Allgemeine Anmerkung zur Exposition der ästhetischen reflectirenden Urtheile.

In Beziehung auf das Gefühl der Lust ist ein Gegenstand entweder 20 zum Angenehmen, oder Schönen, oder Erhabenen, oder Guten (schlechthin) zu zählen (iucundum, pulchrum, sublime, honestum).

Das Angenehme ist als Triebfeder der Begierden durchgängig von einerlei Art, woher es auch kommen und wie specifisch-verschieden auch die Vorstellung (des Sinnes und der Empfindung, objectiv betrachtet) sein 25 mag. Daher kommt es bei der Beurtheilung des Einflusses desselben auf das Gemüth nur auf die Menge der Reize (zugleich und nach einander) und gleichsam nur auf die Masse der angenehmen Empfindung an; und diese läßt sich also durch nichts als die Quantität verständlich machen. Es cultivirt auch nicht, sondern gehört zum bloßen Genusse. — Das 30 Schöne erfordert dagegen die Vorstellung einer gewissen Qualität des Objects, die sich auch verständlich machen und auf Begriffe bringen läßt (wiewohl es im ästhetischen Urtheile darauf nicht gebracht wird); und cultivirt, indem es zugleich auf Zweckmäßigkeit im Gefühle der Lust Acht zu haben lehrt. — Das Erhabene besteht bloß in der Relation, worin 35 114 das Sinnliche in der Vorstellung der Natur für einen möglichen übersinnlichen Gebrauch desselben als tauglich beurtheilt wird. — Das Schlechthin-Gute, subjectiv nach dem Gefühle, welches es einflößt, beurtheilt, (das Object des moralischen Gefühls) als die Bestimmbarkeit der Kräfte des Subjects durch die Vorstellung eines schlechthin-nöthigenden 5 Gesetzes, unterscheidet sich vornehmlich durch die Modalität einer auf Begriffen a priori beruhenden Nothwendigkeit, die nicht bloß Anspruch, sondern auch Gebot des Beifalls für jedermann in sich enthält, und gehört an sich zwar nicht für die ästhetische, sondern die reine intellectuelle Urtheilskraft; wird auch nicht in einem bloß reflectirenden, sondern bestimmenden 10 Urtheile, nicht der Natur, sondern der Freiheit beigelegt. Aber die Bestimmbarkeit des Subjects durch diese Idee und zwar eines Subjects, welches in sich an der Sinnlichkeit Hindernisse, zugleich aber Überlegenheit über dieselbe durch die Überwindung derselben als Modification seines Zustandes empfinden kann, d. i. das moralische 15 Gefühl, ist doch mit der ästhetischen Urtheilskraft und deren formalen Bedingungen sofern verwandt, daß es dazu dienen kann, die Gesetzmäßigkeit der Handlung aus Pflicht zugleich als ästhetisch, d. i. als erhaben, oder auch als schön vorstellig zu machen, ohne an seiner Reinigkeit einzubüßen: welches nicht Statt findet, wenn man es mit dem Gefühl des 20 Angenehmen in natürliche Verbindung setzen wollte.

Wenn man das Resultat aus der bisherigen Exposition beiderlei Arten ästhetischer Urtheile zieht, so würden sich daraus folgende kurze Erklärungen ergeben:

Schön ist das, was in der bloßen Beurtheilung (also nicht vermittelst 25 der Empfindung des Sinnes nach einem Begriffe des Verstandes) gefällt. 115 Hieraus folgt von selbst, daß es ohne alles Interesse gefallen müsse.

Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt.

Beide als Erklärungen ästhetischer allgemeingültiger Beurtheilung 30 beziehen sich auf subjective Gründe, nämlich einerseits der Sinnlichkeit, so wie sie zu Gunsten des contemplativen Verstandes, andererseits wie sie wider dieselbe, dagegen für die Zwecke der praktischen Vernunft und doch beide in demselben Subjecte vereinigt, in Beziehung auf das moralische Gefühl zweckmäßig sind. Das Schöne bereitet uns vor, etwas, selbst die 35 Natur ohne Interesse zu lieben; das Erhabene, es selbst wider unser (sinnliches) Interesse hochzuschätzen.

Man kann das Erhabene so beschreiben: es ist ein Gegenstand (der Natur), dessen Vorstellung das Gemüth bestimmt, sich die Unerreichbarkeit der Natur als Darstellung von Ideen zu denken.

