§ 73. 324 Keines der obigen Systeme leistet das, was es vorgiebt.

Was wollen alle jene Systeme? Sie wollen unsere teleologischen 15 Urtheile über die Natur erklären und gehen damit so zu Werke, daß ein Theil die Wahrheit derselben läugnet, mithin sie für einen Idealism der Natur (als Kunst vorgestellt) erklärt; der andere Theil sie als wahr anerkennt und die Möglichkeit einer Natur nach der Idee der Endursachen darzuthun verspricht. 20

1) Die für den Idealism der Endursachen in der Natur streitenden Systeme lassen nun einerseits zwar an dem Princip derselben eine Causalität nach Bewegungsgesetzen zu (durch welche die Naturdinge zweckmäßig existiren); aber sie läugnen an ihr die Intentionalität, d. i. daß sie absichtlich zu dieser ihrer zweckmäßigen Hervorbringung bestimmt, oder mit anderen Worten ein Zweck die Ursache sei. Dieses ist die Erklärungsart Epikurs, nach welcher der Unterschied einer Technik der Natur von der bloßen Mechanik gänzlich abgeläugnet wird, und nicht allein für die Übereinstimmung der erzeugten Producte mit unsern Begriffen vom 5 325 Zwecke, mithin für die Technik, sondern selbst für die Bestimmung der Ursachen dieser Erzeugung nach Bewegungsgesetzen, mithin ihre Mechanik der blinde Zufall zum Erklärungsgrunde angenommen, also nichts, auch nicht einmal der Schein in unserm teleologischen Urtheile erklärt, mithin der vorgebliche Idealism in demselben keineswegs dargethan wird. 10

Andererseits will Spinoza uns aller Nachfrage nach dem Grunde der Möglichkeit der Zwecke der Natur dadurch überheben und dieser Idee alle Realität nehmen, daß er sie überhaupt nicht für Producte, sondern für einem Urwesen inhärirende Accidenzen gelten läßt und diesem Wesen, als Substrat jener Naturdinge, in Ansehung derselben nicht Causalität, 15 sondern bloß Subsistenz beilegt und (wegen der unbedingten Nothwendigkeit desselben sammt allen Naturdingen, als ihm inhärirenden Accidenzen) den Naturformen zwar die Einheit des Grundes, die zu aller Zweckmäßigkeit erforderlich ist, sichert, aber zugleich die Zufälligkeit derselben, ohne die keine Zweckeinheit gedacht werden kann, entreißt und 20 mit ihr alles Absichtliche, so wie dem Urgrunde der Naturdinge allen Verstand wegnimmt.

Der Spinozism leistet aber das nicht, was er will. Er will einen Erklärungsgrund der Zweckverknüpfung (die er nicht läugnet) der Dinge der Natur angeben und nennt bloß die Einheit des Subjects, dem sie alle 25 inhäriren. Aber wenn man ihm auch diese Art zu existiren für die Weltwesen 326 einräumt, so ist doch jene ontologische Einheit darum noch nicht sofort Zweckeinheit und macht diese keinesweges begreiflich. Die letztere ist nämlich eine ganz besondere Art derselben, die aus der Verknüpfung der Dinge (Weltwesen) in einem Subjecte (dem Urwesen) gar nicht folgt, 30 sondern durchaus die Beziehung auf eine Ursache, die Verstand hat, bei sich führt und selbst, wenn man alle diese Dinge in einem einfachen Subjecte vereinigte, doch niemals eine Zweckbeziehung darstellt: wofern man unter ihnen nicht erstlich innere Wirkungen der Substanz als einer Ursache, zweitens eben derselben als Ursache durch ihren Verstand 35 denkt. Ohne diese formalen Bedingungen ist alle Einheit bloße Naturnothwendigkeit und, wird sie gleichwohl Dingen beigelegt, die wir als außer einander vorstellen, blinde Nothwendigkeit. Will man aber das, was die Schule die transscendentale Vollkommenheit der Dinge (in Beziehung auf ihr eigenes Wesen) nennt, nach welcher alle Dinge alles an sich haben, was erfordert wird, um so ein Ding und kein anderes zu sein, Zweckmäßigkeit der Natur nennen: so ist das ein kindisches Spielwerk 5 mit Worten statt Begriffen. Denn wenn alle Dinge als Zwecke gedacht werden müssen, also ein Ding sein und Zweck sein einerlei ist, so giebt es im Grunde nichts, was besonders als Zweck vorgestellt zu werden verdiente.

