Das Fest des Königs.

Im Schloss des Königs wurde ein Fest bereitet. Der Palast und alle vornehmen Häuser der Stadt waren mit Gästen überfüllt, denn zu den Festen des Königs pflegte der Adel des ganzen Landes sich einzufinden.

Die breite Allee, welche vom Schlosse in die Stadt führte und die an gewöhnlichen Tagen durch Ketten und Wächter versperrt wurde, war voll von Reitern, Wagen, Sänften, Lastträgern und Müssiggängern zu Fusse. Der König besass einen Marstall von hundert Schimmeln, und ausser den Prinzen und den Grafen des Landes durfte niemand ein weisses Ross reiten, bei Todesstrafe. Wenn nun auf dem überfüllten Fahrwege ein Schimmelreiter erschien, dem wurde eine breite Gasse gebahnt, und auf beiden Seiten drängte sich das wartende Volk, sich bückend und die Häupter zum Gruss entblössend. Da waren Handwerker mit Leitern, Seilen, Brettern, Teppichen und gemalten Schildern, buntgekleidete Musikanten, Trompeten, Geigen und grosse Trommeln tragend, Blumenverkäufer mit Karren, auf welchen bunte und rare Blumen in Haufen getürmt lagen, Herolde und Soldaten, Wagen, die mit vielerlei Geräte, Tapeten und Tüchern beladen waren. Unzählige Neugierige in Sonntagskleidern spazierten in dem geöffneten äussersten Ring des königlichen Parkes, durch den die Platanenallee gezogen war. Handwerker waren beschäftigt, zwischen den Bäumen lange Leinen mit aufgereihten, runden, rot und gelben Papierlaternen zu spannen, welche am Abend zur Belustigung des Volkes und als fröhlicher Anblick für die Herrschaften sollten angezündet werden. Die Arbeiter lachten oder fluchten durcheinander, je nachdem sie von der Menge ermuntert oder belästigt wurden. Trödler gingen umher, von vielen Kindern umringt, mit Schmuck und allerlei Spielzeug und Flittern handelnd, Weiber, welche Brot und Würste und Gebäck verkauften, und Blumenmädchen, die den jungen Städtern Veilchensträusse anboten. Diese alle erfreuten sich reichlichen Zulaufs, und zumal die Veilchenmädchen waren überall von eleganten, im Scherze feilschenden jungen Männern unter vielerlei Schmeicheleien und spasshaften Angeboten umringt.

Am dichtesten drückte sich das Volk vor dem geschlossenen eisernen Hauptportal des Schlosshofes. Landleute und Städter drängten sich dort zu dem selten gewährten Anblick des Schlosses und brannten vor Begierde, hinter den Bogenfenstern Einen vom Königshause zu erspähen, und wandten kein Auge vom Schlosshof, sobald ein Lakei in roter Livree sichtbar wurde, oder ein Offizier, oder nur ein gemeiner Diener, welcher Gerät trug oder Pferd oder Hund nach den seitwärts zurückliegenden Prachtställen führte.

Das Schloss bestaunte ein jeder, der es zum ersten Male sah, und am meisten die Landleute. Denn es war nach hierlands fremden Regeln unter dem Vater des jetzigen Königs von einem südländischen Werkmeister erbaut worden, von geringer Höhe, aber weitläufig und prächtig, und ganz aus Marmor. Dieses Schloss und der dahinter liegende alte Park, der dem Volke unsichtbar und niemals zugänglich war, galten als die Wunder des Landes. Die sichtbare vordere Seite des Schlosses, mit zweimal vierzig Bogenfenstern, war von einem breiten Giebel gekrönt, in dessen Dreieck ungeheure Menschen und Pferde auch aus Marmor gemeisselt standen, die seitwärtigen in allerlei Lagen knieend, fallend und liegend und so der Dreieckform lebendig angeschmiegt. Kleinere Figuren von feiner Arbeit standen über dem Hauptthore, den Empfang heimkehrender Sieger darstellend. Im Innern aber sollten Säle von unerhörter Höhe und Pracht und Zimmer mit seidenen und goldenen Wänden sein, angefüllt mit Schätzen aus vielen Zeitaltern und Kunstwerken berühmter Meister. Noch erstaunlichere Gerüchte wussten viele von dem geheimnisvollen Park zu erzählen, der sich drei Stunden weit erstreckte und von ausländischen Gärtnern und Förstern erhalten wurde, welchen verboten war, sich jemals ausserhalb der ungeheuren Ringmauer zu begeben, die den ganzen Park in stattlicher Dicke und Höhe umgab. Hirsche und unbekannte Tiere und farbige, fremde Vögel, als Fasanen und Pfauen, wusste man dort verborgen, und jahrhundertalte Wildnisse, ferner künstliche Gewässer, Seen und springende Brunnen, Brücken und Beete voll seltener Blumen, sowie ein fabelhaftes Jagdschloss, den Lustort des verwichenen Fürsten, wo dessen lang verblichene Geliebten häufig umgingen, die Buhlereien und Eifersüchte ihres vormaligen Sündenlebens erneuernd. Was immer an dunklen Mordgeschichten und unerhörten verliebten Lustbarkeiten von heissen Köpfen ersonnen und von eiligen Weiberzungen verschwatzt war, wurde auf das unbekannte Jagdschloss gehäuft, welches den einen als ein schimmernder Himmel auf Erden, den andern als Sammelort aller Schrecken und bösen Geister erschien.

