In Schuld und Schicksalskampf.

Die Bekriegung der Gottheiten untereinander, der Kampf zwischen Asen und Wanen, hatte alle Feinde der Himmelsordnung das Haupt recken lassen in aufhorchendem Frohlocken. Die Macht der Götter war nicht unangreifbar. Sie beruhte auf ihrer Einigkeit, dem festen Zusammenschluß aller ihrer Glieder und Gaben. Uneinigkeit, ein Zersplittern ihrer Machtfülle und Zugeständnisse an die anderen Welten mußten sie bald verwundbar machen. So rechnete man in Utgard, dem Land der Riesen und Trolle, wo alle Hasser saßen.

Noch lag in Asgard die Himmelsburg mit Türmen und Wällen zerstört. Unmutig dachten die Götter an die gewaltige Arbeit des Wiederaufbaues. Gerade jetzt, wo mit Njord und Freyer Reichtum und Wohlleben, wo mit Freya, der Heischenden, Lust und Laune am Liebesspiel fröhlichen Einzug gehalten hatten, waren sie der Arbeit entwöhnt, und sie ratschlagten her und hin, wie die Veste neu und noch stärker als zuvor erbaut werden könne, ohne daß einer der Götter Zeit und Mühe zu opfern brauche. Schon war es zu Unstimmigkeiten und heftigem Hader gekommen, als unvermutet Heimdall, der Wächter, einen Gast meldete.

Es war ein Mann von so ungeheueren Körpermaßen und Leibeskräften, wie sie die Götter nie erschaut hatten. Er ritt auf einem Roß, das des riesigen Reiters würdig war, und gab an, aus fremden Welten zu kommen und der größte Baumeister aller Zeiten zu sein.

Da horchten die Götter auf. Das war der Mann, der ihnen fehlte.

Sie führten ihn rings um Asgard und ließen ihn das Werk, das sie ihm zu übertragen gedachten, in Augenschein nehmen und begutachten. »Eile tut not,« sprachen sie, »es muß in kürzester Frist errichtet sein.« Dies stellten sie zur Bedingung.

Der gewaltige Baumeister ließ forschend seine Blicke über Götter und Göttinnen schweifen.

»Ich will die Burg uneinnehmbar bauen,« antwortete er, »und noch während dieses einen Winters. Doch müssen mir meine Bedingungen treu erfüllt werden.«

Da rieben sich die Asen vergnügt die Hände. »Fordere was du willst.«

Und der Baumeister sprach:

»Wenn ich die Burg innerhalb der genannten Frist und ohne auch nur einen Tag darüber hinaus zu gebrauchen, errichtet habe, so sollt ihr mir als Lohn Freya, die Liebliche, zur Frau geben und zu ihrer Bedienung die Sonnenjungfrau und die Mondjungfrau. Bedarf ich zu meiner Arbeit auch nur eines Tages Länge mehr, so habt ihr das ganze Werk, das ich geleistet habe, umsonst und ohne Entgelt, und ihr könnt mich von hinnen jagen.«

Da wurden die Götter ernst und traten zum Rat zusammen. Sie fühlten ihre Zusammengehörigkeit als ihr Heiligtum und wünschten den Verlust der wärmespendenden Freya und der lichtspendenden Jungfrauen Sonne und Mond nicht aufs Spiel zu setzen. Schon wollten sie das Ansinnen des starken Baumeisters als eine Beleidigung zurückweisen, als Loki, der Vielgewandte, das Wort ergriff. Er bewies den ernstgewordenen Asen, daß es selbst für sie, die Götter, eine Unmöglichkeit wäre, Asgards Veste in einem Winter zu erbauen, um wie viel mehr für diesen grobknochigen Schwätzer, der sich großtuerisch vermesse, die ganze Arbeit allein zu verrichten und nur mit Hilfe seines Pferdes. Jedenfalls aber würde der Fremde in seinem Ehrgeiz ein hübsches Stück Arbeit zuwege bringen, bevor er weggejagt würde, so daß den lachenden Göttern nur noch die letzte Vollendung des Werkes übrig bliebe. Und Loki redete so lustig und listig, daß er die Lacher auf seiner Seite hatte und sie ihm zustimmten, ohne an seine Heimtücke zu denken. Loki selber aber dachte sehr wohl an das Fehlschlagen seines Rates. Seine Eifersucht jedoch erhoffte immer aufs neue ein Aufsteigen seiner persönlichen Macht, sobald die Macht derjenigen Götter, die ihm an Kraft und Ansehen überlegen waren, geschwächt wurde.

