Vorrede.3

Warum diese Kritik nicht eine Kritik der reinen praktischen, sondern schlechthin der praktischen Vernunft überhaupt betitelt wird, obgleich der Parallelism derselben mit der speculativen das erstere zu erfordern scheint, darüber giebt diese Abhandlung hinreichenden Aufschluß. Sie soll blos 5 darthun, daß es reine praktische Vernunft gebe, und kritisirt in dieser Absicht ihr ganzes praktisches Vermögen. Wenn es ihr hiemit gelingt, so bedarf sie das reine Vermögen selbst nicht zu kritisiren, um zu sehen, ob sich die Vernunft mit einem solchen als einer bloßen Anmaßung nicht übersteige (wie es wohl mit der speculativen geschieht). Denn 10 wenn sie als reine Vernunft wirklich praktisch ist, so beweiset sie ihre und ihrer Begriffe Realität durch die That, und alles Vernünfteln wider die Möglichkeit, es zu sein, ist vergeblich.

Mit diesem Vermögen steht auch die transscendentale Freiheit nunmehr4 fest, und zwar in derjenigen absoluten Bedeutung genommen, worin 15 die speculative Vernunft beim Gebrauche des Begriffs der Causalität sie bedurfte, um sich wider die Antinomie zu retten, darin sie unvermeidlich geräth, wenn sie in der Reihe der Causalverbindung sich das Unbedingte denken will, welchen Begriff sie aber nur problematisch, als nicht unmöglich zu denken, aufstellen konnte, ohne ihm seine objective Realität zu 20 sichern, sondern allein um nicht durch vorgebliche Unmöglichkeit dessen, was sie doch wenigstens als denkbar gelten lassen muß, in ihrem Wesen angefochten und in einen Abgrund des Scepticisms gestürzt zu werden.

Der Begriff der Freiheit, so fern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein 25 von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der speculativen Vernunft aus, und alle andere Begriffe (die von Gott und Unsterblichkeit), welche als bloße Ideen in dieser ohne Haltung bleiben, schließen sich nun an ihn an und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objective Realität, d. i. die Möglichkeit derselben wird dadurch5 bewiesen, daß Freiheit wirklich ist; denn diese Idee offenbart sich 5 durchs moralische Gesetz.

Freiheit ist aber auch die einzige unter allen Ideen der speculativen Vernunft, wovon wir die Möglichkeit a priori wissen, ohne sie doch einzusehen, weil sie die Bedingung[1] des moralischen Gesetzes ist, welches wir wissen. Die Ideen von Gott und Unsterblichkeit sind aber nicht Bedingungen 10 des moralischen Gesetzes, sondern nur Bedingungen des nothwendigen Objects eines durch dieses Gesetz bestimmten Willens, d. i. des6 bloß praktischen Gebrauchs unserer reinen Vernunft; also können wir von jenen Ideen auch, ich will nicht bloß sagen, nicht die Wirklichkeit, sondern auch nicht einmal die Möglichkeit zu erkennen und einzusehen behaupten. 15 Gleichwohl aber sind die Bedingungen der Anwendung des moralisch bestimmten Willens auf sein ihm a priori gegebenes Object (das höchste Gut). Folglich kann und muß ihre Möglichkeit in dieser praktischen Beziehung angenommen werden, ohne sie doch theoretisch zu erkennen und einzusehen. Für die letztere Forderung ist in praktischer Absicht 20 genug, daß sie keine innere Unmöglichkeit (Widerspruch) enthalten. Hier ist nun ein in Vergleichung mit der speculativen Vernunft bloß subjectiver Grund des Fürwahrhaltens, der doch einer eben so reinen, aber praktischen Vernunft objectiv gültig ist, dadurch den Ideen von Gott und Unsterblichkeit vermittelst des Begriffs der Freiheit objective Realität 25 und Befugniß, ja subjective Nothwendigkeit (Bedürfniß der reinen Vernunft) sie anzunehmen verschafft wird, ohne daß dadurch doch die Vernunft im theoretischen Erkenntnisse erweitert, sondern nur die Möglichkeit, die vorher nur Problem war, hier Assertion wird, gegeben und so der praktische7 Gebrauch der Vernunft mit den Elementen des theoretischen verknüpft wird. Und dieses Bedürfniß ist nicht etwa ein hypothetisches einer beliebigen Absicht der Speculation, daß man etwas annehmen müsse, wenn 5 man zur Vollendung des Vernunftgebrauchs in der Speculation hinaufsteigen will, sondern ein gesetzliches, etwas anzunehmen, ohne welches nicht geschehen kann, was man sich zur Absicht seines Thuns und Lassens unnachlaßlich setzen soll.