Die müssige Menge sog begierig die Geschwätze und geflüsterten Sagen und den Duft des Wunderbaren ein, der sie nebst dem Rausch des Feiertages und der Erwartung erhitzte und betäubte. Man sprach von den Pferden und Wagen der Gäste, von den bevorstehenden Vergnügungen des Hofes und denen des Volkes, welchem auf den Abend ein Feuerwerk versprochen war. Neben den anpreisenden Rufen der Verkäufer waren die von lautem Gelächter begleiteten Spässe der Hanswurste zu hören, die Bettelreden sitzender Krüppel und umhergestossener Einarmiger oder geführter Blinder, die ermahnenden, aber wohlwollenden Stimmen anwesender Ratsherren, und das gelle Spassen und jache Lachen der Freudenmädchen. Die Trinkbuden bevölkerten sich, und mancher Unkluge nahm den erwarteten Genuss des Festtages im vorzeitigen Rausch vorweg. Andere umstanden ein Kasperltheater oder ein Loosrad oder die Wettspiele der Kinder, welche nach ausgehängten Preisen kletterten und sprangen. Balladensänger und Sackpfeifer wurden angehört, im Gedränge verloren sich Familien und Freunde auseinander und fanden sich Liebespaare, denen die Wirre des Festplatzes ersehnte Gelegenheit zu verbotenen Zusammenkünften gab.

In den gewundenen Spazierwegen des äusseren Parkes sassen und lustwandelten die Alten, die Angesehenen der Stadt, reiche Bürger, Räte und Richter, und langsame Pfarrer, im Genuss der gepflegten Zierbeete und Rasen und der schattigen Ruhebänke. Ein feister Ratsherr erklärte mehreren Fremden die Anlage der Alleen und Wege und die Lage des Schlosses, und rühmte den Wohlstand seiner Stadt und den freigebigen Reichtum seines Königs.

Der Lärm, das Bürgergespräch, die modisch gekleideten Städter und das glotzende, schwergestiefelte Landvolk schändeten die Alleen und die Gärten, und stachen hart von dem Ernst der alten Platanen und von der eleganten Schönheit der fürstlichen Anlagen ab, deren verschlungene Wege, von allerlei seltenem Laub überschattet, dazu bestimmt waren, von Prinzessinnen in adliger Gesellschaft oder von den Phantasiebildern eines fürstlichen Dichters beschritten zu werden.

 

Um die Mittagstunde sammelten sich grosse Volkshaufen vor den Portalen des Schlosshofes, neugierig auf die Tafelmusik und auf den erhofften Anblick der Herrschaften. Ein dröhnender Jubel brauste empor, da der Kronprinz an einem Fenster sich zeigte. Er war dunkel, mager, ein wenig gebückt, und hatte ein scharfes, kluges, wachsblasses Gesicht mit dunklen, forschenden Augen. Er bewegte grüssend das Haupt, und in eben diesem Augenblick trat der König neben ihn, lächelnd und mit lebhafter Bewegung der grüssenden Hand. Er war gross, dick und aufrecht; die Farbe seines breiten Bartes schwankte noch zwischen blond und grau, sein Gesicht aber war frischrot und glänzend und die Stirne schier ohne Falten. Er trug ein rotes Gewand mit breiten, weissen Säumen. Er liebte alle Festlichkeiten und verbarg seine Fröhlichkeit der Menge nicht. Kopfnickend verliess er mit dem Kronprinzen das Fenster.