Buchstäblich genommen und logisch betrachtet, können Ideen nicht dargestellt werden. Aber wenn wir unser empirisches Vorstellungsvermögen 5 (mathematisch, oder dynamisch) für die Anschauung der Natur erweitern: so tritt unausbleiblich die Vernunft hinzu, als Vermögen der Independenz der absoluten Totalität, und bringt die, obzwar vergebliche, Bestrebung des Gemüths hervor, die Vorstellung der Sinne dieser angemessen zu machen. Diese Bestrebung und das Gefühl der Unerreichbarkeit 10 der Idee durch die Einbildungskraft ist selbst eine Darstellung der subjectiven Zweckmäßigkeit unseres Gemüths im Gebrauche der Einbildungskraft für dessen übersinnliche Bestimmung und nöthigt uns, subjectiv die Natur selbst in ihrer Totalität, als Darstellung von etwas Übersinnlichem, 116 zu denken, ohne diese Darstellung objectiv zu Stande bringen zu können. 15

Denn das werden wir bald inne, daß der Natur im Raume und der Zeit das Unbedingte, mithin auch die absolute Größe ganz abgehe, die doch von der gemeinsten Vernunft verlangt wird. Eben dadurch werden wir auch erinnert, daß wir es nur mit einer Natur als Erscheinung zu thun haben, und diese selbst noch als bloße Darstellung einer Natur an 20 sich (welche die Vernunft in der Idee hat) müsse angesehen werden. Diese Idee des Übersinnlichen aber, die wir zwar nicht weiter bestimmen, mithin die Natur als Darstellung derselben nicht erkennen, sondern nur denken können, wird in uns durch einen Gegenstand erweckt, dessen ästhetische Beurtheilung die Einbildungskraft bis zu ihrer Gränze, es sei der Erweiterung 25 (mathematisch), oder ihrer Macht über das Gemüth (dynamisch), anspannt, indem sie sich auf dem Gefühle einer Bestimmung desselben gründet, welche das Gebiet der ersteren gänzlich überschreitet (dem moralischen Gefühl), in Ansehung dessen die Vorstellung des Gegenstandes als subjectiv-zweckmäßig beurtheilt wird. 30

In der That läßt sich ein Gefühl für das Erhabene der Natur nicht wohl denken, ohne eine Stimmung des Gemüths, die der zum moralischen ähnlich ist, damit zu verbinden; und obgleich die unmittelbare Lust am Schönen der Natur gleichfalls eine gewisse Liberalität der Denkungsart, d. i. Unabhängigkeit des Wohlgefallens vom bloßen Sinnengenusse, 35 voraussetzt und cultivirt, so wird dadurch noch mehr die Freiheit im Spiele, als unter einem gesetzlichen Geschäfte vorgestellt: welches die ächte Beschaffenheit der Sittlichkeit des Menschen ist, wo die Vernunft der Sinnlichkeit Gewalt anthun muß, nur daß im ästhetischen Urtheile über 117 das Erhabene diese Gewalt durch die Einbildungskraft selbst, als durch ein Werkzeug der Vernunft, ausgeübt vorgestellt wird.

Das Wohlgefallen am Erhabenen der Natur ist daher auch nur negativ 5 (statt dessen das am Schönen positiv ist), nämlich ein Gefühl der Beraubung der Freiheit der Einbildungskraft durch sie selbst, indem sie nach einem andern Gesetze, als dem des empirischen Gebrauchs zweckmäßig bestimmt wird. Dadurch bekommt sie eine Erweiterung und Macht, welche größer ist als die, welche sie aufopfert, deren Grund aber ihr selbst 10 verborgen ist, statt dessen sie die Aufopferung oder die Beraubung und zugleich die Ursache fühlt, der sie unterworfen wird. Die Verwunderung, die an Schreck gränzt, das Grausen und der heilige Schauer, welcher den Zuschauer bei dem Anblicke himmelansteigender Gebirgsmassen, tiefer Schlünde und darin tobender Gewässer, tiefbeschatteter, zum schwermüthigen 15 Nachdenken einladender Einöden u. s. w. ergreift, ist bei der Sicherheit, worin er sich weiß, nicht wirkliche Furcht, sondern nur ein Versuch, uns mit der Einbildungskraft darauf einzulassen, um die Macht ebendesselben Vermögens zu fühlen, die dadurch erregte Bewegung des Gemüths mit dem Ruhestande desselben zu verbinden und so der Natur 20 in uns selbst, mithin auch der außer uns, sofern sie auf das Gefühl unseres Wohlbefindens Einfluß haben kann, überlegen zu sein. Denn die Einbildungskraft nach dem Associationsgesetze macht unseren Zustand der Zufriedenheit physisch abhängig; aber eben dieselbe nach Principien des Schematisms der Urtheilskraft (folglich sofern der Freiheit untergeordnet) 25 ist Werkzeug der Vernunft und ihrer Ideen, als solches aber eine Macht, unsere Unabhängigkeit gegen die Natureinflüsse zu behaupten, das, was nach der ersteren groß ist, als klein abzuwürdigen und so das 118 Schlechthin-Große nur in seiner (des Subjects) eigenen Bestimmung zu setzen. Diese Reflexion der ästhetischen Urtheilskraft, sich zur Angemessenheit 30 mit der Vernunft (doch ohne einen bestimmten Begriff derselben) zu erheben, stellt den Gegenstand selbst durch die objective Unangemessenheit der Einbildungskraft in ihrer größten Erweiterung für die Vernunft (als Vermögen der Ideen) doch als subjectiv-zweckmäßig vor.