Es wäre allerdings befriedigender für unsere speculative Vernunft, 10 ohne diesen Umschweif jene Aufgaben für sich aufzulösen und sie als Einsicht zum praktischen Gebrauche aufzubewahren; allein es ist einmal mit unserem Vermögen der Speculation nicht so gut bestellt. Diejenige, welche sich solcher hohen Erkenntnisse rühmen, sollten damit nicht zurückhalten, sondern sie öffentlich zur Prüfung und Hochschätzung darstellen. Sie wollen 15 beweisen; wohlan! so mögen sie denn beweisen, und die Kritik legt ihnen als Siegern ihre ganze Rüstung zu Füßen. Quid statis? Nolint. Atqui licet esse beatis. — Da sie also in der That nicht wollen, vermuthlich weil sie nicht können, so müssen wir jene doch nur wiederum zur Hand8 nehmen, um die Begriffe von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, für 20 welche die Speculation nicht hinreichende Gewährleistung ihrer Möglichkeit findet, in moralischem Gebrauche der Vernunft zu suchen und auf demselben zu gründen.

Hier erklärt sich auch allererst das Räthsel der Kritik, wie man dem übersinnlichen Gebrauche der Kategorien in der Speculation objective 25 Realität absprechen und ihnen doch in Ansehung der Objecte der reinen praktischen Vernunft diese Realität zugestehen könne; denn vorher muß dieses nothwendig inconsequent aussehen, so lange man einen solchen praktischen Gebrauch nur dem Namen nach kennt. Wird man aber jetzt durch eine vollständige Zergliederung des letzteren inne, daß 30 gedachte Realität hier gar auf keine theoretische Bestimmung der Kategorien und Erweiterung des Erkenntnisses zum Übersinnlichen hinausgehe, sondern nur hiedurch gemeint sei, daß ihnen in dieser Beziehung überall ein Object zukomme, weil sie entweder in der nothwendigen Willensbestimmung a priori enthalten, oder mit dem Gegenstande derselben 35 unzertrennlich verbunden sind, so verschwindet jene Inconsequenz, weil man9 einen anderen Gebrauch von jenen Begriffen macht, als speculative Vernunft bedarf. Dagegen eröffnet sich nun eine vorher kaum zu erwartende und sehr befriedigende Bestätigung der consequenten Denkungsart der speculativen Kritik darin, daß, da diese die Gegenstände der Erfahrung als solche und darunter selbst unser eigenes Subject nur für Erscheinungen gelten zu lassen, ihnen aber gleichwohl Dinge an sich selbst zum 5 Grunde zu legen, also nicht alles Übersinnliche für Erdichtung und dessen Begriff für leer an Inhalt zu halten einschärfte: praktische Vernunft jetzt für sich selbst, und ohne mit der speculativen Verabredung getroffen zu haben, einem übersinnlichen Gegenstande der Kategorie der Causalität, nämlich der Freiheit, Realität verschafft (obgleich als praktischem Begriffe 10 auch nur zum praktischen Gebrauche), also dasjenige, was dort bloß gedacht werden konnte, durch ein Factum bestätigt. Hiebei erhält nun zugleich die befremdliche, obzwar unstreitige, Behauptung der speculativen Kritik, daß sogar das denkende Subject ihm selbst in der inneren Anschauung bloß Erscheinung sei, in der Kritik der praktischen Vernunft 15 auch ihre volle Bestätigung, so gut, daß man auf sie kommen muß,10 wenn die erstere diesen Satz auch gar nicht bewiesen hätte[2].