Während draussen die Rufe der beglückten Menge langsam zerrannen, setzte sich der König im roten Saale zu Tisch. Zwei schimmernde Reihen geschmückter Herren und Edeldamen sassen an einer ungeheuren Tafel verteilt, immer eine Dame zwischen zwei männlichen Gesellschaftern. Zur Rechten des Königs sass die weiss gekleidete Königin, seine dritte Frau, von Allen ihrer schlanken, stummen Schönheit wegen bewundert. Zur Linken des königlichen Sitzes sass ein schwarzhaariger Buckliger, schweigsam und häufig aus tiefliegenden, glänzenden Augen umherschauend. Dieser war des Königs Bruder. Ihm war der scharfe, zähe Verstand zu eigen, welchen man oft bei Krüppeln findet, und, unbekannt der Welt, leitete sein wacher Fleiss und sein ernstes, scharfes Auge die Geschäfte der Regierung. Ihm verdankte unwissend das Land seinen Wohlstand und der leichtherzige König die Erhaltung seiner ererbten, unermesslichen Reichtümer.

An die Enden der Tafel waren die Prinzen gesetzt, der Kronprinz und sein jüngerer Halbbruder, aus der zweiten Ehe des Königs, seiner Herzensehe entsprossen, ein heller, fröhlicher Ritter. Die Grafen und Gräfinnen und Barone und ihre Frauen und Töchter waren nach Neigung und Freundschaften gemischt, die drei vornehmsten und ältesten Vasallen dem Könige gegenüber. Silberne Teller und krystallene Weinkelche wurden von zahlreichen edelgeborenen Pagen bedient. In der Nähe des Prinzen glänzte das helle Jünglingshaupt seines Lieblings, des Sängers, welchen der König, da jener ein Meister seiner Kunst und von feinen Sitten war, nach italienischem Vorbilde an sein Haus gefesselt hatte. Er war dem König in kurzer Zeit lieb und befreundet geworden, denn er verstand meisterlich alle angenehmen Künste, zumal Poesie und Gesang, und war ein Erfinder vieler Feste, Tänze, Mummenschänze und sonst ergötzlicher Belustigungen.

Der König redete viel mit den Frauen seiner Vasallen. Die Männer überliess er seinem Bruder, der durch kurze, schwere Fragen und Blicke die Herren durchforschte. Die Königin allein sass schweigsam und ohne viel zu lächeln. Ihr feines, blasses Haupt wendete sich langsam zuweilen um, ihr dunkles Auge ging durch die Reihen der Tafelnden, ruhte auf den Stirnen schöner Ritter, und ging weiter, den Schönsten zu suchen. Ihr geschlossener Mund war von hellem Rot, wie die Frucht der wilden Rose, fein und hochmütig, und karg mit Lächeln. Sie lehnte oft im Sessel zurück und hörte aufmerksam den Geigern zu, welche auf einer niederen Galerie gedämpfte, süsse Melodien spielten. „Eure königliche Majestät lieben die Kunst der Musik?“ fragte sie ehrerbietig ihr Nachbar, ein alter Graf. Sie wandte langsam das Haupt gegen ihn und die verschleierten Augen.

„Ihr rietet richtig, Herr Graf“ sagte sie dann würdig, wandte wieder den Blick und hörte wieder auf die feinen Töne. Einmal wandte der Sänger sich um und hüllte das Haupt der Königin in einen langen, glänzenden Blick, und wog im Herzen sein Schicksal gegen eine junge, süsse Sehnsucht.

Nach aufgehobener Tafel legten sich viele in die Polster, zu ruhen, und andere wandelten anschauend durch die Säle, deren Estriche mosaikgeschmückt und deren Wände mit Bildern und köstlichen gewirkten Stoffen behangen waren. Der Prinz nahm den Arm des Sängers und zog ihn über die breiten Treppen ins Freie. An einer kühl verschatteten Ruhebank machten sie Halt. Der Sänger setzte sich auf die Bank und lehnte sich an den gerundeten Stein. Der Prinz aber warf seinen Mantel ins Gras und legte sich darauf. Er lehnte den blonden Kopf an das Knie des Freundes und richtete die Blicke vergnügt auf den vom Gerank der Zweige vergitterten lichten Himmel. Nach kurzer Weile begann er zu plaudern. „Sag’ mir doch, du Kenner, was ist das Schönste und Begehrenswerteste in der Welt? Ist es der Schmuck des Reichtums, oder des Ruhmes, ist es der himmlische Zauber der Kunst, oder der brünstige Schrei eines entzündeten Weibes, oder das Leben der Hirten?“ Der Sänger lachte. „Du Ungeduld! Du suchst den Schatz des Glückes in der Schale einer Nuss. Aber die Schönheit und das Glück sind reicher als wir, und haben tausend Wege, und tragen Früchte auf allen Bäumen. Was ist Reichtum ohne Liebe, oder Wollust ohne Schönheit? Am begehrenswertesten aber scheint mir vielleicht dieses: Ein Weib von höchster Geburt und adligem Herzen, das in Liebe sich seiner Rechte entkleidet. Welches bittet, indem es schenkt.“

