Die Arbeitsschule im Geiste der vorstehenden Entwicklung ist in München in der gesamten Fortbildungsschule vollendet, in den obersten Klassen der Volksschule für Knaben und Mädchen angestrebt und teilweise durchgeführt. Für die systematische Durchführung in den übrigen Klassen der Volksschule war nur die königliche Schulbehörde zu haben; die städtischen Kollegien dagegen haben die relativ wenigen hierzu nötigen Mittel auf Antrag eines Lehrers verweigert. Nur für die Bildung zweier Versuchsreihen von je vier aufsteigenden Klassen haben sie im Jahre 1910 Mittel bereitgestellt. Die eine Reihe sind vier aufsteigende reine Knabenklassen, die andere Reihe vier aufsteigende, aus Knaben und Mädchen gleichmäßig gemischte Klassen. Eine dritte Reihe von reinen Mädchenklassen wurde nicht genehmigt. Aber auch die genehmigten Versuchsklassen konnten noch nicht das Ideal der Arbeitsschule verwirklichen. Sie waren gebunden an den [116] offiziellen Lehrplan der normalen Schulklassen und hatten nur innerhalb seiner traditionellen Fächer Bewegungsfreiheit im Dienste der Arbeitsschulidee. Nur vier Jahre konnten sich die Versuchsklassen entfalten, gerade lange genug, um das nachfolgende Bild gewinnen zu lassen. Die Kriegsjahre erlaubten dann nur mehr wenige Klassen durchzuführen; der trostlose Friede wird auch diesen wenigen Klassen ihr Ende bereiten, wiewohl ich den ganzen Versuch in die Hände der Münchner Lehrerschaft mit meinem Ausscheiden aus dem Dienste gelegt habe.
Die Ablehnung einer Durchführung im großen Stil, wie bei der Fortbildungsschule, war teils auf die – wie wir nachher sehen werden – unbegründete Furcht vor zu großen Ausgaben, teils vielleicht auch auf die berechtigte Sorge um die Erhaltung von Bildungswerten der heutigen Buchschule zurückzuführen. Diese Sorge war vielleicht veranlaßt durch die teilweise freilich recht verkehrten Vorschläge, welche die Literatur über die Arbeitsschule gebracht hat, und durch die tatsächlichen mißverständlichen Auffassungen vom Wesen der Arbeitsschule, wie sie in ganz Deutschland beobachtet werden konnten.
Ich betrachte die Ablehnung, sofern nur die [117] Versuchsklassen in Zukunft ernstlich gefördert werden, nach ruhiger Überlegung als kein Unglück mehr. Denn der Geist der Arbeitsschule verlangt eine wesentlich andere Lehrerbildung als die heutige. Solange die Lehrer selbst noch in Buchschulen erzogen werden, werden es immer nur wenige sein, die aus eigener Kraft in das Wesen der Arbeitsschule eindringen. Sind aber die Lehrerseminare erst einmal vom Geiste der Arbeitsschule erfüllt, dann wird sich dieser Geist unwiderstehlich auch in der Volksschule Bahn brechen. Denn die zur Durchführung nötigen Mittel sind nicht so groß, daß sie ein wesentliches Hindernis bilden könnten. Dies zeigt die Organisation der Versuchsklassen, die gegenwärtig in München im Gange sind, und die ich in Kürze nun hier schildern will.
