mundeten ihm nicht, und er war froh, als alle zur Ruhe gingen. In der Frühe wollte er mit seinen Gesellen fort.

Der König der Riesen und Trolle, Utgardloki, stand am Burgtor, als die Wanderer am Morgen Abschied nahmen. »Nun werde ich euch wohl niemals wiedersehen,« sagte er bedauernd.

»Nicht eher, als bis ich meiner Kräfte wieder Herr und Meister bin,« entgegnete Thor finster.

Der König hob beschwörend die Hand.

»Stärkster der Asen, du hast gesehen, daß deine Kräfte bei uns nicht für eine Katze und ein altes Weib ausreichen. Ich aber will dir mehr sagen: dein Geist reichte noch um vieles weniger aus. Eitel Blendwerk habe ich dir vorgemacht, und du bist ihm nicht auf die Spur gekommen. Ich wußte von deinem Nahen. Als Riese Skrymir begegnete ich dir im Walde und suchte dir deine Abenteuer zu verleiden, indem ich dich in die Irre führte und dich hungern und dürsten ließ. Mein Bündel war mit Eisenklammern verschlossen statt mit Stricken. Dreimal schlugst du mir auf den Schädel, und jeder Schlag hätte mich zermalmt. Aber ich hielt mir jedesmal einen Felsblock vor, und du merktest es nicht und schlugst Löcher in den Stein so tief wie ein Brunnenloch. Nie sah ich einen einzelnen Mann fressen, wie der verhungerte Loki fraß. Aber mein Logi war kein Mann, sondern wildes Feuer, das den Fraß mitsamt dem Trog verzehrte. Nie sah ich einen Menschen rennen, wie der Thjalfi rannte. Aber mein Hugi war der hin und her jagende Gedanke. Dann hobst du das Trinkhorn und merktest nicht, daß ich seine gewundene Spitze tief in das Weltmeer versenkt hatte. Meiner Treu, du hast die Flut so niedergetrunken, daß von heute ein Zustand im Meere eingetreten ist, den man die Ebbe nennen wird. Als du die Katze beim Bauchfell packtest, merktest du nicht, daß du die Midgardschlange gepackt hattest, die wie ein Ring um die Erde liegt. Als du der Katze das Hinterbein hobst, hattest du schon den Schwanz der Schlange aus dem Meere emporgerissen. Die alte Amme Elli aber, du blinder Thor, war das Alter, das keiner überwindet und dem keiner stand hält. Dir mußte sie erst ein Bein stellen, und trotzdem –«

Thors Gestalt begann zu wachsen. Jedes Haar in seinem Rotbart richtete sich steil empor. Seine Hand tastete nach dem Hammer.

Utgardloki, der König der Riesen und der zaubergewandten Trolle, ließ kein Auge von ihm. Seine Stimme wurde kreischend. Der Triumph über seinen Sieg raubte ihm die Vernunft.

»Hör mich zu Ende, schneller Gott. Wir haben dich und deine Asenkraft jämmerlich betrogen und werden es wieder und wieder tun. Nimm dein Erlebnis als Warnung! Kehre nie zu uns zurück! Wir machen deinem Schädel neues Blendwerk vor, daß du wie ein brüllend Tier in der Irre läufst und das Gelächter der Welt dich nach Hause hetzt. Schau her und such die Burg von Utgard!«

Thor schwang den Hammer. Jäh hielt er ein, denn er hätte ihn ins Wesenlose geschleudert. Die ragende Burg zerfloß vor seinen sehenden Augen in Nebelstreifen. Und wo der König Utgardloki gestanden hatte, zog ein dampfender Schwaden durch die Luft. – –

Zornigen Mutes wanderte der Donnerer dem Meere zu. Seine Begleiter folgten ihm scheu. Und der Zorn verwandelte sich in Nachdenklichkeit und befreite sich in einem fröhlichen Götterlachen.

»Ich habe eine Lehre erhalten,« sprach der starke Ase, »und eine Lehre ist so viel wie ein Sieg. Denn eine Lehre ist die Gebärmutter neuer Taten.«

»Wie nennt sich die Lehre?« fragte Loki und schlich sich horchend herbei.

»Wenn du zu Spitzbuben gehst, schlag zu, bevor sie dich prellen,« antwortete Thor, schwamm, von seinen Begleitern gefolgt, durch das Meer, fand bei den Bauern am Erdenrand seine geheilten Böcke wieder und fuhr, durch die Wolken donnernd, heim gen Asgard.

Lange weilte er bei Wodan im Gespräch, und als er ihn hochgemut verlassen hatte, begab sich Allvater zu der Göttin Saga kühlem Saal, über den die Wogen rauschten, und trank mit ihr aus goldenen Gefäßen, während er in Dichterworten sprach und Saga sang. – –

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