Man muß hier überhaupt darauf Acht haben, was oben schon erinnert 35 worden ist, daß in der transscendentalen Ästhetik der Urtheilskraft lediglich von reinen ästhetischen Urtheilen die Rede sein müsse, folglich die Beispiele nicht von solchen schönen oder erhabenen Gegenständen der Natur hergenommen werden dürfen, die den Begriff von einem Zwecke voraussetzen; denn alsdann würde es entweder teleologische, oder sich auf bloßen Empfindungen eines Gegenstandes (Vergnügen oder Schmerz) 5 gründende, mithin im ersteren Falle nicht ästhetische, im zweiten nicht bloße formale Zweckmäßigkeit sein. Wenn man also den Anblick des bestirnten Himmels erhaben nennt, so muß man der Beurtheilung desselben nicht Begriffe von Welten, von vernünftigen Wesen bewohnt, und nun die hellen Punkte, womit wir den Raum über uns erfüllt sehen, als 10 ihre Sonnen in sehr zweckmäßig für sie gestellten Kreisen bewegt, zum Grunde legen, sondern bloß, wie man ihn sieht, als ein weites Gewölbe, was alles befaßt; und bloß unter dieser Vorstellung müssen wir die Erhabenheit setzen, die ein reines ästhetisches Urtheil diesem Gegenstande beilegt. Eben so den Anblick des Oceans nicht so, wie wir, mit allerlei 15 Kenntnissen (die aber nicht in der unmittelbaren Anschauung enthalten sind) bereichert, ihn denken; etwa als ein weites Reich von Wassergeschöpfen, als den großen Wasserschatz für die Ausdünstungen, welche die 119 Luft mit Wolken zum Behuf der Länder beschwängern, oder auch als ein Element, das zwar Welttheile von einander trennt, gleichwohl aber die 20 größte Gemeinschaft unter ihnen möglich macht: denn das giebt lauter teleologische Urtheile; sondern man muß den Ocean bloß, wie die Dichter es thun, nach dem, was der Augenschein zeigt, etwa, wenn er in Ruhe betrachtet wird, als einen klaren Wasserspiegel, der bloß vom Himmel begränzt ist, aber, ist er unruhig, wie einen alles zu verschlingen drohenden 25 Abgrund, dennoch erhaben finden können. Eben das ist von dem Erhabenen und Schönen in der Menschengestalt zu sagen, wo wir nicht auf Begriffe der Zwecke, wozu alle seine Gliedmaßen da sind, als Bestimmungsgründe des Urtheils zurücksehen und die Zusammenstimmung mit ihnen auf unser (alsdann nicht mehr reines) ästhetisches Urtheil nicht 30 einfließen lassen müssen, obgleich, daß sie jenen nicht widerstreiten, freilich eine nothwendige Bedingung auch des ästhetischen Wohlgefallens ist. Die ästhetische Zweckmäßigkeit ist die Gesetzmäßigkeit der Urtheilskraft in ihrer Freiheit. Das Wohlgefallen an dem Gegenstande hängt von der Beziehung ab, in welcher wir die Einbildungskraft setzen wollen: nur daß 35 sie für sich selbst das Gemüth in freier Beschäftigung unterhalte. Wenn dagegen etwas anderes, es sei Sinnenempfindung oder Verstandesbegriff, das Urtheil bestimmt: so ist es zwar gesetzmäßig, aber nicht das Urtheil einer freien Urtheilskraft.