Hiedurch verstehe ich auch, warum die erheblichsten Einwürfe wider die Kritik, die mir bisher noch vorgekommen sind, sich gerade um diese zwei Angel drehen: nämlich einerseits im theoretischen Erkenntniß geleugnete 20 und im praktischen behauptete objective Realität der auf Noumenen angewandten Kategorien, andererseits die paradoxe Forderung, sich als Subject der Freiheit zum Noumen, zugleich aber auch in Absicht auf die Natur zum Phänomen in seinem eigenen empirischen Bewußtsein zu machen. Denn so lange man sich noch keine bestimmte Begriffe von 25 Sittlichkeit und Freiheit machte, konnte man nicht errathen, was man11 einerseits der vorgeblichen Erscheinung als Noumen zum Grunde legen wolle, und andererseits, ob es überall auch möglich sei, sich noch von ihm einen Begriff zu machen, wenn man vorher alle Begriffe des reinen Verstandes im theoretischen Gebrauche schon ausschließungsweise den bloßen 30 Erscheinungen gewidmet hätte. Nur eine ausführliche Kritik der praktischen Vernunft kann alle diese Mißdeutung heben und die consequente Denkungsart, welche eben ihren größten Vorzug ausmacht, in ein helles Licht setzen.

So viel zur Rechtfertigung, warum in diesem Werke die Begriffe und Grundsätze der reinen speculativen Vernunft, welche doch ihre besondere 5 Kritik schon erlitten haben, hier hin und wieder nochmals der Prüfung unterworfen werden, welches dem systematischen Gange einer zu errichtenden Wissenschaft sonst nicht wohl geziemt (da abgeurtheilte Sachen billig nur angeführt und nicht wiederum in Anregung gebracht werden müssen), doch hier erlaubt, ja nöthig war: weil die Vernunft mit jenen Begriffen 10 im Übergange zu einem ganz anderen Gebrauche betrachtet wird, als den sie dort von ihnen machte. Ein solcher Übergang macht aber eine Vergleichung12 des älteren mit dem neuern Gebrauche nothwendig, um das neue Gleis von dem vorigen wohl zu unterscheiden und zugleich den Zusammenhang derselben bemerken zu lassen. Man wird also Betrachtungen 15 dieser Art, unter andern diejenige, welche nochmals auf den Begriff der Freiheit, aber im praktischen Gebrauche der reinen Vernunft, gerichtet worden, nicht wie Einschiebsel betrachten, die etwa nur dazu dienen sollen, um Lücken des kritischen Systems der speculativen Vernunft auszufüllen (denn dieses ist in seiner Absicht vollständig) und, wie es bei einem übereilten 20 Baue herzugehen pflegt, hintennach noch Stützen und Strebepfeiler anzubringen, sondern als wahre Glieder, die den Zusammenhang des Systems bemerklich machen, um Begriffe, die dort nur problematisch vorgestellt werden konnten, jetzt in ihrer realen Darstellung einsehen zu lassen. Diese Erinnerung geht vornehmlich den Begriff der Freiheit an, von dem 25 man mit Befremdung bemerken muß, daß noch so viele ihn ganz wohl einzusehen und die Möglichkeit derselben erklären zu können sich rühmen, indem sie ihn bloß in psychologischer Beziehung betrachten, indessen daß, wenn sie ihn vorher in transscendentaler genau erwogen hätten, sie sowohl13 seine Unentbehrlichkeit als problematischen Begriffs in vollständigem 30 Gebrauche der speculativen Vernunft, als auch die völlige Unbegreiflichkeit desselben hätten erkennen und, wenn sie nachher mit ihm zum praktischen Gebrauche gingen, gerade auf die nämliche Bestimmung des letzteren in Ansehung seiner Grundsätze von selbst hätten kommen müssen, zu welcher sie sich sonst so ungern verstehen wollen. Der Begriff der Freiheit ist 35 der Stein des Anstoßes für alle Empiristen, aber auch der Schlüssel zu den erhabensten praktischen Grundsätzen für kritische Moralisten, die dadurch einsehen, daß sie nothwendig rational verfahren müssen. Um deswillen ersuche ich den Leser, das, was zum Schlusse der Analytik über diesen Begriff gesagt wird, nicht mit flüchtigem Auge zu übersehen.

