Elfter Abschnitt Rechtspflege

Nicht nur daß Tiere von weltlichen und kirchlichen Behörden bestraft wurden, kam im Mittelalter vor – die beiden letzten derartigen französischen Fälle ereigneten sich noch 1793, ja 1845! – man verhandelte auch mit ihnen. Um 1500 wurde in der Diözese Lausanne ein außerordentlicher Tierprozeß in Gestalt eines bedingten Mandatsprozesses eingeführt. Der bischöfliche Official erläßt auf die Supplik der geschädigten Grundbesitzer den Ausweisungsbefehl an die verklagten Tiere unter Exorcismen und Androhung der Malediktion sowie unter dem Angebot, den Verklagten einen Kurator oder Defensor stellen zu wollen, falls jemand den Befehl anzufechten gedenke. Damit verbindet er unter Androhung der Exkommunikation den Befehl, daß die Tiere während der späteren Verhandlungen sich jeder weiteren Ausbreitung zu enthalten haben.

Das erste Verfahren schließt mit einem Urteil ab, das die verklagten Tiere ausweist. Es handelt sich hier ausschließlich um sogenanntes Ungeziefer, wenigstens niemals um Haustiere oder bestimmte einzelne Tiere. Also um Mäuse, Ratten, Maulwürfe, Insekten, Raupen, Engerlinge, Schnecken, Blutegel, Schlangen, Kröten. Allerdings wurde es in Canada auch gegen wilde Tauben, in Südfrankreich schon viel früher gegen Störche, in Deutschland gegen Sperlinge, am Genfer See gegen Aale angewandt, wenn sie in ungezählten Mengen auftraten und gemeinschädlich geworden waren. Im Ausweisungsbefehl wurde in der Regel eine Frist bestimmt, innerhalb der die Tiere ihren Abzug bewerkstelligen sollen. Gelegentlich hat man dies so ins einzelne durchgebildet, daß man den ausgewiesenen Tieren bis zum Ablauf der Frist freies Geleit zusicherte. Ziemlich weitverbreitet war auch – wenigstens seit dem Spätmittelalter – der Brauch, mit der Ausweisung eine Verweisung zu verbinden, sei es, daß man den Tieren aufgab, sich an einen nicht näher bezeichneten Ort zurückzuziehen, wo sie niemandem mehr würden schaden können, sei es, daß man zu diesem Behuf einen Ort benannte. Bald verurteilte man sie »ins Meer«, bald verbannte man sie auf eine entlegene Insel, oder man räumte ihnen gar einen freien Bezirk in der Gemeinde ein mit der Auflage, die außerhalb desselben gelegenen Grundstücke zu verschonen. So noch 1713 im Urteil von Piedade-no-Maranhao. Dies hat mitunter zu einem förmlichen Vergleichsangebot der Klagspartei an den Offizialvertreter der verklagten Tiere geführt, wonach diesen vertragsmäßig ein solches Grundstück überlassen werden sollte. Die mancherlei Vorbehalte und Klauseln, womit man einen solchen Vergleich ausstattete, zeigen, wie ernsthaft der Vertrag der Menschen mit den Tieren gemeint war.[221]

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Prozesse gegen Tiere sind erst seit dem 15. Jahrhundert deutlich nachweisbar, während Malediktionen und Exkommunikationen viel älter sind. Der letzte Tierprozeß in der vollen Form hat sich vor einem weltlichen Gericht abgespielt, und zwar 1733 vor dem von Bouranton. Aber noch ein Jahrhundert lang haben im Norden die Erinnerungen an die Tierprozesse fortgedauert. Noch um 1805 oder 1806 haben die Bauern auf Lyö in der Herrschaft Holstenshus einen solchen Prozeß wenigstens angefangen.