Wenn man also von intellectueller Schönheit oder Erhabenheit spricht, so sind erstlich diese Ausdrücke nicht ganz richtig, weil es ästhetische Vorstellungsarten sind, die, wenn wir bloße reine Intelligenzen wären (oder 5 uns auch in Gedanken in diese Qualität versetzen), in uns gar nicht anzutreffen sein würden; zweitens, obgleich beide als Gegenstände eines 120 intellectuellen (moralischen) Wohlgefallens zwar sofern mit dem ästhetischen vereinbar sind, als sie auf keinem Interesse beruhen: so sind sie doch darin wiederum mit diesem schwer zu vereinigen, weil sie ein Interesse 10 bewirken sollen, welches, wenn die Darstellung zum Wohlgefallen in der ästhetischen Beurtheilung zusammenstimmen soll, in dieser niemals anders als durch ein Sinneninteresse, welches man damit in der Darstellung verbindet, geschehen würde, wodurch aber der intellectuellen Zweckmäßigkeit Abbruch geschieht, und sie verunreinigt wird. 15

Der Gegenstand eines reinen und unbedingten intellectuellen Wohlgefallens ist das moralische Gesetz in seiner Macht, die es in uns über alle und jede vor ihm vorhergehende Triebfedern des Gemüths ausübt; und da diese Macht sich eigentlich nur durch Aufopferungen ästhetisch-kenntlich macht (welches eine Beraubung, obgleich zum Behuf der innern 20 Freiheit, ist, dagegen eine unergründliche Tiefe dieses übersinnlichen Vermögens mit ihren ins Unabsehliche sich erstreckenden Folgen in uns aufdeckt): so ist das Wohlgefallen von der ästhetischen Seite (in Beziehung auf Sinnlichkeit) negativ, d. i. wider dieses Interesse, von der intellectuellen aber betrachtet, positiv und mit einem Interesse verbunden. Hieraus 25 folgt: daß das intellectuelle, an sich selbst zweckmäßige (das Moralisch-)Gute, ästhetisch beurtheilt, nicht sowohl schön, als vielmehr erhaben vorgestellt werden müsse, so daß es mehr das Gefühl der Achtung (welches den Reiz verschmäht), als der Liebe und vertraulichen Zuneigung erwecke; weil die menschliche Natur nicht so von selbst, sondern nur durch Gewalt, 30 welche die Vernunft der Sinnlichkeit anthut, zu jenem Guten zusammenstimmt. Umgekehrt wird auch das, was wir in der Natur außer uns, oder auch in uns (z. B. gewisse Affecten) erhaben nennen, nur als eine 121 Macht des Gemüths, sich über gewisse Hindernisse der Sinnlichkeit durch moralische Grundsätze zu schwingen, vorgestellt und dadurch interessant 35 werden.

Ich will bei dem letztern etwas verweilen. Die Idee des Guten mit Affect heißt der Enthusiasm. Dieser Gemüthszustand scheint erhaben zu sein, dermaßen daß man gemeiniglich vorgiebt: ohne ihn könne nichts Großes ausgerichtet werden. Nun ist aber jeder Affect[10] blind, entweder in der Wahl seines Zwecks, oder wenn dieser auch durch Vernunft gegeben worden, in der Ausführung desselben; denn er ist diejenige Bewegung des 5 Gemüths, welche es unvermögend macht, freie Überlegung der Grundsätze anzustellen, um sich darnach zu bestimmen. Also kann er auf keinerlei Weise ein Wohlgefallen der Vernunft verdienen. Ästhetisch gleichwohl ist der Enthusiasm erhaben, weil er eine Anspannung der Kräfte durch Ideen ist, welche dem Gemüthe einen Schwung geben, der weit mächtiger und 10 dauerhafter wirkt, als der Antrieb durch Sinnenvorstellungen. Aber (welches befremdlich scheint) selbst Affectlosigkeit (Apatheia, Phlegma in significatu bono) eines seinen unwandelbaren Grundsätzen nachdrücklich 122 nachgehenden Gemüths ist und zwar auf weit vorzüglichere Art erhaben, weil sie zugleich das Wohlgefallen der reinen Vernunft auf ihrer Seite 15 hat. Eine dergleichen Gemüthsart heißt allein edel: welcher Ausdruck nachher auch auf Sachen, z. B. Gebäude, ein Kleid, Schreibart, körperlichen Anstand u. d. gl., angewandt wird, wenn diese nicht sowohl Verwunderung (Affect in der Vorstellung der Neuigkeit, welche die Erwartung übersteigt), als Bewunderung (eine Verwunderung, die beim 20 Verlust der Neuigkeit nicht aufhört) erregt, welches geschieht, wenn Ideen in ihrer Darstellung unabsichtlich und ohne Kunst zum ästhetischen Wohlgefallen zusammenstimmen.