Der Baumeister wurde vor den Rat gerufen. Der Tag des Winterendes wurde auf die Stunde bestimmt und dem Festungsbauer Freya als Gattin zugesprochen und die Jungfrauen Sonne und Mond als Dienerinnen, wenn der Vertrag pünktlich eingehalten und eingelöst werde.

Der Baumeister verlangte zur Bekräftigung den Eid der Götter.

Da beschwuren die Götter die Wahrhaftigkeit des Vertrages mit ihren höchsten Eiden. Nur Donar, der donnernde Thor, schwur nicht mit. Denn er war nicht anwesend und, wie immer vielbeschäftigt, ausgezogen, um den im Schweiße ihres Angesichtes arbeitenden Bauern beizustehen gegen die zerstörenden Gewalten aus Utland, dem Riesenheim.

»… umschlang mit seinen Armen die höchsten Felsenberge …«

Der Baumeister begann, ohne zu zögern, mit der Arbeit. Er reckte seine Glieder ins Ungeheuerliche, umschlang mit seinen Armen die höchsten Felsenberge, hob sie aus dem Grund und spannte sein Roß Swadilfari vor, das sie mit Windeseile zu dem Bauplatz zog, wo der ungetüme Meister sie kunstgerecht schichtete. Tag und Nacht war Mann und Roß bei der Arbeit, und die Burg wuchs und wuchs, und staunend standen die Götter. Aber in ihr Staunen trat bald eine tiefe Beklommenheit, und die Beklommenheit wandelte sich in blassen Schrecken, als nur noch acht, dann fünf und jetzt nur noch drei Tage zwischen der letzten Vollendung der Burg und der Auslieferung der geliebten Göttinnen lagen. Eifernd zog Freya umher, traurig schlichen ihre Freundinnen Sonne und Mond ihr nach.

Da traten die Götter zum Rate zusammen, und sie schwuren Loki, dem Verführer, furchtbare Rache auf ewige Zeit, wenn er den Vertrag, den er ihnen aufgeschwätzt, in letzter Stunde nicht hinfällig mache. Denn sie waren sich bewußt, daß ohne Freyas Wärme und ohne der Sonne und des Mondes Licht Himmel und Erde vereisen und verkümmern müsse. Sie packten Loki und schüttelten ihn im Zorn, daß ihm Feuer aus den Augen sprang und er in Todesängsten alles versprach, die Götter zu befreien.

Wohl hatte er gesehen, daß der fremde Baumeister seine Arbeit nur mit Hilfe seines Hengstes Swadilfari schaffen könne. Den Hengst mußte er ablenken. Und er nahm die Gestalt einer schönen Stute an und lief dem arbeitenden Hengst in den Weg. Der Hengst blieb stehen, schnob durch die Nüstern und stieß ein liebestrunkenes Wiehern aus. Alsbald tänzelte ihm die Stute vor der Nase herum, tat verliebt und vertraulich und stob von dannen, wenn der Hengst sie zu fassen glaubte. Dem Hengst stieg das Blut in die Augen. Das Liebesspiel brachte ihn um die Vernunft. Und als die Stute ihm wieder schmeichlerisch nahe kam, ließ er Arbeit Arbeit sein, warf das Geschirr ab und jagte hinter der gefallsüchtigen Schönen drein. Da flogen die Funken von ihren Hufen, und ganz Asgard erdröhnte von dem wilden Galopp. Drei Tage und drei Nächte ging die wilde Jagd, bis sich die Stute dem Hengst ergab, und der Baumeister stand in der Stunde, in der er die Burg übergeben sollte, vor dem unvollendeten Werk.