Ob ein solches System, als hier von der reinen praktischen Vernunft aus der Kritik der letzeren entwickelt wird, viel oder wenig Mühe gemacht 5 habe, um vornehmlich den rechten Gesichtspunkt, aus dem das Ganze derselben richtig vorgezeichnet werden kann, nicht zu verfehlen, muß ich den Kennern einer dergleichen Arbeit zu beurtheilen überlassen. Es setzt zwar14 die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten voraus, aber nur in so fern, als diese mit dem Princip der Pflicht vorläufige Bekanntschaft 10 macht und eine bestimmte Formel derselben angiebt und rechtfertigt[3]; sonst besteht es durch sich selbst. Daß die Eintheilung aller praktischen Wissenschaften zur Vollständigkeit nicht mit beigefügt worden, wie es die Kritik der speculativen Vernunft leistete, dazu ist auch gültiger Grund in der Beschaffenheit dieses praktischen Vernunftvermögens anzutreffen. Denn 15 die besondere Bestimmung der Pflichten als Menschenpflichten, um sie einzutheilen, ist nur möglich, wenn vorher das Subject dieser Bestimmung15 (der Mensch) nach der Beschaffenheit, mit der er wirklich ist, obzwar nur so viel als in Beziehung auf Pflicht überhaupt nöthig ist, erkannt worden; diese aber gehört nicht in eine Kritik der praktischen Vernunft überhaupt, 20 die nur die Principien ihrer Möglichkeit, ihres Umfanges und Grenzen vollständig ohne besondere Beziehung auf die menschliche Natur angeben soll. Die Eintheilung gehört also hier zum System der Wissenschaft, nicht zum System der Kritik.

Ich habe einem gewissen wahrheitliebenden und scharfen, dabei also 25 doch immer achtungswürdigen Recensenten jener Grundlegung zur Metaphysik der Sitten auf seinen Einwurf, daß der Begriff des Guten dort nicht (wie es seiner Meinung nach nöthig gewesen wäre) vor dem moralischen Princip festgesetzt worden [4], in dem zweiten Hauptstücke der Analytik, wie ich hoffe, Genüge gethan; eben so auch auf16 manche andere Einwürfe Rücksicht genommen, die mir von Männern zu17 Händen gekommen sind, die den Willen blicken lassen, daß die Wahrheit 5 auszumitteln ihnen am Herzen liegt (denn die, so nur ihr altes System18 vor Augen haben, und bei denen schon vorher beschlossen ist, was gebilligt oder mißbilligt werden soll, verlangen doch keine Erörterung, die ihrer Privatabsicht im Wege sein könnte); und so werde ich es auch fernerhin halten.

Wenn es um die Bestimmung eines besonderen Vermögens der menschlichen Seele nach seinen Quellen, Inhalte und Grenzen zu thun ist, so kann man zwar nach der Natur des menschlichen Erkenntnisses nicht 5 anders als von den Theilen derselben, ihrer genauen und (so viel als nach der jetzigen Lage unserer schon erworbenen Elemente derselben möglich ist) vollständigen Darstellung anfangen. Aber es ist noch eine zweite Aufmerksamkeit, die mehr philosophisch und architektonisch ist: nämlich die Idee des Ganzen richtig zu fassen und aus derselben alle jene Theile 10 in ihrer wechselseitigen Beziehung auf einander vermittelst der Ableitung derselben von dem Begriffe jenes Ganzen in einem reinen Vernunftvermögen ins Auge zu fassen. Diese Prüfung und Gewährleistung ist nur19 durch die innigste Bekanntschaft mit dem System möglich, und die, welche in Ansehung der ersteren Nachforschung verdrossen gewesen, also diese Bekanntschaft 15 zu erwerben nicht der Mühe werth geachtet haben, gelangen nicht zur zweiten Stufe, nämlich der Übersicht, welche eine synthetische Wiederkehr zu demjenigen ist, was vorher analytisch gegeben worden, und es ist kein Wunder, wenn sie allerwärts Inconsequenzen finden, obgleich die Lücken, die diese vermuthen lassen, nicht im System selbst, 20 sondern blos in ihrem eigenen unzusammenhängenden Gedankengange anzutreffen sind.

