XI Definitionen.

[S. 587]

XI.
Definitionen.

Es mag dem Leser vielleicht überflüssig erscheinen, wenn ich ein besonderes Kapitel über Begriffsdefinitionen dem Texte meiner Untersuchung anfüge. Ich habe aber reichlich die Erfahrung gemacht, dass gerade in psychologischen Arbeiten man gar nicht sorgfältig genug mit Begriffen und Ausdrücken verfahren kann, indem gerade im Gebiete der Psychologie, wie sonst nirgends, die allergrössten Variationen der Begriffe vorkommen, welche häufig zu den hartnäckigsten Missverständnissen Anlass geben. Dieser Übelstand scheint nicht allein daher zu rühren, dass die Psychologie eine junge Wissenschaft ist, sondern auch daher, dass der Erfahrungsstoff, das Material der wissenschaftlichen Betrachtung, sozusagen nicht concret unter die Augen des Lesers gelegt werden kann. Der psychologische Forscher sieht sich immer wieder gezwungen, die von ihm beobachtete Wirklichkeit durch weitläufige und sozusagen indirekte Beschreibung darzustellen. Nur soweit mit Zahl und Mass zugängliche Elementartatsachen mitgeteilt werden, kann auch von einer direkten Darstellung die Rede sein. Aber wieviel von der wirklichen Psychologie des Menschen wird als durch Mass und Zahl erfassbare Tatsache erlebt und beobachtet? Es giebt solche Tatbestände, und ich glaube gerade durch meine Associationsstudien[306] nachgewiesen zu haben, dass noch recht komplizierte Tatbestände einer messenden Methode zugänglich sind.[S. 588] Aber wer tiefer in das Wesen der Psychologie eingedrungen ist und die höhere Anforderung an die Psychologie als Wissenschaft stellt, nämlich, dass sie nicht bloss eine durch die Grenzen der naturwissenschaftlichen Methodik beschränkte kümmerliche Existenz fristen darf, der wird auch erkannt haben, dass es nie und nimmer einer experimentellen Methodik gelingen wird, dem Wesen der menschlichen Seele gerecht zu werden, ja auch nur ein annähernd getreues Bild der komplizierten seelischen Erscheinungen zu entwerfen.

Wenn wir aber das Gebiet der durch Mass und Zahl erfassbaren Tatbestände verlassen, so sind wir auf Begriffe angewiesen, welche uns Mass und Zahl ersetzen müssen. Die Bestimmtheit, die Mass und Zahl der beobachteten Tatsache verleihen, kann nur ersetzt werden durch die Bestimmtheit des Begriffes. Nun leiden aber, wie es jedem Forscher und Arbeiter auf diesem Gebiet nur zu gut bekannt ist, die derzeit geläufigen psychologischen Begriffe an so grosser Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit, dass man sich gegenseitig kaum verständigen kann. Man nehme nur einmal den Begriff „Gefühl“ und suche sich zu vergegenwärtigen, was alles unter diesem Begriff geht, um eine Vorstellung von der Variabilität und Vieldeutigkeit psychologischer Begriffe zu bekommen. Und doch ist irgend etwas Charakteristisches damit ausgedrückt, das zwar für Mass und Zahl unzugänglich und doch fassbar existierend ist. Man kann nicht einfach darauf verzichten, wie es Wundts physiologische Psychologie tut, diese Tatbestände als wesentliche Grundphänomene zu leugnen und sie durch Elementarfacta zu ersetzen oder sie in solche aufzulösen. Damit geht ein hauptsächliches Stück Psychologie geradezu verloren.

Um diesem durch die Überschätzung der naturwissenschaftlichen Methodik erzeugten Übelstand zu entgehen, ist man genötigt, zu festen Begriffen seine[S. 589] Zuflucht zu nehmen. Um solche Begriffe zu erlangen, bedarf es allerdings der Arbeit Vieler, gewissermassen des consensus gentium. Da dies aber nicht ohne weiteres und namentlich nicht sofort möglich ist, so muss der einzelne Forscher wenigstens sich bemühen, seinen Begriffen einige Festigkeit und Bestimmtheit zu verleihen, was wohl am besten dadurch geschieht, dass er die Bedeutung der von ihm jeweilig verwendeten Begriffe erörtert, sodass jedermann in den Stand gesetzt ist, zu sehen, was mit ihnen gemeint ist.

Diesem Bedürfnis entsprechend, möchte ich im folgenden meine hauptsächlichsten psychologischen Begriffe in alphabetischer Reihenfolge erörtern. Zugleich möchte ich den Leser bitten, im Zweifelsfalle sich dieser Erklärungen erinnern zu wollen. Es ist selbstverständlich, dass ich mit diesen Erklärungen und Definitionen mich nur darüber ausweisen will, in welchem Sinne ich mich der Begriffe bediene, womit ich aber keineswegs sagen möchte, dass dieser Gebrauch unter allen Umständen der einzig mögliche, oder unbedingt richtige wäre.

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