IX

Ich erwähnte schon, Geliebter, daß Christus der Menschheit zum Ersatz für sein Scheiden einen Tröster versprochen habe. „Wenn der Tröster kommt, welchen ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird zeugen von mir.“ Es ist der Heilige Geist, der zu Pfingsten über die Jünger ausgegossen wurde, die Gabe, das Wort Gottes, die Wahrheit, daß Christus Gott ist, zu verkünden.

Ich setze voraus, daß du meine Annahme, die Bildung und Auflösung der Person gehe in Wirklichkeit so vor sich, wie wir an Hand der Sprache die Bildung und Auflösung der persönlichen Götter im Geiste verfolgt haben, gelten läßt. Nimm nun bitte die Menschheit als Person. Mit dem Erscheinen Christi hat sie ihren Höhepunkt erreicht, in seiner Person war der gesamte Geist gebunden; denn du weißt ja, daß Gottvater sich in Christus ganz und gar ergossen und nichts zurückbehalten hat, wie Christus sagt: Wer mich sieht, sieht den Vater. Im Augenblick seines Sterbens ist der Höhepunkt überschritten, und der gesamte, durch die vor ihm dagewesene und in ihm vertretene Menschheit gebundene Geist wird frei. Dies ist die Ausgießung des Heiligen Geistes, wie du siehst, ganz wörtlich zu verstehen. Die Menschheit, die bisher voll Geist, von Gott erfüllt war, hat nun den Geist oder wenigstens sie kann ihn haben, da er im Wort verdichtet von ihr losgelöst ist. Sie kann ihn haben durch den Glauben, der durch das Gehör kommt. Ich bitte dich, zu beachten, daß Luther niemals vom Übersinnlichen spricht, sondern vom Unsichtbaren, welches aber hörbar ist. Durch das Wort und das Gehör gesellt sich der sichtbaren Welt die unsichtbare, die Welt des Geistes oder das Reich Gottes. Da ich den Geist nicht sehen und nicht betasten kann, nur hören, muß ich ihm glauben, ihn haben durch die Religion, welches Wort von ligare, binden, kommt; da Gott nicht mehr unbewußt in der Menschheit ist, muß er durch Religion, Glauben, Phantasie an sie gebunden werden. Diese Kraft des Bindens hat die Seele, das selbstbewußte Ich.

„Das erste, was aus dem Herzen bricht und sich ergießt, ist das Wort“, sagt Luther. Damit, daß der Mensch spricht, beginnt sein Selbstbewußtsein und zugleich sein Gottbewußtsein; es kann ja eins ohne das andere nicht sein, da das Ich nur am Nicht-Ich zum Bewußtsein seiner selbst kommen kann. Das Wort unterscheidet den Menschen vom Tier; es hat wohl Selbstgefühl und Menschengefühl, aber nicht Selbstbewußtsein und Gottbewußtsein. In Christus war das Selbstbewußtsein der Menschheit und zugleich das Gottbewußtsein vollendet in dem Augenblick, wo er sich als Gott erkannte und damit Selbst- und Gottbewußtsein zusammenfloß. Mythisch sagten wir, daß Gott die Welt erschaffen habe, um sich seiner selbst bewußt zu werden, um sich zu erkennen: dies Ziel war in Christus erreicht, Gott, der Geist, erkannte sich selbst in ihm. Ich finde, man ist nie genug davon überwältigt; und doch sieht man beständig, wie stark der Trieb der Menschheit ist, Gott außer sich zu suchen.

