§ 74. Die Ursache der Unmöglichkeit, den Begriff einer Technik der Natur dogmatisch zu behandeln, ist die Unerklärlichkeit eines Naturzwecks. 25

Wir verfahren mit einem Begriffe (wenn er gleich empirisch bedingt sein sollte) dogmatisch, wenn wir ihn als unter einem anderen Begriffe des Objects, der ein Princip der Vernunft ausmacht, enthalten betrachten und ihn diesem gemäß bestimmen. Wir verfahren aber mit ihm bloß kritisch, wenn wir ihn nur in Beziehung auf unser Erkenntnißvermögen, 30 mithin auf die subjectiven Bedingungen ihn zu denken betrachten, ohne es zu unternehmen über sein Object etwas zu entscheiden. Das dogmatische Verfahren mit einem Begriffe ist also dasjenige, welches für die bestimmende, das kritische das, welches bloß für die reflectirende Urtheilskraft gesetzmäßig ist. 35

Nun ist der Begriff von einem Dinge als Naturzwecke ein Begriff, 330 der die Natur unter eine Causalität, die nur durch Vernunft denkbar ist, subsumirt, um nach diesem Princip über das, was vom Objecte in der Erfahrung gegeben ist, zu urtheilen. Um ihn aber dogmatisch für die bestimmende Urtheilskraft zu gebrauchen, müßten wir der objectiven Realität 5 dieses Begriffs zuvor versichert sein, weil wir sonst kein Naturding unter ihm subsumiren könnten. Der Begriff eines Dinges als Naturzwecks ist aber zwar ein empirisch bedingter, d. i. nur unter gewissen in der Erfahrung gegebenen Bedingungen möglicher, aber doch von derselben nicht zu abstrahirender, sondern nur nach einem Vernunftprincip 10 in der Beurtheilung des Gegenstandes möglicher Begriff. Er kann also als ein solches Princip seiner objectiven Realität nach (d. i. daß ihm gemäß ein Object möglich sei) gar nicht eingesehen und dogmatisch begründet werden; und wir wissen nicht, ob er bloß ein vernünftelnder und objectiv leerer (conceptus ratiocinans), oder ein Vernunftbegriff, ein Erkenntniß 15 gründender, von der Vernunft bestätigter (conceptus ratiocinatus), sei. Also kann er nicht dogmatisch für die bestimmende Urtheilskraft behandelt werden: d. i. es kann nicht allein nicht ausgemacht werden, ob Dinge der Natur, als Naturzwecke betrachtet, für ihre Erzeugung eine Causalität von ganz besonderer Art (die nach Absichten) erfordern, oder nicht; sondern 20 es kann auch nicht einmal darnach gefragt werden, weil der Begriff eines 331 Naturzwecks seiner objectiven Realität nach durch die Vernunft gar nicht erweislich ist (d. i. er ist nicht für die bestimmende Urtheilskraft constitutiv, sondern für die reflectirende bloß regulativ).

Daß er es aber nicht sei, ist daraus klar, weil er als Begriff von 25 einem Naturproduct Naturnothwendigkeit und doch zugleich eine Zufälligkeit der Form des Objects (in Beziehung auf bloße Gesetze der Natur) an eben demselben Dinge als Zweck in sich faßt; folglich, wenn hierin kein Widerspruch sein soll, einen Grund für die Möglichkeit des Dinges in der Natur und doch auch einen Grund der Möglichkeit dieser Natur 30 selbst und ihrer Beziehung auf etwas, das nicht empirisch erkennbare Natur (übersinnlich), mithin für uns gar nicht erkennbar ist, enthalten muß, um nach einer andern Art Causalität als der des Naturmechanisms beurtheilt zu werden, wenn man seine Möglichkeit ausmachen will. Da also der Begriff eines Dinges als Naturzwecks für die bestimmende 35 Urtheilskraft überschwenglich ist, wenn man das Object durch die Vernunft betrachtet (ob er zwar für die reflectirende Urtheilskraft in Ansehung der Gegenstände der Erfahrung immanent sein mag), mithin ihm für bestimmende Urtheile die objective Realität nicht verschafft werden kann: so ist hieraus begreiflich, wie alle Systeme, die man für die dogmatische Behandlung des Begriffs der Naturzwecke und der Natur, als 332 eines durch Endursachen zusammenhängenden Ganzen, nur immer entwerfen 5 mag, weder objectiv bejahend, noch objectiv verneinend irgend etwas entscheiden können; weil, wenn Dinge unter einem Begriffe, der bloß problematisch ist, subsumirt werden, die synthetischen Prädicate desselben (z. B. hier: ob der Zweck der Natur, den wir uns zu der Erzeugung der Dinge denken, absichtlich oder unabsichtlich sei) eben solche 10 (problematische) Urtheile, sie mögen nun bejahend oder verneinend sein, vom Object abgeben müssen, indem man nicht weiß, ob man über Etwas oder Nichts urtheilt. Der Begriff einer Causalität durch Zwecke (der Kunst) hat allerdings objective Realität, der einer Causalität nach dem Mechanism der Natur eben sowohl. Aber der Begriff einer Causalität 15 der Natur nach der Regel der Zwecke, noch mehr aber eines Wesens, dergleichen uns gar nicht in der Erfahrung gegeben werden kann, nämlich eines solchen als Urgrundes der Natur, kann zwar ohne Widerspruch gedacht werden, aber zu dogmatischen Bestimmungen doch nicht taugen: weil ihm, da er nicht aus der Erfahrung gezogen werden kann, auch zur 20 Möglichkeit derselben nicht erforderlich ist, seine objective Realität durch nichts gesichert werden kann. Geschähe dieses aber auch, wie kann ich Dinge, die für Producte göttlicher Kunst bestimmt angegeben werden, noch unter Producte der Natur zählen, deren Unfähigkeit, dergleichen nach ihren 333 Gesetzen hervorzubringen, eben die Berufung auf eine von ihr unterschiedene 25 Ursache nothwendig machte?

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