Man sieht hieraus wohl: daß Spinoza dadurch, daß er unsere Begriffe 10 327 von dem Zweckmäßigen in der Natur auf das Bewußtsein unserer selbst in einem allbefassenden (doch zugleich einfachen) Wesen zurückführte und jene Form bloß in der Einheit des letzern suchte, nicht den Realism, sondern bloß den Idealism der Zweckmäßigkeit derselben zu behaupten die Absicht haben mußte, diese aber selbst doch nicht bewerkstelligen konnte, 15 weil die bloße Vorstellung der Einheit des Substrats auch nicht einmal die Idee von einer auch nur unabsichtlichen Zweckmäßigkeit bewirken kann.

2) Die, welche den Realism der Naturzwecke nicht bloß behaupten, sondern ihn auch zu erklären vermeinen, glauben eine besondere Art der Causalität, nämlich absichtlich wirkender Ursachen, wenigstens ihrer Möglichkeit 20 nach einsehen zu können; sonst könnten sie es nicht unternehmen jene erklären zu wollen. Denn zur Befugniß selbst der gewagtesten Hypothese muß wenigstens die Möglichkeit dessen, was man als Grund annimmt, gewiß sein, und man muß dem Begriffe desselben seine objective Realität sichern können. 25

Aber die Möglichkeit einer lebenden Materie (deren Begriff einen Widerspruch enthält, weil Leblosigkeit, inertia, den wesentlichen Charakter derselben ausmacht) läßt sich nicht einmal denken; die einer belebten Materie und der gesammten Natur, als eines Thiers, kann nur sofern (zum Behuf einer Hypothese der Zweckmäßigkeit im Großen der Natur) dürftiger 30 328 Weise gebraucht werden, als sie uns an der Organisation derselben im Kleinen in der Erfahrung offenbart wird, keinesweges aber a priori ihrer Möglichkeit nach eingesehen werden. Es muß also ein Cirkel im Erklären begangen werden, wenn man die Zweckmäßigkeit der Natur an organisirten Wesen aus dem Leben der Materie ableiten will und dieses 35 Leben wiederum nicht anders als in organisirten Wesen kennt, also ohne dergleichen Erfahrung sich keinen Begriff von der Möglichkeit derselben machen kann. Der Hylozoism leistet also das nicht, was er verspricht.

Der Theism kann endlich die Möglichkeit der Naturzwecke als einen Schlüssel zur Teleologie eben so wenig dogmatisch begründen; ob er zwar vor allen Erklärungsgründen derselben darin den Vorzug hat, daß er durch 5 einen Verstand, den er dem Urwesen beilegt, die Zweckmäßigkeit der Natur dem Idealism am besten entreißt und eine absichtliche Causalität für die Erzeugung derselben einführt.

Denn da müßte allererst, für die bestimmende Urtheilskraft hinreichend, die Unmöglichkeit der Zweckeinheit in der Materie durch den 10 bloßen Mechanism derselben bewiesen werden, um berechtigt zu sein den Grund derselben über die Natur hinaus auf bestimmte Weise zu setzen. Wir können aber nichts weiter herausbringen, als daß nach der Beschaffenheit und den Schranken unserer Erkenntnißvermögen (indem wir den ersten, inneren Grund selbst dieses Mechanisms nicht einsehen) wir 15 329 auf keinerlei Weise in der Materie ein Princip bestimmter Zweckbeziehungen suchen müssen, sondern für uns keine andere Beurtheilungsart der Erzeugung ihrer Producte als Naturzwecke übrig bleibe, als die durch einen obersten Verstand als Weltursache. Das ist aber nur ein Grund für die reflectirende, nicht für die bestimmende Urtheilskraft und kann 20 schlechterdings zu keiner objectiven Behauptung berechtigen.

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