Der Prinz legte sich weiter zurück, und lächelte, und spielte mit seinen schlanken, weissen Fingern. Der Freund fuhr fort: „Auch wird das, was uns gestern liebenswert und unübertroffen schien, im Schatten der Ereignisse mit den Tagen blasser und verliert seinen frischen Reiz. Ich erfand vor einigen Jahren, in Italien, als zum ersten Mal eine verliebte Weiberhand mich streichelte und mein Herz voll neuer Wonne war, — da erfand ich aus meiner Lust ein Lied für die Geige, und that darein, was ich Süsses und Heimliches wusste und glaubte lang, in dieser Weise sei aller Zauber und alles Holde versammelt, so als wiege sich das Glück selber im Netz der Töne. Als ich dasselbe Lied hernach der zweiten und der dritten Frau zu hören gab, und als neue Lieder mich umtrieben und gesungen sein wollten, da sah ich den Boden der Tiefe und musste lachen. Und jetzt scheint es mir ein liebliches Kinderlied zu sein.“

Vom breiten Weg her kam Geräusch. Der Kronprinz und des Königs Bruder traten in den Schattenkreis des Gebüsches. Da der Kronprinz den Bruder zu den Füssen des Sängers liegen sah, ging über seine harten Lippen ein scharfes Lächeln. Er grüsste nicht und kehrte nach dem Schlosse zurück, der Oheim aber senkte mit Wohlgefallen das ernste Auge auf die Befreundeten. „Siehe da, meine Blondköpfe! Nennt mir, worüber Ihr redetet, damit ich teilnehme!“ Der Sänger verneigte sich und nötigte den königlichen Kanzler zu sitzen. Der Prinz, seines Kopfkissens beraubt, setzte sich mit gekreuzten Beinen gegen die Bank gewendet. „Euer Neffe wünscht zu erfahren, was wohl in der ganzen Welt das Schönste und Begehrenswerteste ist.“

„Eine leichtsinnige Frage“, sagte der Alte, — „und eine schwere Frage! Hattet Ihr ihm eine Antwort?“

„Er meinte, das Höchste wäre: Eine —“ die starke Hand des Sängers presste sich auf den lachenden Mund des Prinzen und erstickte den Rest seiner Antwort. „Narreteien!“ Der Bucklige heftete seinen klaren Blick auf den Ungestümen und drohte scherzhaft mit dem Finger. „Eine Frau“, — vollendete er den Satz. „Aber welche nun? Herr Künstler, Eure blonde Jugend weiss in der Liebe besser Bescheid als meine unreizende Person.“

„Eure Gnaden überfordern mich. Mir war bisher die Liebe nur ein Schmuck und Spiel, oder ein Gegenstand für meine Singweisen. Ein Künstler, wer er sei, bedarf der Frauen, denn ihre Nähe macht glücklich und warm, was beides der Künstler zu seiner Arbeit sein muss.“

Der Prinz schnitt ein drolliges Gesicht. „Freilich! aber nicht die Künstler allein. Notwendig sind die Frauen auch für die Prinzen, die in Friedenszeiten an langer Weile leiden.“ „Halt an!“ rief der Oheim. „Deine Abenteuer sind uns sattsam bekannt. Mich wundert, wie lange du noch an langer Weile leiden willst. Wenn die Geschäfte dir widerwärtig sind, warum treibst du keine Studien und keine ernstliche Kunst? Dein Bruder studiert in der kargen Zeit, welche er nicht den Staatsgeschäften widmet, die Geschichte der Malerkunst und die Sammlungen meines Vaters.“ Der Prinz unterbrach ihn heftig. „Mein Bruder! Er arbeitet, weil er geizig ist, und weil ihn zu regieren lüstet. Mag er studieren, so viel er will, er lernt doch nur Jahreszahlen und Namen, und sein Kunstverstand ist auf die Kenntnis der Bilderpreise beschränkt. Wie viel Goldstücke für eine Leinwand bezahlt werden, ist ihm wichtiger zu wissen als alle Geschichte. Sein Gehirn ist eine Rechentafel.“