Ein jeder Affect von der wackern Art (der nämlich das Bewußtsein unserer Kräfte jeden Widerstand zu überwinden (animi strenui) rege 25 macht) ist ästhetisch erhaben, z. B. der Zorn, sogar die Verzweiflung (nämlich die entrüstete, nicht aber die verzagte). Der Affect von der schmelzenden Art aber (welcher die Bestrebung zu widerstehen selbst zum Gegenstande der Unlust (animum languidum) macht) hat nichts Edeles an sich, kann aber zum Schönen der Sinnesart gezählt werden. Daher sind die Rührungen, welche bis zum Affect stark werden können, auch sehr verschieden. Man hat muthige, man hat zärtliche Rührungen. Die letztern, wenn sie bis zum Affect steigen, taugen gar nichts; der Hang dazu heißt die Empfindelei. Ein theilnehmender Schmerz, der sich nicht 5 will trösten lassen, oder auf den wir uns, wenn er erdichtete Übel betrifft, bis zur Täuschung durch die Phantasie, als ob es wirkliche wären, vorsätzlich einlassen, beweiset und macht eine weiche, aber zugleich schwache Seele, die eine schöne Seite zeigt und zwar phantastisch, aber nicht einmal enthusiastisch genannt werden kann. Romane, weinerliche Schauspiele, 10 123 schale Sittenvorschriften, die mit (obzwar fälschlich) sogenannten edlen Gesinnungen tändeln, in der That aber das Herz welk und für die strenge Vorschrift der Pflicht unempfindlich, aller Achtung für die Würde der Menschheit in unserer Person und das Recht der Menschen (welches ganz etwas anderes als ihre Glückseligkeit ist) und überhaupt aller festen 15 Grundsätze unfähig machen; selbst ein Religionsvortrag, welcher kriechende, niedrige Gunstbewerbung und Einschmeichelung empfiehlt, die alles Vertrauen auf eigenes Vermögen zum Widerstande gegen das Böse in uns aufgiebt, statt der rüstigen Entschlossenheit, die Kräfte, die uns bei aller unserer Gebrechlichkeit doch noch übrig bleiben, zu Überwindung der Neigungen 20 zu versuchen; die falsche Demuth, welche in der Selbstverachtung, in der winselnden erheuchelten Reue und einer bloß leidenden Gemüthsfassung die Art setzt, wie man allein dem höchsten Wesen gefällig werden könne: vertragen sich nicht einmal mit dem, was zur Schönheit, weit weniger aber noch mit dem, was zur Erhabenheit der Gemüthsart gezählt 25 werden könnte.

Aber auch stürmische Gemüthsbewegungen, sie mögen nun unter dem Namen der Erbauung mit Ideen der Religion, oder als bloß zur Cultur gehörig mit Ideen, die ein gesellschaftliches Interesse enthalten, verbunden werden, können, so sehr sie auch die Einbildungskraft spannen, keinesweges 30 auf die Ehre einer erhabenen Darstellung Anspruch machen, wenn sie nicht eine Gemüthsstimmung zurücklassen, die, wenn gleich nur indirect, auf das Bewußtsein seiner Stärke und Entschlossenheit zu dem, was reine intellectuelle Zweckmäßigkeit bei sich führt (dem Übersinnlichen), Einfluß hat. Denn sonst gehören alle diese Rührungen nur zur Motion, welche 35 man der Gesundheit wegen gerne hat. Die angenehme Mattigkeit, welche 124 auf eine solche Rüttelung durch das Spiel der Affecten folgt, ist ein Genuß des Wohlbefindens aus dem hergestellten Gleichgewichte der mancherlei Lebenskräfte in uns: welcher am Ende auf dasselbe hinausläuft, als derjenige, den die Wollüstlinge des Orients so behaglich finden, wenn sie ihren Körper gleichsam durchkneten und alle ihre Muskeln und Gelenke sanft drücken und biegen lassen; nur daß dort das bewegende Princip größtentheils 5 in uns, hier hingegen gänzlich außer uns ist. Da glaubt sich nun mancher durch eine Predigt erbaut, in dem doch nichts aufgebauet (kein System guter Maximen) ist; oder durch ein Trauerspiel gebessert, der bloß über glücklich vertriebne Langeweile froh ist. Also muß das Erhabene jederzeit Beziehung auf die Denkungsart haben, d. i. auf Maximen, 10 dem Intellectuellen und den Vernunftideen über die Sinnlichkeit Obermacht zu verschaffen.