Wenn die Arbeitsschule tatsächlich einen wesentlichen Fortschritt bedeutet, wenn die Durchführung des Arbeitsprinzips das aktive Interesse der Schüler an allen Unterrichtsgegenständen erhöht, so muß notwendigerweise in der Arbeitsschule bei geringerer Unterrichtszeit das gleiche erreicht werden können wie in der bisherigen Schule mit ihrer geringeren Aktivität der Schüler, aber größeren Unterrichtszeit. Demgemäß [118] wurde die Unterrichtszeit in den beiden Unterklassen (erstes und zweites Schuljahr) einer Volksschule um etwa vier bis fünf Stunden verkürzt. Dagegen war es notwendig, die Klassen, die zwischen 44 und 50 Kindern zählten, in einer Anzahl von Unterrichtsstunden in zwei Abteilungen zu teilen, deren jede getrennt unterrichtet wurde. Denn das tatsächliche Erarbeiten von neuen Vorstellungen und die hierbei in gewissen Fächern notwendige manuelle Betätigung läßt sich nur mit einer mäßigen Schülerzahl durchführen. Eine durchgängige Teilung der Klasse, also eine Festlegung der Klassenziffer auf 22 bis 25 Schüler, ist durchaus nicht notwendig. Wäre sie notwendig, so könnte heute kein Schulverwaltungsbeamter im Ernste die Arbeitsschule in Vorschlag bringen. Der Hinweis auf die relativ kleinen Klassen in Schweden oder in Dänemark oder in gewissen Teilen der Vereinigten Staaten ist gedankenlos. Denn die relativ geringen Lehrergehälter dieser Länder erlauben kleine Klassen weit eher als die Lehrergehälter in den großen Städten Deutschlands. Eine auskömmliche Bezahlung des Lehrers und damit eine Sicherung der Lebens- und Arbeitsfreude ist aber auch für den Geist der Arbeitsschule viel wichtiger [119] als die Festlegung einer so niederen Maximalfrequenz, die die Ausgaben für das Volksschulwesen einer Stadt wie München von 10 (im Jahre 1913) auf 20 Millionen mit einem Schlage anschwellen lassen würde. Eine durchgängig so niedrig gehaltene Maximalfrequenz ist aber auch gar nicht notwendig zur Durchführung der Arbeitsschule. Die Arbeitsschule hat ja nicht bloß die Einführung in die Welt des Wissens, Könnens und Wertens zu übernehmen, sondern auch die Einübung der durch die Einführung gewonnenen Kenntnisse, Fertigkeiten und Werte. Bei der Einübung aber spielen Schülerzahlen eine sehr viel geringere Rolle als bei der Einführung. Ja, selbst bei der Einführung gibt es Unterrichtsgegenstände, die jederzeit Schülerzahlen von 40 bis 50 Kinder zulassen, nämlich jene, in welchen es sich nur um die Einführung in traditionelles Wissen handelt, das eben auch in aller Zukunft nur durch Wort und Buch erarbeitet werden kann, und wo das Buch und das an seinen Inhalt anknüpfende Nachdenken direkt die geistige Arbeitsstätte bildet. Hierher gehören Geschichte, Religionslehre, Gebiete des Sprachunterrichtes, sowie Teile des geographischen Unterrichtes.
Die Teilung der ersten Versuchsklasse erfolgte [120] für zwei Stunden im Anschauungsunterricht, für zwei Stunden im Rechnungsunterricht, für zwei Stunden im Schreibleseunterricht, für zwei Stunden im Handfertigkeitsunterricht. Während also die Schüler rund 17 Stunden Unterricht hatten, war die Klassenlehrkraft mit 23,5 Stunden, der Fachlehrer für Holzbearbeitung mit 4 Stunden belastet. Die Abteilung A der Klasse kam gewöhnlich um 9 Uhr zur Schule, die Abteilung B um 10 Uhr. Von 10 bis 11½ Uhr waren beide Abteilungen vereinigt. Um 11½ Uhr verließ die Abteilung A die Schule, während die Abteilung B bis 12½ Uhr jene Lektionen erhielt, welche für die Abteilung A bereits zwischen 9 und 10 Uhr angefallen waren. Nachmittags war nur am Montag und Donnerstag in je einer Stunde Unterricht, für die Abteilung A von 2 bis 3 Uhr, für die Abteilung B von 240 bis 340.
Über die Anordnung der Unterrichtszeit für die erste Klasse, Abteilung A (und dementsprechend auch für die Abteilung B) gibt nebenstehende Wochentabelle Aufschluß.
Zu diesem Wochenstundenplan ist zu bemerken: Die Unterrichtszeiten sind in Minuten beigesetzt. Die Pausen zwischen den Unterrichtslektionen sind nicht angegeben. Die Unterrichtslektionen in Kursivdruck sind für beide Abteilungen A und B gemeinsam. Um aus dieser Wochentabelle den Unterrichtsplan für die Abteilung B zu erhalten, sind lediglich die gleichen Unterrichtsfächer, die für die Abteilung A von 9 bis 10 Uhr aufgeführt sind, für die Zeit von 11½ bis 12½ Uhr anzufügen; mit anderen Worten: die Abteilung A kam täglich von 9 bis 11½ Uhr, die Abteilung B von 10 bis 12½ Uhr am Vormittag, und außerdem die Abteilung A Montags und Donnerstags von 2 bis 3 Uhr, die Abteilung B an den gleichen Tagen von 240 bis 340 Uhr zum Unterricht. Nur am Mittwoch und Sonnabend waren beide Abteilungen von 9 bis 11½ Uhr gemeinsam, die Abteilung A am Mittwoch, die Abteilung B am Sonnabend noch weitere 30 Minuten anwesend. Vier Nachmittage waren unterrichtsfrei.