Der Oheim gab keine Antwort und betrachtete mit Sorge die blanke Stirne des Prinzen, und seine frohen, genusssüchtigen Kusslippen, und die ganze ziere Gestalt. Er war das Abbild des Königs, in feineren, eleganteren Linien, mit denselben sorglosen Manieren, aber noch deutlicher mit dem Stempel des Leichtsinns gezeichnet. Da beide Jünglinge schwiegen, zog der Alte ein kleines, fein in Leder gebundenes Büchlein hervor und bat den Sänger vorzulesen, wobei er eine Stelle mit dem Zeigefinger bezeichnete. Die klingenden Verse eines italienischen Dichters flossen rein vom Munde des Lesers, dem beruhigenden Gesang eines fallenden Wassers zu vergleichen.

Während der Lesung entwich der Prinz leise seitab, liess einen Schimmel satteln und that einen übermütigen Ritt nach der Stadt, durch die hastig ausweichende Menge in schonungslosem Trab sich drängend. Er hatte für den Abend ein Maskenkleid zu arbeiten gegeben, nun wandelte in der letzten Stunde die Lust zu einer Änderung ihn an. Nach kurzer Frist ritt er den Weg zurück, vom scheuen Volk gegrüsst, über welches er hin und wieder einen Wurf von kleinen Münzen streute.

Der Sänger, nachdem ihn des Königs Bruder dankend und freundlich entlassen, ging nachdenklich in den Palast zurück. Er wandelte durch Gänge und Säle bis zu der schmalen Wand eines Kabinettes, wo das gemalte Bild der Königin in goldenem Rahmen hing. Vor diesem stand er lang. Und da er sich mit heissen Augen von dem Bildnis wandte, trat eben mit ihren Frauen die Königin selber durch die Thüre. Er bückte sich tief. Sie fragte nach dem Prinzen. „Er verliess mich bald nach der Mahlzeit. Befehlet Ihr ihn zu suchen?“

„Der Wildfang! — Bemühet Euch nicht. Habt Ihr Lust mir zu dienen, so bringet Eure Violine her. Ihr Klang ist mir lieb, denn er erinnert mich meiner fernen Heimat.“ Er eilte nach seiner Geige. Sie begehrte das schöne Spielwerk zu sehen und nahm es in ihre feinen Hände. Ihre Linke umschloss den schlanken Geigenhals. „Ein gepriesener Meister hat sie gebaut“, erklärte der Sänger, „und sie vermag mehr als irgend sonst ein ähnliches Stück. Man sagt, dass der langher verstorbene italienische Meister den Laut menschlicher Stimme aus ihr zu locken verstand.“ Aus ihren Händen nahm er die Geige zurück und sah mit glänzendem Auge die Spur ihrer Finger, von einem schmalen Hauchstreif gesäumt leicht und schmal auf die blanke Fläche gedrückt. Darauf presste er das feste Kinn auf die Wölbung und geigte einen langen, wachsenden Ton. Der süsse Laut erfüllte das ganze Gemach, und zitterte, und wurde zur Sprache einer brennenden Sehnsucht. Die Königin schloss die Augen und wiegte leise das zarte Haupt, auf dem das Auge des Spielers glühend und beschwörend ruhte.

In dieser Stunde erkannte der Sänger, dass seine neue Liebe kein Spiel und Schmuck war, sondern ein Ernst und eine Wunde. Er spielte seiner hohen Dame zu Dank. Sie gab ihm, was sie zuvor noch nie gethan hatte, beim Weggehen die Hand, die schmale, königliche, und sagte: „Ihr verstehet Eure Kunst! Ich habe lange nicht so süsse Töne vernommen. Habt Dank!“

 

Am Abend begann in dem grössten Saal des Schlosses das Maskenfest. Die Gäste trugen Florlarven und allerlei Gewänder persischer, griechischer, spanischer und sonst fremdländischer Art, oder Tierfelle, oder die Kostüme heidnischer Götter. Der Saal war reich geschmückt und von goldenen Kronleuchtern erhellt.

