§ 67. Vom Princip der teleologischen Beurtheilung der Natur 25 überhaupt als System der Zwecke.

Wir haben oben von der äußeren Zweckmäßigkeit der Naturdinge gesagt: daß sie keine hinreichende Berechtigung gebe, sie zugleich als Zwecke der Natur zu Erklärungsgründen ihres Daseins und die zufällig-zweckmäßigen Wirkungen derselben in der Idee zu Gründen ihres Daseins 30 nach dem Princip der Endursachen zu brauchen. So kann man die Flüsse, weil sie die Gemeinschaft im Innern der Länder unter Völkern befördern, die Gebirge, weil sie zu diesen die Quellen und zur Erhaltung derselben den Schneevorrath für regenlose Zeiten enthalten, imgleichen den Abhang der Länder, der diese Gewässer abführt und das Land 35 trocken werden läßt, darum nicht sofort für Naturzwecke halten: weil, obzwar 299 diese Gestalt der Oberfläche der Erde zur Entstehung und Erhaltung des Gewächs- und Thierreichs sehr nöthig war, sie doch nichts an sich hat, zu dessen Möglichkeit man sich genöthigt sähe eine Causalität nach Zwecken anzunehmen. Eben das gilt von Gewächsen, die der Mensch zu seiner 5 Nothdurft oder Ergötzlichkeit nutzt: von Thieren, dem Kameele, dem Rinde, dem Pferde, Hunde u. s. w., die er theils zu seiner Nahrung, theils seinem Dienste so vielfältig gebrauchen und großentheils gar nicht entbehren kann. Von Dingen, deren keines für sich als Zweck anzusehen man Ursache hat, kann das äußere Verhältniß nur hypothetisch für zweckmäßig beurtheilt 10 werden.

Ein Ding seiner innern Form halber als Naturzweck beurtheilen, ist ganz etwas anderes, als die Existenz dieses Dinges für Zweck der Natur halten. Zu der letztern Behauptung bedürfen wir nicht bloß den Begriff von einem möglichen Zweck, sondern die Erkenntniß des Endzwecks (scopus) 15 der Natur, welches eine Beziehung derselben auf etwas Übersinnliches bedarf, die alle unsere teleologische Naturerkenntniß weit übersteigt; denn der Zweck der Existenz der Natur selbst muß über die Natur hinaus gesucht werden. Die innere Form eines bloßen Grashalms kann seinen bloß nach der Regel der Zwecke möglichen Ursprung für unser menschliches 20 Beurtheilungsvermögen hinreichend beweisen. Geht man aber davon ab und sieht nur auf den Gebrauch, den andere Naturwesen davon machen, 300 verläßt also die Betrachtung der innern Organisation und sieht nur auf äußere zweckmäßige Beziehungen, wie das Gras dem Vieh, wie dieses dem Menschen als Mittel zu seiner Existenz nöthig sei; und man sieht 25 nicht, warum es denn nöthig sei, daß Menschen existiren (welches, wenn man etwa die Neuholländer oder Feuerländer in Gedanken hat, so leicht nicht zu beantworten sein möchte): so gelangt man zu keinem kategorischen Zwecke, sondern alle diese zweckmäßige Beziehung beruht auf einer immer weiter hinauszusetzenden Bedingung, die als unbedingt (das Dasein eines 30 Dinges als Endzweck) ganz außerhalb der physisch-teleologischen Weltbetrachtung liegt. Alsdann aber ist ein solches Ding auch nicht Naturzweck; denn es ist (oder seine ganze Gattung) nicht als Naturproduct anzusehen.

Es ist also nur die Materie, sofern sie organisirt ist, welche den Begriff 35 von ihr als einem Naturzwecke nothwendig bei sich führt, weil diese ihre specifische Form zugleich Product der Natur ist. Aber dieser Begriff führt nun nothwendig auf die Idee der gesammten Natur als eines Systems nach der Regel der Zwecke, welcher Idee nun aller Mechanism der Natur nach Principien der Vernunft (wenigstens um daran die Naturerscheinung zu versuchen) untergeordnet werden muß. Das Princip der Vernunft ist ihr als nur subjectiv, d. i. als Maxime, zuständig: Alles 5 in der Welt ist irgend wozu gut; nichts ist in ihr umsonst; und man ist 301 durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Producten giebt, berechtigt, ja berufen, von ihr und ihren Gesetzen nichts, als was im Ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten.

