III

Der Kanzler hält heute seinen Vortrag mit dem frohen Bewußtsein, daß ihm ein gnädiger König zuhört. Du willst wissen, und darin sehe ich das Gnädige, was du eigentlich bei dem Sündigen gewinnst; denn nur um zu beweisen, daß du ein Herz habest, ließest du dich auf eine so heikle und dir ungewohnte Sache nicht ein. Du schreibst, ich müsse doch zugeben, daß Sünde an sich häßlich sei, beflecke, entstelle; wenn nun ein Mensch aus Stolz, um eines großen Namens willen, das Unreine von sich abwehre, warum das Gott nicht sollte leiden wollen? Ob du dir Gott so eifersüchtig vorstellen müßtest, daß er allen Ruhm für sich allein und den Menschen nicht gestatten wollte, aus eigener Kraft göttlich zu werden? und ob es, von Gott ganz abgesehen, nicht groß und schön sei, aus eigener Kraft etwas Vollendetes in sich darzustellen?

Ja, eifersüchtig ist Gott allerdings, wenn du zum Beispiel das eifersüchtig nennst, daß der Mensch den Anspruch erhebt, die Organe seines Körpers selbst zu regieren. Du mußt doch immer daran denken, daß wir Teile Gottes oder in Gott sind. Sehen wir aber ganz von Gott ab, so dürftest du immerhin aus eigener Kraft göttlich oder vollendet werden, wenn du es könntest. Die Frage ist eben, ob du es kannst, und damit komme ich wieder auf deine erste Frage, was du gewinnst, wenn du sündigst, die zugleich einschließt, was du verlierst, wenn du nicht sündigst.

Durch Sündigen gewinnst du Kraft, und durch gewaltsames Nichtsündigen entkräftest du dich. Es ist eine Kraftfrage, wie überhaupt die Religion eine Kraft- und Lebensangelegenheit ist, da Gottes Wesen in Kraft besteht. Und Kraft zu gewinnen, das ist doch das erste Interesse der Menschen; denn wer Kraft hat, hat alles. Die Alten drückten die Wahrheit, daß man durch Sündigen Kraft gewinnt, in der Sage vom Riesen Antäus aus, der unbesiegbar war, solange er, besiegt, vom Sieger auf die Erde geworfen wurde, denn aus seiner Mutter Erde strömte stets neue Kraft in ihn ein; erst in die Luft gehalten konnte er erwürgt werden. So verendet der Mensch, wenn er in einem naturlos geistigen Klima existieren will, das ein Nichts ist. Nun sind wir zwar nicht mehr in der Lage der Griechen, die Sünde in unserem Sinn noch gar nicht kannten, für die Gott und Natur noch eins waren und die ihre Kraft unmittelbar aus der Natur beziehen konnten; wir können es im allgemeinen nur mittelbar durch den Glauben. Bestimmen wir also zuerst den Begriff des Glaubens.

Schalte bitte aus deiner Vorstellung aus, was man gewöhnlich unter Glauben versteht, nämlich ein Fürwahrhalten. „Glauben ist nicht der menschliche Wahn und Traum, den etliche für Glauben halten … Das macht, wenn sie das Evangelium hören, so fallen sie daher und machen sich aus eigenen Kräften einen Gedanken im Herzen, der spricht: Ich glaube. Das halten sie dann für einen rechten Glauben. Aber wie es ein menschliches Gedicht und Gedanke ist, den des Herzens Grund nimmer erfährt: also tut er auch nichts und folgt keine Besserung hernach.“ Und an anderer Stelle sagt Luther: „Sie heißen das Glauben, das sie von Christo gehört haben, und halten, es sei dem wohl; wie denn die Teufel auch glauben und werden dennoch nicht fromm dadurch.“

Das Fürwahrhalten ist eine Tätigkeit des selbstbewußten Geistes, deren der Glaube nicht, die höchstens umgekehrt des Glaubens bedarf.

Man kann häufig Glauben und Wissen gegenübergestellt lesen, wie wenn das eine das andere ausschlösse, und oft auch wie wenn das Glauben die Sache der Kinder und Träumer, das Wissen die Sache vernünftiger Männer wäre. In Wirklichkeit ist Glauben die Bestätigung und Besiegelung des Wissens, nicht umgekehrt. Was wir wissen, wird uns vermittelst unserer Sinne gelehrt: wir wissen zum Beispiel, daß dort ein Stuhl steht. Was hilft dir das aber, wenn du es nicht glaubst? Deine Sinne können dich ja betrügen. Im Traume kommt es dir oft so vor, als stände da ein Stuhl, wo doch nichts ist. Bevor du nicht glaubst, was du weißt, bleibt dein Wissen unsicher. Gewiß, fest, unerschütterlich, ein Fels, der nicht wankt, ist nur was du glaubst. Mit anderen Worten: das Wissen bezieht sich auf die Erscheinung, der Glaube auf das Sein.