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Lautete in einem Tierprozeß (gegen Haustiere) das Urteil auf Tötung, dann war auch die Todesart bestimmt. Das Tier wurde demnach als Verbrecher angesehen, dem ein verbrecherischer Wille zugeschrieben wurde. Pour la cruauté et férocité commise (1567) verurteilt das Gericht, d. h. graduierte oder doch geschulte Juristen, den Übeltäter. Am meisten üblich war es, das Tier durch Hängen zu töten oder es zu erdrosseln, und nachher aufzuhängen oder doch zu schleifen. In gewissen Gegenden scheint man aber das Lebendigbegraben oder das Steinigen, das Verbrennen oder das Enthaupten vorgezogen zu haben. Erst seit dem 17. Jahrhundert kommt es ab, die Todesart im Urteil zu bestimmen. Das Gericht überläßt ihre Auswahl hinfort dem Gerichtsherrn oder dessen Vollzugsbeamten.

Der Vollzug des Urteils geschah öffentlich unter dem Geläute der Glocken. Stets obliegt dem Diener der öffentlichen Gewalt, dem Nach- oder Scharfrichter, der Vollzug. Die Richtstatt ist der gesetzliche Hinrichtungsort. Hatte das Urteil auf Hängen gelautet, so geschah das am Baum oder am Galgen. Ein Wandbild in der Kirche Sainte-Trinité zu Falaise zeigt das Tier sogar in Menschenkleidern. Man hatte auch sorgsam darauf zu achten, daß durch den Strafvollzug der Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit nicht in seinen Rechten gekränkt wird. In dieser Hinsicht hat das Verfahren mehrmals zu Beschwerden und Streitigkeiten Anlaß gegeben. Noch 1572 liefern, um dergleichen zu vermeiden, die von Moyen-Moutier ein dort zum Strang verurteiltes Schwein an den Probst von Saint-Dizenz als den vollzugsberechtigten Herrn unter altherkömmlichen Formen aus, indem sie das Tier bis zum Steinkreuz le Tembroix führen, wo der Probst, dreimal angerufen, alle »Verbrecher« (criminaly) in Empfang zu nehmen hat.

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Die Glocke von S. Marco in Florenz, La Piagnola genannt, läutete am 8. April 1498 Sturm, als die Gegner Savonarolas das Kloster in der Nacht belagerten und erstürmten und den Propheten ins Gefängnis führten. Dieses Rufen verzieh man der Glocke nicht. Am 29. Juni 1498 beschloß der Große Rat von Florenz, daß die Glocke von S. Marco zu bestrafen sei. Am folgenden Tage riß das Volk sie vom Turm herunter, ließ sie von Eseln durch die Straßen der Stadt schleifen, und der Henker folgte ihr und peitschte sie. Dann wurde sie aus der Stadt verbannt. Auf dem Campanile von S. Salvatore al Monte blieb sie elf Jahre im Exil, bis sie am 9. Juni 1509 wieder auf den Glockenturm von S. Marco heraufgezogen wurde.

Die Glocke, ein Werk Donatellos und Michelozzos, befindet sich seit 1908 im Museo di S. Marco, wo man sich von den damals erlittenen Mißhandlungen überzeugen kann.[222]

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Dafür, daß die Frauenemanzipation nicht zu Übergriffen führte, war im Gesetz in weniger ritterlicher als wirksamer Weise gesorgt: »Wenn ein böses schnödes Weib auf freier Straße einen Bürger oder Bürgerkinder mit ehrenrührigen Worten anfährt, so darf er das Weib dreimal vermahnen, solche Worte heel zu halten, und wenn es auch das drittemal fruchtlos, seine Faust nehmen, dem Weibe an den Hals schlagen, sie in die Gosse werfen, mit Füßen vor den Hintern stoßen und dann gehen ohne Strafe.«[223]

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Daneben findet sich eine Ritterlichkeit, die unsere Gesetzgebung vermissen läßt: Die Schwangere genießt das Vorrecht, ihre Gelüste zu befriedigen, ebenso darf ohne weiteres für eine Kindbetterin Wein und Brot entwendet werden. Ja, mehr als das. Im Weistum von Galgenscheid (Untermosel) von 1460 heißt es, nachdem das Jagen verboten: »is enwere dan, das eyne frawe swanger ginge mit eyme kinde und des wiltz gelustet, die mag eynen man oder knechte usschicken, des wiltz so viel griffen und sahen, das sie iren gelosten gebussen moge ungeverlichen.«[224]