Zornbebend rief er die Götter herbei, schrie ihnen Lokis Verrat ins Gesicht und forderte sie auf, ihre Eidschwüre zu halten, wie es die Wahrhaftigkeit geböte.

Die Götter aber blieben kalt bei seinem Toben. Sie wiesen auf das unvollendete Werk und schickten Freya und die Jungfrauen Sonne und Mond in ihre Gemächer.

»Meineidige seid ihr!« brüllte der gewaltige Fremdling, griff seine Werkzeuge auf und holte aus, um die Burg und mit ihr die Götter zu zerschlagen.

In Todesnot riefen die Götter Thors, des Donnerers Namen. Und in selber Sekunde stand der Donnerer mitten unter ihnen, denn er fuhr mit dem Blitze. In der Hand wuchtete dem rotbärtigen Gotte der Hammer Mjolnir. Beim ersten Blick erkannte sein Auge, daß der ungetüme Baumeister ein Abgesandter des eisigen und dunklen Riesenreiches sei, das sich Freyas Wärme und das Licht von Sonne und Mond dienstbar machen wollte, und ohne auch nur ein Wort zu reden, lief er den Riesen an und schmetterte ihm den Hammer in den Schädel, daß der fürchterliche Unhold wie ein gefällter Baum tot zusammenbrach.

Der Donnerer wischte den Hammer ab und steckte ihn in den Gürtel. Er strich seinen gesträubten roten Bart zurück und sah sich schweigend im Kreise um.

Dann erst sprach er.

»Nicht Rat und Rat und wieder Rat erhält am Leben. Nicht bei Göttern und nicht bei Menschen. Am Leben erhält nur die Tat!«

Sprach's, drehte sich um und ging seiner Wege.

Die Stute aber, in die Loki sich verwandelt hatte, warf von dem Riesenhengste Swadilfari ein wolkengraues Fohlen, wie es schneller nie gewesen war und niemals wieder wurde, denn es griff die Luft mit acht Füßen und überholte den Sturmwind. Sleipnir hieß es und wurde Wodans, des nordischen Odins, Roß. –

Schwer an Gedanken saß Wodan an Mimirs Brunnen. Das Riesenreich hatte es gewagt, einen heimlichen Abgesandten nach Asgard zu entsenden, um die Einigkeit der Götter zu zerstören und ihnen Wärme und Licht zu rauben. Fast wäre den Riesen der Anschlag gelungen. Und Wodan wußte, als er einsam in Mimirs Brunnen starrte, daß sie von jetzt ab Anschlag auf Anschlag wiederholen würden, um die Götter zu verderben und über den Gestürzten das Reich der rohen Kraft und Gewalt und die Herrschaft der Zügellosigkeit aufzurichten. Und der einsam grübelnde Allvater wußte mehr. Von der wachsenden Üppigkeit waren die Götter zur Habgier und List, von der List zum Meineid fortgeschritten. Meineidig waren die Götter. War das besser als rohe Kraft und Gewalt der Riesen? Den Meineid strafte die wahrhaftige Weltseele.

Und Wodan, der Allwissende, sah die Strafe.

Noch war sie fern, noch konnte sie durch glühende Willenskraft zurückgedrängt, durch neuerwachte, neu geschürte Begeisterung an der Ordnung der Welt hintangehalten werden. Wegzuzaubern war sie nicht. Denn über Götterrunen und Himmelskunst stand die Wahrhaftigkeit der Weltseele, die sich selbst als oberstes Gebot – auch für die Herrschenden – eingesetzt hatte.