Man darf nicht besorgen, daß das Gefühl des Erhabenen durch eine dergleichen abgezogene Darstellungsart, die in Ansehung des Sinnlichen gänzlich negativ wird, verlieren werde; denn die Einbildungskraft, ob sie 15 zwar über das Sinnliche hinaus nichts findet, woran sie sich halten kann, fühlt sich doch auch eben durch diese Wegschaffung der Schranken derselben unbegränzt: und jene Absonderung ist also eine Darstellung des Unendlichen, welche zwar eben darum niemals anders als bloß negative Darstellung sein kann, die aber doch die Seele erweitert. Vielleicht giebt es 20 keine erhabenere Stelle im Gesetzbuche der Juden, als das Gebot: Du sollst dir kein Bildniß machen, noch irgend ein Gleichniß, weder dessen, was im Himmel, noch auf der Erden, noch unter der Erden ist u. s. w. Dieses Gebot allein kann den Enthusiasm erklären, den das jüdische Volk in seiner gesitteten Epoche für seine Religion fühlte, wenn es sich mit andern 25 Völkern verglich, oder denjenigen Stolz, den der Mohammedanism 125 einflößt. Eben dasselbe gilt auch von der Vorstellung des moralischen Gesetzes und der Anlage zur Moralität in uns. Es ist eine ganz irrige Besorgniß, daß, wenn man sie alles dessen beraubt, was sie den Sinnen empfehlen kann, sie alsdann keine andere als kalte, leblose Billigung und 30 keine bewegende Kraft oder Rührung bei sich führen würde. Es ist gerade umgekehrt; denn da, wo nun die Sinne nichts mehr vor sich sehen, und die unverkennliche und unauslöschliche Idee der Sittlichkeit dennoch übrig bleibt, würde es eher nöthig sein, den Schwung einer unbegränzten Einbildungskraft zu mäßigen, um ihn nicht bis zum Enthusiasm steigen 35 zu lassen, als aus Furcht vor Kraftlosigkeit dieser Ideen für sie in Bildern und kindischem Apparat Hülfe zu suchen. Daher haben auch die Regierungen gerne erlaubt, die Religion mit dem letztern Zubehör reichlich versorgen zu lassen, und so dem Unterthan die Mühe, zugleich aber auch das Vermögen zu benehmen gesucht, seine Seelenkräfte über die Schranken auszudehnen, die man ihm willkürlich setzen und wodurch man ihn, als bloß passiv, leichter behandeln kann. 5

Diese reine, seelenerhebende, bloß negative Darstellung der Sittlichkeit bringt dagegen keine Gefahr der Schwärmerei, welche ein Wahn ist, über alle Gränze der Sinnlichkeit hinaus etwas sehen, d. i. nach Grundsätzen träumen (mit Vernunft rasen), zu wollen; eben darum weil die Darstellung bei jener bloß negativ ist. Denn die Unerforschlichkeit 10 der Idee der Freiheit schneidet aller positiven Darstellung gänzlich den Weg ab: das moralische Gesetz aber ist an sich selbst in uns hinreichend und ursprünglich bestimmend, so daß es nicht einmal erlaubt, uns nach einem Bestimmungsgrunde außer demselben umzusehen. Wenn 126 der Enthusiasm mit dem Wahnsinn, so ist die Schwärmerei mit dem 15 Wahnwitz zu vergleichen, wovon der letztere sich unter allen am wenigsten mit dem Erhabenen verträgt, weil er grüblerisch lächerlich ist. Im Enthusiasm als Affect ist die Einbildungskraft zügellos; in der Schwärmerei als eingewurzelter brütender Leidenschaft regellos. Der erstere ist vorübergehender Zufall, der den gesundesten Verstand bisweilen wohl betrifft; 20 der zweite eine Krankheit, die ihn zerrüttet.

Einfalt (kunstlose Zweckmäßigkeit) ist gleichsam der Stil der Natur im Erhabenen und so auch der Sittlichkeit, welche eine zweite (übersinnliche) Natur ist, wovon wir nur die Gesetze kennen, ohne das übersinnliche Vermögen in uns selbst, was den Grund dieser Gesetzgebung enthält, 25 durch Anschauen erreichen zu können.

