XI

Ich will die Lehre von der Dreieinigkeit noch einmal zusammenfassen: Gott ist schaffende Liebe; er äußert sich dreifach als Gott-Natur, Gott-Mensch und Gott-Geist. In Gottes Ebenbilde, dem Menschen, äußert sich die göttliche Kraft entsprechend als Gestaltungskraft, Tatkraft und Glaubenskraft oder Vernunft. Auf der ersten Stufe des Geistes, der der Phantasie, erfaßt der Mensch die Welt als unendlich viele Einzelheiten, die ihm alle göttlich sind, so daß die ganze Welt ihm göttlich ist, aber unbewußt; auf der Stufe der Tatkraft erfaßt er die Welt als Gegensatz zwischen dem Einen persönlichen Gott und dem teuflischen Gegengott, dem menschlichen Selbst; zuletzt glaubt er an eine göttliche Welt, deren Inneres mit seinem Inneren zusammenfällt. Seit die Menschheit die Welt als unendlich ansieht, dürfen wir ganz wohl Welt, im Sinne von Kosmos natürlich hier, statt Gott setzen, und da die drei Offenbarungen der göttlichen Kraft sowohl nebeneinander wie nacheinander erscheinen, dürfen wir sagen, daß die Welt sich stufenweise entwickelt. Danach lautet der wesentliche Inhalt von Luthers Glaubensbekenntnis, in die Sprache unserer Zeit übersetzt: Wir glauben an die Welt als an eine sich entwickelnde, endlose und grenzenlose Einheit, deren Mittelpunkt der Mensch ist. Dies Glaubensbekenntnis ist geozentrisch, wie mir scheint, mit Recht; denn Gott, der Geist, der sich im Menschen offenbart, schafft die Welt, folglich muß der Mensch und mit ihm die Erde der Mittelpunkt der Welt sein.

Die Dreieinigkeit drücke sich auch in der allergeringsten Kreatur ab, sagt Luther, insbesondere natürlich im Menschen. Das antike Wort, daß der Mensch die Welt im kleinen, das Maß aller Dinge sei, heißt beim Christen, er sei das Ebenbild Gottes. Die drei Einheiten, die den Menschen bilden, nennt Luther, sich auf Paulus beziehend, Geist, Seele und Leib. Die betreffende Stelle kommt im ersten Brief an die Thessalonicher vor und heißt: Gott, der ein Gott des Friedens ist, der mache euch heilig durch und durch, also daß euer ganzer Geist und Seele und Leib unsträflich erhalten werde auf die Zukunft unseres Herrn Jesu Christi.

Den Geist beschreibt Luther als den „höchsten, tiefsten, edelsten Teil des Menschen, damit er geschickt ist, unbegreifliche, unmittelbare, ewige Dinge zu fassen und ist kürzlich das Haus, da der Glaube und Gottes Wort innewohnt“. Die Seele sei derselbe Geist nach der Natur, aber doch in einem anderen Werke, nämlich in dem, daß er den Leib lebendig mache und durch ihn wirke. Durch die Seele also wirkt der Geist auf den Körper. Die Art der Seele sei, nicht die unbegreiflichen Dinge zu fassen, sondern was die Vernunft (wir würden sagen der Verstand) erkennen und ermessen könne, und die Vernunft sei das Licht in diesem Hause. Sowohl die Erkenntnis wie die Affekte schreibt er, im Einklange mit der Heiligen Schrift, der Seele zu. Um diese menschliche Dreieinigkeit deutlich zu machen, fügt Luther noch ein Bild hinzu; er vergleicht sie nämlich mit dem von Moses beschriebenen Tabernakel. Das Allerheiligste, in dem Gott wohne und in dem kein Licht sei, stellt er dem Geiste gleich, das Sanktum mit dem siebenarmigen Leuchter der Seele, das Atrium, den jedermann zugänglichen Vorhof, dem Körper.

