Zwölfter Abschnitt Von allerlei Sitten und Zeremoniell

In den Göttinger Statuten des Jahres 1342 mußte besonders verboten werden, nicht im Ratskeller, wo man beisammen aß und trank, seine gröbste Notdurft zu verrichten.

Übrigens erzählt Schweinichen, daß sich 1571 unter den schlesischen Adeligen ein Verein der Unflätigen gebildet hatte, mit dem Statut, sich nicht zu waschen, nicht zu beten und unflätig zu sein, wohin sie kämen.[237]

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Was man dem Adel alles zutraute, geht u. a. aus der preußischen Hofordnung aus der Zeit Herzog Albrechts hervor. Es handelt sich um Vorschriften für den Besuch der Junker im Gemach der Hofdamen: »desgleichen sollen die vom Adell auch zuchtig neben ihnen (den Hofdamen) nidersitzen und alldo alle unzuchtige geberden und wort vermeiden, wie dann solchs die Adeliche zucht und gebrauch ehrlicher furstlicher frauenzimmer erfordert. Und das dem also, und nicht anderst, gemes gelept, soll der Hoffmeister und Hoffmeisterin darauff fleißig sehen und daruber halten und in Summa keynem Edelman den eingang gestatten, dan der sich zuchtig, ehrlich, erbarlich und, wie sich geburt, beweysen thue.«[238]

Zu denken gibt auch folgender Passus in der Hofordnung des Markgrafen Philipp II. von Baden-Baden (1571–1588): »Khein Unzucht, so die Natur in Niechterkeit nothalber erfordert, solle anderer Enden dann an denen orthen, da es sich gebürt und die darzu verordnet, verricht und dargegen die schandtliche und ergerliche unhöflichkeiten und schanden, so anderwerts biß anhero bößlich und schädlich in vil weg fürgangen, gewißlich vermiden bleiben, bey gefengkhnus und unserer ungnad unnachläßlicher gefahr.«

Die württembergische Hofordnung Herzog Johann Friedrichs enthält sogar noch 1614 einen ganz ähnlichen Passus.[239]

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In der Hofordnung Karls II. von Baden-Durlach heißt es: »Und nachdem von dem hofgesindt bißher mermaln clag furkhomen, das sie nachts uff der gassen allerhandt unzucht treiben und etwa den Burgern mit einschlagung und einwerffung der fenster und in ander weg schaden beschicht, so wollen Ire f. Gn. – edel und unedel hiemit, sich eins solchen gentzlich zu enthalten, gebotten haben und, da solches nit helffen (wurde), mit der straaff niemandts schonen.«

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Eine Bestimmung, die sich häufig findet und tief blicken läßt, ist die Karls II. von Baden-Durlach: »Disgleichen soll niemandts kein büchsen in der Statt abschießen, sonder solchs vor der Statt an unschadlichen ortten tun.« Es war damals augenscheinlich gang und gebe, daß die Hofleute in der Stadt herumschossen.[240]

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Jede Hofordnung fast ohne Ausnahme enthält Bestimmungen über den Burgfrieden, der unter dieser rauhbeinigen Gesellschaft gar nicht energisch genug aufrecht erhalten werden konnte. So bestimmen die württembergischen Hofordnungen noch das ganze 17. Jahrhundert hindurch, daß, wer vom Gesinde sich an seinem Vorgesetzten vergreift, die rechte Hand verlieren soll. Ebenda wird als Burgfriedensverletzung auch bezeichnet, wenn jemand sich weigert, mit einem andern am selben Tisch zu sitzen.[241]

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Zur Illustrierung des höfischen Tones dient auch folgender Passus in der Hof- und Feldordnung der Herzöge Adolf Friedrich und Johann Albrecht II. von Mecklenburg vom Jahre 1609: »Es sol auch bei und uber den Malzeiten ohne uberlauts schreyen, auch zerprech- und werfung der Trinckgeschier sich ein jeder zuchtig und eingezogen verhalten...«[242]

Dazu passen aus der Hofordnung des Markgrafen Johann von Küstrin die Bestimmungen: »§ 2. Eß soll auch der Hoffmeister bei seinen Unß gethanen pflichten kein unordnunge in unsern furstlichen frauenzimmer gestadten und darauf mit gut achtung geben, das keine Unfleterei weder im Frauenzimmer noch davor getrieben werde, und do es von jungen oder alten geschehe...