Der König trug keine Larve und nur ein altertümliches, reichzackiges Diadem als besonderen Schmuck. Der Kronprinz war in einer dunklen Mönchskutte leicht zu erkennen. Sein Bruder aber wurde von niemandem erkannt. Er war mit Wams und Hut eines Lanzknechts bekleidet und nicht der Einzige, der diese einfache Tracht gewählt hatte. Der Sänger trug einen künstlichen, schwarzen Bart und die volkstümliche Kleidung der Neapolitaner. Er suchte die Nähe der Königin, welche die bunte Volkstracht ihrer südlichen Heimat trug. Ein Gewimmel von Wilden und Bären, von Göttern und Göttinnen, von Schäfern, Gnomen und Bergknappen erfüllte den grossen Saal.

Der Prinz verliess bald unbemerkt das Fest. Er warf einen schweren Mantel über und befahl einem vertrauten Diener, ihm zu folgen und ihm nahe zu bleiben, wohin er ginge. Ihn verdross das steife Volk der Edelleute und ihr höfisches Geschwätze. Er steckte ein Jagdmesser in den Gürtel, als handlichste Waffe für jede Not, und verliess den Palast. Der Schlosshof und die Allee und alle Anlagen bis zur Stadt waren von farbigen Laternen erleuchtet, und das trunkene Volk lärmte feiertäglich durch die Wege. Trinkbuden und Tanzplätze waren übervoll, und erhitzte Tänzer und Trinker lachten, jodelten und stritten miteinander. Der Prinz begab sich mitten in das Gedränge und hatte bald an jedem Arm ein lachendes Mädchen hängen. Er tanzte und trank und stand den Scherzworten der Zuschauenden und den Flüchen der Eifersüchtigen lachend Rede. Die Weiber wurden von den kecken Manieren und feinen Reden des Unbekannten gelockt, und seine Lippen brannten bald von vielen Küssen. Da waren Helle, Dunkle, Schlanke, Breite, Verschämte und Schamlose. Das Auge des Prinzen fand Gefallen am Gewühl der Tausende, sein verwöhntes Herz ward von dem raschen Takt der rohen Musik und vom Anblick des masslosen Pöbels erregt und schlug in volleren Wellen.

Indessen lauschte die Gesellschaft des Königs auf die leichten, zarten Weisen einer auserlesenen Musik und genoss die Lust des galanten maskierten Spiels. Es wurde wenig getanzt. Die meisten sassen auf niedern Polstersitzen oder standen und spazierten in kleineren Gesellschaften umher. Die Königin bewegte sich lebhaft und gesprächig zwischen den Gruppen. Man erkannte die Blasse, Schweigsame nicht mehr. Sie erinnerte sich der Feste ihrer Heimat, ihrer Pracht und Freiheit, und nippte häufig ohne Scheu am Weinkelch. Das leichte Fieber der Festfreude entflammte ihren sehnsüchtigen Sinn und stachelte ihr unbefriedigtes Herz, und gab ihrer fremden Schönheit einen neuen, süssen Reiz. Sie versammelte einen Hofstaat junger Edelleute um sich her, welchen der verkleidete Sänger sich zugesellte. „Siehe da, ein Landsmann!“ rief sie ihm zu. „Mir ist, ich wär’ Euch schon am Posilippo begegnet.“ Der Sänger grüsste mit einem blitzenden Blicke. „Ich kannte Euch wohl!“ antwortete er. „Solche Blumen wachsen hierlands nicht. Ich grüsse Euch vom Golf, Herrin, als der Abgesandte Eurer Heimat.“

„Meinen Dank, Landsmann! Wem aber habt Ihr Euern Schatz zu hüten gegeben, da Ihr so weite Reisen wagtet?“

„Ich habe keinen. Mein Auge ging müssig, seit mein Stern mich verliess, und ich reiste, ihn zu suchen. Mich freut, ihn so glänzend zu finden.“

„Ich sehe wohl, Guter, man versteht in Neapel noch wie vordem zu schmeicheln.“

„Schmeicheln, Herrin? Wir sind nur gewohnt, der Wahrheit weniger rauhe Gewänder anzulegen, als in Nordland Sitte ist.“

Die Königin reichte dem Höflichen einen vollen Becher. „Dies nehmt als Willkomm! Er wuchs am Vesuv.“ Damen mischten sich unter den Kreis der Königin, so dass dieser sich bald in plaudernde Paare und Doppelpaare teilte. Der Sänger aber blieb der Königin nahe und umgab ihre Sinne mit dem Netz seines flüssigen, süssen Geplauders. Er sah ihren roten Mund in häufigem Lachen glänzend, und sah ihre schneeweissen Zähne, und das sacht gerundete, reine Kinn, und glänzende Augen hinter der seidenen Larve. Zuweilen sah er hinter ihr den allein umherwandelnden Kronprinzen einen Augenblick stille stehen mit widerlichem, horchendem Kopfdrehen. Dieser erkannte den Sänger nicht und wunderte sich über die verwandelte Laune der Stiefmutter. Einmal, da sein Schatten ihr wieder über die Schulter hereinfiel, wandte sie sich rasch und unmutig zu dem Sänger. „Sagt mir doch, Landsmann, was sucht der Mönch unter den Fröhlichen?“

