§ 65. 289 Dinge als Naturzwecke sind organisirte Wesen.

Nach dem im vorigen § angeführten Charakter muß ein Ding, welches als Naturproduct doch zugleich nur als Naturzweck möglich erkannt werden 15 soll, sich zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung verhalten, welches ein etwas uneigentlicher und unbestimmter Ausdruck ist, der einer Ableitung von einem bestimmten Begriffe bedarf.

Die Causalverbindung, sofern sie bloß durch den Verstand gedacht wird, ist eine Verknüpfung, die eine Reihe (von Ursachen und Wirkungen) 20 ausmacht, welche immer abwärts geht; und die Dinge selbst, welche als Wirkungen andere als Ursache voraussetzen, können von diesen nicht gegenseitig zugleich Ursache sein. Diese Causalverbindung nennt man die der wirkenden Ursachen (nexus effectivus). Dagegen aber kann doch auch eine Causalverbindung nach einem Vernunftbegriffe (von Zwecken) gedacht 25 werden, welche, wenn man sie als Reihe betrachtete, sowohl abwärts als aufwärts Abhängigkeit bei sich führen würde, in der das Ding, welches einmal als Wirkung bezeichnet ist, dennoch aufwärts den Namen einer Ursache desjenigen Dinges verdient, wovon es die Wirkung ist. Im Praktischen (nämlich der Kunst) findet man leicht dergleichen Verknüpfung, 30 wie z. B. das Haus zwar die Ursache der Gelder ist, die für Miethe eingenommen 290 werden, aber doch auch umgekehrt die Vorstellung von diesem möglichen Einkommen die Ursache der Erbauung des Hauses war. Eine solche Causalverknüpfung wird die der Endursachen (nexus finalis) genannt. Man könnte die erstere vielleicht schicklicher die Verknüpfung der 35 realen, die zweite der idealen Ursachen nennen, weil bei dieser Benennung zugleich begriffen wird, daß es nicht mehr als diese zwei Arten der Causalität geben könne.

Zu einem Dinge als Naturzwecke wird nun erstlich erfordert, daß die Theile (ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung 5 auf das Ganze möglich sind. Denn das Ding selbst ist ein Zweck, folglich unter einem Begriffe oder einer Idee befaßt, die alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß. Sofern aber ein Ding nur auf diese Art als möglich gedacht wird, ist es bloß ein Kunstwerk, d. i. das Product einer von der Materie (den Theilen) desselben unterschiedenen vernünftigen 10 Ursache, deren Causalität (in Herbeischaffung und Verbindung der Theile) durch ihre Idee von einem dadurch möglichen Ganzen (mithin nicht durch die Natur außer ihm) bestimmt wird.

Soll aber ein Ding als Naturproduct in sich selbst und seiner innern Möglichkeit doch eine Beziehung auf Zwecke enthalten, d. i. nur als Naturzweck 15 und ohne die Causalität der Begriffe von vernünftigen Wesen außer ihm möglich sein: so wird zweitens dazu erfordert: daß die Theile desselben 291 sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind. Denn auf solche Weise ist es allein möglich, daß umgekehrt (wechselseitig) die Idee 20 des Ganzen wiederum die Form und Verbindung aller Theile bestimme: nicht als Ursache — denn da wäre es ein Kunstproduct —, sondern als Erkenntnißgrund der systematischen Einheit der Form und Verbindung alles Mannigfaltigen, was in der gegebenen Materie enthalten ist, für den, der es beurtheilt. 25

Zu einem Körper also, der an sich und seiner innern Möglichkeit nach als Naturzweck beurtheilt werden soll, wird erfordert, daß die Theile desselben einander insgesammt ihrer Form sowohl als Verbindung nach wechselseitig und so ein Ganzes aus eigener Causalität hervorbringen, dessen Begriff wiederum umgekehrt (in einem Wesen, welches die einem 30 solchen Product angemessene Causalität nach Begriffen besäße) Ursache von demselben nach einem Princip sein, folglich die Verknüpfung der wirkenden Ursachen zugleich als Wirkung durch Endursachen beurtheilt werden könnte.

In einem solchen Producte der Natur wird ein jeder Theil so, wie 35 er nur durch alle übrige da ist, auch als um der andern und des Ganzen willen existirend, d. i. als Werkzeug (Organ) gedacht: welches aber nicht genug ist (denn er könnte auch Werkzeug der Kunst sein und 292 so nur als Zweck überhaupt möglich vorgestellt werden); sondern als ein die andern Theile (folglich jeder den andern wechselseitig) hervorbringendes Organ, dergleichen kein Werkzeug der Kunst, sondern nur der allen Stoff zu Werkzeugen (selbst denen der Kunst) liefernden Natur sein 5 kann: und nur dann und darum wird ein solches Product, als organisirtes und sich selbst organisirendes Wesen, ein Naturzweck genannt werden können.