Noch ist anzumerken, daß, obgleich das Wohlgefallen am Schönen eben sowohl, als das am Erhabenen nicht allein durch allgemeine Mittheilbarkeit unter den andern ästhetischen Beurtheilungen kenntlich unterschieden ist, sondern auch durch diese Eigenschaft in Beziehung auf Gesellschaft 30 (in der es sich mittheilen läßt) ein Interesse bekommt, gleichwohl doch auch die Absonderung von aller Gesellschaft als etwas Erhabenes angesehen werde, wenn sie auf Ideen beruht, welche über alles sinnliche Interesse hinweg sehen. Sich selbst genug sein, mithin Gesellschaft nicht bedürfen, ohne doch ungesellig zu sein, d. i. sie zu fliehen, ist etwas 35 dem Erhabenen sich Näherndes, so wie jede Überhebung von Bedürfnissen. Dagegen ist Menschen zu fliehen, aus Misanthropie, weil man sie anfeindet, oder aus Anthropophobie (Menschenscheu), weil man sie als seine Feinde fürchtet, theils häßlich, theils verächtlich. Gleichwohl giebt es eine (sehr uneigentlich sogenannte) Misanthrophie, wozu die Anlage sich 127 mit dem Alter in vieler wohldenkenden Menschen Gemüth einzufinden pflegt, welche zwar, was das Wohlwollen betrifft, philanthropisch genug 5 ist, aber vom Wohlgefallen an Menschen durch eine lange traurige Erfahrung weit abgebracht ist: wovon der Hang zur Eingezogenheit, der phantastische Wunsch auf einem entlegenen Landsitze, oder auch (bei jungen Personen) die erträumte Glückseligkeit auf einem der übrigen Welt unbekannten Eilande mit einer kleinen Familie seine Lebenszeit zubringen 10 zu können, welche die Romanschreiber oder Dichter der Robinsonaden so gut zu nutzen wissen, Zeugniß giebt. Falschheit, Undankbarkeit, Ungerechtigkeit, das Kindische in den von uns selbst für wichtig und groß gehaltenen Zwecken, in deren Verfolgung sich Menschen selbst unter einander alle erdenkliche Übel anthun, stehen mit der Idee dessen, was sie sein könnten, 15 wenn sie wollten, so im Widerspruch und sind dem lebhaften Wunsche, sie besser zu sehen, so sehr entgegen: daß, um sie nicht zu hassen, da man sie nicht lieben kann, die Verzichtthuung auf alle gesellschaftliche Freuden nur ein kleines Opfer zu sein scheint. Diese Traurigkeit, nicht über die Übel, welche das Schicksal über andere Menschen verhängt (wovon die 20 Sympathie Ursache ist), sondern die sie sich selbst anthun (welche auf der Antipathie in Grundsätzen beruht), ist, weil sie auf Ideen beruht, erhaben, indessen daß die erstere ebenfalls nur für schön gelten kann. — Der eben so geistreiche als gründliche Saussure sagt in der Beschreibung seiner Alpenreisen von Bonhomme, einem der savoyischen Gebirge: »Es herrscht 25 daselbst eine gewisse abgeschmackte Traurigkeit.« Er kannte daher doch auch eine interessante Traurigkeit, welche der Anblick einer Einöde einflößt, in die sich Menschen wohl versetzen möchten, um von der Welt nichts 128 weiter zu hören, noch zu erfahren, die denn doch nicht so ganz unwirthbar sein muß, daß sie nur einen höchst mühseligen Aufenthalt für Menschen 30 darböte. — Ich mache diese Anmerkung nur in der Absicht, um zu erinnern, daß auch Betrübniß (nicht niedergeschlagene Traurigkeit) zu den rüstigen Affecten gezählt werden könne, wenn sie in moralischen Ideen ihren Grund hat; wenn sie aber auf Sympathie gegründet und als solche auch liebenswürdig ist, sie bloß zu den schmelzenden Affecten gehöre: 35 um dadurch auf die Gemüthsstimmung, die nur im ersteren Falle erhaben ist, aufmerksam zu machen.