Ich besorge in Ansehung dieser Abhandlung nichts von dem Vorwurfe, eine neue Sprache einführen zu wollen, weil die Erkenntnißart sich hier von selbst der Popularität nähert. Dieser Vorwurf konnte auch niemanden 25 in Ansehung der ersteren Kritik beifallen, der sie nicht blos durchgeblättert, sondern durchgedacht hatte. Neue Worte zu künsteln, wo die Sprache schon so an Ausdrücken für gegebene Begriffe keinen Mangel20 hat, ist eine kindische Bemühung, sich unter der Menge, wenn nicht durch neue und wahre Gedanken, doch durch einen neuen Lappen auf dem alten 30 Kleide auszuzeichnen. Wenn daher die Leser jener Schrift populärere Ausdrücke wissen, die doch dem Gedanken eben so angemessen sind, als mir jene zu sein scheinen, oder etwa die Nichtigkeit dieser Gedanken selbst, mithin zugleich jedes Ausdrucks, der ihn bezeichnet, darzuthun sich getrauen: so würden sie mich durch das erstere sehr verbinden, denn ich will 35 nur verstanden sein, in Ansehung des zweiten aber sich ein Verdienst um die Philosophie erwerben. So lange aber jene Gedanken noch stehen, zweifele ich sehr, daß ihnen angemessene und doch gangbarere Ausdrücke dazu aufgefunden werden dürften.[5]

Auf diese Weise wären denn nunmehr die Principien a priori zweier21 Vermögen des Gemüths, des Erkenntniß- und Begehrungsvermögens, ausgemittelt22 und nach den Bedingungen, dem Umfange und Grenzen ihres23 Gebrauchs bestimmt, hiedurch aber zu einer systematischen, theoretischen sowohl als praktischen Philosophie als Wissenschaft sicherer Grund gelegt. 5

Was Schlimmeres könnte aber diesen Bemühungen wohl nicht begegnen, als wenn jemand die unerwartete Entdeckung machte, daß es überall gar kein Erkenntniß a priori gebe, noch geben könne. Allein es hat hiemit keine Noth. Es wäre eben so viel, als ob jemand durch Vernunft beweisen wollte, daß es keine Vernunft gebe. Denn wir sagen nur, daß wir etwas 10 durch Vernunft erkennen, wenn wir uns bewußt sind, daß wir es auch hätten wissen können, wenn es uns auch nicht so in der Erfahrung vorgekommen wäre; mithin ist Vernunfterkenntniß und Erkenntniß a priori24 einerlei. Aus einem Erfahrungssatze Nothwendigkeit (ex pumice aquam) auspressen wollen, mit dieser auch wahre Allgemeinheit (ohne welche kein 15 Vernunftschluß, mithin auch nicht der Schluß aus der Analogie, welche eine wenigstens präsumirte Allgemeinheit und objective Nothwendigkeit ist und diese also doch immer voraussetzt) einem Urtheile verschaffen wollen, ist gerader Widerspruch. Subjective Nothwendigkeit, d. i. Gewohnheit, statt der objectiven, die nur in Urtheilen a priori stattfindet, unterschieben, 20 heißt der Vernunft das Vermögen absprechen, über den Gegenstand zu urtheilen, d. i. ihn, und was ihm zukomme, zu erkennen, und z. B. von dem, was öfters und immer auf einen gewissen vorhergehenden Zustand folgte, nicht sagen, daß man aus diesem auf jenes schließen könne (denn das würde objective Nothwendigkeit und Begriff von einer Verbindung 25 a priori bedeuten), sondern nur ähnliche Fälle (mit den Thieren auf ähnliche Art) erwarten dürfe, d. i. den Begriff der Ursache im Grunde als falsch und bloßen Gedankenbetrug verwerfen. Diesem Mangel der objectiven25 und daraus folgenden allgemeinen Gültigkeit dadurch abhelfen wollen, daß man doch keinen Grund sähe, andern vernünftigen Wesen eine 30 andere Vorstellungsart beizulegen, wenn das einen gültigen Schluß abgäbe, so würde uns unsere Unwissenheit mehr Dienste zu Erweiterung unserer Erkenntniß leisten, als alles Nachdenken. Denn blos deswegen, weil wir andere vernünftige Wesen außer dem Menschen nicht kennen, würden wir ein Recht haben, sie als so beschaffen anzunehmen, wie wir 35 uns erkennen, d. i. wir würden sie wirklich kennen. Ich erwähne hier nicht einmal, daß nicht die Allgemeinheit des Fürwahrhaltens die objective Gültigkeit eines Urtheils (d. i. die Gültigkeit desselben als Erkenntnisses) beweise, sondern, wenn jene auch zufälliger Weise zuträfe, dieses doch noch nicht einen Beweis der Übereinstimmung mit dem Object abgeben könne; vielmehr die objective Gültigkeit allein den Grund einer nothwendigen allgemeinen Einstimmung ausmache. 5

