VIII

Du bist, geliebter Freund, auf den Inhalt meines letzten Briefes nicht eingegangen, sondern wünschest ihn zunächst vervollständigt. Du sagst, damit Christus ganz fest auf der Erde stehe, müsse seine physiologische Seite erst erörtert werden, kurz, du willst wissen, welche Rolle Joseph nach Luthers Meinung bei der Geburt Christi gespielt habe.

Das Kind entwickelt sich aus dem im Schoße der Mutter gehegten Ei, genährt von ihrem Fleisch und Blut. Der Anteil des Vaters besteht nur darin, daß er den Entwickelungsprozeß einleitet; die Natur, in welcher Gott, die positive Kraft, wirkt, wird angeregt, das Kind hervorzubringen. Die ganze Natur weist darauf hin, daß das Kind der Mutter gehört, und Gebrauch und Gesetz haben grausame Folgerungen daraus gezogen. Das Recht des Vaters am Kinde entsteht erst durch Vertrag; viele Väter verzichten auf ihr Recht, um die damit zusammenhängende Pflicht loszuwerden, und sie werden von der Welt deswegen weder bestraft noch verachtet. Eine Mutter dagegen, die ihr Kind verläßt, wird allgemein verurteilt; man fühlt, daß sie gegen Gott, gegen das Naturgesetz sündigt. Deshalb ist die Mutter mit dem Kinde ein ewiger Gegenstand der Kunst, nicht der Vater mit dem Kinde, und zwar die Mutter mit dem Sohne, weil der Sohn sie ergänzt, ganz macht, ihr Gottesbewußtsein mit seinem Selbstbewußtsein vor der Welt vertritt.

Kaum habe ich den Satz geschrieben, so sehe ich, daß ich das Beste vergessen habe: der Mann hält sozusagen dem Weibe seine Persönlichkeit vor, damit sie sie dem Kinde einpräge. Der Vater gibt dem Kinde sein Bild, sein Selbst, also den abgeleiteten, abgesonderten Strahl der göttlichen Kraft; die Mutter gibt ihm die göttliche Kraft, den göttlichen Geist selbst, welchen sie durch den Glauben zu empfangen imstande ist. „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.“ Der Vater gibt das Fürsichsein, die Persönlichkeit, die Mutter das Allsein.

Insofern aber, als Gott dem Kinde seinen Geist gibt, ist Gott der Vater aller Menschen. „Denn wer da bekennt“, heißt es bei Luther, „daß eine Mutter ein Kind gebiert, das Leib und Seele hat, der soll sagen und halten, daß die Mutter das ganze Kind geboren und des Kindes rechte Mutter ist, ob sie gleich der Seele Mutter nicht wäre; sonst würde daraus folgen, daß keine Frau eines Kindes Mutter wäre.“ Dein Sohn, sagt Luther, sind ja nicht zwei Söhne, obwohl er zwei Naturen hat, den Leib von dir, die Seele von Gott allein. Kann man deutlicher sagen, daß nach Luthers Ansicht jede Mutter den Heiligen Geist empfängt, und daß jeder Mensch göttlich und menschlich ist wie Christus, wenn auch nicht, wie Christus, Gott selbst? „Laßt uns Redefiguren mit den Manichäern erdichten“, sagt Luther an anderer Stelle ironisch, „auf daß Christus nicht wahrer Mensch sei, sondern eine Scheingestalt, die durch die Jungfrau, wie der Sonnenstrahl durch das Glas, hindurchgegangen und gekreuzigt ist. So werden wir die Schriften fein behandeln!“ Noch eine sehr deutliche Stelle aus Luther möchte ich dir anführen: „Da Maria, die Jungfrau, Christus empfing und gebar, da war Christus ein leiblicher Mensch und nicht allein ein geistliches Wesen. Dennoch empfing und gebar sie ihn auch geistlich. Wieso? Sie glaubte das Wort des Engels. Mit dem willigen Glauben an des Engels Wort empfing und gebar sie im Herzen Christus geistlich zugleich.“