Mir stellt sich das unwillkürlich körperlich vor, nämlich als drei ineinander schwebende Sphären, von denen die innere der Geist, das Allerheiligste ist, die äußere der Körper und die mittlere, welche Geist und Körper verbindet, die Seele. Überträgst du diese Form des Mikrokosmos auf den Makrokosmos, so ergibt sich, daß die Menschheit die Seele der Welt ist; im Selbstbewußtsein der Menschheit wird das Sichtbare und das Unsichtbare, Stoff und Kraft, zur Einheit. Ohne die Menschheit wäre die Welt seelenlos, ja, sie wäre nicht, denn es wäre nur Chaos. Das Wort der zum Selbstbewußtsein erwachenden Menschheit läßt die Welt aus dem Nichts hervortreten.

Vom Allerheiligsten, dem Geiste, sagt Luther, daß es dunkel bleiben soll, und zwar damit das Licht Gottes darin scheinen könne: das Licht scheinet in der Finsternis. Von dem gegensätzlichen Verhältnis zwischen Selbstbewußtsein und Gottbewußtsein war schon die Rede, daß nämlich das eine auf Kosten des anderen wächst und schwindet. Wir sollen Gott in allen seinen Äußerungen Raum lassen. Wie wir das Kind im Schoße der Mutter verborgen wachsen lassen müssen, wie wir Knospen nicht gewaltsam öffnen dürfen, so sollen wir auch Gott in unserem Geiste reifen lassen, ohne das geheimnisvolle Werk voreilig zu stören. Dauernder Betrieb, hastige Geschäftigkeit verscheucht den Gott der Tat: Tell taucht aus dem Dunkel auf zur großen Erlösertat, um dann wieder zu versinken. Ebenso wächst das Wort der Wahrheit im Schweigen und Hören. Du kennst das Gleichnis von Martha, die sich viel zu schaffen machte, während ihre Schwester Maria zu Jesu Füßen saß und seinen Worten zuhörte. Martha, Martha, du machst dir viel Sorge und Mühe, sagte er, aber eins ist not. Dies, was not ist, ist der Glauben, das Stillesein vor Gott, damit er in uns wirke, ein vorübergehendes Zurücktreten, Auslöschen also des Selbstbewußtseins. Ich habe dabei das geometrische Bild vor Augen und sehe, wie die dunkle Sphäre des Geistes zurückgedrängt wird, wenn die erleuchtete Sphäre der Seele zu stark anschwillt; das eine lebt auf Kosten des anderen, sowie die Persönlichkeit ein gewisses Maß übersteigt, leidet Gott. Füllt die Seele das Allerheiligste ganz aus, so muß, wie das Bild unwiderleglich zeigt, früher oder später ein völliges Versiegen folgen, da ja der Seele ihr Inhalt aus der innersten Sphäre zuströmt, die mit Gott eins ist.

Ohne irgendeinen berauschenden Lethe ertrüge der Mensch das Leben nicht, und es strömen ihm zwei Brunnen des Selbstvergessens im Schlaf und in der Liebe. Es hat mir eine hohe Meinung von Keplers Seelenkenntnis gegeben, daß er an Wallenstein die „allzeit wachen Gedanken“, das emsige, unruhige Gemüt als etwas nicht Geheures hervorhebt; diese beständige Wachsamkeit, die uns als strafbare Neugier oft in Sagen begegnet, die Unfähigkeit, sich von dem stets regen Selbst abzulösen, verzehrt die Kraft des Menschen, wie das Licht die Kerze verzehrt. Die Nacht, aus der er gekommen ist, muß auch im Leben ihren Anteil an ihm behalten; Entziehung des Schlafes tötet, und Lieblosigkeit ist schon der Tod. Daß Gott die Welt aus Nichts geschaffen hat, muß man tiefer fassen, als gewöhnlich geschieht; er, der nie einen Augenblick zu schaffen aufhört, läßt sie in jedem Augenblick aus dem Chaos aufsteigen, und es muß umgekehrt Chaos da sein, damit geschaffen werden kann.