Am Brunnen Mimirs blickte Wodan, der Einsame, in die Zukunft. Der allmächtige Vater der Götter und Menschen erschauerte nicht. Allvater erkannte Allvaters Pflicht. Ob sie schwer war, ob sie unerfüllbar war – es durfte ihn nicht kümmern. Läßt ein Vater seine Pflicht, wenn tausendfältig anstürmender Feind seine Kinder zu zertreten droht? Der Vater nimmt den Kampf auf, wirft sich dem Feind entgegen, lenkt ihn ab, tut ihm Schaden und sucht, da er sie nicht zu retten vermag, die Todesstunde seiner Kinder mit verdreifachten Kräften hinauszuschieben, so weit er es nur vermag.

So auch dachte Wodan, der einsame Wanderer zur Quelle Mimirs, als er sich vom Brunnenrand erhob und in tiefem Sinnen heimkehrte gen Asgard.

»Sie müssen den Begeisterungstrunk haben,« murmelte er. »Der Begeisterte verdoppelt Leben und Kraft, der Zagende bringt sich um Willen und Frieden. Ich will ihnen den Begeisterungstrunk herbeischaffen, daß sie das Fürchten verlernen. Herrscher können irren, aber sie dürfen sich nicht fürchten.«

Es war gewesen, als Asen und Wanen sich geeinigt und sich gemischt und dessen zum Zeichen aus ihrem vermischten Speichel den Kwasir geschaffen hatten, der die Weisheit der Asen und die Lebensfrohheit der Wanen wie einen feurigen Rausch im Blute trug und alle Welt mit seinen Gaben entzückte. Im Berge hockten ein paar Neidlinge, Zwerge von kalter und berechnender Klugheit, die Kwasirs hohe Gaben wohl einzuschätzen verstanden, ohne daß es ihnen gelang, je aus einem ähnlichen feurigen Götterrausch heraus zu schaffen wie Kwasir. Sie blieben Handwerker, wo jener Künstler war. So gedachten sie, ihm das Künstlerblut zu rauben und es sich zu eigen zu machen. Sie baten den göttlichen Kwasir, als er über die Erde wandelte und die Menschen zu veredeln trachtete, zu einem Gastmahl und stießen den Ahnungslosen, als er bei ihnen niedergesessen war, mit ihren Messern zu Tode. Das aufspritzende Blut fingen sie bis auf den letzten Tropfen in zwei Krügen auf und in einem Kessel, der Odrerir genannt wurde nach dem berauschenden Blute. Die Krüge nannten sie Son und Bodn, das ist soviel wie Sühne und Anbietung. Dem Blute setzten die kundigen Zwerge Honig zu, so daß ein Met, ein Dichtermet daraus wurde, der jeden, der von ihm trank, mit Begeisterung erfüllte und zum Dichter und heldischen Sänger machte. Zu den Asen aber trugen die Zwerge die Kunde, der weise Kwasir sei eines Tages, da ihm die Gedanken mehr denn je zuflogen, an seinem eigenen Witz erstickt.

Die beiden Zwerge hoben jetzt um so frecher das Haupt. Hatten sie dem göttlichen Kwasir seine begeisterungweckenden künstlerischen Gaben geneidet, so neideten sie dem reichen Riesen Gilling seine irdischen Schätze. Sie luden den Riesen ehrerbietig zu einem Fischzug ein, trieben das Boot zum Kentern in eine Brandung und schwammen tauchend an Land, während der ungefüge Riese jämmerlich ertrinken mußte. Dem jammernden Weibe Gillings aber ließen sie, als sie aus dem Hause trat, um den Leichnam des Mannes zu bergen, vom Dache aus einen Mühlstein auf den Kopf fallen, der sie zerschmetterte, und aus der unbewachten Wohnung raubten sie, was sie tragen konnten.