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Bekannt ist das Verbrennen und Hängen in Effigie. Aber daß man auch in Effigie gerädert werden konnte – für den Delinquenten entschieden wesentlich dem Verfahren in natura vorzuziehen –, berichtet Felix Platter im Jahre 1554.[225]

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Die Gespenster mischten sich früher in so mancherlei Angelegenheiten des Lebens, daß die Juristen nicht umhin zu können glaubten, ihre Rechte zu bestimmen. Der berühmte Rechtslehrer Johann Samuel Stryck verfaßte darüber eine 1700 zu Halle erschienene umfangreiche Dissertation (De jure spectrorum. Halle 1700. recusa ib. 1738), in der er sich so eingehend mit der Materie befaßte, daß das Gespensterrecht es sicher zum Range einer selbständigen Wissenschaft, wie Handels- oder Wechselrecht, gebracht hätte, wenn die Aufklärung nicht schnöderweise das schöne System über den Haufen geworfen hätte.

Nach einer Einleitung, in der die verschiedenen Sorten von Gespenstern, als da sind Kobolde, Nixen, Feldgeister, Bergmännchen etc. dem Leser vorgestellt werden, kommen in schönster systematischer Ordnung die durch dieselben entstehenden Rechtsfälle an die Reihe. Der Hexenhammer hatte ja auch mehr als zwei Jahrhunderte früher diese Materie behandelt. Man sieht daraus wieder einmal, wie sehr die weltlichen Wissenschaften den geistlichen nachhinken.

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Doch ad rem! Es gibt bekanntlich Personen, die von Gespenstern sehr geplagt werden. Was ist nun zu tun, wenn ein Ehegatte die Beobachtung macht, daß sein Gespons zu dieser Sorte gehört? Stryck gestattet aus diesem Grunde zwar die Auflösung eines Verlöbnisses, nicht aber die Ehescheidung. Der Mann muß dann eben den Spuk als Hauskreuz ansehen und es zusammen mit seinem angetrauten mit Würde tragen.

Da ein Haus, in dem die Geister spukten, nahezu wertlos war, findet es Stryck nur gerecht, wenn gegen den Verkäufer, der damit den Käufer betrog, Klage erhoben wird. Natürlich wird dadurch auch ein Mietkontrakt hinfällig. Wenn der Spuk aber so harmlos ist, daß die Geister nur in den abgelegensten Teilen des Hauses an die Türen klopfen oder ein wenig heulen, dann darf man deshalb nicht gleich die Flinte ins Korn werfen und ausziehen. Auch ist der Vermieter nicht zum Nachgeben verpflichtet, wenn er beweisen kann, daß bisher sein Haus von Geistern rein war und erst seit der Vermietung, weil die neue Partei mit Hexen und Zauberern in Feindschaft lebe, von ihnen zum Tummelplatz auserkoren wurde. Natürlich hat der Hausherr das Recht auf Injurienklage, wenn ein Verleumder sein Haus für nicht geheuer bezeichnet.

Wenn der Teufel jemand zu Verbrechen bewegt, so ist der Delinquent darum nicht jeder Strafe ledig, aber unter gewissen Umständen ist es doch billig, sie zu mildern, z. B. wenn der Delinquent anführen kann, der Teufel habe gedroht, ihn zu ersticken oder den Hals umzudrehen.