§ 3. Do auch der Hoffmeister einig Winkellsitzen, es were von Magden oder Andern vormerckte, oder daß sonsten unrichtigkeitt befunden, soll ehr uns und unsere(m) Gemahll solches jederzeitt zu vermelden schuldigk sein, auch kein unordentlich gereiß oder dergleichen scherz, so mit Jungfern oder Megden vorgenommen wurden, nicht gestatten, sondern straffen.

§ 4. Es soll auch keine Saufferey in dem frauenzimmer verstattet noch nachgeben werden.

Es folgen dann noch ähnliche Bestimmungen, so daß die Edelleute nur bis 8 Uhr abends sich mit den Jungfrauen, unter denen selbstverständlich Hofdamen gemeint sind, unterhalten dürfen etc. Man denke sich eine moderne Hofordnung! Und dazu muß ausdrücklich bemerkt werden, daß sehr viele es für nötig hielten, in dieser Weise für den Anstand zu sorgen. So z. B. Herzog Bogislaw XIV. von Pommern-Stettin, der den Hofmeister dafür sorgen läßt, daß ›auch darin (im Gemach der Hofdamen) keine unzulessige vollsaufferey oder sonsten wüstes, wildes wesen getrieben, besonders (sondern) ein jeder zu rechter Zeit wiederumb wegk an seinen ort gehen und das Frauenzimmer zu rechter Zeit geschlossen werden möge.‹«[243]

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Der Ton bei Hofe wird deutlich aus der Hofordnung Herzog Johann Albrechts von Mecklenburg vom Jahre 1574. »Und weill S. f. G. in erfahrung kommen, das die Diener, wan S. f. G. auf der Jagd oder sonsten auff den höfen seindt, den Leutten die huener todtschlagen, daß Obst auß den Gertten nehmen und sich sonsten dergleichen Dingen erzeigen, alß wan eß in offenem feldtzug wehre, auch dißfalls S. f. G. eigen Höfe und Gartten nicht verschonen. Also wollen S. f. G. solches hiemitt ernstlich verbotten ...«

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Montaigne, der im Jahre 1580 seine Reise antrat, ist von der Sauberkeit, die er überall in Deutschland findet, entzückt. Besonders lobt er die Reinlichkeit in den Augsburger Häusern, wo er sogar nirgends Spinnweben antrifft. Köstlich ist, wie er die Einrichtung der Schlafzimmer beschreibt: »ils metent souvent contre la paroy a coté des licts, du linge et des rideaus, pour qu’on ne salisse leur muraille ein crachant«.[244]

Nun muß man ja berücksichtigen, daß Montaigne gemäß seiner sozialen Stellung und Vermögen nur mit wohlhabenden Kreisen in Berührung kam und wohl auch von Frankreich her durch Reinlichkeit nicht allzu verwöhnt war. Denn beim niedern Volk sah es anders aus. Ein Jahrhundert früher schreibt Platter über die Läuseplage im Spital: »Ich hette schier offt man gwelt hette, dry leuß mit einandren uß dem busen zogen.« Das heißt: so oft er gewollte hätte, würde er drei Läuse mit einem Griff aus dem Busen gezogen haben![245]

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Der Furcht vor Insekten, die ja nicht unbegründet gewesen zu sein scheint, dienten auch die Baldachine oder Betthimmel. Man war besonders besorgt, den Kopf der Schlafenden vor Ungeziefer zu schützen, das von der Decke herabfallen konnte. Deshalb waren – was nicht für unsere Sauberkeit sprechen will – im 15. und 16. Jahrhundert die Betten zum Teil der ganzen Länge nach, zum Teil auch nur am Kopfende mit einem Holzhimmel überdeckt. In den Niederlanden genügte Stoff, wohl leichte Seide, diesem Zweck. Aber man machte die bittere Erfahrung, daß das gerade geschah, was man vermeiden wollte: die ungebetenen Gäste ließen sich in den Baldachinen häuslich nieder. Deshalb verschwand im Laufe des 17. Jahrhunderts das Himmelbett langsam, wenigstens das schwere mit Holzdach.[246]