Gott verdichtete sich zuerst als Form, und wir nennen ihn dann Kraft; dann als Tat, und wir nennen ihn dann Liebe; dann als Wort, und wir nennen ihn Geist. Der Geist ist im Wort; ich führte schon den Ausspruch an: res sociae verbis et verba rebus, was Luther ungleich bildkräftiger ausdrückt: „Die Sprache ist die Scheide, in der das Messer des Geistes steckt.“ Im Evangelium des Johannes heißt es: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Anders ausgedrückt: Gott ist Geist, und Geist ist im Selbstbewußtsein, und mit dem Selbstbewußtsein erscheint die Sprache. Natürlich hatte es Wort schon vor der Ausgießung des Heiligen Geistes gegeben; aber es war dunkel, weil der Geist gebunden war. Erinnere dich bitte, daß der persönliche Gott, indem er sich auflöst, durchsichtig wird; die Idee schimmert durch den dünn gewordenen Eigennamen. Das bedeuten die wundervollen Worte des Paulus: Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Der Dichter redet verhüllte Wahrheit in Bildern; der Denker sieht die Wahrheit nackt.

Gott wirkte zuerst gestaltend durch die Hand des Menschen und redend durch seinen Mund: durch den Künstler und den Dichter. Du weißt, daß Dürer gesagt hat: „Denn der alleredelste Sinn des Menschen ist Sehen.“ Dagegen steht Luthers Ausspruch: „Und kein kräftigeres noch edleres Werk am Menschen ist, denn Reden.“ Der eine geht von der Erscheinung, vom Äußeren aus, dessen Sinn das Auge ist, der andere vom Geist, vom Inneren, dessen Sinn das Gehör ist. Ich bin aber überzeugt, Dürer, der Luther so sehr verehrte, würde ihm, mindestens gegen das Ende seines Lebens, recht gegeben haben; denn er war ja ein Genie, welches sich vom bloßen Künstler dadurch unterscheidet, daß es nicht nur Gestalt, sondern das Wort auch hat. Das Wort, als die stärkste Verdichtung des Geistes, kommt zuletzt; der Dichter ist das eigentliche Genie, das Genie κατ ὲξοχην, weil er die vorangegangenen Stufen umfaßt. Der Geist denkt in Bildern, wie das der Traum zeigt; der Dichter ist dadurch Maler, und Luther nennt Paulus einmal in bezug auf seine eindrucksvolle Bildersprache einen großen Maler. Natürlich spreche ich nicht vom bloßen Wortkünstler, sondern vom Dichter, der Phantasie hat. Die Phantasie, die Einbildungskraft, ersetzt die Gestaltungskraft, die man auch plastische, gestaltende Phantasie nennt; sie hat Bilder im Inneren, im Geiste. Genie nennen wir denjenigen Künstler, der auch Denker und Dichter ist, wie Dürer und alle großen Künstler der Vergangenheit waren. Jetzt gibt es keine Genies mehr, ja, die Künstler setzen ihren Stolz hinein, keine zu sein; die Maler wollen nur Maler, die Dichter wollen nur Wortkünstler usw., und in erster Linie wollen alle Weltmenschen sein; was sie auch sind.

Homer, der Dichter, war blind, so erzählt die Sage. Das Auge des Dichters ist von dem des Malers ganz verschieden: das des Malers liegt tief, wie wenn das Organ, welches die Erscheinung aufnimmt, geschützt sein sollte; das des Dichters tritt dagegen mehr oder weniger hervor. Auch hat es einen ganz anderen Blick als das des Malers, der die Erscheinung in sich hineinzieht; das des Dichters geht über die Erscheinung hinweg oder durch die Erscheinung hindurch in das unsichtbare Innere. Der Künstler erfaßt die Welt vom Äußeren aus, der Dichter vom Innern aus, und insofern ist der letztere wirklich blind. Man hat von schönen Bildern Homers nie den Eindruck, daß er blind ist, sondern daß er nach innen schaut und dort die Welt schöner wiederfindet. Nun ist es ja selbstverständlich, daß jeder große Dichter und Künstler beides, das Äußere und Innere, haben muß. Ich finde es sehr interessant, daß das hervortretende Auge zu den sogenannten Degenerationsmerkmalen gehört, das heißt, es erscheint auf einer hohen Entwickelungsstufe, woraus natürlich nicht folgt, daß daraus immer auf reiches Geistesleben geschlossen werden könne. Ohnehin hätte ich eher bedenken sollen, daß ich nicht zu viel auf einmal sagen soll; aber ich sehe dich so gern den Finger heben: Gefahren machen das Leben reizend.