Vollkommene Unpersönlichkeit und deshalb vollkommenes Unbewußtsein finden wir beim Kinde; denn es hat sich noch nicht zum Selbst entwickelt. Es ist das Nichts-von-sich-wissen und Nichts-für-sich-wollen, was den Erwachsenen am Kinde entzückt, das göttliche Dunkel des verlorenen Paradieses. Kindes Hand ist leicht zu füllen, sagt das Sprichwort; es greift nach einem Sonnenstrahl, den es nicht halten kann, ja, nur im Anschauen leuchtet es vor Glück. Es ist ganz und gar aufnehmend, im Nicht-Ich aufgehend, ein klarer Spiegel der Welt. Jesus sagte: „Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: wer nicht das Reich Gottes nimmt als ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Gott herrscht in dem reinen Herzen, das nichts von sich weiß; es ist also unmöglich, daß ein Mensch göttliche Kraft habe, der sich das reine Herz, das Unbewußtsein des Kindes nicht trotz des Selbstbewußtseins, durch das jeder hindurch muß, bewahrt.

Daß es möglich ist, Person und doch Kind, selbstbewußt und zugleich gott- oder unbewußt zu sein, beweist jedes Genie und Luther selbst vor allen. In den Tischgesprächen, wo er sich ganz unbefangen äußert, spricht sein kindliches Herz am klarsten; vernehmbar ist es aber in jedem seiner Werke, ja, ich möchte sagen: in jedem seiner Worte. In fast übermenschlicher Liebestätigkeit vergaß er immer wieder sein Selbst; dies Selbst, diese gewaltige Persönlichkeit, welche sich oft dagegen wehrte in Qualen, die ihn an den Rand des Todes brachten; aber immer wieder ging das gereinigte Herz siegreich hervor und mit ihm die frisch betaute Welt.

Als ein Mittel, das ihm in diesen Kämpfen geholfen habe, führt Luther die Beichte an; ohne sie, meint er, würde der Teufel ihn überwunden haben. Die Zwangsbeichte der katholischen Kirche allerdings verwarf er; nur die Beichte, die freiwillig aus dem Herzen fließt, hielt er für nützlich. Der freiwillig Beichtende nämlich äußert so viel von sich, wie schon in seiner Seele, in seinem Selbstbewußtsein ist, und er denkt, wenn er davon befreit ist, nicht weiter über sich nach, wodurch er der Gefahr der Selbstzergliederung entgeht; bei der erzwungenen Beichte dagegen wird man zur Selbsterforschung angeleitet. Kein Priester soll sich anmaßen, die „Heimlichkeit des Herzens“ zu erforschen; denn über das Herz hat kein Mensch Gewalt, als den edelsten Teil des Menschen hat Gott es sich vorbehalten, das heißt: es soll nur freiwillig sich öffnen und geben. „Die Reue, die man zubereitet durch Erforschen, Betrachtung und Haß der Sünden, wenn ein Sünder mit Bitterkeit des Herzens seine Zeit bedenkt, der Sünde Größe, Menge und Unflat bewegt, dazu den Verlust ewiger Seligkeit und Gewinn ewiger Verdammnis, die macht nur Heuchler und größere Sünder.“ Auch vor anderen und vor sich selbst muß der Mensch Ehrfurcht haben, denn im Menschen offenbart sich Gott; es ist Schamlosigkeit, einem anderen, aber auch sich selbst die letzten Geheimnisse des Herzens zu erpressen, und eine gewisse ängstliche Verlegenheit verrät diejenigen, die diese von Gott gezogene Grenze überschritten haben. Es verrät sie auch ihre Ohnmacht; denn Selbstbetrachtung macht unfruchtbar. Dadurch, daß man sich nach außen ausströmt, rettet man sich vor der Selbstentweihung, die zugleich Entweihung Gottes ist. Vielleicht erinnerst du dich, daß wir den Ungläubigen als denjenigen bestimmten, der sich selbst anbetet, und Selbstbetrachtung ist ja Selbstanbetung. Von solchen Menschen sagt Paulus, daß sie immerzu lernen und nimmermehr zur Wahrheit kommen. „Es sind Menschen, die haben einen verrückten Sinn, untüchtig zum Glauben. Aber sie werden fortan nichts mehr schaffen.“

