Gespräche mit dem Stummen.

Du lächelst? Du wiederholst deine ungesagte Frage? Was soll ich dir sagen! Dieses dunkle Zimmer, diese ungeschmückten Wände mit den Viereckspuren von Bildern, die keine Nachfolger fanden, dieses Knisterfeuer im Öflein, dieses Mondlicht auf unsern Händen und auf dem geöffneten Klavier, diese Stille und späte Stunde redet verständlicher als mein Mund von dem, was in mir zu Worte kommen möchte.

Einem Jugendkameraden müsst’ ich mich vertrauen, flüsternd und mehr mit Blicken und Geberden redend, Einem, dem schon der Name eines Hauses oder Feldes genügte, um eine ganze Geschichte zu verstehen; Einem, der mich oft mit „Weisst du noch?“ und gesummten Liedversen unterbräche.

Was weisst du, wenn ich sage: Meine Mutter? Du siehst dabei nicht ihre schwarzen Haare und ihr braunes Auge. Was denkst du, wenn ich dir sage: Die Glockenwiese? Du hörst dabei nicht das Windrauschen in den Kastanienkronen, und spürst nicht den Duft der Syringenhecke, und siehst nicht die blaue Fläche der Wiese, welche ganz mit den schwanken Glockenhäuptern der blauen Kampanula bedeckt ist. Und wenn ich dir den Namen meiner Vaterstadt sage, dessen Laut mir schon das Blut bewegt, so siehst du nicht die Türme und den herrlich überbrückten Strom, und siehst nicht den Hintergrund der Schneeberge und hörst nicht die Volkslieder unsrer Mundart, und hast nicht selber Lust und Heimweh dabei!

Lieber lass mich dir ein Märchen erzählen. Zwei Geiger hatten eine gute Freundschaft untereinander, und waren beide bettelarm. Nun geschah’s an einem schwarzen Tag, dass ihnen einfiel in die Wette zu spielen, wer von beiden der grössere Geiger wäre. Von da an wuchs ihr Ruhm; aber einer traute dem andern nimmer, denn beide hatten ihre Seelen in Neid und Ehrgeiz bis in den Grund durchlauscht und alle Tiefen ans Licht ihrer Kunst gezogen. Da spielte der Eine in einer mondhellen Nacht ein trauriges Lied. Das war so aus Nacht und Leid gezogen und so voll schwermütigen Andenkens an die eigene verstörte Freundschaft, dass es tiefer und herzbannender als irgend sonst ein Lied zu hören war. Dieses Lied vernahm der andere Geiger voll Neides, drang in die Stube des Freundes und mordete Geiger und Lied. Von dieser Nacht an ward er der erste Meister seiner Kunst. Er spielte an Fürstenhöfen und machte die Herzen der Könige zittern, denn seine Weisen drangen in den Grund der Seele, wo die Engel und Teufel der ungeborenen Gedanken und Thaten wohnen. Sein Gesicht aber wurde mager, blass und scharf, sein Herz wurde zu einem Sitz aller Ängste, alles Misstrauens und aller Bosheit, und sein Spiel bestahl und schändete täglich die unantastbarsten Innerlichkeiten seiner Seele. Eines Tages nun vermass er sich vor vielen Hörern jenes letzte Lied seines Freundes zu spielen. Da stand plötzlich der Ermordete vor ihm, das Messer in der Brust, und spielte auf seiner Geige mit, noch weher, noch mächtiger, so dass der Meister schreckblass und stieräugig vor der Menge stand. Diese sah den Ermordeten nicht und hörte nur mit einem Grausen, dass Zweie geigten. Eine Angst ging durch den grossen Saal, und als der Spieler zu Ende war, war eine Totenstille.

Du lächelst? Du wiederholst deine ungefragte Frage? Weiss ich, ob du ein Messer bei dir trägst? Habe ich nicht, während ich neben dir sitze und deine Hand halte, einen Schatz bei mir, dessen Wesen und Glanz dir noch unbekannt ist? Ein Lied, dessen Zauber zum Neid reizt? Einen Schmerz, der dich beschämen könnte? Und wie dann, wenn ich eines Tages dir ins Auge blickte und mein Lied mit dir spielte?

 

Du lächelst? Verzeih mir, Schweigsamer! Du bist das Marmorbild, dem ich spielend gern meine goldenen Ringe an die Finger lege. Wie aber, wenn du plötzlich aufhörtest zu lächeln und die steinernen Finger zusammenkrümmtest? Aber ich weiss noch ein anderes Märchen.