Der Neapolitaner schaute in das harte Gesicht des Lauschers und antwortete spöttisch: „Ihr seht ja, er ist am unrechten Ort und kann die Thüre nicht finden. Also ein Hansnarr wider Willen.“ Der Mönch ging bitter lächelnd weg, gegen den Tisch des Königs, welcher mit mehreren Alten sich abseits reichlichen Weines erfreute und des Gesprächs über die beendigten Jagden.

In einem Augenblicke, da die Spielleute ruhten, wurden auf einen Ruf des Königs die Vorhänge von allen Fenstern gezogen. Jedermann erhob sich und blickte ins Freie. Da standen die unendlichen Reihen der Baumwipfel im Schimmer der bunten Lampen, das verworrene Jauchzen des Volkes schwoll her, vom Winde in schwankende Wellen gebrochen, und verschlungene Flammen eines grossen Feuerwerks fieberten lohhell am matten, dunklen Himmel auf. Ein dünner Schleier von Dunst und Rauch hing ruhig über den hohen Bäumen, vom Feuerwerk mit breiten Flüssen roten und gelben Lichtes getränkt.

Zur selben Zeit kehrte leise der Prinz in den Saal zurück, mit verträumten Augen und schweren, lächelnden Lippen. Der Kronprinz erkannte ihn bald. Er ahnte seine verborgenen Lustbarkeiten und mass ihn mit hässlichem Hohn. Denn er hasste den weichlichen und verschwenderischen Bruder im Grunde seines herben Herzens. Eine Weile später, als der ernüchterte Prinz die Königin unter den Masken suchte, fand er sie nicht. Er fragte den zechenden Vater. Der hob kaum das verschleierte Auge vom Becher. „Such’, junger Herr“, sagte er mit rauhem Lachen. „Ihr Jungen seid da, nach den Weibern zu sehen.“

 

Die Königin lauschte indess in einem entfernten Zimmer auf die unermüdeten Scherzreden des Sängers, und auf seine italienischen Lieder. Ihr brannte die Stirn vom starken Wein der Fröhlichkeit, und ihr Herz schlug berauscht in heftigen Schlägen. Sie sass tief in einem Ruhesessel und blickte mit entrückten Augen auf die zusammengepressten Spitzen ihrer zarten Finger. Der Sänger sass auf einem höheren Stuhl ihr nahe, bewegte die Finger über den Saiten einer Guitarre und sang welsche Romanzen und plauderte, und mischte den Ernst der brennenden Leidenschaft in sein buntes Geschwätz. Das Spiel der Worte rann ohne Hindernis über die Lippen des Liederfertigen, und ihn machte das schwindelnde Wandeln auf der Grenze des Scherzes trunken. Er verfolgte die Spur seiner Reden auf ihrem erregten Gesicht und im Zucken ihrer spielenden Finger. Seine Worte legten unvermerkt die Flitterkleider des Maskenscherzes ab, sie gewannen doppelte Bedeutung, sie begannen ihre verborgene Kraft und Wärme hervorzukehren, und nur die gefährlichsten Verräter kleidete noch der hüllende Flor der galanten Komödie.

Die Königin hörte auf mit den Fingern zu spielen; sie schloss fein geäderte Lider über den heissen Augen und wiegte sich in ihrer Wärme und im halben Wissen von der Gefahr. Ihr Traum vieler sehnsüchtig durchwachter Nächte zog lebendig in lodernden Farben durch ihr Gemüt und alles, was ihr einsames Herz jemals Prächtiges und Wunderbares über die Liebe ersonnen hatte. Der Liedermeister senkte seine Stimme zu einem warmen Flüstern, er bog sich näher zu der Schauernden, er spann ihren Sinn dicht in den Schleier geflüsterter Schmeichelreden und verschwiegener Wünsche. Beiden blieb ein blasses, grausam verzogenes Antlitz verborgen, das einen Augenblick durch die sacht geöffnete Thüre spähte, und blass und grausam wieder verschwand.