Laß mich bitte darauf zurückkommen, daß in Christus Gottbewußtsein und Selbstbewußtsein eins wurde, zugleich aber mit seinem Sterben wieder auseinanderfiel; es wieder zu vereinigen liegt jedem einzelnen ob. Seit Christus steht sich Gottbewußtsein und Selbstbewußtsein getrennt gegenüber; du hast wohl nichts dagegen, daß ich jenes als positiv, dies als negativ bezeichne. Daß das Selbst, die Person, die Verneinung oder Hemmung Gottes ist, darüber waren wir uns ja schon einig. Die Hemmung der formenden Kraft ist die Unform und die Eigenform; die Hemmung der Tatkraft die Untätigkeit oder die Missetat, die Hemmung der Wahrheit, des Sinns, ist Unsinn und Lüge; sowohl das Passive wie das Negative hemmt. Viele Menschen bestreiten, daß es eine Wahrheit, wie daß es eine Schönheit, wie daß es ein Gutsein gibt; sie behaupten, für den einen sei dies, für den andern jenes wahr, gut und schön. Der Christ ist anderer Meinung, weil er an das Göttliche im Menschen glaubt; für ihn ist Gott der ewige Richtpunkt, der Weltenrichter mit dem Schwerte, das Gut und Böse, Schön und Häßlich, Wahrheit und Lüge scheidet. Es ist ein tiefsinniger Zug im Evangelium, daß Pilatus zu dem verklagten Christus sagte: Was ist Wahrheit? Sie stand vor ihm, und er fühlte sie ahnend; aber er erkannte sie nicht. Eine andere Frage ist, woran man die Wahrheit erkennen kann. Die aus der Wahrheit sind, sagt Christus, die hören meine Stimme, und an anderer Stelle heißt es: die aus Gott geboren sind, hören Gottes Stimme; man muß götterhaft sein, um Gott zu ergreifen. Einer von den Schwärmern zu Luthers Zeit sagte einmal, wenn Gott sich den Menschen durch die Schrift hätte offenbaren wollen, so hätte er eine Bibel vom Himmel fallen lassen. Darin liegt eben die Schwierigkeit, daß das Wort sich durch Menschen offenbart, die doch auch ihre eigenen Worte haben; wie soll man Worte Gottes von Menschenworten unterscheiden, da der selbstbewußte Mensch als der Affe Gottes sich derselben Sprache bedient wie Gott? Soviel ist sicher, daß unsere Zeit es nicht kann, da sie überhaupt an Gott nicht glaubt; es ist noch viel, wenn sie das Menschenwort ausdrücklich vorzieht und dadurch ihre Theophobie, Angst vor dem Göttlichen, zeigt.

