Dreizehnter Abschnitt Die „Hexen“ oder Ecclesia non sitit sanguinem!

Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts etwa bekämpfte die katholische Kirche den Hexenglauben oder war ihm gegenüber wenigstens sehr skeptisch. Der „engelgleiche Doktor“ Thomas von Aquino, heute noch größte Autorität der Kirche, bildete dann die unflätige Theorie von den incubus und succubus aus, die nur als Wirkung des Zölibates zu verstehen ist, und dieser Wahnwitz imponierte so gewaltig, daß nicht zum wenigsten auf diese Autorität hin die Kirche die systematische Hexenverfolgung betrieb. Heute behaupten Apologeten, daß die Kirche für die Hexenprozesse keine Verantwortung habe, denn sie ist ja bekanntlich unfehlbar. In der Abschwörungsformel aber, die der berüchtigte Malleus maleficarum, der Hexenhammer, für die nicht an Hexerei Glaubenden aufstellt, heißt es: „Der Unglaube an Hexerei verstößt ausdrücklich gegen die Entscheidung der heiligen Mutter, der Kirche, aller katholischen Lehren und der kaiserlichen Gesetze. Die Entscheidung zweifelhafter Dinge im Glauben steht vor allem bei der Kirche und vornehmlich beim Papste; von der Kirche aber ist gewiß, daß sie nie im Glauben geirrt hat.“

Als der Professor der Theologie Cornelius Loos, ein eifriger Katholik, 1591 den Hexenwahn bekämpfte, ließ ihn der päpstliche Nuntius Frangipani in Trier einsperren und zwang ihn zum Widerruf. Unter anderem mußte er anerkennen, daß seine Behauptung, die Hexenausfahrten seien eine Täuschung, stark nach Ketzerei rieche. Der Jesuit Delrio fügt hinzu: „Mögen die Anhänger des Loos erfahren, wie vermessen und schädlich es sei, die Delirien eines Weier (der ebenfalls den Hexenwahn bekämpfte) dem Urteil der Kirche vorzuziehen[269].“

*

Daß die Intelligenz unter kirchlicher Ägide wenigstens in diesem Punkte zunahm, wird sich schwerlich behaupten lassen! Wundervoll aber ist eine Unfehlbarkeit, die offensichtlich sogar fortbesteht, wenn das konträre Gegenteil zu verschiedenen Zeiten gelehrt wird!

*

Der Kirche war es vorbehalten, den im 15. Jahrhundert nur mehr schwach im Volke vertretenen Hexenglauben durch den Hexenhammer frisch zu beleben. Schon damals gab es Leute, die – zur Entrüstung der beiden wackeren Dominikaner und Theologieprofessoren Institoris und Sprenger, den Verfassern des „Hexenhammers“ – zu behaupten wagten, es gebe keine andere Hexerei auf der Welt, als im Glauben der Menschen. Gegen diese auf Humanismus und fluchwürdige Emanzipation von der unfehlbaren kirchlichen Lehre zurückzuführende Ketzerei, hinter der das Schrecklichste zu vermuten war, das jemals der mittelalterlichen Kirche drohte: der gesunde Menschenverstand, mußte natürlich energisch vorgegangen werden. Papst Innozenz VIII. – welche Ironie liegt allein in diesem Namen! – erließ am 5. Dezember 1484 die Bulle „Summis desiderantes affectibus“, ein erhabenes Dokument wahrhaft väterlicher Liebe, gedacht im Geiste Christi. Die Unzucht mit dem Teufel, Teufelsbeschwörung, Verhinderung der Zeugungskraft bei Männern und der Empfängnis bei Weibern, Impotenz etc. sind darin als Hexenwerk gebrandmarkt. Die Gegner der Verfolgungen, seien sie noch so hohen Standes, sind mit Bann und Interdikt zu belegen und nötigenfalls der weltliche Arm gegen sie anzurufen[270]. Hergenröther, ein Autor des 19. Jahrhunderts, meint, der Papst habe dadurch „mildernd und belehrend“ gewirkt!!!