Was die Jungfräulichkeit der Maria bedeutet, wird klar durch die Bedeutung des Sündenfalls der Eva. Eva wurde Gott untreu, indem sie den selbstischen Mann liebte und ihm gehorchte. Sie hörte nicht mehr vornehmlich die Stimme Gottes, sondern die des Mannes, sie war nicht mehr ganz von Gott erfüllt. Maria liebt ihren Mann nur, weil Gott ihn ihr gegeben und es ihr befohlen hat, sie liebt ihn in Gott oder weil sie Gott liebt. Joseph wird von den Malern als älterer Mann dargestellt und etwas in den Schatten gerückt; das bedeutet, daß wir die Persönlichkeit des Herrn, die er vom leiblichen Vater empfing, als solche nicht kennen lernen sollen, sondern nur die zur Gottheit erweiterte Persönlichkeit. Wir erfahren, daß Christus vom Teufel versucht wurde und ihn überwand; aber nichts von der Art und vom Verlauf dieser Kämpfe. In bezug auf Maria bedeutet es, daß Joseph von ihr nicht fordert, sie solle in ihm aufgehen, sondern daß sie ihm als Werkzeug Gottes heilig ist. Eva gibt dem Manne nur vorübergehend Befriedigung; denn gerade weil sie sich bis zur Selbstaufgabe hingibt, sich in ihm verliert, kann sie ihm keine dauernde Kraftquelle sein.

Es ist längst aufgefallen, daß der geniale Mann seine Begabung von der Mutter, nicht vom Vater ererbt, was vom Sohne selbst auch lebhaft empfunden wird. Man hat sich in manchen Fällen gewundert, daß bei der betreffenden Mutter keine besonderen Zeugnisse geistiger Begabung vorlagen; aber gewiß hat man wenigstens das von ihnen gesagt, daß sie fromm waren, und darauf kommt es ja einzig an. Mit Frömmigkeit bezeichnet man den Glauben, die Fähigkeit also, des Engels Stimme zu hören; man kann auch ein anderes Wort wählen, das manchem vielleicht mehr sagt, nämlich Phantasie. Glaube ist Phantasie, die Fähigkeit, sich das Unsichtbare einzubilden, daher Einbildungskraft. Eva wollte Erkenntnis, weil sie nicht glauben konnte; Maria braucht nicht zu wissen, denn sie hat alles überflüssig durch die Phantasie. Manche Menschen verstehen unter Phantasie eine Fähigkeit, sich allerlei auszudenken; aber es ist vielmehr die Kraft, das Seiende, das, was unsichtbar, aber gerade darum allgegenwärtig ist, aufzunehmen. Weil sie Phantasie hat, vermag Maria dem Sohne das Göttliche einzubilden, weil sie geistvoll ist, gibt sie ihm Geist; durch sie ist er aus Gott geboren und hört wie sie Gottes Stimme. Wie man von seinen Werken auf die Phantasie des Künstlers, so kann man von ihren Kindern auf die Phantasie der Mutter schließen. Auch Menschen kann man, wie Kunstwerken, anmerken, ob sie aus dem Vollen geschöpft oder dürftig zusammengekratzt sind. Es ist nicht sinnlos, daß man schwangeren Frauen rät, schöne Bilder anzusehen und den Anblick des Häßlichen zu vermeiden; allein die Frau, wie sie sein sollte, hat derartige Nachhilfe nicht nötig, denn sie sieht Schönes, das ist Göttliches, überall, weil sie im Sichtbaren zugleich das Unsichtbare sieht.