Es versteht sich, daß dieses nicht ein Princip für die bestimmende, 10 sondern nur für die reflectirende Urtheilskraft sei, daß es regulativ und nicht constitutiv sei, und wir dadurch nur einen Leitfaden bekommen, die Naturdinge in Beziehung auf einen Bestimmungsgrund, der schon gegeben ist, nach einer neuen gesetzlichen Ordnung zu betrachten und die Naturkunde nach einem andern Princip, nämlich dem der Endursachen, 15 doch unbeschadet dem des Mechanisms ihrer Causalität zu erweitern. Übrigens wird dadurch keinesweges ausgemacht, ob irgend etwas, das wir nach diesem Princip beurtheilen, absichtlich Zweck der Natur sei: ob die Gräser für das Rind oder Schaf und ob dieses und die übrigen Naturdinge für den Menschen da sind. Es ist gut, selbst die uns unangenehmen 20 und in besondern Beziehungen zweckwidrigen Dinge auch von dieser Seite zu betrachten. So könnte man z. B. sagen: das Ungeziefer, welches die Menschen in ihren Kleidern, Haaren oder Bettstellen plagt, sei nach einer weisen Naturanstalt ein Antrieb zur Reinlichkeit, die für sich schon ein wichtiges Mittel der Erhaltung der Gesundheit ist. Oder die Mosquitomücken 25 und andere stechende Insecten, welche die Wüsten von Amerika 302 den Wilden so beschwerlich machen, seien so viel Stacheln der Thätigkeit für diese angehende Menschen, um die Moräste abzuleiten und die dichten den Luftzug abhaltenden Wälder licht zu machen und dadurch, imgleichen durch den Anbau des Bodens ihren Aufenthalt zugleich gesünder zu 30 machen. Selbst was dem Menschen in seiner innern Organisation widernatürlich zu sein scheint, wenn es auf diese Weise behandelt wird, giebt eine unterhaltende, bisweilen auch belehrende Aussicht in eine teleologische Ordnung der Dinge, auf die uns ohne ein solches Princip die bloß physische Betrachtung allein nicht führen würde. So wie einige den 35 Bandwurm dem Menschen oder Thiere, dem er beiwohnt, gleichsam zum Ersatz eines gewissen Mangels seiner Lebensorganen beigegeben zu sein urtheilen: so würde ich fragen, ob nicht die Träume (ohne die niemals der Schlaf ist, ob man sich gleich nur selten derselben erinnert) eine zweckmäßige Anordnung der Natur sein mögen, indem sie nämlich bei dem Abspannen aller körperlichen bewegenden Kräfte dazu dienen, vermittelst der Einbildungskraft und der großen Geschäftigkeit derselben (die in 5 diesem Zustande mehrentheils bis zum Affecte steigt) die Lebensorganen innigst zu bewegen; so wie sie auch bei überfülltem Magen, wo diese Bewegung um desto nöthiger ist, im Nachtschlafe gemeiniglich mit desto mehr Lebhaftigkeit spielt; daß folglich ohne diese innerlich bewegende Kraft und ermüdende Unruhe, worüber wir die Träume anklagen (die 10 303 doch in der That vielleicht Heilmittel sind), der Schlaf selbst im gesunden Zustande wohl gar ein völliges Erlöschen des Lebens sein würde.

Auch Schönheit der Natur, d. i. ihre Zusammenstimmung mit dem freien Spiele unserer Erkenntnißvermögen in der Auffassung und Beurtheilung ihrer Erscheinung, kann auf die Art als objective Zweckmäßigkeit 15 der Natur in ihrem Ganzen, als System, worin der Mensch ein Glied ist, betrachtet werden: wenn einmal die teleologische Beurtheilung derselben durch die Naturzwecke, welche uns die organisirten Wesen an die Hand geben, zu der Idee eines großen Systems der Zwecke der Natur uns berechtigt hat. Wir können es als eine Gunst[26], die die Natur für 20 uns gehabt hat, betrachten, daß sie über das Nützliche noch Schönheit und Reize so reichlich austheilte, und sie deshalb lieben, so wie ihrer Unermeßlichkeit wegen mit Achtung betrachten und uns selbst in dieser Betrachtung 304 veredelt fühlen: gerade als ob die Natur ganz eigentlich in dieser Absicht ihre herrliche Bühne aufgeschlagen und ausgeschmückt habe. 25

Wir wollen in diesem § nichts anders sagen, als daß, wenn wir einmal an der Natur ein Vermögen entdeckt haben, Producte hervorzubringen, die nur nach dem Begriffe der Endursachen von uns gedacht werden können, wir weiter gehen und auch die, welche (oder ihr, obgleich zweckmäßiges, Verhältniß) es eben nicht nothwendig machen, über den Mechanism der blind wirkenden Ursachen hinaus ein ander Princip für ihre Möglichkeit aufzusuchen, dennoch als zu einem System der Zwecke gehörig beurtheilen dürfen: weil uns die erstere Idee schon, was ihren Grund betrifft, über die Sinnenwelt hinausführt; da denn die Einheit des übersinnlichen 5 Princips nicht bloß für gewisse Species der Naturwesen, sondern für das Naturganze als System auf dieselbe Art als gültig betrachtet werden muß.

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