Wochenstundenplan der ersten Klasse [121]
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
Vormittag
9-10
Rechnen (30)
Schreiblesen (30)
Anschauungs-
unterricht (60)
Schreiblesen (30)
Singen (30)
Rechnen (30)
Schreiblesen (30)
Anschauungs-
unterricht (60)
Schreiblesen (30)
Singen (30)
10-11
Religion (60)
Schreiblesen (40)
Turnen (20)
Rechnen (40)
Turnen (20)
Religion (60)
Schreiblesen (40)
Turnen (20)
Rechnen (40)
Turnen (20)
11-12
Anschauungs-
unterricht (30)
Rechnen (30)
Anschauungs-
unterricht (30)
Rechnen (Abt. A) (30)
Anschauungs-
unterricht (30)
Rechnen (30)
Anschauungs-
unterricht (30)
Rechnen (Abt. B) (30)
Nachmittag
2-3
Schreiblesen (40)
Turnen (20)
–
–
Schreiblesen (40)
Turnen (20)
–
–
Wochenstundenplan der zweiten Klasse [122]
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
A
B
A
B
A
B
A
B
A
B
A
B
Vormittag
8-9
Religion (60)
Holzbearbeitung (60)
–
Religion (60)
–
Rechnen (30)
Rechnen (30)
–
–
Rechnen (30)
Turnen (30)
Lesen (30)
Lesen (30)
9-10
Rechtschreiben (30)
Singen (30)
Holzbearbeitung (60)
–
Rechnen (30)
Lesen (30)
Rechtschreiben (30)
Anschauungs-
unterricht (30)
Singen (30)
Turnen (30)
Rechtschreiben (30)
Rechtschreiben (30)
Turnen (30)
10-11 [123]
Lesen (30)
Schönschreiben (30)
Rechnen (30)
Holzbearbeitung (60)
Turnen (30)
Anschauungs-
unterricht (30)
Schönschreiben (30)
Anschauungs-
unterricht (30)
Anschauungs-
unterricht (30)
Rechnen (30)
–
–
Rechnen (30)
Rechnen (30)
–
11-12
–
Rechnen (30)
–
Holzbearbeitung (60)
Rechnen (30)
–
–
–
–
Nachmittag
2½-3
Rechnen (30)
–
–
–
–
Rechnen (30)
–
–
3-4
Ausschneiden (60)
–
–
–
–
Weibl. Handarbeit (60)
–
–
[124]Die Teilung der zweiten Versuchsklasse erfolgte in dem gleichen Zeitausmaße, wie in der ersten, im Rechnen, im Anschauungsunterricht und in der Handfertigkeit; sie unterblieb dagegen im Unterricht im Deutschen. Die weiteren Fragen in bezug auf die Verteilung der Unterrichtszeit auf die einzelnen Unterrichtsfächer beantwortet der S. 122 u. 123 abgedruckte Wochenstundenplan. [125]
Für den einzelnen Schüler ergeben sich hierbei wöchentlich 18 Unterrichtsstunden, für die Klassenlehrkraft 23, für den Fachlehrer in Holzbearbeitung 4 Unterrichtsstunden. Für die Kinder waren fünf Nachmittage unterrichtsfrei, für die Klassenlehrerin deren vier.
Was die Teilung der dritten und vierten Klasse betrifft, so erstreckte sie sich auf zwei Rechenstunden, eine Unterrichtsstunde in der Heimatkunde und die beiden Stunden in Holzbearbeitung. Die Zahl der Unterrichtsstunden betrug für die Knaben 22; sie erhöhte sich auf 24 bei den Mädchen durch Einfügung von 2 Stunden Unterricht in weiblicher Handarbeit, der nunmehr einer besonderen Lehrerin übertragen wurde. Für den Klassenlehrer erwuchsen demnach 25 Stunden Unterricht, für den Fachlehrer in Holzbearbeitung vier, für die Fachlehrerin für weibliche Handarbeit zwei. Das sonstige Stundenausmaß ist aus der nachfolgend abgedruckten Wochenstundentabelle zu ersehen. In allen drei Wochenstundenplänen ist die dem Lehrgegenstande in Klammern beigefügte Zeit um die Pausen zu verkürzen welche für eine geeignete Erholung notwendig waren. An Stelle der Teilung einer Klasse in einem praktischen Unterrichtsgegenstand kann man auch in der ungeteilten Klasse gleichzeitig zwei Fachlehrkräfte arbeiten lassen.