Von den Eltern der Genies wird man nie hören, weder daß sie sich leidenschaftlich liebten, noch daß sie eine geradezu unglückliche Ehe führten, sondern sie lebten in einer Ehe, die ich Sakramentsehe nennen möchte, insofern sie auf göttlichem Gebote beruht. Die Frau achtet im Manne seine Überlegenheit in allen weltlichen Angelegenheiten, vermöge welcher er sie vor der Welt vertritt, und in allen diesen Angelegenheiten gehorcht sie ihm; der Mann verehrt das Göttliche in ihr und läßt sie in allem, was Gott betrifft, schalten. Er vernimmt Gottes Stimme durch sie.

„Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt“, sagt Goethe. Diejenigen Söhne, deren Väter so weltlich waren, daß sie das Göttliche in der Frau überhaupt nicht erkannten oder es unterdrückten, oder deren Mütter Gott an den Mann verrieten, sich ihm zuliebe verweltlichten, gedenken ihrer Eltern nicht gern, ja, sie hassen denjenigen, der sie um ihr bestes Erbteil betrog. Am wenigsten verzeihen es Kinder der Mutter, wenn sie einen anderen Mann als den Vater liebt. Die gute Mutter ist diejenige, die, wenn sie Kinder hat, vorzugsweise ihnen lebt, ohne noch von Männerliebe berührt zu werden; so waren die Frauen und Mütter bei den Griechen, die für die Liebe eine besondere Klasse von Frauen hielten. Diese Einteilung, die der Genialität eines Volkes so sehr zugute kommt, macht sich bis zu einem gewissen Grade immer wieder von selbst, weil sie Gott oder der Natur entspricht; da sie aber der Moral widerspricht, nimmt sie bei den moralischen Völkern – und das sind jetzt alle – Formen an, die ihr Gutes und Schönes aufheben und sie ins Widerwärtige verzerren. So wie diese Einrichtung bei den nachchristlichen Völkern ist, kommt sie nur der Welt, dem Teufel, nicht Gott zugute. Das Schlimme ist, daß der heutige Mann keine Marienfrau mehr heiratet; ihr kindliches In-sich-selbst-Ruhen, ihre strahlende Heiterkeit, ihre reine Schönheit reizen ihn nicht, im besten Falle erregen sie in ihm ein Gefühl von Scheu und Ehrfurcht, das ihn fernhält. So stehen denn gerade diese Frauen, ohne Organe für die Welt, verlassen in ihr; aber unter dem Schutze Gottes.

Die verhängnisvolle Verwechselung der Religion mit der Moral, an der wahrhaftig Luther keine Schuld trug, hat gemacht, daß man sich unter Maria, der Kindlichen, Phantasievollen, Strahlenden, und unter Christus, dem Genie der Genies, etwas tugendhaft Langweiliges vorstellt. Luther dachte sich Maria als ein feines, tapferes Mädchen, die Holdselige voller Gnaden, Christus als den Helden, den Mann der Liebe und des Hasses, voll freundlichen Ernstes und ernster Freundlichkeit. Du kennst den Vers von Goethe:

Volk und Knecht und Überwinder,
Sie gestehn zu jeder Zeit:
Höchstes Glück der Erdenkinder
Sei nur die Persönlichkeit.

Es ist selbstverständlich, daß wir uns den Gottmenschen nicht ohne dies höchste Glück des Fürsichseins vorstellen dürfen. Daraus, daß er vom Teufel dreifach versucht wurde, geht allein schon deutlich hervor, daß er Selbstbewußtsein hatte, und mehr jedenfalls als irgendein Mensch. Wie hätte es der Mensch nicht haben sollen, der sich als das Ebenbild Gottes erkannte? Aber Christus war nicht nur ganz voll Selbstbewußtsein, sondern auch ganz voll Gottbewußtsein. Der höchste Grad des Selbstgenusses ist in dem Augenblick erreicht, wo das Selbst in einem höheren aufgeht; diesen Augenblick der höchsten Qual und Seligkeit erlebte Christus, als er sagte: Nicht wie ich will, sondern wie du willst. Seine Selbstform ging damit in die göttliche Form über; es war nicht Entpersönlichung, sondern Erweiterung der Einzelpersönlichkeit zur Allpersönlichkeit. Seine Persönlichkeit deckte sich vollkommen mit der Idee des Menschen, die zugleich die Idee Gottes ist. Dieser Augenblick höchster Seligkeit ist dem Teufel nicht zugänglich, weil er vom Anderssein als Gott lebt wie der Schatten vom Nicht-Lichtsein. Man kann umgekehrt auch sagen: Wer nicht fähig ist, in einem Höheren aufzugehen, ist in der Hölle.

