§ 78. Von der Vereinigung des Princips des allgemeinen Mechanismus der Materie mit dem teleologischen in der Technik der Natur. 15

Es liegt der Vernunft unendlich viel daran, den Mechanism der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen zu lassen und in der Erklärung derselben nicht vorbei zu gehen: weil ohne diesen keine Einsicht in die Natur der Dinge erlangt werden kann. Wenn man uns gleich einräumt: daß ein höchster Architekt die Formen der Natur, so wie sie von je her da sind, 20 unmittelbar geschaffen, oder die, welche sich in ihrem Laufe continuirlich nach eben demselben Muster bilden, prädeterminirt habe: so ist doch dadurch unsere Erkenntniß der Natur nicht im mindesten gefördert: weil wir jenes Wesens Handlungsart und die Ideen desselben, welche die Principien der Möglichkeit der Naturwesen enthalten sollen, gar nicht kennen 25 und von demselben als von oben herab (a priori) die Natur nicht erklären können. Wollen wir aber von den Formen der Gegenstände der Erfahrung, also von unten hinauf (a posteriori), weil wir in diesen Zweckmäßigkeit anzutreffen glauben, um diese zu erklären, uns auf eine nach Zwecken 355 wirkende Ursache berufen: so würden wir ganz tautologisch erklären und 30 die Vernunft mit Worten täuschen, ohne noch zu erwähnen: daß da, wo wir uns mit dieser Erklärungsart ins Überschwengliche verlieren, wohin uns die Naturerkenntniß nicht folgen kann, die Vernunft dichterisch zu schwärmen verleitet wird, welches zu verhüten eben ihre vorzüglichste Bestimmung ist. 35

Von der andern Seite ist es eine eben sowohl nothwendige Maxime der Vernunft, das Princip der Zwecke an den Producten der Natur nicht vorbei zu gehen: weil es, wenn es gleich die Entstehungsart derselben uns eben nicht begreiflicher macht, doch ein heuristisches Princip ist, den besondern Gesetzen der Natur nachzuforschen; gesetzt auch, daß man davon 5 keinen Gebrauch machen wollte, um die Natur selbst darnach zu erklären, indem man sie so lange, ob sie gleich absichtliche Zweckeinheit augenscheinlich darlegen, noch immer nur Naturzwecke nennt, d. i. ohne über die Natur hinaus den Grund der Möglichkeit derselben zu suchen. Weil es aber doch am Ende zur Frage wegen der letzteren kommen muß: so ist es eben 10 so nothwendig für sie, eine besondere Art der Causalität, die sich nicht in der Natur vorfindet, zu denken, als die Mechanik der Naturursachen die ihrige hat, indem zu der Receptivität mehrerer und anderer Formen, als deren die Materie nach der letzteren fähig ist, noch eine Spontaneität einer 356 Ursache (die also nicht Materie sein kann) hinzukommen muß, ohne welche 15 von jenen Formen kein Grund angegeben werden kann. Zwar muß die Vernunft, ehe sie diesen Schritt thut, behutsam verfahren und nicht jede Technik der Natur, d. i. ein productives Vermögen derselben, welches Zweckmäßigkeit der Gestalt für unsere bloße Apprehension an sich zeigt (wie bei regulären Körpern), für teleologisch zu erklären suchen, sondern immer 20 so lange für bloß mechanisch-möglich ansehen; allein darüber das teleologische Princip gar ausschließen und, wo die Zweckmäßigkeit für die Vernunftuntersuchung der Möglichkeit der Naturformen durch ihre Ursachen sich ganz unläugbar als Beziehung auf eine andere Art der Causalität zeigt, doch immer den bloßen Mechanism befolgen wollen, muß die Vernunft 25 eben so phantastisch und unter Hirngespinsten von Naturvermögen, die sich gar nicht denken lassen, herumschweifend machen, als eine bloß teleologische Erklärungsart, die gar keine Rücksicht auf den Naturmechanism nimmt, sie schwärmerisch machte.