Wie es im 16. Jahrhunderte etc. von Flöhen und Läusen wimmelte, geht aus der Rolle hervor, die diese Tierchen im öffentlichen Interesse einnahmen. So prophezeit Fischart in seiner Praktik (S. 27), daß diese Wandleuß in Frankreich gedeihen werden – ähnlich auch Rabelais wiederholt in Gargantua und Pantagruel – und in der Flohatz 2082, daß »kein Wandlauß nach kein Floh nicht bleibt.«

Ho. Coler (Oeconomia Bd. XVIII, c. 19) setzt im Ernste auseinander: »Es sind aber von diesen edlen Creaturen dreyerley: Kopfleuse, Kleiderleuse und Filtzleuse. Die erste befehle ich den Kindern und Weibern, die andere den Landsknechten, Botten und Bettlern, die dritten den Bulern und Hurenhengsten.«

Montaigne war also nicht nur naiv, sondern auch recht anspruchslos!

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Im 14. Jahrhundert und früher hatten die Betten eine riesige Größe. Solche von vier Meter Breite waren die Regel. Allerdings schlief nicht nur das Ehepaar im gleichen Bett, wie ja mancherorts heute noch üblich, sondern die Adeligen luden auch regelmäßig ihre Waffengefährten ein, in ihrem Bett zu schlafen, zum Zeichen der Waffenbrüderschaft. Und zwar lud man den Freund auch ins Ehebett ein, so daß häufig die Gattin neben dem Gast lag. Aber auch Hunde genossen die Gastfreundschaft.[247]

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Noch im 17. Jahrhundert besaßen die Damen keinen Salon, vielmehr empfingen sie Besuche im Schlafzimmer, und zwar auf dem Bett liegend. Das Bett spielte überhaupt eine große Rolle im Leben der Damen. Als am 2. Oktober 1686 die Gesandtschaft von Siam dem Sonnenkönig ihre Aufwartung machte, empfing die Gemahlin des Dauphin sie im Bett, desgleichen lagen alle Prinzessinnen von Geblüt auf dem Bett, als sie den exotischen Gästen Audienz erteilten.

Der Dichter Gombault hatte freien Zutritt bei der Königin Maria von Medici. Eines Tages traf er sie auf ihrem Bett liegend, die Kleider in Unordnung. In Verse goß er seine Erlebnisse:

Souvent je doute encore, et de sens dépourveû,

Dans la difficulté de me croire moy mesme,

Je pense avoir songé ce que mes yeux ont veû.

(Poésies p. 68.)

Die Sitte gab um so mehr zu pikanten Situationen und entsprechenden Erlebnissen Gelegenheit, als die Intimen des Hauses und Ehrengäste sich auf das Bett setzen oder gar legen durften.

Ein Handbuch des guten Tones vom Jahre 1675 muß deshalb ausdrücklich feststellen, daß es unschicklich ist, sich auf das Bett einer Dame zu setzen, und daß es sehr ungehörig sei, sich zur Konversation auf ein Bett zu werfen.

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Noch merkwürdiger war die Sitte, daß die Neuvermählte sich vom Tage nach der Hochzeit an drei Tage lang auf ihrem Bett liegend allen Bekannten zeigen mußte. Und zwar hatten auch ganz Fernstehende zu diesem Schauspiel Zutritt. Man unterzog dabei die junge Frau einem Kreuzverhör, um ihre Haltung zu prüfen. Selbst die höchsten Damen konnten sich dem Brauch nicht entziehen. Der Herzog von Lauzun renommierte bei dieser Gelegenheit mit seinen Heldentaten...!

Im Jahre 1698 heiratete der Graf d’Ayen ein Fräulein d’Aubigné, Nichte der Mme. de Maintenon. Nach dem Souper legte man das Paar zu Bett. »Der König reichte, wie Saint-Simon (II, p. 59) erzählt, das Hemd dem Grafen, die Herzogin von Bourgogne der Braut das ihre. Der König sah beide im Bett mit der ganzen Hochzeitsgesellschaft; er selbst zog ihnen den Bettvorhang zu...« Am andern Morgen empfingen Mme. de Maintenon und in einem anstoßenden Zimmer die Gräfin d’Ayen auf ihren Betten liegend den ganzen Hof.