Aus der Tatsache, daß Christus Mensch war, natürlicher Mensch wie wir alle, liegt zu folgern nahe, daß wir auch Götter, wenigstens werdende Götter, mögliche Götter oder Gottmenschen sind. Diese Folgerung hat Luther auch gezogen der Heiligen Schrift gemäß, die klar sagt, daß Gott durch Christus, unseren Bruder, unser Vater geworden ist; diese veränderte Stellung des Menschen zu Gott gehört zum wesentlichen Inhalt des Neuen Testaments. Luther erinnert unter anderm an den 82. Psalm, in welchem es heißt: Ihr seid Götter und allesamt Kinder des Allerhöchsten, und daß Christus selbst im Johannesevangelium diese Stelle so auslegt, daß diejenigen Götter sind, zu denen das Wort Gottes geschieht. Sehr charakteristisch finde ich eine Meinungsäußerung Luthers über einen gewissen Hans Mohr, der Zwinglis Richtung folgte und Luther vorwarf, er mache aus der Kreatur den Schöpfer. In bezug darauf schreibt Luther: „Und wenn man gleich spräche, Kreatur ist Schöpfer worden (wie wir in diesem Artikel nicht tun), so wäre es dennoch nicht allerdings falsch, denn wir glauben ja und sagen alle, daß Gott Mensch und Mensch Gott sei in Christo, so daß Mensch Kreatur und Gott Schöpfer ist. Darnach solches bei den Christen nicht so greulich ist, wie sie lästern, und damit hinaus wollen, daß zuletzt auch falsch soll werden, daß Gott Mensch sei.“ Man sieht, in welches Gestrüpp von Mißverständnissen Luther verstrickt war. Zwingli sagte, er wolle bei der alten Theologie bleiben, wonach die beiden Naturen nicht vermischt werden dürften. Er ahnte wohl selbst nicht, was er der Menschheit damit antat. Hätte er sich klargemacht, daß Gott der Geist ist, so würde er wohl nichts daran auszusetzen gefunden haben, daß der Mensch Gott-Mensch, das heißt Geist-Mensch werden kann. An Christus glauben heißt, an das Göttliche im Menschen glauben, glauben, daß der Mensch Geist hat.

So wie ich dich kenne, denke ich mir, daß du noch nicht ganz befriedigt bist, sondern noch etwas über Christus' Leistungen hören willst, worauf du so viel zu geben pflegst, natürlich mit Recht; denn wo Kraft ist, da sind auch Leistungen. Vielleicht findest du, daß man, wenn Christus das Genie der Menschheit ist, künstlerische Leistungen von ihm erwarten dürfte.

In der Tat übte Christus eine Kunst aus, nämlich die Heilkunst; er war der Heiland der Welt, das heißt, da heil ganz bedeutet, der Ganzmacher der von Gott abgesonderten Menschen. Luther nennt ihn deshalb den König der Sünder, und die Bibel sagt häufig, daß er zu den Sündern gekommen sei. Und zwar machte er die Zerrissenen ganz durch die Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist, indem sie das Getrennte im Bewußtsein der Zusammengehörigkeit bindet. Viele haben die Vorstellung, als sei Christus ein humaner Wohltäter, ein Sozialist, Reformator oder dergleichen gewesen; aber wo steht das? Er bekehrte Sünder, tröstete Traurige, heilte Kranke durch Wort und Berührung und erweckte Tote. Was das heißt, Tote lebendig machen, wird klar, wenn man daran denkt, daß Gott die Welt durch sein Wort schuf, daß er den Dingen Namen gibt und das, was nicht ist, ruft, daß es sei. Die Dinge sind dadurch, daß sie dem Geiste bewußt werden: Christus machte der Menschheit ihr Fühlen und Ahnen bewußt durch sein Wort. Er lehrte die Wahrheit, Ideen strömten unerschöpflich in Bildern von seinen Lippen, insofern war er der größte Dichter der Menschheit. Es ist wahr, daß er seine Ideen nicht gestaltete; aber er brauchte das nicht, weil er selbst, wie es heißt, voll göttlicher Gestalt war.