Augenscheinlich hatte Stryck die Materie nicht gründlich genug behandelt, denn der Rechtsgelehrte Karl Friedrich Romanus in Leipzig sah sich 1703 gezwungen, die Frage, ob wegen Gespenstern der Mietkontrakt aufgehoben werden könne, mit großem Aufwand von Gelehrsamkeit und Spitzfindigkeit nochmals zu behandeln. (Schediasma polemicum expendens quaestionem an dentur spectra, magi et sagae. Lips. 1703.) Da er die Gespensterfurcht durch hundert Zitate beweist, so steht für ihn fest, daß selbst die manierlichsten Geister den Mieter zur Auflösung des Kontraktes berechtigen. Thomasius war allerdings anderer Ansicht (De non rescindendo contractu conductionis ob metum spectrorum. Halle 1711 recusa ib. 1721. Deutsche Halle 1711), doch der bedeutende Mann stand dem Geisterglauben überhaupt recht skeptisch gegenüber. Dieser Stryck nun ging den Theologen in der »Gläubigkeit« nicht weit genug und mußte sich deshalb mit einer Menge Gegner herumschlagen.[226]

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Friedrich der Große hob bekanntlich durch die Kabinettsorder vom 3. Juni 1740 die Tortur in seinen Ländern auf, außer bei Majestätsverbrechen, Landesverrat und Massenmord. Natürlich gegen den Willen der Juristen. Ein teilweises, allerdings sehr verklausuliertes Zurückgreifen auf sie enthält das Zirkular Friedrich Wilhelms III. von Preußen vom 21. Juli 1802. Es ordnet zwar an, daß »bei Criminal-Untersuchungen die Angeschuldigten durch thätliche Behandlung nicht zum Bekenntniß der Wahrheit zu nöthigen« sind, führt aus, »wie unzulässig der Gebrauch der Schärfe in einer Criminal-Untersuchung sei, und wie leicht die Inquirenten von der ihnen eingeräumten Befugniß, einen verstockten Verbrecher für offenbare Lügen zu züchtigen, Mißbrauch machen können«. Deshalb sei »die Anwendung körperlicher Züchtigungen als Mittel zur Erforschung der Wahrheit bei Criminal-Untersuchungen gänzlich zu untersagen.« Das klingt sehr schön. Dann aber heißt es weiter:

»Damit aber der halsstarrige und verschlagene Verbrecher durch freche Lügen und Erdichtungen, oder durch verstocktes Leugnen, oder gänzliches Schweigen sich nicht der verdienten Strafe entziehen möge, soll... das Collegium befugt sein..., eine Züchtigung gegen einen solchen Angeschuldigten zu verfügen. Vorzüglich findet eine solche Züchtigung alsdann statt, wenn der Verbrecher bei einem gegen ihn ausgemittelten Verbrechen, welches er nicht allein ausgeübt haben kann, die Angabe der Mitschuldigen verweigert, oder wenn der Dieb nicht anzeigen will, wo sich die gestohlenen Sachen befinden, oder wenn dieser hierin durch falsche Angaben den Richter täuscht. Die Züchtigung muß nach Beschaffenheit des körperlichen Zustandes in einer bestimmten Anzahl von Peitschen- oder Rutenhieben bestehen, auch kann an deren Stelle Entziehung der besseren Kost, einsames Gefängnis oder eine ähnliche, der Gesundheit des Angeschuldigten unschädliche Maßregel gewählt werden.«[227]

Das heißt auf deutsch, daß es in Preußen noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts rechtens war, Geständnisse in gewissen Fällen durch Peitschenhiebe zu erzwingen.

Das scheint uns haarsträubend und doch haben wir heute noch eine viel schlimmere Tortur, als sie früher bestand. Wirft Müller dem Meyer ein Schimpfwort an den Kopf, dann hat er obendrein noch das Recht, durch Zeugen alles an schmutziger Wäsche in die Öffentlichkeit zu zerren, was sich nur über seinen Gegner auftreiben läßt. Die Zeugen selbst aber sind verpflichtet, bis in die intimsten Intimitäten ihres eigenen Lebens hinein alles nur irgend einer sensationslüsternen Menge interessant erscheinende vor aller Welt aufzudecken. Eine Reihe von Prozessen aus letzter Zeit beweisen, daß ungezählte Existenzen durch diese moderne Tortur vernichtet werden können. Es ist nur Glückssache, ob nicht jeder von uns einmal gezwungen wird, seinen eigenen moralischen Henker vielleicht um einer Bagatelle willen zu machen. Manchem dürften da die Stockschläge von ehedem humaner erscheinen.