Aber noch in der Mitte des folgenden Jahrhunderts gehörte das Bett zum höfischen Zeremoniell. Im Februar 1747 heiratete der Dauphin, Sohn Ludwigs XV., in zweiter Ehe Maria Josepha von Sachsen, nachmals Mutter dreier Könige. Der Herzog von Croy erzählt darüber in seinen Memoiren (Ed. Grouchy, p. 49):

»Wir waren bei der Toilette der Dauphine anwesend, die sich öffentlich abspielte, bis zu dem Augenblick, wo die Königin ihr das Hemd gab. In diesem Augenblick ließ der König alle Männer zur Toilette des Dauphin gehen, dem Seine Majestät das Hemd reichte. Als beide Zeremonien beendet waren, kehrte jedermann wieder ins Schlafzimmer der Frau Kronprinzessin zurück. Sie war in der Nachthaube und in ziemlicher Verlegenheit, aber weniger wie der Dauphin. Als sie im Bett lagen, zog man die Vorhänge zurück und jedermann betrachtete die beiden einige Zeit lang

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Im 17. Jahrhundert stand das Bett ziemlich in der Mitte des Zimmers und hatte infolgedessen rechts und links je einen freien Raum, eine Gasse, von ungefähr gleicher Breite. Aber während die eine, etwas schmälere, für intim galt, war die etwas breitere die offizielle. Einst spielte König Heinrich IV., durch Gicht ans Bett gefesselt, mit Bassompierre, der uns die Geschichte erzählt (Mémoires ed. Chantérac T. I, p. 218), Würfel, und zwar saß er in der kleinen Gasse, während die große für eventuelle Besuche frei blieb. Da kam Mme. d’Angoulême. Der König drehte sich sofort herum und empfing die Herzogin »auf der andern Seite des Bettes«.

Selbst die königlichen Prinzessinnen mußten, wenn sie am Bett Ludwigs XIV. vorbeigingen, es durch eine tiefe Verbeugung grüßen. Auch bei der Königin grüßten die Damen das Bett.[248]

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Im ausgehenden 15. Jahrhundert war der Gebrauch des Taschentuches nicht allgemein verbreitet. Man konnte sich mit der Hand schneuzen – das erlaubten sogar die Sittenlehrer – nur mußte es die linke Hand sein, da man mit der rechten bei Tisch das Fleisch aß! Bediente man sich aber der Linken, dann konnte man ruhig seine Finger zur Reinigung benutzen.

Daher mußte es als geradezu verwegene Neuerung gelten, wenn Jean Sulpice in seinem Libellus de moribus in mensa servandis vom Jahre 1545 das Taschentuch empfiehlt und schreibt: »Wenn du dich schneuzen mußt, dann darfst du eine solche Ausscheidung nicht mit den Fingern nehmen, vielmehr in einem Taschentuch bergen.«

Erhebend ist auch die Vorschrift, die Erasmus von Rotterdam in seiner unter dem Titel: Civilité moral des enfants im Jahre 1613 im Französischen erschienenen, aus dem Lateinischen übersetzten Schrift gibt. Daß der Nasenschleim entfernt werden müsse, steht bei ihm fest: »Aber sich in seine Mütze oder an seinem Ärmel zu schneuzen ist bäuerisch; sich am Arm oder am Ellenbogen zu schneuzen, mag den Zuckerbäckern anstehen; sich mit der Hand zu schneuzen, wenn du sie zufällig im gleichen Augenblick an deinen Anzug hinbringst, ist nicht viel gesitteter. Aber die Ausscheidungen der Nase mit einem Taschentuch aufzunehmen, indem man sich etwas von Standespersonen abwendet, ist eine hochanständige Sache. Und wenn durch Zufall etwas davon zu Boden fallen sollte, wenn man sich nämlich mit zwei Fingern schneuzt, dann muß man sofort darauf treten.«[249]

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Montaigne erzählt im 22. Kapitel des 1. Buches seiner Essais von einem Edelmann, der sich noch mit seiner Hand schneuzte. Und zwar tat er das, weil er dem Nasenschleim nicht das Privileg einräumen wollte, in feiner Wäsche aufgenommen und sorgfältig eingesteckt zu werden. Er hielt es für viel verständiger, sich dieser Unreinlichkeit zu entledigen, wo es gerade sei. Und Montaigne pflichtete ihm bei!