In einer Uhr ist ein Theil das Werkzeug der Bewegung der andern, aber nicht ein Rad die wirkende Ursache der Hervorbringung des andern; 10 ein Theil ist zwar um des andern willen, aber nicht durch denselben da. Daher ist auch die hervorbringende Ursache derselben und ihrer Form nicht in der Natur (dieser Materie), sondern außer ihr in einem Wesen, welches nach Ideen eines durch seine Causalität möglichen Ganzen wirken kann, enthalten. Daher bringt auch nicht ein Rad in der Uhr das andere, 15 noch weniger eine Uhr andere Uhren hervor, so daß sie andere Materie dazu benutzte (sie organisirte); daher ersetzt sie auch nicht von selbst die ihr entwandten Theile, oder vergütet ihren Mangel in der ersten Bildung durch den Beitritt der übrigen, oder bessert sich etwa selbst aus, wenn sie in Unordnung gerathen ist: welches alles wir dagegen von der organisirten 20 Natur erwarten können. — Ein organisirtes Wesen ist also nicht bloß Maschine: denn die hat lediglich bewegende Kraft; sondern es besitzt 293 in sich bildende Kraft und zwar eine solche, die es den Materien mittheilt, welche sie nicht haben (sie organisirt): also eine sich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermögen allein (den 25 Mechanism) nicht erklärt werden kann.

Man sagt von der Natur und ihrem Vermögen in organisirten Producten bei weitem zu wenig, wenn man dieses ein Analogon der Kunst nennt; denn da denkt man sich den Künstler (ein vernünftiges Wesen) außer ihr. Sie organisirt sich vielmehr selbst und in jeder Species 30 ihrer organisirten Producte, zwar nach einerlei Exemplar im Ganzen, aber doch auch mit schicklichen Abweichungen, die die Selbsterhaltung nach den Umständen erfordert. Näher tritt man vielleicht dieser unerforschlichen Eigenschaft, wenn man sie ein Analogon des Lebens nennt: aber da muß man entweder die Materie als bloße Materie mit einer Eigenschaft 35 (Hylozoism) begaben, die ihrem Wesen widerstreitet; oder ihr ein fremdartiges mit ihr in Gemeinschaft stehendes Princip (eine Seele) beigesellen: wozu man aber, wenn ein solches Product ein Naturproduct sein soll, organisirte Materie als Werkzeug jener Seele entweder schon voraussetzt und jene also nicht im mindesten begreiflicher macht, oder die Seele zur Künstlerin dieses Bauwerks machen und so das Product der Natur (der körperlichen) entziehen muß. Genau zu reden, hat also die 5 294 Organisation der Natur nichts Analogisches mit irgend einer Causalität, die wir kennen[25]. Schönheit der Natur, weil sie den Gegenständen nur in Beziehung auf die Reflexion über die äußere Anschauung derselben, mithin nur der Form der Oberfläche wegen beigelegt wird, kann mit Recht ein Analogon der Kunst genannt werden. Aber innere Naturvollkommenheit, 10 wie sie diejenigen Dinge besitzen, welche nur als Naturzwecke möglich sind und darum organisirte Wesen heißen, ist nach keiner Analogie irgend eines uns bekannten physischen, d. i. Naturvermögens, ja, da wir selbst zur Natur im weitesten Verstande gehören, selbst nicht einmal durch eine genau angemessene Analogie mit menschlicher 15 Kunst denkbar und erklärlich.

Der Begriff eines Dinges, als an sich Naturzwecks, ist also kein constitutiver Begriff des Verstandes oder der Vernunft, kann aber doch ein regulativer Begriff für die reflectirende Urtheilskraft sein, nach einer 295 entfernten Analogie mit unserer Causalität nach Zwecken überhaupt die 20 Nachforschung über Gegenstände dieser Art zu leiten und über ihren obersten Grund nachzudenken; das letztere zwar nicht zum Behuf der Kenntniß der Natur, oder jenes Urgrundes derselben, sondern vielmehr eben desselben praktischen Vernunftvermögens in uns, mit welchem wir die Ursache jener Zweckmäßigkeit in Analogie betrachteten. 25

Organisirte Wesen sind also die einzigen in der Natur, welche, wenn man sie auch für sich und ohne ein Verhältniß auf andere Dinge betrachtet, doch nur als Zwecke derselben möglich gedacht werden müssen, und die also zuerst dem Begriffe eines Zwecks, der nicht ein praktischer, sondern Zweck der Natur ist, objective Realität und dadurch für die Naturwissenschaft den Grund zu einer Teleologie, d. i. einer Beurtheilungsart ihrer Objecte nach einem besondern Princip, verschaffen, dergleichen man in sie einzuführen (weil man die Möglichkeit einer solchen Art 5 Causalität gar nicht a priori einsehen kann) sonst schlechterdings nicht berechtigt sein würde.

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