Gillings Sohn jedoch, der Riese Suttung, verfolgte ihre Spuren, entdeckte die verbrecherischen Gernegroße und band sie mit Stricken, daß sie kaum noch atmen konnten. Er verurteilte die Gefesselten zum qualvollen Hungertode auf einer Meeresklippe. Vergebens boten die Schwächlinge Hab und Gut zur Rettung ihres Lebens. Als jedoch der Riese davonrudern wollte, sprachen sie ihm von dem Köstlichsten auf der Welt, von dem Rauschtrunk, dem Dichtermet, der da ewige Liebe, ewige Jugendlust, ewigen Heldenruhm schaffe. Der Riese horchte auf. Das dünkte dem Mann aus dem Geschlecht der Thursen und Joten, der Säufer und Fresser, ein begehrenswertes Lösegeld. Er nahm die Wimmernden mit sich, ließ sie die beiden Krüge mitsamt dem Kessel Odrerir herausschaffen und schenkte ihnen das armselige Dasein. Von diesen Beiden aber stammt die Sippe der Neidlinge allüberall.

Den Rauschtrunk der Begeisterung brachte Suttung ins Riesenland heim und versteckte ihn in einen hohlen Berg, zu dem es keinen Zugang gab. Seine schöne Tochter Gunnlod steckte er mit in den Berg, damit der kostbare Met die kostbarste Wache habe.

Diesen Wundertrank Odrerir gedachte Wodan seinen Göttern gen Asgard zu holen. –

In Menschengestalt zog er über die Erde und fuhr über das Meer, das zwischen Midgard, dem Menschenheim, und Utland, dem Jotenheim, brandet. Und er nannte sich Bolwerk, das heißt: Böseswoller. Zuerst suchte er Baugi, des Riesen Suttung Bruder auf, denn er wußte, daß Suttung mißtrauisch sei und unzugänglich für Fremde. Neun Riesenknechte mähten die Felder vor Baugis Haus. Sie riefen den Fremdling an, in welchen Geschäften er reise und was er hier herumlungere, und Wodan erwiderte bescheiden, er heiße Bolwerk und sei seines Zeichens ein Sensenschärfer. Sein Wetzstein vermöge die Sensen zu schärfen, daß sie in Wiesen und Acker hineinschnitten wie in weiche Butter und kein Knecht mehr einen Tropfen Schweiß verlöre.

Da drängten die Riesenknechte herbei und hielten ihm lüstern die nackten Sensen hin, daß er sie wetze. Bolwerk aber zog einen gemeinen Wetzstein hervor und warf ihn hoch über ihre Köpfe. »Fangt ihn!« rief er. »Wer ihn fängt, kann ihn behalten!« Und so hastig und wild fuhren die Riesenknechte nach dem sausenden Stein herum, daß die ungeschützten Sensen durcheinander wirbelten und einer dem andern, im Drange, den Stein zu erwischen, den Kopf vom Halse säbelte. Wodan aber entwich, bis es Abend war.

Er fand den Riesen Baugi jammernd vor seinem Hause sitzen und befragte ihn nach dem Grunde seiner Traurigkeit.

»Meine Knechte,« wetterte der Riese, »müssen sich während des Mähens toll und voll gesoffen haben, denn sie haben jählings das Raufen bekommen und sich allzumal umgebracht. Ich aber kriege für die drängende Ernte keine Knechte mehr.«

Der fremde Wanderer, der sich Bolwerk nannte, tröstete den Riesen.

»Was ist dabei? Ich habe Kräfte für neun. Wohl schaffe ich dir die Ernte ganz allein, wenn du mir dagegen ein Trünklein von dem Wundermet deines Bruders Suttung verschaffst, von dem ich in fernen Landen so viel Rühmendes hörte.«

Der Riese Baugi kratzte sich bedächtig den Kopf.

»Was den Met angeht, o Bolwerk, so ist mein Bruder Suttung in der Spendung auch nur eines Schlückleins hartleibiger als ein Drache. Aber eine Liebe ist die andere wert. Hilfst du mir, so helf ich dir.« Und sie gaben sich den Handschlag darauf.