Beiläufig bemerkt, halte ich es für einen Erziehungsfehler, wenn man den Kindern als ungehörig verweist, von sich selbst zu sprechen; wenigstens sollte man es nur tun, wenn man ihnen zugleich ein solches Interesse für das Nicht-Ich erwecken kann, daß sie sich selbst darüber vergessen. Die meisten Menschen denken desto mehr an sich, je weniger sie von sich sprechen. Jeder sollte einen Freund haben, dem gegenüber er sich gehen lassen und sich aussprechen kann; und wer gar keinen hat, ist wohl durch Selbstanbetung unlösbar an sich gekettet. Wohl demjenigen, dem ein Gott gab, zu sagen, was er leidet; in diesem Sinne nennt Luther einmal die Psalmen das wahre γνῶϑι σαυτον.

Für mein Gefühl ist es der Mangel an Naivität in den heutigen Menschen, der den Umgang so schwer macht und bewirkt, daß man fast am liebsten mit Menschen aus dem Volke verkehrt. Der siebenarmige Leuchter der Seele hat begonnen, alle Winkel des Allerheiligsten hell zu machen; man ißt, trinkt, geht, atmet bewußt, man zerrt und nagt an jeder Knospe. Etwas wesentlich Unwillkürliches und Unbewußtes ist der Tanz; aber heute macht man ein schweres Studium daraus. Dahin gehört auch die heutige Mode, wonach Frauen sich ganz oder fast ganz unbekleidet öffentlich sehen lassen unter dem Vorwande, das Anschauen des nackten menschlichen Körpers gehöre zur künstlerischen Bildung. Nach meiner Meinung gehört die Nacktheit zu den Mysterien; es ist ein Sakrileg, sie öffentlich in irgendeiner bewußten Absicht zur Schau zu stellen, sei sie auch moralisch oder edel. Alle wahrhaft schönen Darstellungen nackter Frauen in der Kunst sind sicherlich dadurch entstanden, daß ein Künstler seine Geliebte malte. Wie ein Dichter nur einen Menschen, braucht ein Künstler nur einen Körper ganz zu kennen; aber diesen muß er lieben. Der Körper braucht nicht vollendet schön zu sein, die Liebe ersetzt, was fehlt. Das Studium des Nackten kann „vor der Welt“ nützlich sein, und es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man es studiert; aber das Beseligende der nackten Schönheit kann nur von dem Liebenden genossen werden, dem sie sich aus Liebe enthüllt. Sie gehört nicht in einen künstlich beleuchteten Saal vor das Publikum. Ebenso mag es für die Welt nützlich sein, wenn man die Jugend über die Mysterien der Liebe aufklärt; aber die Liebe muß sterben, wenn man sie aus ihrem göttlichen Dunkel reißt.

Es ist selbstverständlich, daß man nicht davor zurückschrecken wird, auch die Kindlichkeit künstlich herzustellen, und vielleicht wird man sich zum Zwecke der Unbewußtheit Freunde halten und ihnen sein Herz ausschütten, lebhafte Liebestätigkeit entfalten oder Schlafmittel nehmen und dadurch nur immer bewußter werden. Alles, was aus dem Herzen kommt, gibt nur die Gnade; Vorläufer der Gnade sind aber das Gesetz und die Not, und so muß man wohl auf diese hoffen.

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