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Friedrich Wilhelm III. erließ am 7. Juli 1802 das »Publicandum wegen Deportation incorrigibler Verbrecher in die Sibirischen Bergwerke«. Unter der Motivierung, daß der beabsichtigte Zweck, die getreuen Untertanen vor Verbrechern zu schützen, nicht erreicht wurde, da von Zeit zu Zeit solche Verbrecher aus den Strafanstalten entwichen und andrerseits die Hoffnung auf Flucht selbst lebenslängliche Verurteilung diesen Bösewichtern nicht hinlänglich schrecklich erscheinen läßt, heißt es:

»Aus diesen Gründen haben Allerhöchst dieselben beschlossen, die in den Strafanstalten befindlichen incorrigible Diebe, Räuber, Brandstifter und ähnliche grobe Verbrecher, in einen entfernten Weltteil transportieren zu lassen, um dort zu den härtesten Arbeiten gebraucht zu werden, ohne daß ihnen einige Hoffnung übrig bliebe, jemals wieder in Freiheit zu kommen. Diesem gemäß ist mit dem Russisch-Kaiserlichen Hof die Vereinbarung getroffen, daß dergleichen Bösewichter in dem im äußersten Sibirien, über tausend Meilen von der Grenze der Königlichen Staaten belegenen Bergwerken zum Bergbau gebraucht werden sollen, und es sind hierauf vorerst Acht und Funfzig der verdorbensten solcher Verbrecher am 17. Junius d. J. an den Kaiserlich Russischen Kommandanten zu Narva würklich abgeliefert, um von dort in diese Sibirischen Bergwerke transportiert zu werden.

Seine Königliche Majestät werden durch fernere, von Zeit zu Zeit zu bewürkende Absendungen solcher Verbrecher die Eigenthumsrechte der sämmtlichen Bewohner Ihrer Staaten gegen die Unternehmungen solcher Bösewichter schüzzen, und lasse daher dieses zur Beruhigung Ihrer gutgesinnten Unterthanen und zur Warnung für jedermann hierdurch öffentlich bekannt machen.«

Daß der Staat zur Sicherung seiner Untertanen zur Deportation oder zu sonstigen Gewaltmitteln greift, ist gewiß kein Kultur-Kuriosum, wohl aber, daß eine Großmacht sich der Hilfe einer anderen bedient, um seiner verbrecherischen Untertanen, noch dazu in friedlichen Zeiten, Herr zu werden.

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Übrigens waren die herrschenden preußischen Gesetze nicht durch Milde ausgezeichnet. Das Vermögen der politischen Verbrecher wurde eingezogen, auch ihre Kinder durften »zur Abwendung künftiger Gefahren« in beständiger Gefangenschaft gehalten oder verbannt werden. Selbst Eltern, Kinder und Ehegatten waren bei zehnjähriger bis lebenslänglicher Festungsstrafe zur Denunziation und Verhütung dieses Verbrechens verpflichtet. Landesverräter sollten »zum Richtplatz geschleift, mit dem Rade von unten herauf getötet, und der Körper auf das Rad geflochten werden«. Zum Landesverrat gehörte auch die Verleitung zur Auswanderung und Verrat von Fabrik- und Handlungsgeheimnissen, doch hatte es in diesem Falle mit vier- bis achtjähriger Festungs- oder Zuchthausstrafe sein Bewenden.[228]

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Im Palais, das Friedrich Wilhelm III. bewohnte, wurden Gegenstände im Werte von 50 Talern gestohlen. Bei einem Mädchen, das für die Königin strickte, fand man einige Sachen. Sie wurde verhaftet, der Fall dem König angezeigt und er befahl: »daß man die eingezogene und arretirte Inquisitin Louise M. so lange peitschen sollte, bis sie ihre Mitschuldigen bekenne, und anzeigen würde, und wenn sie unter den Streichen tot bleiben sollte