Verbum Dei manet in aeternum, das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit. Unter diesem stolzen und demütigen Spruch, dessen Anfangsbuchstaben der Kurfürst von Sachsen seiner Dienerschaft auf die Ärmel sticken ließ, und das so viel mißverstanden ist, forderte der deutsche Prophet die Welt in die Schranken und hatte natürlich alle gegen sich, die auf ihre eigenen Worte eitel waren. Luther hat bekanntlich die Bibel für die Richtschnur erklärt, an welcher alle Menschenmeinung müßte gemessen werden; aber er hielt nicht jedes Wort, das in der Bibel steht, für Wahrheit. Bekanntlich hat er an einige Bücher der Bibel scharfe Kritik angelegt. Noch weniger glaubte er, daß nur die Bibel Wahrheit enthalte, vielmehr sagt er ausdrücklich, daß Gott sich jederzeit den Menschen offenbart habe und es jederzeit tun werde. Nur davon war er überzeugt, daß das Wesen Gottes durch große Dichter, Menschen von schaffender Phantasie, in der Bibel in ewig gültigen Bildern erschöpfend offenbart sei, so daß jede andere Offenbarung der Wahrheit notwendig mit der in der Bibel verkündeten übereinstimmen müsse. Wirklich, vergleichst du Plato, Kant, Schopenhauer, Nietzsche, alle großen Dichter und Denker aller Zeit mit der Bibel, so wirst du finden, daß sie in der Wahrheit übereinstimmen; was sie lügen, das reden sie aus ihrem Eigenen. Was den Menschen zum Lügner macht, ist die Beziehung aller seiner Wahrnehmungen auf sein Selbst. Du erinnerst dich vielleicht der Äußerungen Vischers über Luther, die unseren Briefwechsel veranlaßten; sofern man Wechselgespräch nennen kann, wenn der eine viel redet und der andere von Zeit zu Zeit mißfällig oder beifällig brummt. Je mehr der Mensch imstande ist, von seinem Selbst abzusehen, die Dinge so aufzufassen, nicht oder nicht nur wie sie ihm erscheinen, sondern wie sie sind, desto weniger lügt er: es ist die vielgerühmte Objektivität des Künstlers und Dichters, die aber durchaus nicht Selbstlosigkeit, sondern vorübergehende Vereinigung von Selbstbewußtsein und Gottbewußtsein, also Subjektivität in der Objektivität ist. Das Selbstbewußtsein und somit das Menschenwort verdrängt das Gottbewußtsein und das Gotteswort; sie stehen in einem Verhältnis wie zwei Eimer, von denen der eine steigt, wenn der andere sinkt und umgekehrt.

Luther erzählte dem Barbier, Meister Peter, der ihn um Belehrung bat, wie man beten solle, daß er selbst sich nicht an bestimmte Worte binde, wiewohl er mit dem Vaterunser anzufangen pflege. Darüber komme er oft, wie er sich ausdrückt, in reiche Gedanken spazieren: „Und wenn auch solche reiche gute Gedanken kommen, so soll man die anderen Gebete fahren lassen und solchen Gedanken Raum geben und mit Stille zuhören und beileibe nicht hindern: denn da predigt der Heilige Geist selber. Und seiner Predigt ein Wort ist viel besser denn unserer Gebete tausend. Und ich habe auch also oft mehr gelernt in einem Gebet, als ich aus viel Lesen und Dichten hätte kriegen können.“ Anderswo sagt er über das Gebet, es müsse „frei aus dem Herzen gehn ohne alle gemachten und vorgeschriebenen Worte und muß selbst Worte machen, darnach das Herz brennt“. In den Psalmen heißt es: Audiam quid loquatur in me Deus; ich werde hören, was Gott in mir redet. Es gibt keine bessere Vorschrift für einen Dichter.

Vorhin erwähnte ich den Ausspruch Luthers: „Das erste, was aus dem Herzen bricht und sich ergießt, ist das Wort.“ Aus dem Herzen strömt Geist, und in dem Augenblick, wo er auf die Lippen und zugleich auf die Schwelle des Bewußtseins tritt, wird er Wort. Alle Worte, die das Herz zum Ursprung haben, die Quell- oder Urworte, sind deshalb Zauberworte, weil sie verdichteter Gott, also verdichtete Kraft sind.

Zu allen Zeiten hat das Wort zum wirksamen Zauber gehört, das wirst du aus Märchen und Sagen wissen; aber es muß das rechte Wort, das Herzenswort sein, und die meisten Menschen vergessen es. Nur reine Jünglinge und Jungfrauen, das heißt Gottangehörige, wissen es und können damit erlösen. Mit solchem Wort hat Gott die Welt geschaffen. „Er schafft ja nicht als durch sein Wort“, sagt Luther, und Paulus: „Gott ruft oder nennt das da nicht ist, daß es sei.“ Indem die Idee der Welt auf die Schwelle des göttlichen Bewußtseins tritt, ist die Welt da. Man möchte rasend werden, daß Menschen darüber nachgrübeln, ob die Schöpfung der Welt, wie die Bibel sie erzählt, mit den Ergebnissen der Wissenschaft übereinstimmt. Uns ist sie da, wenn sie uns ins Bewußtsein tritt; aus dem Chaos des Herzens steigt sie jeden Morgen, perlend neu, wenn wir sie sehen und nennen. Wer das nicht erlebt, der wird nie begreifen, daß mit dem Zauberworte Gottes: Es werde Licht! die Welt da war.