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Noch im 17. Jahrhundert war der Gebrauch des Taschentuches so wenig absolutes Erfordernis des wohlerzogenen Mannes, daß selbst ein großer Herr sich der Finger bedienen durfte. Eines Tages sah Hauterive de l’Aubespine, ein Edelmann von hohem Range, die Blüte Frankreichs bei sich, darunter den berühmten Turenne. Als während des Mahles Hauterive sich schneuzen mußte, drückte er mit dem Finger ein Nasenloch zu und schleuderte den Inhalt des andern wie einen Pfeil gegen den Kamin. Dabei machte er ein Geräusch wie ein Pistolenschuß. Ruvigny rief bei dieser Detonation zum großen Gaudium der andern aus: »Mein Herr, Sie sind doch hoffentlich nicht verwundet?«

De la Mésangère schrieb im Jahre 1797 über dieses nicht sehr appetitliche Thema: »Vor einigen Jahren machte man eine Kunst daraus, sich zu schneuzen. Der eine ahmte den Trompetenton nach, der andere das Schnurren der Katze. Der Gipfel der Vollendung bestand darin, weder zu viel noch zu wenig Geräusch zu verursachen.«[250]

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Einen Einblick in das höfische Zeremoniell gewährt uns die Kammerordnung Herzog Wilhelms V. (dankt 1595 ab, † 1626) von Bayern vom Jahre 1589. Dieser fromme, ja asketische Monarch bestimmt: »Alß wir unß dann anzuclaiden wellen anfangen und die Camerpersohnen darzue verordent werden, sollen die Camerer die Rekh und Mentl in der Vorcamer von sich legen und also eingenestlet in den Goldern (Kollern) oder Rekhlen mit anhangenden Iren Rapieren und seittenwähren zu uns hineingehen und nach vorgehender reverentz on alle Dif(f)erenz und forgang, wie bißhero geschehen, sondern vertraulich under einander zu dienen anfachen. Wir verordnen es dann in dieser Instruction oder ordnung in nachvolgendem anderst, hat es seinen Weg; Nemblich es soll unser Oberst Camerer oder in seinem abwesen der von uns verordnet verwalter und, so der kheiner vorhanden, allzeit dem Dienst nach der öltist oder auch ain anderer Camerer das Schlafhemet von uns empfahen und alßbaldt unser Leibbarbierer oder in seinem abwesen ainer aus den Camerdienern unsern Leib mit Tüechern reiben und abstreichen, dieweil uns der Oberst Camerer den Camb raichen, damit wir uns selbs daß Haar und Parth khemen, alß dann unser Obrist Camerer das hemet von dem Camerdiener nemmen und unß solchcs sowol als hernach den Prustfleckh und gestrickht hemetgeben. Volgents solle uns ainer aus den Camerern die Leinen sockhen und dariber die Hosen, schuech und Pantofel, deren Ime die Camerdiener indifferenter ains nach dem andern raichen sollen, anlegen. Auf dasselb soll uns das Tuech, so wir zu dem hendwaschen fir unß zu braitten pflegen, gegeben werden und daruf aus unsern Camerern ainer daß Peckhen und khandlen und der ander daß Mundtwasser nemmen und mit vorgehender Credentz daß Wasser, der Obrist oder anderer Camerer aber das Tuech zum Trinckhen raichen, welche alßdan nach verrichtem handwaschen daß handt- und Mundtwasser auszeschitten und das Peckhe(n) wiederumben zu seubern wie auch bemelte Tüecher dem Camerdiener zuestellen sollen. Also solle uns hernach unser oberster Camerer daß Wames raichen, uns anlegen und aus den Camerern ainer den Nachtrockh von uns nemmen, aus unsern Camerdienern ainem zuestellen und je zween von den Camerern uns einnesteln und alsoforth ganz und gar ankhlaiden und, so offt es auch von nothen, die seitenwehr, Pareth oder Gurt und gulden flüß (Goldenes Vließ) geben.