Luther pflegte den Begriff des Glaubens mit den Worten des Paulus aus dem 11. Kapitel des Briefes an die Ebräer zu erklären: Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, das man nicht siehet. Sage mir nun bitte nicht, daß das Unsichtbare für dich nicht gelte, daß das Hirngespinste wären, daß du nur deinen Sinnen traust. Das ist ja, wie schon gesagt, Selbsttäuschung. Du traust deinen Sinnen, weil sie sich auf Übersinnliches beziehen. Was heißt es zum Beispiel, wenn du sagst, du glaubst an einen Menschen? Du deutest damit offenbar auf etwas, was deine Sinne, deine Erfahrung dir nicht von ihm mitteilen können, denn sonst würdest du es ja wissen. Du willst damit sagen, daß du im Wesen dieses Menschen eine Kraft voraussetzest, zu der du dich alles Guten und Großen versiehst. Da ja nun alle Kraft, alles Wesen und Sein, wie und wo es auch erscheint, Gott ist, so bezieht sich der Ausdruck Glauben immer auf Gott, wenn wir ihn auch auf Menschen anwenden.

Nun offenbart sich Gott niemals unmittelbar und kann also nur durch die Sinne wahrgenommen werden, von dem naiven Menschen namentlich durch den Gesichtssinn in der Schöpfung. Der Glaube aber, heißt es bei Paulus, kommt durch das Gehör, das heißt, das Gehör muß das Wort, das Gott von sich redet, aufnehmen. Um nun Schall hören, wie um Licht sehen zu können, muß etwas in uns sein, was der tönenden und leuchtenden Kraft entspricht, eine Hörkraft und Sehkraft. Wär nicht das Auge sonnenhaft, sagt Goethe, die Sonne könnt es nie erblicken. Du kannst, als moderner Mensch, statt Glauben auch Vernunft setzen, die geistige Kraft im Menschen, die, weil sie Geist, also Gott wesensgleich ist, Gott vernehmen kann.

Die Hörkraft und Sehkraft verhält sich zu Schall und Licht wie das Passive zum Aktiven, so daß wir zunächst nicht von einer Kraft, sondern von Schall- und Lichtempfänglichkeit reden sollten. Wie der Schoß der Frau den Samen des Mannes empfängt, so empfangen Auge und Ohr Licht und Schall und bringen durch sie Gesichts- und Gehörsbilder hervor. Die Empfänglichkeit beruht wieder auf der Empfindlichkeit für die betreffende Kraft, sei es Schall, Licht oder die göttliche Kraft selbst. Handelt es sich um diese, müssen wir sagen, daß wir gottempfindlich sein müssen, um Gottes Wort empfangen zu können, und in diesem Sinne läßt sich der Ausdruck Glauben mit Gottempfindlichkeit, Gottempfänglichkeit, Gottverwandtschaft übersetzen. „Gott und Glaube gehören zu Haufe“, sagt Luther. Sie gehören zusammen wie Mann und Weib, und es hat sich deshalb unwillkürlich, um das Verhältnis zwischen Gott und der gläubigen Seele zu bezeichnen, das Bild von Bräutigam und Braut eingestellt.

Befragen wir die Sprache, so finden wir, daß Glauben mit Geloben, Hören mit Gehören und Gehorchen zusammenhängt. Darin vollendet sich der Glaube, daß man Gott, der uns durch sein Wort ruft, hört und ihm gehorcht: Glaube ist Hingebung und Gehorsam. Der Gläubige hört Gottes Stimme, wie das Schaf die Stimme seines Hirten, wie der Liebende die Stimme der Geliebten hört. Alle Stellen in Luthers Werken, die vom Glauben handeln, sind Gedicht, ja Liebesgedicht, wie im Grunde jedes echte Gedicht Liebesgedicht ist, handle es sich nun um Liebe zu Gott oder zu den Menschen. Zwischen Glauben und Liebe ist der Unterschied, daß sich der Glaube auf das Unsichtbare, die Liebe auf das Erscheinende bezieht; aber es ist ja keins ohne das andere. An Gott glauben wir nicht nur, sondern wir lieben ihn in der Erscheinung, und an alle Menschen, die wir wahrhaft lieben, glauben wir auch, d. h. wir lieben ihre Idee oder Gott in ihnen.