Das Herz ist das Sprachrohr, der Mund Gottes; umgekehrt ist unser Mund der Brunnenrand des Herzens oder sollte es wenigstens sein. Abundantia cordis os loquitur, aus der Fülle des Herzens spricht der Mund. Luther übersetzte bekanntlich: Wes das Herz voll ist, fließt der Mund über; es ist bildkräftiger gesagt, indem es uns Herz und Mund als einen Becher, dessen Rand der Mund ist, vor Augen stellt. Ein geistvolles Herz muß zuerst da sein, damit der Mund göttliche Worte, Zauberworte, Dichterworte, sprechen kann: „Große Gedanken und ein reines Herz, das ist's, was wir uns von Gott erbitten sollten.“

Du magst meinetwegen sagen, das Meer, aus welchem das Herz gespeist werde, sei das Gedächtnis der Menschheit. So wie der einzelne Mensch etwas in sich aufnehme und es vergesse, bis es gelegentlich aus dem Unbewußten wieder auftauche, so habe die gesamte Menschheit ein Gesamtgedächtnis, an dem jeder einzelne teilhabe, und aus diesem Brunnen stiegen die Ideen, die wahren und ewigen Worte. So läßt die griechische Mythe Mnemosyne, die Erinnerung, die die Welt erinnert, ins Innere aufnimmt, die Mutter der Musen sein. Da Gott sich in der Menschheit entwickelt hat, muß das Gedächtnis der Menschheit wohl die Ideen Gottes enthalten; es kommt also auf dasselbe heraus, ob du von Gott oder dem Unbewußten oder dem Gesamtgedächtnis der Menschheit sprichst. Wenn du nur den Unterschied zwischen Gemachtem oder Gewordenem anerkennst.

Die Geschichte jedes Genies ist die Geschichte vom Kampf des göttlichen Wortes oder der Idee mit dem Menschenworte. Gewohnheit, Nutzen und Zweck, die in der Welt herrschen, müssen sich ihrer Art nach dem himmlischen Fremdling widersetzen.

Der Kampf Luthers mit der katholischen Kirche drehte sich darum, daß der Papst über der Heiligen Schrift stehen, Luther dagegen in Glaubenssachen keine Menschenmeinung anerkennen wollte, die nicht mit der Heiligen Schrift übereinstimmte. Die Katholiken beriefen sich auf einen Ausspruch des heiligen Augustinus, er würde dem Evangelium nicht glauben, wenn er nicht der Kirche glaubte; Luther sagte, das Wort mache die Kirche, nicht umgekehrt. Nur das Vermögen, Menschenwort von Gotteswort zu unterscheiden, schrieb er der Kirche zu; also ein kritisches, das schöpferische sprach er ihr wie allen Menschen ab, das heißt den Menschen, wenn sie „aus ihrem Eigenen“ reden. Aber auch er mußte klagen über die Blinden, „die nicht können so viel Unterschieds haben, daß ein ander Ding ist, wenn der Mensch selbst oder wenn Gott durch den Menschen redet – o furor et amentia his saeculis digna!“