*

Der Hexenhammer, erschienen mit dreifacher Approbation, nämlich einer päpstlichen Bulle, einer königlichen Urkunde vom 6. November 1486 und einem empfehlenden Gutachten der theologischen Fakultät der Universität Köln vom Mai 1487, in unzähligen Auflagen verbreitet als Richtschnur in der Behandlung von Hexen und Zauberei, noch vom Leipziger Professor Carpzow († 1666), einem orthodoxen Lutheraner, als Autorität anerkannt, entwickelt folgende „christliche“ Grundsätze[271]:

Verteidiger der wegen Hexerei angeklagten Personen sind gestattet, aber – auf den Wunsch des Angeklagten darf bei seiner Wahl keine Rücksicht genommen werden. Der Richter hat ihn zu ermahnen, daß er sich nicht der Begünstigung der Ketzerei schuldig mache; dieser aber macht er sich in hohem Grade schuldig, wenn er „indebite“ einen schon der Ketzerei Verdächtigen verteidigt! Die Namen der Belastungszeugen dürfen ihm nur mitgeteilt werden, wenn er untadelhaft, eifrig (zelosus!!) und ein Freund der „Gerechtigkeit“ ist, aber auch dann nur unter eidlichem Geheimnis!

*

Der Richter wird angewiesen, die Angeklagten zu befragen, ob sie glauben, daß es Hexen gäbe, die Wetter machen, Menschen und Tiere infizieren usw. „Bemerke wohl, daß die Hexen dies meist das erstemal verneinen (d. h. nur durch Zwangsmaßregeln der Kirche wird ihnen ein blöder Wahn eingebläut, den der Laienintellekt damals bereits überwunden hatte!) Hiermit machen sie sich verdächtiger, als wenn sie antworten würden: die Entscheidung über diese Frage überlasse ich den Oberen. Daher, wenn sie es verneinen, sind sie weiter zu befragen: Wie kommt es denn dann, daß man sie verbrennt? Werden sie denn unschuldig verbrannt?“ Verneinten sie die letztere Frage, dann wurden ihre Aussagen widerspruchsvoll und darum verdächtig, während mit der Bejahung sie sich selbstverständlich einer toteswürdigen Ketzerei schuldig machten.

*

Der Richter darf Todfeinde der Angeklagten nicht als Zeugen zulassen. Unter Todfeindschaft ist aber nur eine solche zu verstehen, die durch Mord, Totschlag oder tödliche Verwundung herbeigeführt wurde!

*

Die Inquisitoren übergaben ihr Opfer dem weltlichen Gericht mit der stehenden Mahnung, ihres Leibes und Lebens zu schonen, einer nichtssagenden heuchlerischen Formel. Denn hätte die Staatsbehörde den Verurteilten das Leben schenken wollen, so wäre sie sofort in die auf Begünstigung der Häresie gesetzten Zensuren verfallen.

*

Dem Richter steht es frei, den Weg der Milde (via pietatis) einzuschlagen. Dieser besteht zunächst darin, daß die Folter nicht wiederholt werden darf, wenn nicht neue Indizien hervortreten. Will die Gefolterte – deren Blut nicht vergossen werden durfte, weshalb es lediglich gestattet war, ihre Gelenke auszukugeln, die Knochen zu zermalmen, sie mit Fackeln zu sengen und endlich lebendig zu verbrennen, was ja auch in völliger Harmonie mit der kirchlichen Barmherzigkeit ohne Blutvergießen abging – will sie nicht gestehen, dann soll man ihr noch andere Folterwerkzeuge vorzeigen und sie damit bedrohen. Wird sie auch dadurch nicht eingeschüchtert, dann ist die Folter am zweiten oder dritten Tage fortzusetzen, nicht zu wiederholen!

Läßt sich die Angeklagte trotz langer Gefangenschaft zu einem Geständnis nicht bewegen, dann soll der Richter sie im Gefängnis besuchen, ihr versprechen, Gnade walten zu lassen, „indem er aber darunter nicht Gnade für sie, sondern für sich oder den Staat versteht“. In diesem Punkte folgte der Staat der erhabenen Moral der Seelenhirten nicht. Die bayerische Instruktion von 1622 hat die Anwendung dieses Mittels ausdrücklich verboten.

*

War es nicht gelungen, den Angeklagten durch Zeugenaussagen oder mittels des Gefängnisses, gestellter Fallen und der Folter zu einem Geständnis zu bewegen, und bestanden überhaupt gegen ihn keine anderen Indizien, als sein schlechter Ruf in bezug auf Ketzerei – in diesen zu kommen war aber schon deshalb sehr leicht, weil ausdrücklich auf die Familie der „Hexe“ als meistens auch der Hexerei ergeben das Augenmerk des Richters gelenkt wurde, so daß schon allein die Verwandtschaft der Hexerei hochverdächtig (vehementer suspectus) machte – dann wurde der „Weg der Milde“ beschritten.