Durch das Heraustreten Christi aus der Menschheit zerfiel sie in ihre Bestandteile: Kraft und Stoff, Unsichtbares und Sichtbares, Sein und Erscheinen. Er zerriß sie, aber er, der Heiland, Gott, der sich als Person offenbart, machte sie auch wieder ganz, und zwar durch die Tat. Das selbstbewußte, verantwortliche Ich ist der Punkt, in welchem das Sichtbare und das Unsichtbare eins werden. Dies Ich, die Person, kann sich nur bilden durch die Tat, wie umgekehrt eine Tat auch nur getan werden kann durch ein verantwortliches Ich. Das Ich und die Tat hängen unzertrennlich zusammen, es gibt keine Person ohne Tat und keine Tat ohne Person. Solange das Ich betrachtend zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren schwebt, bleibt es selbst vereinzelt und die Welt ihm Stückwerk. Der Mensch, der sich bloß erkennend verhält, kommt nie zur Einheit, weil es nur unendliche Möglichkeiten für ihn gibt; erst handelnd begrenzt er sich und wird dadurch ein einheitliches Selbst. Im Inneren des bloß erkennenden Menschen ist ein Abgrund, der ihn verschlingt, handelnd schließt er den Riß, der durch sein Inneres und zugleich durch seine Welt geht. Der Christ ist der Mensch, der nach vorausgegangener Spaltung wieder einheitlich geworden ist durch aus dem Herzen entspringendes und im Selbstbewußtsein bestätigtes, zugleich gemußtes und gewolltes Handeln.

Luther hat nachdrücklich betont, wenn er zwischen Christi Leben und seinem Wort zu wählen hätte, würde er ohne Zögern sein Wort wählen; denn Christus sei in seinem Wort. Das erklärt sich aus Luthers Besorgnis, die Menschen möchten wähnen, sie würden dadurch Christen, daß sie nach Möglichkeit die Handlungen des Herrn nachahmten, wovon dann eine Veräußerlichung oder Moralisierung die Folge wäre. Deshalb verwirft er die Art und Weise, wie Christus gewöhnlich gelehrt und gepredigt werde. Man erzähle von ihm, um Mitleid zu erregen und als Kehrseite davon Haß auf seine Mörder, andere stellten ihn als Beispiel auf und predigten die Nachfolge. Dagegen sagt Luther, es stehe geschrieben, daß man Christus anziehen solle, und Christus anziehen heiße nicht Christus nachfolgen, sondern bevor man ihm nachfolgen könne, müsse man ihn angezogen haben. Einem Freunde erklärte er einmal, er fasse den Glauben oder die Liebe nicht auf als eine Eigenschaft im Herzen, sondern er setze Christus selbst an diese Stelle; denn Christus habe nicht gesagt, er gebe uns den Weg, die Wahrheit und das Leben, sondern er sei das alles, er wolle in uns sein, nicht außer uns.

