Einleitung. 29 Von der Idee einer Kritik der praktischen Vernunft.

Der theoretische Gebrauch der Vernunft beschäftigte sich mit Gegenständen des bloßen Erkenntnißvermögens, und eine Kritik derselben in Absicht auf diesen Gebrauch betraf eigentlich nur das reine Erkenntnißvermögen, 5 weil dieses Verdacht erregte, der sich auch hernach bestätigte, daß es sich leichtlich über seine Grenzen unter unerreichbare Gegenstände, oder gar einander widerstreitende Begriffe verlöre. Mit dem praktischen Gebrauche der Vernunft verhält es sich schon anders. In diesem beschäftigt sich die Vernunft mit Bestimmungsgründen des Willens, welcher ein 10 Vermögen ist, den Vorstellungen entsprechende Gegenstände entweder hervorzubringen, oder doch sich selbst zu Bewirkung derselben (das physische Vermögen mag nun hinreichend sein, oder nicht), d. i. seine Causalität,30 zu bestimmen. Denn da kann wenigstens die Vernunft zur Willensbestimmung gelangen und hat so fern immer objective Realität, als es nur 15 auf das Wollen ankommt. Hier ist also die erste Frage: ob reine Vernunft zur Bestimmung des Willens für sich allein zulange, oder ob sie nur als empirisch-bedingte ein Bestimmungsgrund derselben sein könne. Nun tritt hier ein durch die Kritik der reinen Vernunft gerechtfertigter, obzwar keiner empirischen Darstellung fähiger Begriff der Causalität, nämlich 20 der der Freiheit, ein, und wenn wir anjetzt Gründe ausfindig machen können, zu beweisen, daß diese Eigenschaft dem menschlichen Willen (und so auch dem Willen aller vernünftigen Wesen) in der That zukomme, so wird dadurch nicht allein dargethan, daß reine Vernunft praktisch sein könne, sondern daß sie allein und nicht die empirisch-beschränkte unbedingterweise 25 praktisch sei. Folglich werden wir nicht eine Kritik der reinen praktischen, sondern nur der praktischen Vernunft überhaupt zu bearbeiten haben. Denn reine Vernunft, wenn allererst dargethan worden, daß es eine solche gebe, bedarf keiner Kritik. Sie ist es, welche selbst die Richtschnur zur Kritik alles ihres Gebrauchs enthält. Die Kritik der31 praktischen Vernunft überhaupt hat also die Obliegenheit, die empirisch bedingte Vernunft von der Anmaßung abzuhalten, ausschließungsweise den 5 Bestimmungsgrund des Willens allein abgeben zu wollen. Der Gebrauch der reinen Vernunft, wenn, daß es eine solche gebe, ausgemacht ist, ist allein immanent; der empirisch-bedingte, der sich die Alleinherrschaft anmaßt, ist dagegen transscendent und äußert sich in Zumuthungen und Geboten, die ganz über ihr Gebiet hinausgehen, welches gerade das umgekehrte 10 Verhältniß von dem ist, was von der reinen Vernunft im speculativen Gebrauche gesagt werden konnte.

Indessen, da es immer noch reine Vernunft ist, deren Erkenntniß hier dem praktischen Gebrauche zum Grunde liegt, so wird doch die Eintheilung einer Kritik der praktischen Vernunft dem allgemeinen Abrisse 15 nach der der speculativen gemäß angeordnet werden müssen. Wir werden also eine Elementarlehre und Methodenlehre derselben, in jener als dem ersten Theile eine Analytik als Regel der Wahrheit und eine Dialektik als Darstellung und Auflösung des Scheins in Urtheilen der praktischen Vernunft haben müssen. Allein die Ordnung in der Unterabtheilung 20 der Analytik wird wiederum das Umgewandte von der in der32 Kritik der reinen speculativen Vernunft sein. Denn in der gegenwärtigen werden wir von Grundsätzen anfangend zu Begriffen und von diesen allererst, wo möglich, zu den Sinnen gehen; da wir hingegen bei der speculativen Vernunft von den Sinnen anfingen und bei den Grundsätzen 25 endigen mußten. Hievon liegt der Grund nun wiederum darin: daß wir es jetzt mit einem Willen zuthun haben und die Vernunft nicht im Verhältniß auf Gegenstände, sondern auf diesen Willen und dessen Causalität zu erwägen haben, da denn die Grundsätze der empirisch unbedingten Causalität den Anfang machen müssen, nach welchem der Versuch gemacht 30 werden kann, unsere Begriffe von dem Bestimmungsgrunde eines solchen Willens, ihrer Anwendung auf Gegenstände, zuletzt auf das Subject und dessen Sinnlichkeit, allererst festzusetzen. Das Gesetz der Causalität aus Freiheit, d. i. irgend ein reiner praktischer Grundsatz, macht hier unvermeidlich den Anfang und bestimmt die Gegenstände, worauf er allein bezogen 35 werden kann.

Der
33 Kritik der praktischen Vernunft

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