Dieser bestand darin, daß der verstockte Sünder nicht etwa freigesprochen, sondern mit der kanonischen Purgation belegt wurde. Katholische und bewährte Männer, die seinen Wandel schon längere Zeit kennen, müssen 7, 10, 20 oder 30 an der Zahl, und zwar seines Standes, also Geistliche, Weltliche oder Adelige, als Eideshelfer ihm beistehen. Will der Angeklagte auf dieses Reinigungsverfahren nicht eingehen, dann verfällt er der Exkommunikation und wenn er in dieser ohne Purgation ein Jahr verblieb, wird er als Ketzer verurteilt d. h. verbrannt! Ebenso geht es ihm, wenn er die ihm auferlegte Anzahl von Eideshelfern nicht herbeischaffen kann. Da das außerordentlich schwer war, da jeder darum angegangene fürchten mußte, selbst in den Ruf der Hexerei zu kommen, wird wohl die Nächstenliebe der Inquisitoren sich zumeist – wenn auch erst nach Jahresfrist – in gewohnter Weise haben betätigen können.

*

Diesem Hexenhammer ist in erster Linie zuzuschreiben, daß alle drei christlichen Religionen in hingebender Weise um die Palme wetteiferten, am meisten den Glauben an Hexerei auszubreiten und am rücksichtslosesten gegen Hexen vorzugehen. Das amtliche Suchen nach ihnen begann erst zu einem Zeitpunkt, wo ohne Kirche in Deutschland Vernunft und Humanität gesiegt hätten.

*

Görres, der Abgott ultramontaner Geschichtsschreibung und Bannerträger einer „modernen“ historischen Schule, nennt diesen Hexenhammer ein „in den Intentionen reines und untadelhaftes Werk, aber in einem unzureichenden Grunde tatsächlicher Erfahrungen aufgesetzt, nicht immer mit geschärfter Urteilskraft durchgeführt und darum oft unvorsichtig auf die scharfe Seite hinüberneigend.“ Welche Milde! welche Gerechtigkeit! nur schade, daß sie auf keine bessere Sache verwendet wird.

*

Es ist merkwürdig, daß dieselbe Kirche, die nicht müde wurde, durch Jahrhunderte mit Feuer und Folter ihre wirklichen und vermeintlichen Widersacher zu verfolgen, die mit den gewaltsamsten Mitteln den größten Blödsinn propagierte, heute noch von mimosenhafter Empfindlichkeit und mädchenhaftem Zartgefühl ist, wenn man ihr im geringsten zu nahe tritt, und zwar nicht etwa wie sie es tat, durch grausame Verfolgung und qualvollen Tod im Namen des Gottes der Liebe, sondern lediglich durch Wort und Schrift und Suchen nach Wahrheit. Sollte das im Unterbewußtsein schlummernde Gefühl, der historischen, logischen und naturwissenschaftlichen Wahrheit nicht standhalten zu können, Ursache sein dafür, daß Polizei und Gefängnis bis zum heutigen Tage dem Kämpfer für Licht und Freiheit drohen? Ist es das Gefühl der Überlegenheit, daß jeden Wohlerzogenen zwingt, im Verkehr mit Strenggläubigen und der Geistlichkeit eine Rücksicht walten zu lassen, die im allgemeinen nur Damen zu beanspruchen pflegen?

Dabei ist kaum zu bezweifeln, daß die kirchliche Weltanschauung, sofern sie in den Grenzen der Religion und Metaphysik bleibt und sich weder in die Sphäre der Politik noch Erfahrungswissenschaft einschmuggelt, was gar nicht nötig ist – so berechtigt ist wie irgend eine andere, daß der an Gott, Offenbarung und Unsterblichkeit Glaubende nicht um ein Quentchen weniger intelligent zu sein braucht, als der Leugner. Bestünde Trennung von Kirche und Staat und damit auch tatsächliche, nicht nur papierne Glaubensfreiheit, würde die Kirche ihre Irrtumsmöglichkeit zugeben, wobei sie immerhin an den geoffenbarten Grundwahrheiten ihrer Lehre festhalten könnte, dann würde auch der fortschrittlich Gesinnte keinen Grund haben, sie mit Erbitterung zu bekämpfen, sondern selbst der Gegner würde dieser gewaltigen Organisation, der erhebenden Schönheit ihres Kultus und der Unwiderlegbarkeit – allerdings auch Unbeweisbarkeit ihrer metaphysischen Basis Ehrfurcht zollen müssen.