Es ist in der Tat ein Zeichen äußerster Entfernung von Gott, wenn der Mensch nicht einmal mehr kritisieren, das heißt Echtes vom Unechten, das Gewordene vom Gemachten unterscheiden kann. Natürlich kann es der Ungläubige nicht, für den es überhaupt nur Menschliches gibt; und da im Gleichartigen kein Unterschied ist, frißt der ungläubige Kritiker sich selbst auf. Luther spricht einmal davon, daß die Kirche, weil aus der freien Forschung in der Schrift verschiedene miteinander streitende Auffassungen und Irrlehren entstanden seien, das Studium der Bibel überhaupt verboten habe; um Einheit des Glaubens, Wahrheit, zu erzielen, habe sie, eine höchst merkwürdige Verirrung, den Quell der Wahrheit versiegelt. Dasselbe geschieht, wenn die Wissenschaft, aus Angst vor Hirngespinsten und um nicht aus ihren ausgetretenen Geleisen geworfen zu werden, alle Ideen ablehnt; aus Ideenscheu begnügt sie sich mit Einzelbeobachtungen und Experimenten und schließt sich in die Mauer sinnlicher Erfahrung ein, hinter der aus Luftmangel das Leben ersticken muß. Nicht nur Kunst und Wissenschaft, die ganze Welt lebt von Ideen; der Mensch, sagt Christus, lebt von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.

Die Zwietracht zwischen Kopf und Herz oder dem unbewußten und bewußten, ich sage lieber dem gottbewußten und selbstbewußten Wort ist von jeher aufgefallen. Man bemerkte, daß Kinder, Narren und Betrunkene die Wahrheit sagen, man betäubte die delphischen Priesterinnen, zu denen man ohnedies einfache Bauernmädchen, nicht Gelehrte wählte. Viele Menschen werden erfahren haben, daß ihnen etwas nicht einfällt, wenn sie sich darauf besinnen, sondern erst, wenn sie nicht mehr daran denken; auf Fragen, die das wache Selbstdenken nicht lösen kann, taucht oft die fertige Antwort des Morgens aus dem Schlafe. Spirat ubi vult, der Geist weht, wo er will. Die Zwietracht unter der Schrift und Menschenlehre, sagt Luther, könne man nicht eins machen: „Sintemal sie nicht mögen eins werden und natürlich müssen untereinander sein, wie Wasser und Feuer, wie Himmel und Erde, wie Jesaias davon redet, Kap. 55. 8, 9: ‚Wie der Himmel von der Erde erhöht ist, so sind meine Wege erhaben von euren Wegen.‘“

Mir scheint das wiederum das Größte an Luther, daß er sich trotz der Erkenntnis dieser Zwietracht nicht darin verrannte, nur das Gotteswort gelten lassen zu wollen. Viele, die das genannte Wechselverhältnis zwischen Menschen- und Gotteswort bemerkt haben, suchen sich dadurch genial, das heißt schaffend, zu machen, daß sie den Verstand ganz unterdrücken, womöglich nichts lernen und über nichts nachdenken; was aber tatsächlich nicht dem Geist, sondern dem Fleisch zugute kommt. Luther sagte: „Wenn die Vernunft vom Heiligen Geist erleuchtet ist, so hilft sie judizieren und urteilen die Heilige Schrift … Also dient die Vernunft dem Glauben auch, daß sie einem Ding nachdenkt, wenn sie erleuchtet ist.“ Die Wahrheit bewährt sich zwar, aber sie kann sich nicht beweisen, beweisen muß das Menschenwort durch die Logik; darum sagt Luther, daß das Gotteswort an einem dünnen Faden, das Menschenwort an einer eisernen Kette hänge. Diese Kette muß das Wort Gottes binden, um es uns zu erhalten; aber es läßt sich nur binden, wenn es geglaubt wird. Gott der Geist selbst, sein Dasein, kann niemals bewiesen, er muß geglaubt werden; glaubt man ihn aber, so offenbart er sich in Werk und Wort, das sich beweisen läßt und bewiesen werden soll. Weit entfernt, der Betätigung des menschlichen Eigengeistes entgegen zu sein, tat Luther den Ausspruch: Schulen erhalten die Kirche. Es war ihm aufgefallen, daß der Erneuerung des Evangeliums das Wiederaufblühen der Sprachen in Italien vorausgegangen war, und er begriff den Zusammenhang. Wenn er sagt, der Heilige Geist habe die Sprachen vom Himmel gebracht, und das Nichtverstehen der Bibelworte komme vom mangelnden Verständnis der Sprache, so heißt das, daß die Sprache der unmittelbare Ausdruck des Geistes ist, und daß man den Geist in den Sprachen müsse ergründen können, sowie man sie nur bis in die Wurzeln verfolge. „Gott gibt niemandem seine Gnade oder seinen Geist“, sagt er, „ohne durch oder mit dem vorgehenden äußerlichen Wort.“ Das äußerliche Wort aber ist dem menschlichen Selbstdenken zugänglich.

Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht der Brief des Apostels Paulus an die Korinther über den Unterschied zwischen Reden mit Zungen und Weissagen. Unter dem Zungenreden verstand er Worte, die sich nur an das Gefühl, nicht zugleich auch an den Verstand wenden, die einer also, nach seiner Ausdrucksweise, nur sich selbst und Gott redet, nicht den Menschen. Hingegen soll man auch den anderen Menschen verständlich sein und das mit Zungen Geredete auslegen, das heißt das Gotteswort dem menschlichen Begriffsvermögen anpassen. „Wie soll es aber denn sein? Nämlich also: ich will beten mit dem Geist und will beten auch mit dem Sinn; ich will Psalmen singen im Geist und will auch Psalmen beten mit dem Sinn.“ Wir würden etwa sagen: Was wir im Rausche empfangen haben, sollen wir in Besonnenheit ordnen. Luther führt als Beispiel den Knaben David an, der den Riesen überwand: er vertraut auf Gott, daß er ihm den Sieg geben wird, aber er gebraucht nichtsdestoweniger seine Waffen. So sollen wir unsern menschlichen Verstand dem Geiste mitwirken lassen, der sich uns ohne unser Zutun gibt.

Aber nicht nur das Gotteswort zu beweisen, soll das Menschenwort dienen, sondern ohne die persönliche Wahrheit wäre die göttliche gar nicht da. Das ist ja gerade der Grund, warum das Weib nicht selbst Genie ist, sondern ihr Sohn, dessen Selbst das Gotteswort, das sie ihm überträgt, binden kann. Nur dem Widersprecher offenbart das göttliche Wort sich ganz; andererseits hat er nur als Widersprecher Wert. Sowie das Menschenwort das göttliche Wort verdrängt, sich an seine Stelle setzt, verliert es auch die eigene Kraft und den eigenen Wert. „Der Teufel“, sagte Luther, „achtet meinen Geist nicht so sehr als meine Sprache und Feder in der Schrift. Denn mein Geist nimmt ihm nichts denn mich allein; aber die Heilige Schrift und Sprache machen ihm die Welt zu eng und tun ihm Schaden in seinem Reich.“

Beide zusammen machen es aus: die Schrift und seine Sprache und Feder in der Schrift, die göttliche Offenbarung, und der persönliche Geist, der die Offenbarung vernimmt.

Wenn man formulieren will, kann man sagen: das Wort ist die gewordene Kraft, die Christus der Menschheit gab, um ihr die werdende zu ersetzen, die sie mit seinem Erscheinen verloren hatte. Sie ist wissend geworden; aber wenn auch die Krone im Lichte steht, muß doch die Wurzel in der fruchtbaren Dunkelheit der Erde bleiben und der Samen aus der Frucht dort hineinfallen.

Du wirst es deiner Scheherazade verzeihen, wenn sie dem Wort einen Überfluß an Worten gewidmet hat. Ich liebe das Wort, wenn es glitzernd und zwitschernd über bewegliche Lippen plätschert, und ich liebe es, wenn es als ein schöner Fremdling auf einen stolzen und scheuen Mund tritt. Ich liebe es, obwohl es zweischneidig ist wie das Schwert und wie das Licht. Ein Lichtbringer ist es, wie der schönste und unseligste der Engel, wie der unbarmherzig-gnädige Morgenstern. Vielleicht bist du diesmal dem silbernen Hahn nicht böse, der uns auseinanderkräht und mich verhindert, über die Doppelzüngigkeit des erleuchtenden Wortes noch mehr Worte zu verschwenden.

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