Man kann mit der jetzt durchgeführten transscendentalen Exposition der ästhetischen Urtheile nun auch die physiologische, wie sie ein Burke und viele scharfsinnige Männer unter uns bearbeitet haben, vergleichen, um zu sehen, wohin eine bloß empirische Exposition des Erhabenen und Schönen führe. Burke [11], der in dieser Art der Behandlung als der vornehmste 5 Verfasser genannt zu werden verdient, bringt auf diesem Wege (S. 223 seines Werks) heraus: »daß das Gefühl des Erhabenen sich auf dem Triebe zur Selbsterhaltung und auf Furcht, d. i. einem Schmerze, gründe, der, weil er nicht bis zur wirklichen Zerrüttung der körperlichen Theile geht, Bewegungen hervorbringt, die, da sie die feineren oder gröberen 10 Gefäße von gefährlichen und beschwerlichen Verstopfungen reinigen, im Stande sind, angenehme Empfindungen zu erregen, zwar nicht Lust, sondern eine Art von wohlgefälligem Schauer, eine gewisse Ruhe, die mit 129 Schrecken vermischt ist.« Das Schöne, welches er auf Liebe gründet (wovon er doch die Begierde abgesondert wissen will), führt er (S. 251–252) 15 »auf die Nachlassung, Losspannung und Erschlaffung der Fibern des Körpers, mithin eine Erweichung, Auflösung, Ermattung, ein Hinsinken, Hinsterben, Wegschmelzen vor Vergnügen hinaus«. Und nun bestätigt er diese Erklärungsart nicht allein durch Fälle, in denen die Einbildungskraft in Verbindung mit dem Verstande, sondern sogar mit Sinnesempfindung 20 in uns das Gefühl des Schönen sowohl als des Erhabenen erregen könne. — Als psychologische Bemerkungen sind diese Zergliederungen der Phänomene unseres Gemüths überaus schön und geben reichen Stoff zu den beliebtesten Nachforschungen der empirischen Anthropologie. Es ist auch nicht zu läugnen, daß alle Vorstellungen in uns, sie mögen objectiv 25 bloß sinnlich, oder ganz intellectuell sein, doch subjectiv mit Vergnügen oder Schmerz, so unmerklich beides auch sein mag, verbunden werden können (weil sie insgesammt das Gefühl des Lebens afficiren, und keine derselben, sofern als sie Modification des Subjects ist, indifferent sein kann); sogar daß, wie Epikur behauptete, immer Vergnügen und 30 Schmerz zuletzt doch körperlich sei, es mag nun von der Einbildung, oder gar von Verstandesvorstellungen anfangen: weil das Leben ohne das Gefühl des körperlichen Organs bloß Bewußtsein seiner Existenz, aber kein Gefühl des Wohl- oder Übelbefindens, d. i. der Beförderung oder Hemmung der Lebenskräfte, sei; weil das Gemüth für sich allein ganz Leben (das Lebensprincip selbst) ist, und Hindernisse oder Beförderungen außer demselben und doch im Menschen selbst, mithin in der Verbindung 5 mit seinem Körper gesucht werden müssen.

Setzt man aber das Wohlgefallen am Gegenstande ganz und gar 130 darin, daß dieser durch Reiz oder durch Rührung vergnügt: so muß man auch keinem andern zumuthen, zu dem ästhetischen Urtheile, was wir fällen, beizustimmen; denn darüber befragt ein jeder mit Recht nur seinen 10 Privatsinn. Alsdann aber hört auch alle Censur des Geschmacks gänzlich auf; man müßte denn das Beispiel, welches andere durch die zufällige Übereinstimmung ihrer Urtheile geben, zum Gebot des Beifalls für uns machen, wider welches Princip wir uns doch vermuthlich sträuben und auf das natürliche Recht berufen würden, das Urtheil, welches auf dem unmittelbaren 15 Gefühle des eigenen Wohlbefindens beruht, seinem eigenen Sinne und nicht anderer ihrem zu unterwerfen.

Wenn also das Geschmacksurtheil nicht für egoistisch, sondern seiner innern Natur nach, d. i. um sein selbst, nicht um der Beispiele willen, die andere von ihrem Geschmack geben, nothwendig als pluralistisch gelten 20 muß, wenn man es als ein solches würdigt, welches zugleich verlangen darf, daß jedermann ihm beipflichten soll: so muß ihm irgend ein (es sei objectives oder subjectives) Princip a priori zum Grunde liegen, zu welchem man durch Aufspähung empirischer Gesetze der Gemüthsveränderungen niemals gelangen kann: weil diese nur zu erkennen geben, wie geurtheilt 25 wird, nicht aber gebieten, wie geurtheilt werden soll, und zwar gar so, daß das Gebot unbedingt ist; dergleichen die Geschmacksurtheile voraussetzen, indem sie das Wohlgefallen mit einer Vorstellung unmittelbar verknüpft wissen wollen. Also mag die empirische Exposition der ästhetischen Urtheile immer den Anfang machen, um den Stoff zu einer höhern 30 Untersuchung herbeizuschaffen; eine transscendentale Erörterung dieses Vermögens ist doch möglich und zur Kritik des Geschmacks wesentlich gehörig. 131 Denn ohne daß derselbe Principien a priori habe, könnte er unmöglich die Urtheile anderer richten und über sie auch nur mit einigem Scheine des Rechts Billigungs- oder Verwerfungsaussprüche fällen. 35

Das übrige zur Analytik der ästhetischen Urtheilskraft Gehörige enthält zuvörderst die

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