Der Kronprinz stiess, in den Festsaal zurückkehrend, auf den Prinzen, welcher seine Mutter suchte. — „Die Königin erwartet dich. Dort, im blauen Zimmer. Aber schone sie; sie ist müde.“ Der Kronprinz trat wieder in den Saal. Aus der vor ihm geöffneten Flügelthüre brauste ein Strom von Musik und Gelächter dem Prinzen nach, welcher auf die Schwelle des Zimmers trat, in dem er die Mutter erwartete.

Dem Eintretenden klang der Laut erstickter Seufzer und Liebesreden entgegen, und erwiederter Küsse. Drei zu Tod erschrockene Menschen schrieen in diesem Augenblicke weh und gellend auf. Die kalte Hand des Grausens trennte mit einer Berührung drei nahe Befreundete. Der blasse Prinz riss zitternd den falschen Bart aus dem Gesicht des erstarrten Liebenden und schrak vor dem erkannten Freund in zuckendem Schmerz zurück. Noch einen Augenblick standen sich die Männer mit stieren Augen schweigend gegenüber, und leerten den Kelch der bittersten Bitternis bis auf die Neige.

Dann gewann der Prinz die Herrschaft über seine Sinne wieder. „Hol’ eine Waffe, Bettelbube!“ rief er dem Freunde zu. Seine Stimme war schrill, brechend und ohne Nachhall, wie der Ton eines springenden Trinkglases. Das Herz wendete sich in seinem Leibe um und wurde voll Galle. Die beiden Menschen, auf welche er Jahre lang alles Gute und Zärtliche seines Herzens gehäuft hatte, standen vor ihm wie Tempelräuber. Der Sänger rannte nach einem Schwerte. Der Prinz riss eines von der Wand des Ganges. Die Kämpfer klirrten wild und rasend aufeinander. Kaum dass der unsinnige Kampf begonnen hatte, fiel der Prinz mit blutendem Halse nieder. Dem Sänger rann ein roter Streif von der zerhauenen Wange. Er sah den Freund am Boden sich verblutend winden und sah über ihn die todblasse Königin gebückt. Sein Blick verwirrte sich und seine Gedanken wurden uneins, flackernd und blutig. Er ging mit dem roten Schwert in der Hand nach dem Saal, von scheuen Lakaien geflohen und angekündigt. Er trat in die Flügelthür und stiess die Schwertspitze vor sich in den Boden, mit einem lauten, wahnsinnigen Gelächter.

Im Saal entstand eine enge Stille. Dem König rann der vergossene Wein über’s ganze Gewand. Dann ward ein Lärm und eine Verwirrung ohne gleichen. Keiner rührte an den bluttriefenden Schwertträger. Verstörte Pagen, weinende und ohnmächtige Weiber, ratlose Männer, entsetzte Greise drängten sich zwischen umgestürzten Sesseln und Geräten. Krüge und Flaschen wurden umgestossen, über zerrissene Tafeltücher floss in geruhigen Bächen der edle Wein. Die Musik spielte noch eine kleine Weile fort und brach dann jäh erschrocken mitten im Liede ab. Der Kronprinz trat dem Sänger zuerst entgegen. „Was ist’s, Liedler?“

„Deinen Blonden hab’ ich erschlagen. Er liegt und mein Schatz kann ihn nimmer wecken.“ Die Diener hatten indess Waffen herbeigetragen und zahlreiche Edle stürzten gegen die Thüre. Der Kronprinz aber drängte sie zurück. „Haltet Ruhe, ihr Herren! Eilet lieber, nach dem Prinzen zu sehen.“

Der Erschlagene und die über ihn gebückte Königin wurden von einem grossen Gedränge umringt. Im Saal blieb allein der König zurück, dessen Verstand vom genossenen Wein verdunkelt war. Zu ihm trat der entstellte Sänger, sein Liebling, und trank aus seinem Becher. Der Kronprinz stand in der Thüre und betrachtete mit grausamer Neugier den Trunkenen und den Wahnsinnigen, welche in dem verlassenen Prunksaal, aus Einem Becher trinkend, sonderbar und traurig anzusehen waren, wie ein fabelhaftes Fratzenbild eines seelenkranken Malers.

In diesem Augenblick loderte das letzte Feuerwerk prachtvoll hinter allen dunklen Fenstern auf. Das Volk wälzte sich in grossen Haufen vor das still gewordene Schloss und schmückte mit seinem dankbaren Jubelgeschrei das Fest des Königs.

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