Die meisten Menschen sind so geartet, daß sie Gott selbst, ohne Vermittlung, nicht gehorchen können, und Gott hat deshalb eine Vertretung in der Welt eingesetzt: im Staate die Obrigkeit, in der Familie Eltern und Ehemann. Wenn die Kinder ihren Eltern, die Frauen ihren Männern, die Männer ihren Vorgesetzten gehorchen, so gehorchen sie Gott, vorausgesetzt daß die Vorgesetzten Gott gehorchen. Der Gläubige, der Gottes Stimme hört und Gott selbst gehorcht, ist von jedem Gehorsam in der Welt frei, jenseit von Gut und Böse; aber er gehorcht auch den Menschen freiwillig, um sich nicht abzusondern. Eine glaubenslose Zeit ist eine Zeit ohne Gehorsam, richtiger gesagt eine Zeit, in der die Menschen nur sich selbst gehorchen wollen.

Während der Gehorsam der Welt erzwungen werden kann und muß, kann der Glaube, dessen Quelle das Herz ist, nur freiwillig sein. Daß Gott erzwungene Dienste nicht gefallen, wird in der Bibel oft wiederholt. Du kennst vielleicht die berühmte und wundervolle Stelle aus Luthers Schrift von der Freiheit eines Christenmenschen, wo er vom Glauben als vom Brautring der Liebenden spricht; ich führe sie deshalb hier nicht an. Im Sermon von den guten Werken heißt es so: „Wenn ein Mann oder Weib sich zum anderen Liebe und Wohlgefallen versieht und dasselbe fest glaubt, wer lehrt sie, wie sie sich stellen, was sie tun, lassen, sagen, schweigen, denken sollen? Allein die Zuversicht lehrt sie das alles und mehr denn not ist. Da ist ihnen kein Unterschied in Werken; sie tun das Große, Lange, Viele so gern als das Kleine, Kurze, Wenige, und dazu mit fröhlichem, friedlichem Herzen und sind ganz freie Gesellen. Wo aber ein Zweifel da ist, da sucht jedes, welches am besten sei. Da beginnt es sich einen Unterschied der Werke auszumalen, womit es Huld erwerben möge, und geht dennoch mit schwerem Herzen und großer Unlust hinzu, ist gleich befangen, mehr denn halb verzweifelt, und wird oft zum Narren darüber.“ Dann geht es nach dem Spruche Salomonis: „Wir sind müde geworden in dem unrechten Wege und sind schwere, saure Wege gewandelt, aber Gottes Weg haben wir nicht erkannt, und die Sonne der Gerechtigkeit ist uns nicht aufgegangen.“ Im Gegensatz zu den schweren, sauren Wegen der Werke spricht Luther von dem königlichen Weg des Glaubens.

Sobald der Glaube schwer und sauer fällt, ist es gar kein Glaube; Glaube ist nur, was frei aus dem Herzen kommt. Etwas im Glauben tun heißt etwas tun, weil man nicht anders kann, und du begreifst nun, welchen lieblichen Sinn die Worte des Paulus haben, daß, was nicht im Glauben geschieht, Sünde ist. Allerdings der, dem nichts von Herzen kommt, der Ungläubige, der kein Herz hat, dem ist es leichter, Brandopfer als sein Herz darzubringen.

Um dem Begriff des Glaubens noch näher zu kommen, laß uns auch seinen Gegensatz, den Unglauben, ins Auge fassen. Luther sagt gelegentlich: der Ungläubige, der nur sich selbst anbetet; und das scheint mir das deutlichste Licht auf das Wesen des Unglaubens zu werfen. Ferner: „Gott ist den Sündern nicht feind, nur den Ungläubigen, das sind solche, die ihre Sünde nicht erkennen, klagen, noch Hilfe dafür bei Gott suchen, sondern durch ihre eigene Vermessenheit sich selbst reinigen wollen.“ Und: „Das muß wohl folgen aus dem Unglauben, der da keinen Gott hat und will sich selbst versorgen.“

Der Ungläubige ist also mein Freund Luzifer, der, weil er sich an Gottes Stelle setzt, sich selbst lenkt, für sich selbst sorgt, selbst Gesetze gibt, denen seine passive, sinnliche Hälfte gehorchen soll. Natürlich muß diese auch alle Kraft aus seinem Ich, seiner aktiven Hälfte, beziehen, die aber beschränkt, endlich ist, und wenn sie sich nicht aus Gott ersetzt, sich bald erschöpft. Beständiges Selbstwollen muß zu vollständiger Entkräftung führen, wenn es sich nicht im Zustande des Nichtwollens erholen kann. Glauben ist Nichtselbstwollen, statt dessen Gott in sich wollen lassen. Die Überspannung der eigenen Kraft zeigt sich in unserer Zeit in der großen Anzahl von Menschen mit überspanntem Nervensystem; sie gehen an ihrer Eigenwilligkeit, an ihrer Unfähigkeit, durch vorübergehende Selbstaufgabe Kraft zu schöpfen, zugrunde. Es wäre ja gegen den schönen Luzifer nichts einzuwenden, wenn er glücklich wäre; aber sein Selbst ist ihm keine Freuden- und Kraftquelle, kein Herrscherthron, sondern ein Marterpfahl, an den er gebunden ist. Die Frucht des Glaubens ist der Friede, heißt es im Evangelium des Johannes; daraus folgt, daß die Frucht des Unglaubens Unfriede ist, innere Zerrissenheit, Kraftlosigkeit. Die Frage: Wie werde ich selig? Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? läßt sich auch so fassen: Was verschafft mir inneren Frieden und damit Kraft? Die Antwort lautet: Aufgabe deines Selbst und Hingabe an Gott. Nicht nur selbstbewußt, sondern zugleich gottbewußt oder unbewußt leben.