Darauf zählte man dem Mädchen den ersten Tag 79, den andern Tag 86 und nachmittags 50 Peitschenhiebe »theils auf den bloßen Hintern, und theils auf den Rücken ohne Barmherzigkeit auf, überließ die Direktion des Verfahrens den niedrigsten Beamten, das heißt Schreibern und Boten. – Das Urtheil erfolgte und sie wurde zu Zuchthausstrafe auf des Königs Gnade (d. h. so lange der König wollte!!) condemnirt. Durch diese von dem jetzt regierenden König eingeführten Peitschenhiebe bei den Inquisitionen ist die Tortur der Alten optima forma eingeführt

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Das noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts gültige Preußische Kriegsrecht hatte folgende Todesstrafen: »1. Arquebusieren (erschießen), 2. Hinrichtung durch das Schwert, 3. durch den Strang, 4. durch das Feuer, 5. durch das Rad von oben hinab oder von unten herauf, 6. durch Viertheilung.

Bei der Hinrichtung durch das Schwert ist die Verscharrung des Leichnams auf der Exekutionsstätte, oder das Flechten des enthaupteten Körpers auf das Rad eine gesetzliche Folge der mindern oder größern Wichtigkeit des Verbrechens.

Die Hinrichtung durch den Strang kann theils in der Garnison... theils außerhalb der Garnison an dem gewöhnlichen Galgen geschehen... Im zweiten Fall bleibt der Körper bis zur Verwesung am Galgen hängen.

Die Exekution durch Feuer, durch das Rad oder durch Viertheilen wird jedesmal außerhalb der Garnison auf der gewöhnlichen Gerichtsstätte vollzogen, und erfolgt sodann die Verscharrung des Leichnams oder dessen Heftung auf das Rad, oder Anschlagen der Theile an den Galgen oder an besonders dazu errichtete Pfähle nach der Größe und Wichtigkeit des Verbrechens.

In wie weit bei Militär-Personen die Todesstrafe verschärft werden kann, wobei... die... bestimmte Gattung der Strafe... für den Verbrecher empfindlicher und für den Zuschauer abschreckender zu machen ist, wohin das Schleifen zur Richtstätte, das Abhauen einer oder beider Hände und so weiter gehören mag, muß in jedem einzelnen Falle entweder nach den besonderen Militärgesetzen, oder bei gemeinen Verbrechen der Militär-Personen, nach dem allgemeinen Landrechte beurtheilt und festgesetzt werden.«

Wer sich selbst entleibte, wurde unter dem Galgen durch den Schinder verscharrt.

Die Ehefrau eines Deserteurs, welche mit ihrem Ehemann zugleich entwichen oder zwar zurückgeblieben, aber der Durchhelfung desselben schuldig befunden, wurde mit dem Verlust ihres eingebrachten oder sonst eigentümlichen Vermögens, welches der Generalinvalidenkasse zufiel, bestraft.[229]

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Die letzte Tortur in Deutschland fand im Jahre 1826 im Amte Meinersen in Hannover statt. Ein Häusler Wiegmann war im Anfang des Jahres verhaftet worden, weil er zwei Pferde gestohlen haben sollte, die auf 80 Taler gewertet wurden. Da er leugnete, ging man nach den Regeln des Inquisitionsprozesses mit »Verbal- und Realterrition« gegen ihn vor. Man bedrohte ihn erst mit der Folter, zeigte ihm dann die Instrumente und erklärte sie und folterte ihn endlich wirklich. Die Justizkanzlei in Celle erließ am 4. März eine ausführliche Instruktion über das hierbei zu beobachtende Verfahren. So sollte der Nachrichter bei Vorzeigung der Folterwerkzeuge den Inquirierten zu einem »ungezwungenen« (sic!) Bekenntnisse ermahnen, ihn aber, wenn er kein Geständnis ablegte, auf die Folterbank setzen, ihm Daumenschrauben anlegen und mit deren Zuschraubung einen »gelinden« Anfang machen.

In der Nacht vom 12. zum 13. März führte man Wiegmann in den Keller unter dem Amtshause, wo der Scharfrichter mit zehn Henkersknechten schon versammelt war. Zehn Minuten vor ein Uhr wurde der Inquirent seiner Ketten entledigt, noch einmal befragt, beteuerte aber seine Unschuld.