Der Leibbarbierer sollr, da wir es begern, dem obristen Camerer, mit ainem Haubttuech verdeckht, daß Zanpulfer und Handsaiffen langen, derselb uns solches auf vorgehende Credenzung zu gebrauchen raichen und Ime, Barbierer, hernach wider zuestellen.

Wenn wir dann auß unser Camer in die Vorcamer gleich alßbalden gehen, so sollen uns unsere Camerer alle vor(–), die Oberst Camerer aber strackhs volgen und nachgehen, uns zue und von der khurchen biß zu der Tafel belaitten. Da wir auch die Wöhr im Zimer nit wurden anhengen, solle sy der Obrist Camerer uns und sonst niemandts nachtragen.«[251]

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In dieser umständlichen Art sind auch die andern Dienste, der bei der Tafel, beim Auskleiden etc. festgesetzt. Interessant ist aber diese Stelle nicht nur wegen ihrer zeremoniösen Umständlichkeit, die den spanischen Einfluß deutlich verrät und sich wesentlich vom Brauch der andern damaligen deutschen Höfe unterscheidet, auch nicht allein, weil sie uns Gelegenheit bietet, die Toilette des Fürsten genau zu verfolgen, sondern besonders deshalb, weil sie lehrt, daß man sich damals nicht wusch! Nur Hände und Zähne kommen mit dem Wasser in Berührung. Das andere wird schlecht und recht durch Abreiben mit Tüchern ersetzt.

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Madame Campan erzählt in ihren berühmten Memoiren folgende Geschichte, die die unglückliche Marie Antoinette zum Gegenstand hat:

Das Ankleiden der Prinzessin war ein Meisterwerk der Etikette. Hier war alles vorgeschrieben... Wenn eine Prinzessin der königlichen Familie beim Ankleiden der Königin zugegen war, mußte die Ehrendame ihr ihre Funktionen abtreten. Aber sie zedierte sie nicht direkt den Prinzessinnen von Geblüt; in diesem Falle gab die Ehrendame das Hemd der ersten Kammerfrau zurück, die es der Prinzessin von Geblüt überreichte. Jede dieser Damen beobachtete skrupulös diese Gebräuche als Bestandteile ihrer Rechte bildend.

An einem Wintertage ereignete es sich, daß die Königin, bereits ganz entkleidet, im Begriffe war, ihr Hemd anzuziehen. Ich hielt es ganz entfaltet. Die Ehrendame tritt ein, beeilt sich, ihre Handschuhe auszuziehen und nimmt das Hemd. Es klopft leise an die Tür, man öffnet: es ist die Frau Herzogin von Orléans; ihre Handschuhe sind ausgezogen, sie tritt vor, um das Hemd zu nehmen, aber die Ehrendame darf es ihr nicht reichen; sie gibt es mir zurück, ich gebe es der Prinzessin. Es klopft neuerdings: es ist Madame, Gräfin von der Provence; die Herzogin von Orléans überreicht ihr das Hemd. Die Königin hielt ihre Arme über der Brust gekreuzt und schien zu frieren. Madame sieht ihre peinliche Haltung, wirft nur ihr Taschentuch fort, behält die Handschuhe an und bringt, indem sie ihr das Hemd überstreift, die Haare der Königin in Unordnung. Diese lächelt, um ihre Ungeduld zu bemänteln, aber erst, nachdem sie mehrmals zwischen den Zähnen gemurmelt hatte: »Das ist scheußlich. Welche Belästigung.«[252]

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In der Vergangenheit trauerte das ganze Land um den Tod des Landesfürsten, und zwar in Frankreich ein volles Jahr lang. Die ganze Nation ging schwarz. Kein Bürger, mag er in noch so beschränkten Verhältnissen gelebt haben, der nicht Trauerkleidung getragen, auf Schmuck verzichtet und seine Familie und Dienstboten zum mindesten in dunkle Gewandung gesteckt hätte. Allerdings erhielten die Angestellten des Hofes – ein Begriff, der außerordentlich weit gefaßt wurde – von diesem die Trauerkleidung geliefert. Es genügte aber nicht, für die eigenen Fürsten Trauer anzulegen, man trug in Paris Trauer um jeden europäischen Fürsten.