An einem und eben demselben Dinge der Natur lassen sich nicht beide 30 Principien, als Grundsätze der Erklärung (Deduction) eines von dem andern, verknüpfen, d. i. als dogmatische und constitutive Principien der Natureinsicht für die bestimmende Urtheilskraft vereinigen. Wenn ich z. B. von einer Made annehme, sie sei als Product des bloßen Mechanismus der Materie (der neuen Bildung, die sie für sich selbst bewerkstelligt, 35 357 wenn ihre Elemente durch Fäulniß in Freiheit gesetzt werden) anzusehen: so kann ich nun nicht von eben derselben Materie, als einer Causalität nach Zwecken zu handeln, eben dasselbe Product ableiten. Umgekehrt, wenn ich dasselbe Product als Naturzweck annehme, kann ich nicht auf eine mechanische Erzeugungsart desselben rechnen und solche als constitutives Princip zur Beurtheilung desselben seiner Möglichkeit nach annehmen und so beide Principien vereinigen. Denn eine Erklärungsart schließt 5 die andere aus; gesetzt auch, daß objectiv beide Gründe der Möglichkeit eines solchen Products auf einem einzigen beruhten, wir aber auf diesen nicht Rücksicht nähmen. Das Princip, welches die Vereinbarkeit beider in Beurtheilung der Natur nach denselben möglich machen soll, muß in dem, was außerhalb beiden (mithin auch außer der möglichen empirischen Naturvorstellung) 10 liegt, von dieser aber doch den Grund enthält, d. i. im Übersinnlichen, gesetzt und eine jede beider Erklärungsarten darauf bezogen werden. Da wir nun von diesem nichts als den unbestimmten Begriff eines Grundes haben können, der die Beurtheilung der Natur nach empirischen Gesetzen möglich macht, übrigens aber ihn durch kein Prädicat 15 näher bestimmen können: so folgt, daß die Vereinigung beider Principien nicht auf einem Grunde der Erklärung (Explication) der Möglichkeit eines Products nach gegebenen Gesetzen für die bestimmende, 358 sondern nur auf einem Grunde der Erörterung (Exposition) derselben für die reflectirende Urtheilskraft beruhen könne. — Denn Erklären heißt 20 von einem Princip ableiten, welches man also deutlich muß erkennen und angeben können. Nun müssen zwar das Princip des Mechanisms der Natur und das der Causalität derselben nach Zwecken an einem und eben demselben Naturproducte in einem einzigen oberen Princip zusammenhängen und daraus gemeinschaftlich abfließen, weil sie sonst in der Naturbetrachtung 25 nicht neben einander bestehen könnten. Wenn aber dieses objectiv-gemeinschaftliche und also auch die Gemeinschaft der davon abhängenden Maxime der Naturforschung berechtigende Princip von der Art ist, daß es zwar angezeigt, nie aber bestimmt erkannt und für den Gebrauch in vorkommenden Fällen deutlich angegeben werden kann: so läßt sich aus 30 einem solchen Princip keine Erklärung, d. i. deutliche und bestimmte Ableitung, der Möglichkeit eines nach jenen zwei heterogenen Principien möglichen Naturproducts ziehen. Nun ist aber das gemeinschaftliche Princip der mechanischen einerseits und der teleologischen Ableitung andrerseits das Übersinnliche, welches wir der Natur als Phänomen unterlegen 35 müssen. Von diesem aber können wir uns in theoretischer Absicht nicht den mindesten bejahend bestimmten Begriff machen. Wie also nach demselben, als Princip, die Natur (nach ihren besondern Gesetzen) für uns ein System ausmache, welches sowohl nach dem Princip der Erzeugung 359 von physischen als dem der Endursachen als möglich erkannt werden könne: läßt sich keinesweges erklären; sondern nur, wenn es sich zuträgt, daß Gegenstände der Natur vorkommen, die nach dem Princip des Mechanisms 5 (welches jederzeit an einem Naturwesen Anspruch hat) ihrer Möglichkeit nach, ohne uns auf teleologische Grundsätze zu stützen, von uns nicht können gedacht werden, voraussetzen, daß man nur getrost beiden gemäß den Naturgesetzen nachforschen dürfe (nachdem die Möglichkeit ihres Products aus einem oder dem andern Princip unserm Verstande 10 erkennbar ist), ohne sich an den scheinbaren Widerstreit zu stoßen, der sich zwischen den Principien der Beurtheilung desselben hervorthut: weil wenigstens die Möglichkeit, daß beide auch objectiv in einem Princip vereinbar sein möchten (da sie Erscheinungen betreffen, die einen übersinnlichen Grund voraussetzen), gesichert ist. 15

Ob also gleich sowohl der Mechanism als der teleologische (absichtliche) Technicism der Natur in Ansehung ebendesselben Products und seiner Möglichkeit unter einem gemeinschaftlichen obern Princip der Natur nach besondern Gesetzen stehen mögen: so können wir doch, da dieses Princip transscendent ist, nach der Eingeschränktheit unseres Verstandes 20 beide Principien in der Erklärung eben derselben Naturerzeugung alsdann nicht vereinigen, wenn selbst die innere Möglichkeit dieses Products nur durch eine Causalität nach Zwecken verständlich ist (wie organisirte 360 Materien von der Art sind). Es bleibt also bei dem obigen Grundsatze der Teleologie: daß nach der Beschaffenheit des menschlichen 25 Verstandes für die Möglichkeit organischer Wesen in der Natur keine andere als absichtlich wirkende Ursache könne angenommen werden, und der bloße Mechanism der Natur zur Erklärung dieser ihrer Producte gar nicht hinlänglich sein könne; ohne doch dadurch in Ansehung der Möglichkeit solcher Dinge selbst durch diesen Grundsatz entscheiden zu wollen. 30

