Die Fiebermuse.

Meine Fiebermuse ist heute bei mir. Sitzt ruhig und hält sich stille, da doch sonst Gassenlaufen und Vagieren ihre Art ist. Sie hat eine Anwandlung, zu sitzen und mir zu schmeicheln wie vor Zeiten, da wir beide noch liebe Brautleute und Blondköpfe gewesen sind. Sie lehnt im tiefen Polsterstuhl, hat den Kopf zurückgelegt und hängt mit ihrem Blick an mir, mit dem blassen, allwissenden, fiebernden, der ihr seit vielen Jahren eigen ist. Dieser Blick ist über vielen meiner Nächte gewesen seit jenem ersten Jugendraub unserer Liebe, da wir beim Flackerlicht verbrennender Knabenlieder meinen Göttern Hohn sprachen und unsern Weg durch ewige Wildnisse zu nehmen uns gelobten.

Dieser Blick weiss von allem, was verborgen, tief und keimend ist, er erbricht alles Knospende und schändet jede Heimlichkeit. Jenseits entgötterter Tempel und verwelkter Liebesgärten erst beginnt dieser Blick das Spiel der Frage und Antwort und Gegenfrage, er fiebert nach Geheimnissen, welche nie ein anderes Auge erforscht hat.

Wir haben meine Seele ergründet und sind bis dahin gestiegen, wo Horchen Mord ist. Wir waren mit scharf geschliffenen Augen überall, wo brechende Farben und zerrinnende Laute sind, und waren begierig, die Gesetze des Zufalls zu finden. Die entgleisenden Wellen sterbender Töne und die blassen Irislichter sterbender Farben haben wir geliebt, und alle Grenzpunkte, wo Zittern war, und Zweifel, und Agonie.

Aus brechenden Zittertönen und flüchtigen, irisschimmernden Fieberfarben erbauten wir unsre Welt, unsre wunderbare, unbegriffene, unmögliche Welt. Meine Muse aber wurde blass und hager, und schöner von Traum zu Traum. Wenn sie in meinen Gedanken sich spiegelt, berückt ihr blasses Bild mit der Schlankheit der zarten Glieder, mit den schweren Hängelocken, mit den adligen Händen und Gelenken, und mit dem tiefblutroten Munde. Zu allen Zeiten haben wahnsinnige Maler in Augenblicken überirdischer Empfängnis solche Bilder geträumt und mit verzaubertem Pinsel die flüchtigste Oberfläche glänzender Farben in scheuen, ahnenden Linien ängstlich erprobt. Ein solches Bild, in scheuer Entrückung erschaut, verfolgte die silbernen Träume jenes Sandro Botticelli, und lockte aus ihm eine feine, wunderbare Kunst, und trieb seine verfeinerte Hand von Bild zu Bild, bis ihm Pinsel und Finger zerbrach.

Meine Muse lächelt, wenn sie sich seiner erinnert. Sie ist hinter ihm gestanden und lockte durch ihren Blick aus seinen Bildern die flüchtige Glut sehnsüchtiger Lippen und Augen. Sie lockte seine Kunst von Bild zu Bild, bis ihm Pinsel und Finger zerbrach. Mir aber erzählte sie von ihm und erklärte mir die unerhörten Wünsche seiner brennenden Seele, und führte mich durch die sich schneidenden Kreise seiner hageren Dantebilder.

In anderen Stunden lehnte sie neben der schmächtigen Gestalt eines kranken Klavierspielers und reizte seine geschmeidigen Finger nach dem Zartesten zu tasten, und lehrte ihn feine, brechende Klänge, die das klopfende Herz und den raschen Atem des Hörenden in ihre schwermütig wilden Takte zwingen. Diesen schmächtigen, kranken Chopin lockte sie von Reiz zu Reiz, sie lehrte ihn sein Herz belauschen und deuten und lehrte sein Herz in zitternd bewegten Takten schlagen, bis es in Müdigkeit und Sehnsucht vor dem treibenden Stachel erlag. Mir aber erzählte sie von ihm, liess mein Herz in seinen müden, stachelnden Rhythmen schlagen und lehrte mich mein Herz belauschen und deuten.

Nun sitzt sie hinter mir, spricht leise zu mir, und schmeichelt, und hüllt mich in ihren blassen, allwissenden Blick. Sie lockt meine Heimlichkeiten aus ihren Verstecken und entzündet meine Wünsche zu farbigen Spielen. Diese Muse tastet an das Zittern meines Blutes, und stachelt mein durstiges Auge von Sehnsucht zu Sehnsucht und lächelt dazu, bis mir Blick und Herzschlag zerbricht.

Als sie zum ersten Male zu mir kam, trug sie schwarze Kleider und liebte Rieselbäche in spätsommerfarbnen Gehölzen und Schaukelkähne an laubüberwölbten Seerändern. Da hing zitternd mein Herz am zerrissenen Faden einer knabenhaften Liebe, da rief meine Sehnsucht einen lieblichen Namen in widertönende Wälder, und meine Liebe wiederholte zärtlich in Flüsterlauten ein trauriges Liebesgespräch.

Damals kam meine Fiebermuse zu mir, an einem silbernen Bach, spielte Freundschaft mit mir und gab mir die schwarze Laute zu schlagen. Dann half sie mir ein verbotenes Schloss erbauen, das rote Liebesschloss, vor dessen Fenstern wir im Dunkeln froren, während Hochzeiten und klingende Feste hinter seidenen Gardinen lärmten und geläutete Krystallbecher und fiebernde Geigenreigen. Sie zog Schleier und keusche Decken von der Schatzkammer meiner Seele, sie reizte mein Auge und erweckte in mir eine plagende Begierde, Schlösser und fabelhafte Herrlichkeiten zu bauen und mich im Golde zu spiegeln. Wir schufen rote, flackernde Märchen, Lustgärten und Wildnisse, und bevölkerten südliche Landschaften mit schlanken, fürstlichen Wandelpaaren.

Ich lernte meine Traurigkeit in lassen Verstakten wiegen und in dunklen Reimen spiegeln. Ich lernte spitz zulaufende Jambengänge fügen und schwere Versbrücken, deren Pfeiler dunkle Molosser waren. Darauf begannen wir Fabeln zu ersinnen, in welchen alles Leben umgewendet war wie in einem Höllenspiegel, geborene Greise, welche sich jung lebten und am Ende als Kinder ängstlich dem Ende ins Auge sahen, unselige Liebesschicksale und Geschichten, die voll von Grausamkeiten waren.

Später, nachdem ich in einer Angstnacht meiner Muse in Untreue entlaufen war und mich auf die grünen Plane der Sonnenseite geschlagen hatte, kam sie noch manchmal, wie heute, und führte mich durch geisterbleiche Nächte, und heftete das schöne, allmächtige Auge voll List und Liebe auf mich, begierig, die grausame Wollust unserer früheren Träume zu erneuern.

Oft auch sehen wir uns verständig und traurig an wie geschiedene Liebende und wissen nicht, wer von uns der Dieb oder der Bestohlene ist. Dann öffnet sie leis die blutroten Lippen, regt die Hand und beschwört in mir das Bild des fensterroten Liebesschlosses und das verzweifelte Jauchzen lustgestachelter Geigenreigen. Sie sieht auch jetzt, was ich geschrieben habe, und seufzt, und hat den bleichen Tod im Blick.

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