Wir sollen uns in Christus verwandeln, Tatmenschen sein, und zwar Taten aus dem Herzen tun. Man kann beobachten, daß die Menschen im allgemeinen sich blindlings, mit einer gewissen Lust, einem Tyrannen, wie zum Beispiel Napoleon I. war, unterwerfen und aufopfern, wie sie es einem Edlen oder Weisen nicht tun würden. Sie spüren die starke Persönlichkeit, das selbstbewußte Ich, den mystischen Punkt, in dem Gott Person werden kann. Das teuflische Ich kann sich jeden Augenblick in Christus verwandeln, ja es ist Christus auf der Stufe der Versuchung durch den Teufel. Vielleicht unterliegt er; aber er kann siegen, wenn auch nicht so ganz wie Christus siegte. Sowie das Ich seinen Eigenwillen dem göttlichen Willen aufzuopfern beginnt, fängt die Wiedergeburt, der Lebenslauf des Christen an.

Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

Daß aber dem Sterben das Werden folgen muß, unterscheidet das Christentum von jeder das Leben verneinenden Weltanschauung. Wir sollen die Persönlichkeit nicht dadurch überwinden, daß wir sie unterdrücken, sondern daß wir sie erweitern und in unserem Ich möglichst viele Menschen vertreten. Obwohl Christus unerreichbar über allen Menschen ist, findet sich doch jeder in ihm wieder.

Was Christus vor seinem öffentlichen Auftreten getan hat, danach sollen wir nicht fragen; denn er soll für uns weniger der historische Mensch sein als der Mensch, der Idealmensch, der Gottmensch. Die genialen Menschen haben das auch stets gefühlt, wie man an Hand der Kunst nachweisen kann. Es tauchten wohl in den ersten Jahrhunderten christlicher Zeitrechnung einige Bildnisse mit dem Anspruch auf, den historischen Christus darzustellen, und diese mögen bei der Entstehung des Christustypus ein wenig mitgewirkt haben; im allgemeinen aber haben alle großen Maler und Bildhauer in Christus den Idealmenschen darzustellen gesucht, die Romanen mit Überwiegen der göttlichen Form, die Germanen mit Überwiegen der persönlichen. Sie idealisierten in Christus sich selbst, ihr Volk, die Menschheit. Wenn einer schlechtweg sich selbst als Christus darstellt, wie das neuerdings einige Maler unreligiös und unkünstlerisch genug waren zu tun, so kann man darunter schreiben: Wenn er lügt, so redet er aus seinem Eigenen. Die Verschmelzung der All-Idee mit der Einzel-Idee erst gibt den Gottmenschen.

Mir scheint, daß die großen Maler recht hatten, die Christus schön darstellten, und daß es ein Mißverständnis ist, ihn häßlich zu denken. Häßlich kommt von Haß und bedeutet Haß der göttlichen Form. Die Sklavenvölker und Barbarenvölker sind deshalb immer häßlich gemalt worden, weil sie Haß gegen das Geformtwerden überhaupt haben, und ebenso drückt sich der Haß der teuflischen Persönlichkeit gegen die göttliche Idee als Häßlichkeit aus. Nun ist es ja wahr, daß jedes Genie Chaos, etwas Ungeformtes, in sich haben muß; denn darin liegt ein Teil seiner Kraft; wie auch besonders, daß jedes menschliche Genie stark persönlich sein muß. Darum sind die Frauen das schöne Geschlecht, weil sie unpersönlicher, weniger teuflisch sind als der Mann. Luther hatte sicherlich recht, wenn er sich Paulus nicht als schlechtweg schön vorstellte: irgendwie muß sich das maßlos Leidenschaftliche, das Gegensätzliche in seiner Natur äußerlich ausgeprägt haben, wie das auch bei Luther der Fall war; aber zwischen allen Menschen und dem einen Christus besteht doch der Unterschied, daß Christus das Persönliche hatte und doch zugleich nicht hatte, überwunden hatte. Er muß deshalb ebenso persönlich schön wie göttlich schön gedacht werden. Rembrandt scheint mir der einzige Maler zu sein, der Christus auch unschön malen durfte; denn bei Rembrandts Christus sieht man nicht, daß er diesen oder jenen Umriß, diese oder jene Form hat, sondern nur, daß er leuchtet. Die Erscheinung strömt in das Sein über.

Share on Twitter Share on Facebook