Da die lange Hoftrauer so drückend, besonders von der Luxusindustrie, empfunden wurde, reduzierte eine königliche Ordonnanze vom 23. Juni 1716 ihre Dauer auf ein halbes Jahr. Natürlich gab es über die Art ihrer Ausführung die genauesten Vorschriften.

Übrigens war auch die Privattrauer – die ersten Zeugnisse, daß die Trauer überhaupt äußerlich kenntlich gemacht wurde, gehen in Frankreich nicht weiter, als zum Beginn des 14. Jahrhunderts zurück – außerordentlich riguros. Aliénor de Poitiers, eine große Dame, die zwischen 1484 und 1491 »Les honneurs de la Cour« schrieb, ein Buch, in dem die genauesten Details über Fragen der Etikette sich finden, erzählt, daß ihre Standesgenossinnen beim Tode der Eltern neun Tage lang auf ihrem Bett sitzen mußten, zugedeckt mit blauem Tuche. Das Zimmer aber mußten sie sechs Wochen hüten. Bei dieser großen Trauer um Gatten oder Eltern durfte man auch weder Ringe noch Handschuhe tragen.

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Nach dem Tode des Herzogs von Bourbon im Jahre 1456 blieb seine Tochter, Frau von Charolais, nicht weniger als sechs Wochen in ihrem Zimmer, und zwar auf einem mit weißem Tuche überzogenen Bett liegend. Das Zimmer aber war ganz mit schwarzem Tuch ausgeschlagen, und schwarze Tücher vertraten auch die Stelle von Teppichen. Davor aber war ein großes Gemach ebenso hergerichtet. Übrigens lag sie, wenn sie allein war, weder immer, noch blieb sie stets im gleichen Zimmer. 40 Tage Stubenarrest nach dem Tode des Gatten war so gebräuchlich, daß ein Jahrhundert später Katharina von Medici fast getadelt wird, als sie sich nicht fügte.

Die Witwe mußte ihre Trauerkleidung immer tragen, es sei denn, sie verheiratete sich wieder, was selten genug vorkam, schon weil die Kirche es nicht gern sah. Übrigens war diese Witwentracht schwarz oder grau, zu Beginn des 16. Jahrhunderts und im 17. weiß, ebenso weiß bei Königinnen noch im 18. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert mußten die Witwen ihre Haare zwei Jahre lang verbergen und nur mit einem bis zu den Füßen reichenden Schleier ausgehen.

Heinrich III. von Frankreich trug nach dem Tode der Marie von Kleve an seiner ausnahmsweise schwarzen Kleidung silberne Tränen, Totenköpfe und ähnliche Embleme. Nach dem frühen Tode Karls VIII. 1498 trug Anna von Bretagne um ihn, abweichend vom königlichen Brauch, schwarze Trauer. Neun Monate nach seinem Tode hatte sie sich aber durch die Ehe mit Ludwig XII. getröstet. Als sie starb, trauerte ihr zweiter Gatte auch schwarz um sie und ließ keinen Gesandten vor, der nicht schwarz gekleidet war. Auch er heiratete neun Monate später wieder. Regel war, daß die Könige in Violett trauerten, sogar noch im 18. Jahrhundert, noch Napoleon hielt den Brauch aufrecht. Brantôme sagte ausdrücklich, daß Maria Stuart weiß trauerte, also sich dem Brauch fügte. Noch heute heißt ein Zimmer im Hotel Cluny »Zimmer der weißen Königin«, weil Marie von England, die junge Witwe Ludwigs XII., sich dorthin zurückgezogen hatte.[253]

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Über die Volkssitten, die im Jahre der Entdeckung Amerikas im bischöflichen Brixen herrschten, unterrichtet uns ein gleichzeitiger venetianischer Reisebericht. »Hier verbrachten wir den Rest des Feiertages (Fronleichnam) und nahmen wahr, daß die Einwohner sich in ihren Häusern sehr vergnügten, indem sie, das Haupt mit Eichen- oder Efeuguirlanden geschmückt, mit den Frauen zum Klange der Querpfeife tanzten. Danach führte jeder seine Dame zu einem Sitz, wobei er sie mit sehr großer Ausgelassenheit umarmte und herzte. Auch einige junge Venezianer Edelleute aus der Begleitung der Gesandten versuchten mit den hübschesten Damen zum Zeichen ihres Wohlgefallens auf dem Balle zu tanzen. In Brixen herrscht überhaupt ein ausgelassener Ton, denn auf den Straßen ist es – und zwar nicht bloß den Einheimischen, sondern auch den Fremden – erlaubt, junge Damen anzufassen und zu berühren und ihnen Liebenswürdigkeiten zu sagen[254]