Der Scharfrichter erklärte ihm nun die furchtbaren Werkzeuge, die in der absichtlich matten Beleuchtung immer noch entsetzlich genug aussahen, und man drängte ihn wieder um ein Geständnis. Da er standhaft blieb – er war aller Wahrscheinlichkeit nach unschuldig –, trat nun der Scharfrichter mit seinen Gesellen in ernstere Funktion.

Lärmend fielen die rohen Burschen über Wiegmann her, rissen ihm die Kleider vom Leibe und setzten ihn auf den mit Stacheln gespickten Marterstuhl. Die Augen hatte man ihm verbunden, die Hände an die Stuhllehne gefesselt und den Stuhl selbst zurückgelehnt, damit er die Stacheln mehr fühle. Trotzdem beteuerte er seine Unschuld.

Nun nahm man den Unglücklichen auf eine Minute herunter und ermahnte ihn abermals zur Wahrheit. Da er nicht gestand, legte man ihn sofort wieder zurück und setzte ihm obendrein die schrecklichen Daumenschrauben an. Er hielt geduldig die Hände hin und zuckte nur einige Male zusammen, als man ihm noch unvermutet Peitschenhiebe versetzte. Er jammerte: »Wie kann ich etwas bekennen was ich nicht getan.«

Nun wurden ihm, während man seine Wunden mit Salben bestrich, wieder neue Folterinstrumente gezeigt und angedroht, aber seine Kraft war erschöpft. Er sagte: »Ich friere und kann nichts mehr sehen.« Man führte ihn nun ins Gefängnis zurück.

Seine Angst vor neuer Folterung, die gesetzlich nicht zulässig gewesen wäre, beutete man in diabolischer Weise aus. Man erweckte durch raffinierte Vorkehrungen aller Art in ihm den Glauben, daß er abends wieder gefoltert werden würde und erzählte ihm allerlei von den furchtbaren Vorbereitungen, die getroffen würden.

Nun gestand er in seiner Zelle aus Todesangst. Der Richter hatte sich eilig zu ihm begeben, und um einem Wiederruf vorzubeugen, ließ man in der Amtsstube Licht machen, trieb Leute, die Geräusch machen mußten, auf dem Amtshofe zusammen und ließ Männer mit brennenden Kerzen zwischen Amtsstube und Folterkeller hin- und herlaufen. So erweckte man in ihm den Glauben, daß noch mehr Henkersknechte angekommen seien, ihre Zurüstungen träfen, und daß Neugierige etwas davon zu erhaschen suchten.

Die Justizkanzlei tadelte allerdings scharf die unnötige Strenge der »Realterrition«, dann die einen Tag dauernde Verbalterrition. »Für künftige Fälle« hatte die Kanzlei dem Amt ein solches Vorgehen, wie dieses, verboten. Gottlob sollten sie sich aber nicht mehr ereignen. Am 17. April 1822 (nach Krieg erst 1840) wurde die Folter in Hannover abgeschafft.

Wiegmann hatte vier Jahr Zuchthaus auf sein »freies Geständnis« hin erhalten, und im Zuchthaus starb er auch.[230]

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Bis zum Jahre 1648 erhielt sich zu Oudewater in Holland der Brauch, daß sich Leute, die der Hexerei beschuldigt wurden, auf der großen Stadtwage wiegen ließen. Bis aufs Hemd entkleidet geschah dies in Gegenwart des Stadtschreibers und der Gerichtsschöppen. Bei Weibern war auch die Wehmutter gegenwärtig. Dafür zahlte man 6 Gulden und 10 Sols, erhielt aber ein gerichtliches Zertifikat, worin bestätigt wurde, »daß ihr Gewicht ihrem Wuchse gemäß und nichts Teuflisches an ihrem Körper befindlich sey«. Durch dieses Attest entging man der Inquisition. Deshalb zog man es natürlich vor, das Geld zu erlegen, statt den Scheiterhaufen zu riskieren.[231]