Wochenstundenplan der dritten und vierten Klasse [126]
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
A
B
A
B
A
B
A
B
A
B
A
B
Vormittag
8-9
Religion (60)
Rechnen (60)
–
Holzbearbeitung (60)
–
Religion (60)
–
Rechnen (60)
Lesen (60)
9-10
Rechtschreiben (60)
Aufsatz (60)
Holzbearbeitung (60)
Rechnen (60)
Rechtschreiben (60)
Turnen (30)
Turnen (30)
Heimatkunde (30)
Sprachlehre (30)
10-11 [127]
Heimatkunde (30)
Sprachlehre (30)
Rechnen (60)
Holzbearbeitung (60)
Turnen (30)
Aufsatz (60)
Heimatkunde (60)
Lesen (30)
Turnen (30)
Lesen (30)
11-12
Weibliche Handarbeit (60)
Schönschreiben (30)
–
Holzbearbeitung (60)
Weibliche Handarbeit (60)
Singen (60)
Schönschreiben (30)
Bibel (30)
Bibel (30)
Nachmittag
2-3
–
Rechnen (60)
–
–
Rechnen (60)
–
–
–
3-4
–
Heimatkunde (60)
–
–
Heimatkunde (60)
–
–
–
[128]Ich hätte diese Wochenstundenpläne übrigens nicht zum Abdruck gebracht, hätte ich nicht dadurch die tatsächliche Durchführbarkeit eines Vorschlages illustrieren wollen, den ich auch ganz ohne Rücksicht auf die Organisation der Arbeitsschule seit vielen, vielen Jahren empfehle, dessen Durchführbarkeit aber auch von meinen eigenen Schulleitern bezweifelt wurde. Ich meine die partielle Klassenteilung. Wir sind aus ökonomischen Rücksichten noch auf lange Zeit hinaus genötigt, in den großen Städten Klassen bis zu 50, 60, ja in vereinzelten Fällen noch mehr Kindern zu bilden. In solchen Klassen lassen sich gewisse Zwecke noch fördern, andere Zwecke aber in keiner Weise. Es ist völlig ausgeschlossen, z. B. einen wirklichen Anschauungsunterricht auch nur bei 50 Kindern zu erteilen. Hier muß die Klasse wenigstens in den Beobachtungsstunden unbedingt geteilt werden. Es verursacht unendliche Mühe, Klassen von 50 oder 60 Kindern in gewisse Rechen- und Sprachbegriffe gemeinsam einzuführen. Die Einführung in das Schreiben und Lesen ist ebenfalls wesentlich erleichtert durch Teilung der Klasse im Schreiblesen. – Eine Teilung [129] der Klasse in einigen Stunden wird die Aufgabe ungemein erleichtern, weil alsdann der Lehrer viel eher an den einzelnen Schüler herankommt, ganz abgesehen davon, daß die Aufmerksamkeit einer kleinen Schar mit einem Blick viel leichter zu lenken ist als die einer großen Schar. Von der notwendigen Teilung der Klasse im Zeichnen, in Physik, Chemie, Handfertigkeit, will ich gar nicht reden. Weil wir solche Teilungen nie vorgenommen haben, waren wir genötigt, die Menge der Stundenzahlen für einzelne Fächer in der Volksschule ständig zu vermehren, um auch große Klassen entsprechend vorwärtszubringen.
Ein sehr viel gesünderer Ausweg ist, die Stundenzahl für den Schüler möglichst gering zu halten, für den Lehrer aber durch partielle Klassenteilung zu mehren.
Das verursacht so lange keine Kosten, als die Lehrer unter ihrem Pflichtstundenmaße beschäftigt sind, und vermehrt die Arbeitslast des Lehrers gleichwohl nicht, weil die ungleich größere Leichtigkeit und Fruchtbarkeit des Unterrichtes in kleinen Abteilungen die physische und psychische Kraft des Lehrers sehr viel weniger [130] in Anspruch nimmt. Nur der Wochenstundenplan macht einiges Kopfzerbrechen, ebenso wie das Eintreffen der Kinder im Schulgebäude zu verschiedenen Zeiten. Daß aber die Beseitigung dieser kleinen Schwierigkeiten durchaus möglich ist, das eben sollen die drei Wochenstundenpläne und die an ihnen gemachten Erfahrungen zeigen.
Was den Inhalt der einzelnen Unterrichtsgebiete betrifft, so ist er durch den im Jahre 1911 vom Staatsministerium genehmigten Lehrplan für die sämtlichen Volksschulen Münchens festgelegt. Der mehr als zwölfjährige Krieg gegen den Lehrplan ist zu Ende. Der Lehrplan hat auf der ganzen Linie gesiegt. Er ist einst nur schüchtern vom Gedanken der Arbeitsschule beeinflußt entstanden. Gleichwohl bietet er einer bescheidenen Durchführung des Geistes der Arbeitsschule kein Hindernis. Die einzige Abweichung der Versuchsschule bildet die Aufnahme von fachlichem Arbeitsunterricht auch in die Knabenklassen, und zwar in Verbindung mit dem Anschauungsunterricht und dem Unterricht in der Heimatkunde. In den Mädchenklassen war er schon seit vierzig Jahren vorgeschrieben. [131]