*

Ein Kulturkuriosum ersten Ranges ist der Feuereifer, mit dem Katholiken und Protestanten sich gegenseitig die Schuld an den Hexenverbrennungen oder – da die Priorität der katholischen Kirche sich nicht wohl leugnen läßt – die größte Heftigkeit der Verfolgungen vorwerfen. Denn daß auch die Protestanten verbrannten, und zwar eifrig, steht fest[272].

Die unfehlbare Kirche – der Papst war es damals bekanntlich noch nicht – dekretiert etwas, was überall, wenn auch nicht ohne Widerspruch, Eingang findet; durch Naturwissenschaft und Aufklärung wird der Wahnwitz selbst der Geistlichkeit allmählich klar gemacht, nun ist es Aufgabe jedes Frommen, zu beweisen, daß die Kirche gar nichts dafür kann! Also Unfehlbarkeit auf alle Fälle!

Übrigens ist die Hexenverbrennung eine direkte Konsequenz der Evangelien[273]!

*

Der Würzburger Bischof Philipp Adolf von Ehrenberg (1623–1631) ließ in den acht Jahren seiner Regierung 900 Personen verbrennen. Im Herzogtum Lothringen wurden in 16 Jahren 800 Hexen verbrannt. Was im ersten Falle die alleinseligmachende Kirche tat, ist im zweiten der hingebenden Frömmigkeit eines katholischen Fürsten zu danken[274].

*

Das Buch des Kalvinisten Weier „de praestigiis daemonorum,“ mit dem er 1563 als erster Deutscher den Hexenwahn bekämpft; – wiewohl es stets Leute, selbstredend Laien gab, die den Wahn nicht mitmachten – wurde in Rom und anderwärts auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Der Verfasser selbst wurde von katholischer und von protestantischer Seite als Mitschuldiger und Genosse der Hexen verdächtigt. Er war nicht Theologe, sondern Arzt. Fast auf allen Gebieten sind ja gute Gedanken und Neuerungen nicht Zünftlern, sondern Außenstehenden zu danken. Die von Diefenbach in seinem „Hexenwahn“ angeführten katholischen Vorläufer Weiers sind, wie Riezler nachweist, sämtlich bona oder mala fide zu Unrecht genannt[275].

*

Als Balthasar Bekker sein Buch „Verzauberte Welt“ 1691 herausgab, kostete ihn sein Auftreten gegen Hexenwahn und Teufel, den er nach der Bibel höchstens als einen machtlosen gefallenen Geist anerkennen wollte, seine Stelle. Christian Thomasius, der 1701 sein Werk „Theses de crimine magiae“ publizierte, wurde von Juristen und Theologen aufs heftigste angegriffen. Der gesunde Menschenverstand und die Liebe zum Fortschritt waren eben seit je nicht gerade die hervorragendsten Eigenschaften der Gelehrten- so gut wie der Handwerkerzünfte.

Die Leipziger theologische Fakultät (Neuer Pitaval, Band 32) hat gelegentlich des Teufelsbeschwörungsprozesses in Jena im Jahre 1715 folgendes Urteil abgegeben: „.... Wir halten dafür, daß bei diesem casu tragico singulari nicht nur auf die Exhalationes der angezündeten Kohlen, welche Menschen zuweilen naturali modo ersticken, sondern auch auf die causam primam, nämlich den gerechten und allgewaltigen Gott zu sehen, der je zuweilen dem Satan zuläßt, daß er bei den causis secundis sein Werk praeter ordinem naturae a creatore constitutam mithabe; denn was solche Philosophi vorgeben, als wenn die Spiritus keine Operationes in materiam et corpora hätten, ist wider die notorische Erfahrung, sonderlich auch wider die Heilige Schrift, die von Operationibus Daemonum in corpora et animam genug Exempel anführt, daher des fascinierten Bekkers in Holland vorgebliche Meinung sowohl von christlichen Philosophiis als Theologiis billigst widerlegt, verworfen und verdammt ist, weil sie der christlichen Religion einen Grundstoß gibt und die Leute vollends vor dem Teufel sicher macht...“ Das war also die offizielle protestantische Meinung im Todesjahre des Sonnenkönigs, in den Tagen von Newton und Leibniz[276]!