Hume würde sich bei diesem System des allgemeinen Empirisms26 in Grundsätzen auch sehr wohl befinden; denn er verlangte, wie bekannt, nichts mehr, als daß statt aller objectiven Bedeutung der Nothwendigkeit im Begriffe der Ursache eine blos subjective, nämlich Gewohnheit, angenommen werde, um der Vernunft alles Urtheil über Gott, Freiheit 10 und Unsterblichkeit abzusprechen; und er verstand sich gewiß sehr gut darauf, um, wenn man ihm nur die Principien zugestand, Schlüsse mit aller logischen Bündigkeit daraus zu folgern. Aber so allgemein hat selbst Hume den Empirism nicht gemacht, um auch die Mathematik darin einzuschließen. Er hielt ihre Sätze für analytisch, und wenn das seine Richtigkeit 15 hätte, würden sie in der That auch apodiktisch sein, gleichwohl aber daraus kein Schluß auf ein Vermögen der Vernunft, auch in der Philosophie apodiktische Urtheile, nämlich solche, die synthetisch wären (wie der Satz der Causalität), zu fällen, gezogen werden können. Nähme man aber den Empirism der Principien allgemein an, so wäre auch Mathematik 20 damit eingeflochten.

Wenn nun diese mit der Vernunft, die blos empirische Grundsätze27 zuläßt, in Widerstreit geräth, wie dieses in der Antinomie, da Mathematik die unendliche Theilbarkeit des Raumes unwidersprechlich beweiset, der Empirism aber sie nicht verstatten kann, unvermeidlich ist: so ist 25 die größte mögliche Evidenz der Demonstration mit den vorgeblichen Schlüssen aus Erfahrungsprincipien in offenbarem Widerspruch, und nun muß man wie der Blinde des Cheselden fragen: was betrügt mich, das Gesicht oder Gefühl? (Denn der Empirism gründet sich auf einer gefühlten, der Rationalism aber auf einer eingesehenen Nothwendigkeit.) 30 Und so offenbart sich der allgemeine Empirism als den ächten Scepticism, den man dem Hume fälschlich in so unbeschränkter Bedeutung beilegte[6], da er wenigstens einen sicheren Probirstein der Erfahrung28 an der Mathematik übrig ließ, statt daß jener schlechterdings keinen Probirstein derselben (der immer nur in Principien a priori angetroffen werden kann) verstattet, obzwar diese doch nicht aus bloßen Gefühlen, sondern auch aus Urtheilen besteht.

Doch da es in diesem philosophischen und kritischen Zeitalter schwerlich 5 mit jenem Empirism Ernst sein kann, und er vermuthlich nur zur Übung der Urtheilskraft, und um durch den Contrast die Nothwendigkeit rationaler Principien a priori in ein helleres Licht zu setzen, aufgestellt wird: so kann man es denen doch Dank wissen, die sich mit dieser sonst eben nicht belehrenden Arbeit bemühen wollen. 10

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