Einen Sommer lang mähete Wodan des Riesen Felder und brachte die Garben bis auf die letzte unter Dach und Fach. Er, der einzige, allein. Und Baugi gedachte seines ehrlichen Wortes und ging zur Winterszeit mit seinem Knechte Bolwerk zu seinem Bruder Suttung, der sie beide vor die Türe warf.

»Geht's nicht auf gradem, so muß es auf krummem Wege gehen,« sprach Bolwerk zu Baugi. »Zeige du mir nur den Berg.«

Da wies ihm Baugi heimlich den Berg, den undurchdringbaren, und freute sich hämisch, daß er nun seines Wortes ledig sei, ohne daß er den Bruder dem Fremdling zuliebe verriete. Wodan jedoch trug einen Zauberbohrer bei sich, mit dem er ein feines Löchlein in den Felsen bohrte, bis der Bohrer in die Höhlung stieß, und er verwandelte sich in ein blitzschnell gleitendes Schlänglein und glitt durch das Bohrloch in den Berg, verwandelte sich in seine Göttergestalt zurück und stand in bezwingender Allgewalt vor der heiß erglühenden Jungfrau Gunnlod.

»Nie sah ich einen Mann,« stammelte die Erregte, »so herrlich anzuschaun wie du.«

»Wodan bin ich, der Herrscher aller Welten, und ich komme zu der Schönsten, die da lebt. Reich mir den Willkommentrunk, mein Mädchen.«

Da reichte sie ihm den Krug Son, und er trank ihn leer in der ersten Nacht, die sie in seinen Armen lag, und reichte ihm den Krug Bodn, und er trank ihn leer in der zweiten Nacht, die sie in seinen Armen lag, und reichte ihm alles vergessend den Kessel Odrerir, und er trank ihn leer in der dritten Nacht, die sie in seinen Armen lag. Und in seliger Begeisterung gebar sie ihm einen Sohn, der hieß Bragi.

Und als Wodan den letzten Tropfen des Begeisterungstrankes in sich aufgenommen hatte, verließ er mit seinem Sohne den Berg, wandelte sich in einen Adler und schwang sich mit Bragi, der als jauchzendes Lied auf seinem Rücken ritt, in Himmelshöhen zum Flug gen Asgard.

Der Riese Suttung vernahm den jauchzenden Sang und den Flügelschlag. Da wußte er jäh, was ihm geschehen war. Den Zauber der Riesen ließ er spielen und stürmte als Adler dem Adler nach. Hin flog das stürmende Lied in die göttliche Freiheit, und die riesische Unvernunft setzte ihm nach, um es in ihren hohlen Berg zu sperren. Asgard nahe war Wodans Adler, der den Trank Odrerir im Leibe trug. Fast hatte ihn der Riesenadler erreicht. Die Götter eilten herbei. Schon flog die Begeisterung zu ihnen hinüber. »Heil!« riefen sie Wodan zu. »Dreifach Heil!« Und Becher und Schalen trugen sie herbei und hielten sie Wodans Adler entgegen. Und der Adler ließ aus seinem Schnabel den Begeisterungstrunk Odrerir, den er in sich trug, in die Becher und Schalen brausen, den schalen Bodensatz aber, der im Bauche verblieben war, in scharfem Strahl aus dem After fahren, also, daß er dem Riesenadler in die Augen beizte und Suttung wie verblödet niederfuhr.

Von diesem stammt die Sippe der Afterdichter, die echter Begeisterung bar sind.

In Walhall aber, in Wodans gewaltiger Halle, kreiste der Becher der Begeisterung, erbrausten die Dichterlieder und schufen Heldenblut. Und als Bragi heranwuchs, der Gott der Dichter und der Sänger, vermählten ihn die Götter mit Idun, der Göttin der ewigen Jugend, die die Äpfel des Jungseins hütete, die nimmern altern lassen.

Seit jener Zeit gehören göttliche Dichtkunst und ewige Jugend unlösbar zusammen.

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