Einen Ritter, welcher einen einzigen Freund besass, lüstete eines Tages in die Zukunft zu sehen. Er fragte einen Zauberkundigen, den er reich beschenkte. Der Zauberkundige sah dem Ritter eine Weile ins Auge und sagte dann: „Diese Nacht, im Traum, wird dir Antwort werden.“

In der Nacht, in einem schwülen Fieberschlaf, sah der Ritter zwei Lebenslinien, Strömen zu vergleichen, neben einander laufen. Er erkannte sein Leben und das seines Freundes. Die beiden Linien verschlangen und wirrten sich, und nach einer kurzen Verknüpfung floss eine, die andere besiegend und fressend, breit und glänzend lange fort. Auf diesen Traum hatte der Ritter einen bösen Tag. Darauf beschlich er nächtens die Burg seines Freundes, ihn zu ermorden. Er kletterte auf den Wall, fiel in den Graben und brach den Hals. Der Freund betrauerte ihn lang, ward mächtig und reich und erreichte ein hohes Alter.

 

Mich wundert oft, welcher von uns das zähere Leben habe. Wenn mich nach einem grausigen Traum gelüstet, dann denke ich mir, du begännest einmal zu reden und sagtest mir plötzlich ein Wort von den vielen Worten, die du von mir gehört hast. Würde nicht die unerhoffte Rückkehr dieses Wortes mich zu Tode erschrecken? Oder du gingest von mir und trügest die Last meiner Geständnisse mit dir hinweg. Wäre mir da nicht wie einem Reichen, dessen Kleinode ein Kind durch die Raubgier einer bevölkerten Strasse trägt? So gebe ich dir täglich einen neuen Schatz zu hüten und mache dich täglich nach neuen Bürden lüstern. Weisst du aber, ob ich nicht grausam bin? Oder weisst du das besser als ich?

Oft meine ich, dass du mich besser kennen müssest, als ich selbst vermag. Oder weshalb schüttelst du das Haupt, wenn ich dir eine alte Sache wieder erzähle und ändere darin eine Farbe, einen Namen oder nur eine Geberde? Wenn du mich lügen hörtest? Wenn ein Streit zwischen uns entstände? Müsste es nicht ein Streit auf Leben und Tod sein? So weiss ich nicht, ob du meiner Langmut anheimgegeben bist, oder ich der deinigen.

 

Zuweilen, wenn dein Lächeln eine meiner Erzählungen begleitet, scheint es mir Augenblicke lang das Lächeln des Wiedererkennens zu sein. Bist du dabei gewesen, als ich dieses that und jenes zu thun unterliess? Hast du zugesehen, als ich diesen Frevel beging und jene Wohlthat übte? Ist das, was dich an mich fesselt, vielleicht die Folge einer früheren mir unbekannten Gegenwart, ein böses Gewissen, eine Mitwisserschaft, ein böses Mitgewissen? So wäre der Grund unsrer Gemeinschaft ein Spiegel- und Trostbedürfnis, die Notwendigkeit eines Mitleidenden, und vielleicht der allezeit wache Argwohn Zweier, die ein gemeinsames Verbrechen begangen haben. Also dass wir aneinander leben und aneinander zu Grunde gehen müssten?

Oder wie kommt es, dass du gerade dann immer zu mir trittst, wenn eine Lust zu Rede und Vertraulichkeit sich in mir regt, als fürchtetest du, diese möchte sich einem Dritten offenbaren? Was beschwert denn meine Erinnerung, das für Einen zu schwer zu tragen wäre!

 

In Stunden, welche schweren Träumen vorausgehen, in diesen unruhig trägen, bleigrauen, fiebernden Stunden hat mich oft eine stachelnde Begierde erfüllt, dich zu quälen, dir schmerzliche Geheimnisse zu rauben und dich stöhnen zu hören, dir den Fuss auf die Brust zu setzen oder dich eng zu würgen. Dann, wenn meine Einbildung schon dein Ächzen vernahm und Blut an deinem Halse sah, tratest du manchmal zu mir. Ich aber wurde von Angst und Mitleid ergriffen, streichelte deine Hände, nannte dich mit Schmeichelnamen und vermied es, in deine Augen zu blicken. Weshalb hatte ich Angst vor dir?

Oder weshalb liebe ich dich? Denn ich liebe dich mit der Liebe, welche jeder Verwandlung fähig ist und keine höchste Stufe kennt. Ich liebe dich wie ein gutes Haustier, ich liebe dich wie eine Schöpfung meiner Kunst, ich liebe dich wie man die Rätsel und das Schauerliche liebt. Ich liebe dich auch wie ein Glied meines Leibes, und liebe dich wie einen morgenden Tag, und wie ein Abbild meiner selbst, und wie meinen Dämon und meine Vorsehung. Wie aber liebst du mich?

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