Da nämlich dieser nur eine Maxime der reflectirenden, nicht der bestimmenden Urtheilskraft ist, daher nur subjectiv für uns, nicht objectiv für die Möglichkeit dieser Art Dinge selbst gilt (wo beiderlei Erzeugungsarten wohl in einem und demselben Grunde zusammenhängen könnten); da ferner ohne allen zu der teleologisch-gedachten Erzeugungsart hinzukommenden 35 Begriff von einem dabei zugleich anzutreffenden Mechanism der Natur dergleichen Erzeugung gar nicht als Naturproduct beurtheilt werden könnte: so führt obige Maxime zugleich die Nothwendigkeit einer Vereinigung beider Principien in der Beurtheilung der Dinge als Naturzwecke bei sich, aber nicht um eine ganz, oder in gewissen Stücken an die Stelle der andern zu setzen. Denn an die Stelle dessen, was (von uns wenigstens) nur als nach Absicht möglich gedacht wird, läßt sich kein Mechanism; 5 und an die Stelle dessen, was nach diesem als nothwendig erkannt wird, läßt sich keine Zufälligkeit, die eines Zwecks zum Bestimmungsgrunde 361 bedürfe, annehmen: sondern nur die eine (der Mechanism) der andern (dem absichtlichen Technicism) unterordnen, welches nach dem transscendentalen Princip der Zweckmäßigkeit der Natur ganz wohl geschehen 10 darf.

Denn wo Zwecke als Gründe der Möglichkeit gewisser Dinge gedacht werden, da muß man auch Mittel annehmen, deren Wirkungsgesetz für sich nichts einen Zweck Voraussetzendes bedarf, mithin mechanisch und doch eine untergeordnete Ursache absichtlicher Wirkungen sein kann. Daher 15 läßt sich selbst in organischen Producten der Natur, noch mehr aber, wenn wir, durch die unendliche Menge derselben veranlaßt, das Absichtliche in der Verbindung der Naturursachen nach besondern Gesetzen nun auch (wenigstens durch erlaubte Hypothese) zum allgemeinen Princip der reflectirenden Urtheilskraft für das Naturganze (die Welt) annehmen, 20 eine große und sogar allgemeine Verbindung der mechanischen Gesetze mit den teleologischen in den Erzeugungen der Natur denken, ohne die Principien der Beurtheilung derselben zu verwechseln und eines an die Stelle des andern zu setzen: weil in einer teleologischen Beurtheilung die Materie, selbst wenn die Form, welche sie annimmt, nur als nach Absicht 25 möglich beurtheilt wird, doch ihrer Natur nach mechanischen Gesetzen gemäß jenem vorgestellten Zwecke auch zum Mittel untergeordnet sein kann; wiewohl, 362 da der Grund dieser Vereinbarkeit in demjenigen liegt, was weder das eine noch das andere (weder Mechanism, noch Zweckverbindung), sondern das übersinnliche Substrat der Natur ist, von dem wir nichts erkennen, 30 für unsere (die menschliche) Vernunft beide Vorstellungsarten der Möglichkeit solcher Objecte nicht zusammenzuschmelzen sind, sondern wir sie nicht anders als nach der Verknüpfung der Endursachen auf einem obersten Verstande gegründet beurtheilen können, wodurch also der teleologischen Erklärungsart nichts benommen wird. 35

Weil nun aber ganz unbestimmt und für unsere Vernunft auch auf immer unbestimmbar ist, wieviel der Mechanism der Natur als Mittel zu jeder Endabsicht in derselben thue; und wegen des oberwähnten intelligibelen Princips der Möglichkeit einer Natur überhaupt gar angenommen werden kann, daß sie durchgängig nach beiderlei allgemein zusammenstimmenden Gesetzen (den physischen und den der Endursachen) möglich sei, wiewohl wir die Art, wie dieses zugehe, gar nicht einsehen können: so 5 wissen wir auch nicht, wie weit die für uns mögliche mechanische Erklärungsart gehe, sondern nur so viel gewiß: daß, so weit wir nur immer darin kommen mögen, sie doch allemal für Dinge, die wir einmal als Naturzwecke anerkennen, unzureichend sein und wir also nach der Beschaffenheit unseres Verstandes jene Gründe insgesammt einem teleologischen 10 363 Princip unterordnen müssen.

Hierauf gründet sich nun die Befugniß und wegen der Wichtigkeit, welche das Naturstudium nach dem Princip des Mechanisms für unsern theoretischen Vernunftgebrauch hat, auch der Beruf: alle Producte und Ereignisse der Natur, selbst die zweckmäßigsten so weit mechanisch zu erklären, 15 als es immer in unserm Vermögen (dessen Schranken wir innerhalb dieser Untersuchungsart nicht angeben können) steht, dabei aber niemals aus den Augen zu verlieren, daß wir die, welche wir allein unter dem Begriffe vom Zwecke der Vernunft zur Untersuchung selbst auch nur aufstellen können, der wesentlichen Beschaffenheit unserer Vernunft gemäß, 20 jene mechanischen Ursachen ungeachtet, doch zuletzt der Causalität nach Zwecken unterordnen müssen.

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