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Aus dem Jahre 1752 hat sich ein Kabinettsbefehl des Markgrafen Karl Friedrich von Baden-Durlach erhalten, der an die Einwohner des am Fuße der Hardt nördlich von Landau gelegenen Fleckens Rodt gerichtet ist und Verfälschung des Weines mit Spießglas, Silberglött und anderen Mineralien mit dem Tode durch den Strang bedroht, in milderen Fällen, d. h. bei Anwendung von Zucker, Rosinen etc. mit dreijähriger Zuchthausstrafe.[232]

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Der letzte Fall von krimineller Behandlung der Häresie liegt auch noch keineswegs so weit zurück, als man annehmen sollte. Er ereignete sich nämlich im Jahre 1751 und betraf einen Advokaten und Notar in Tirol. Lief die Sache auch nicht allzu grausam ab, so wurde der Angeklagte doch recht wenig glimpflich behandelt.[233]

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Das erinnert einigermaßen an die – allerdings in Abrede gestellte – Äußerung eines bayerischen Ministerialbeamten dem Professor Sickenberger gegenüber, daß Personen, die mit ihrer Kirche zerfallen wären, suspekt seien und daher wenig Aussicht haben, eine Staatsanstellung zu erhalten!!! Wurde die Äußerung auch bestritten, die Tatsache, daß bis heute keine Anstellung erfolgte, bleibt bestehen.

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In einem Pommerschen Städtchen ist die Benutzung von Leitern ohne Spitzen untersagt. Eines Nachts im Jahre 1909 besuchte ein Dieb ein Gehöft und benutzte eine auf dem Hofe stehende Leiter, um in das Haus einzusteigen. Er wird gestört, die Leiter fällt um und er bricht den Oberschenkel. Nun haben wir aber die sogenannte Haftpflicht, und das war für den Dieb ein großes Glück. Der Besitzer des Gehöftes muß dem Herrn Einbrecher die durch den Schenkelbruch entstandenen Kurkosten und eine Entschädigungssumme zahlen, weil die spitzenlose Leiter gegen das Gesetz verstieß!! [234]

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Zu dieser erbaulichen Geschichte bietet die folgende ein allerliebstes Gegenstück. In einem Dorfe in der Provinz Schleswig-Holstein bricht Feuer aus. Fünf Menschenleben sind in Gefahr. Ein Arbeiter wagt sein eigenes und rettet die fünf, wird dabei aber so schwer verletzt, daß er längere Zeit keine Arbeit verrichten kann. Sein Antrag bei der Gemeinde um Unterstützung wird rundweg abgelehnt, weil er – die Rettung »ohne Order« vorgenommen hatte. Difficile est satyram non scribere.[235]

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Der Ruhm des schleswig-holsteinschen Abdera ließ die edlen Bewohner Altonas anscheinend nicht schlafen. Sie bemühten sich also auch ihrerseits, eine denkwürdige Tat zu begehen, und das gelang ihnen über Erwarten glänzend. Der früher in Altona angestellte Schutzmann Riese hatte vor einiger Zeit ein Kind aus dem Treibeis der Elbe vor dem Tode des Ertrinkens gerettet. Durch das kalte Bad, das der Beamte dabei unfreiwillig nahm, stellte sich bei ihm ein rheumatisches Leiden ein, das Dienstunfähigkeit im Gefolge hatte. Darauf kündigte die Stadt Altona dem wackeren Beamten den Dienst und entließ ihn ohne Pension, weil er – der heilige Bureaukratius fordert es so – noch nicht zehn Jahre sein Amt verwaltet hatte. Riese verklagte nun die Stadt auf Zahlung einer Pension, die Stadt aber, jedenfalls aus Furcht, ihre Munifizens könnte nicht weit genug bekannt werden, führte den Prozeß sowohl vor dem Landesgericht, als auch vor dem Oberlandesgericht. Sie verlor aber schändlicherweise und wurde zur Zahlung der Pension verurteilt.[236]

Es gibt eben keine Gerechtigkeit mehr auf der Welt.

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