*

Das von Kreittmayer 1751 ausgearbeitete bayerische Strafgesetzbuch bestimmte über Hexerei und Zauberei: Bündnis oder fleischliche Vermischung mit dem Teufel oder dessen Anbetung und Verunehrung der Hostien werden mit lebendiger Verbrennung bestraft. Die Strafe des Schwertes steht auf Gemeinschaft mit dem Teufel und Beschwörungen oder zauberische Mittel, wodurch jemand an seinem Leben, Leibes- oder Gemütsgesundheit, Vieh, Früchten, Hab und Gut Schaden geschieht[275].

Noch im Jahre 1713 wurde eine Hexe nach dem Spruch der protestantischen Tübinger Juristenfakultät verbrannt, während beim Hexenprozeß in Berlin im Jahre 1728 das Urteil auf lebenslängliches Arbeitshaus lautete. In Deutschland gebührt der Fürstabtei Kempten der Ruhm der letzten Hinrichtung einer Hexe. Es war das im Jahre 1775. Lessing zählte damals 46 Jahre, Goethe 26! Das protestantische Glarus hat gar noch im Jahre 1782 ein Opfer zu verzeichnen, wiewohl die Hexenverfolgungen im allgemeinen in den protestantischen Ländern um eine bis zwei Generationen früher eingestellt wurden, als in den katholischen. Noch im Jahre 1836 wurde eine „Hexe“ von den Fischern der Halbinsel Hela der Wasserprobe unterzogen. Sie ertrank bei dieser Prozedur. Die griechisch-katholische Kirche hat bekanntlich diesen Wahn überhaupt nie mitgemacht. Sie hatte auch keinen Papst, auf dessen unheilvolles Eingreifen allein nicht nur das Wiederaufleben eines im Absterben begriffenen Wahnes, sondern auch dessen lange Dauer zurückgeführt werden muß.

Die Begriffe Hexerei, Ketzerei und Zauberei fehlen erst im bayerischen Strafgesetzbuch vom Jahre 1813[277]! Die Aufklärung und die infolge der französischen Revolution beginnende Befreiung der Geister und Schätzung der Menschenrechte haben auch hier endlich getilgt, was die „unfehlbare“ und die andern Kirchen an der Menschheit verschuldet hatten.

*

Daß noch bis in die Gegenwart der Katholizismus im Unterschied vom Protestantismus, bei dem die mittelalterliche Borniertheit auf diesem Gebiete etwas früher wich – wie stolz kann das Christentum sein, daß es rund vier Jahrhunderte dem Gott der Liebe Unschuldige verbrannte! – wo er die Möglichkeit dazu besitzt im gottgefälligen Wirken fortfährt, erhellt aus folgendem: Im Jahre 1860 wurde eine Frau zu Camargo in Mexiko lebendig verbrannt. Eine Frau mit ihrem Sohne bestieg 1874 zu St. Juan de Jacobo im Mexikanischen Staate Sinalva den Scheiterhaufen, und noch im Jahre 1888 soll eine Frau nach mehrmaliger Geißelung auf dem Marktplatz einer Stadt in Peru als Hexe ihr Leben haben lassen müssen. Ja, ja, die Religion der Liebe[278]!

*

Heute ist die Aufklärung so unheimlich groß, daß die offizielle Wissenschaft die sogenannten okkulten Phänomene nicht nur ablehnt, sondern noch nicht einmal prüft! Geister wie Schiaparelli, Forel, Flammarion, Lombroso, Crookes, Wallace, Richet u. a. m. werden zwar nicht verbrannt, im übrigen sogar als Ehrenmänner behandelt, aber man hält ihre Beobachtungen keiner Widerlegung für wert. Dogma und ungeprüfte offizielle Weisheit haben eben immer geherrscht und herrschen heute noch. Freie Geister, die nicht Tatsachen an Theorien, sondern Theorien an Tatsachen prüfen, waren immer Outsider. Die ungeheure Masse der Nachbeter kann wirklich nichts dafür, ob das Dogma, das sie verficht, klug oder dumm, richtig oder falsch ist. Immer sind es einige Leithämmel, denen alle anderen nachlaufen. Wie dankenswert wäre eine Kulturgeschichte, die einmal nicht das herausstreicht, was die Menschheit den „Autoritäten“ verdankt, sondern nachweist, wie sie – nach kurzer Förderung – auf lange hinaus den Fortschritt hemmten!

Share on Twitter Share on Facebook