Was der Mensch durch vollständige Aufgabe des Selbstbewußtseins vermag, das hat die Hypnose gezeigt. In dem seines Selbstwollens beraubten Menschen wirkt der Hypnotiseur Wunder: er verfügt über seinen Körper nach Belieben, über das Vermögen des Selbstwollenden hinaus. Fast erschrak man über diese Entdeckung, weil man meinte, sie könne von bösen Menschen zu gräßlichen Verbrechen benutzt werden. Aber erstens gibt es in unserer Zeit sehr viel Nervöse, und die Nervösen können ihr Selbst nicht hingeben und darum auch nicht hypnotisiert werden; und dann gibt es ebensowenig Teufelsgläubige, also im Bösen kraftvolle Menschen, wie Gottgläubige. In früheren Zeiten wurde die Hypnose von Bösen und Guten als schwarze und weiße Magie ausgeübt.

Im Hinblick auf die ihm durch den Glauben zu Gebote stehende Kraft war der Christ für Luther wesentlich der starke, freudige, trotzige Held. „Ein solcher Mann muß der Christ sein, der da könne verachten alles, was die Welt beides, Gutes und Böses, hat, und alles, damit der Teufel reizen und locken oder schrecken und drohen kann, und sich allein setzen gegen alle ihre Gewalt, und ein solcher Ritter und Held werden, der da wider alles siege und überwinde.“ Es ist der Ritter, den Dürer gemalt hat, der gelassen, des Sieges gewiß, an Tod und Teufel vorüberreitet. Luther übersetzte das Wort „Israel“ mit Herr Gottes: „Das ist gar ein hoher, heiliger Name und begreift in sich das große Wunder, daß ein Mensch durch die göttliche Gnade gleich Gottes mächtig wurde, also daß Gott tut, was der Mensch will … Da tut der Mensch, was Gott will, und wiederum Gott, was der Mensch will; also daß Israel ein gottförmiger und gottmächtiger Mensch ist, der in Gott, mit Gott und durch Gott ein Herr ist, alle Dinge zu tun und vermögen.“

Es war Luthers feste Überzeugung, daß der Mensch Berge würde versetzen können, daß ihm nichts unmöglich wäre, wenn er nicht zu schwach im Glauben wäre. Über Schwäche des Glaubens klagt er oft schmerzlich; er hatte Zeiten, wo sein Selbst sich dafür rächte, daß er meistens so gar nicht zu sich selbst kam, wie man sehr richtig zu sagen pflegt. Wie er aber zuweilen Gottes mächtig war, konnte er zeigen, als er den sterbenden Melanchthon ins Leben zurückrief. Der ungläubige, durch seine Zwitterstellung zwischen Gott und Welt stets in Zwiespalt und Unwahrhaftigkeit verstrickte Melanchthon starb, wie ein beleidigtes Kind sich vom Spiel in einen Winkel zurückzieht; wie er dann das Wort des mächtigen Freundes zuerst widerwillig vernimmt, dann doch sich beugt und im alten Gehorsam seine Kraft in sich überströmen läßt, das stellt sich wie ein Abbild des Verkehrs der menschlichen Seele mit Gott dar. Nicht Abbild, sondern die Sache selbst: denn Luther hatte zuvor durch sein Gebet Kraft in sich gezogen, und diese Gotteskraft, nicht Luthers bewußtes Selbst war es, die den Sterbenden weckte.

Ich weiß, du sagst jetzt, du habest keinen Glauben, aber Übermaß von Selbstwollen und Selbstvertrauen könne nicht daran schuld sein, denn das habest du erst recht nicht. Dann hatten es deine Vorfahren; daß es auf die Dauer ohne Glauben schwinden müsse, sagte ich ja. Es fällt mir aber ein, daß Luther überzeugt war, man könne mit seinem Glauben für den fehlenden oder schwachen Glauben anderer eintreten, und so werde ich einstweilen für dich glauben, an dich und für dich.

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