Also ein Seitenstück zu dem aus dem 1. Bande bekannten Bericht des Bracciolini aus den Bädern in der Schweiz! Nur daß es hier wenigstens äußerlich trockener war.

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Von den Sitten in Venedig, das Keyßler 1730 besuchte, erzählt er:

»Eine Maitresse zu halten, wird einigermaßen für ein unabsonderliches Recht eines Edelmannes gehalten: und wenn einer durch seine Armuth verhindert ist, für sich allein eine Beyschläferin zu unterhalten; so tritt er mit drey oder vier Mannspersonen in eine Gesellschaft, um einander die gemeinschaftlichen Unkosten ertragen zu helfen. Jeder begnüget sich alsdann mit denen vierundzwanzig Stunden, welche der Reihe nach an ihn kommen: und wenn des Morgens der eine seinen Schlafrock, Schlafmütze und Pantoffeln aus dem Hause der Curtisane abholen läßt, so nimmt um eben solche Zeit das in der Ordnung folgende Mitglied der loblichen Gesellschaft, durch Uebersendung von dergleichen Equipage Besitz von seiner Statthalterschaft. Die Wollüste gehen in Venedig so weit, und die daraus entstehende garstigen Krankheiten sind so gemein, daß man kaum der Mühe werth achtet, sich von etlichen Arten curiren zu lassen.«[255]

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Am Cirknizer See hatten im 18. Jahrhundert die Bauern das Recht zu fischen. »es läuft aber alsdann bey der Fischerey alles ohne Scham unter einander, Manns- und Weibspersonen, wie sie auf die Welt kommen. Die Obrigkeit und Clerisey hat etliche mal gesucht, solche Gewohnheit abzubringen, vornehmlich wegen der jungen Mönche in den zur Fischerey berechtigten Klöstern, welche sich allsdann nicht gern in ihren vier Mauern eingeschlossen wollen halten lassen, sondern desto mehr begierig sind, einer Augenweide zu genießen, je seltener und verbothener ihnen solche ist; allein man hat es noch nicht dazu bringen können, daß beydes Geschlecht auch nur in leichter Kleidung dabei erschienen wäre. Wahr ist es, daß dieses gemeine Volk kein Arges daraus machet, und keine Versuchung von einer Sache empfindet, die ihnen ganz gewöhnlich ist; man höret auch nicht, daß bei solcher Gelegenheit mehr Böses vorgehe, als bey andern, wo man noch so wohl mit Kleydungen bedeckt ist; allein die fremden Anwesende bekommen Gelegenheit zu manchem üppigen Gelächter und vielerlei Anmerkungen; den Mönchen gereichet in solcher Materie ein geringer Anblick zur starken Versuchung, und obgleich das hiesige weibliche Geschlecht von gemeinem Stande ihrer Schönheit nach nicht so beschaffen ist, daß es in manchen andern Ländern große Liebesgluten entzünden könnte, so ist doch bisweilen das häßliche nicht unangenehm, wo man von nichts schönerem weis.«[256]

Bezeichnend ist hierbei, daß die biederen Landbewohner so wenig wie die Eingeborenen der Tropen erotischen Wallungen ausgesetzt sind, wohl aber die Erbpächter der Sittlichkeit, der Klerus.

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In den Bädern in Ofen war man damals auch nicht prüde: »In dem mittelsten großen Raume dieser Bäder befindet sich beyderley Geschlecht untereinander, und ist das Mannsvolk nur mit einer Schürze, und die Weibspersonen mit einem Vorhemde einigermaßen bedeckt. In dem Raizenbade hält das gemeine Volk sogar dieses wenige für überflüssige Ceremonien.«

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